
PARTIZIPATIve künste
im rahmen kultureller bildung

In der kulturellen Bildung bedeutet Partizipation vor allem Ermöglichung und Teilhabe an Kultur. Das wird meistens auf Artikel 27 der Menschenrechte gestützt:
„Jeder Mensch hat das Recht am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teil zu haben.“[26]
In Bezug auf eine Definition nach Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss bedeutet dies explizit auch, zur eigenen Praktik angeregt zu werden. „Als Künstlerische Bildung oder Erziehung wird hauptsächlich eine Erziehung oder Bildung in den Künsten verstanden, die allerdings immer auch eine Bildung durch die Künste an sich zieht. Es geht darum eine bestimmte Kunstfertigkeit, ein Handwerk eine Technik d.h. Grundkenntnisse einer bestimmten Kunstform beherrschen zu lernen.“[27]
Eine andere Form der Partizipation und die Möglichkeit der kulturellen Bildung durch diese soll im Folgenden beleuchtet werden.
In der zeitgenössischen Kunst tauchen seit den 1960er und 70er Jahren vielfältige Strategien von Partizipation und Intervention auf. Künstler*innen berücksichtigen die Öffentlichkeit nicht nur, sondern planen ihre Teilhabe von Anfang an ein und machen sie zur künstlerischen Praxis selbst. Die Rezipient*innen des Werkes gestalten durch ihre Partizipation das letztliche Kunstwerk, die Performance oder das Stück mit. Bezogen auf Reinwand-Weiss findet die Bildung „durch die Künste an sich“ hier in gewisser Weise im höchsten Maße statt.
Diese Wechselbeziehung zwischen Rezipient*innen und Werk macht sich partizipatorische Kunstwerke zu Nutze und zum Gegenstand ihres Interesses. Elke Zobl beschreibt solche, im Sinne kultureller Interventionen, als „vielfältige, impulsgebende Strategien, die kulturelle Akte des Eingreifens in gesellschaftliche Prozesse und des kulturellen Gestaltens und Mitbestimmens sind, um sozialen Wandel zu initiieren.“[28] Ob dabei auch ein Mehrwert für die Partizipierenden im Sinne einer kulturellen Bildung besteht, wollen wir anhand des folgenden Beispiels untersuchen.
die ausstellung "Der berg oder wer um wen weint und wer davon nass wird" von Aliénor im Kunstverein hildesheim
Der Kunstverein Hildesheim hat ein eigenständiges Vermittlungsteam, welches für jedes Jahr ein umfangreiches Programm aufstellt. Im Herbst 2018 fand auf Ebene der kulturellen Bildung durch Partizipation aber noch ein anderer interessanter Programmpunkt statt. Die französische Künstlerin Aliénor Dauchez hat, aufgrund der speziellen Architektur des Kehrwiederturms, in dem der Kunstverein ansässig ist, eine eigenständige Arbeit vor Ort konzipiert. Dadurch waren die Kuratorin und ihr Team über ihre kuratorische Arbeit hinaus in den Prozess der Ausstellung mit eingebunden. Außerdem fand eine andauernde Performance statt, welche im Vorfeld gemeinsam mit der Künstlerin erarbeitet wurde.
In einem Interview mit der Kuratorin Luzi Gross geht es explizit um die Teilhabe aller Mitwirkenden, um die Autor*innenschaft des entstandenen Werkes und die Bedeutung der Rezipient*innen als Teil der Begegnung zwischen Performenden und Besuchenden. Dauchez beschreibt, wie sie mit Studierenden einen erheblichen Teil der Arbeit entwickelt hat und wie deren Persönlichkeiten zu der Arbeit beigetragen haben.
Wenn Dauchez von der „Einbindung des Menschen als künstlerische Geste“ spricht bezieht sie sich auf Nicolas Bourriaud und seinen Begriff der „relational Art“, die er wie folgt erklärt:
„A set of artistic practices which take as their theoretical and practical point of departure the whole of human relations and their social context, rather than an independent and private space.“[29]
Die Künstler*innen stehen dabei weniger im Zentrum eines Schaffensprozesses, als dass sie viel mehr alle beteiligten Situationen, Räume, sowie Personen katalysieren. Das Kunstwerk schafft so ein soziales Umfeld, in dem Begegnungen erzeugt werden und das Publikum Teil eines kollektiven Kunstprozesses ist. Dauchez formuliert diesen Bezug zu den Rezipient*innen als eine Situation, die im Dialog gleichzeitig kreiert und reflektiert wird.[30]

fazit
Dauchezs partizipative Performance wird zum intersubjektiven Ereignis zwischen den Teilnehmenden. Die Beziehung zwischen den beteiligten Subjekten untereinander wird zum Zentrum des Kunstereignisses. Dadurch werden zwei Aspekte deutlich, die positiv zu einer Diskussion um kulturelle Bildung beitragen können:
a) Einerseits taucht die Co-Abhängigkeit von Subjekten als elementare Konstellation für künstlerische Praxis auf. Partizipative Kunst kann nur durch handelnden Austausch zwischen Teilnehmenden erzeugt werden. Dadurch wird die Autor*innenschaft des künstlerischen Geschehens unter Künstler*in und Besucher*innen verteilt und eine Enthierarchisierung zwischen diesen Akteur*innen wird ermöglicht. Dieser horizontale Ansatz kann im Bereich der kulturellen Bildung angewendet werden, wenn wir diesen auch als eine Instanz jenseits einer bloßen Übertragung von Wissen betrachten. Eine traditionelle Rollenverteilung von Erziehenden und Lernenden unterstützt nicht den vielfältigen Austausch von Wissen in der kulturellen Bildung. Die Beteiligten als (Mit-)Akteur*innen zu betrachten, ermöglicht eine vielfältigere und dynamischere Verteilung von Handlungen, um eine paternalistische Unidirektionalität zu vermeiden.
b) Anderseits offenbart Kunst, die sich der Auseinandersetzung von intersubjektiven Verhältnissen widmet, soziale Verflechtungen. Die Aufgabe von partizipativer Kunst ist nicht, gesellschaftliche Schwierigkeiten wie Apathie, Intoleranz oder Vorurteile zu lösen, sondern diese sichtbar zu machen und ein Verständnis über die Komplexität dieser zu schaffen. Partizipation in der Kunst verschafft Subjekten die nötige Distanz für die eigene Auseinandersetzung mit diesen.
Wenn Aliénor Dauchez also davon spricht, Kunst als ein Mittel zu betrachten, die Art des Denkens einer Gesellschaft zu formen[31], erinnert das an Elke Zobl, laut der es bei künstlerischer Intervention darum geht, in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen und sozialen Wandel mitzugestalten. Partizipative Kunst geht demnach von einem positiven Auswirken auf eine Gesellschaft aus, während die Partizipation in der kulturellen Bildung sich auf das Individuum und dessen Zugangsmöglichkeiten bezieht. Gesellschaftlicher Wandel kann im Hinblick auf das Individuum aber natürlich ebenfalls einen erwünschten Mehrwert darstellen. ◀
Von Simón Lobos Hinojosa & Charlotte Rosengarth
[25] Zirfas Jörg (2015): “Kulturelle Bildung und Partizipation: Semantische Unschärfen, regulative Programme und empirische Löcher”. In: Kulturelle Bildung Online.
[26] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: Art. 27.
[27] Reinwand-Weiss 2012
[28] Zobl, Elke (2017): “Künstlerische Interventionen und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse: Das Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit in künstlerisch-edukativen Kontexten”. In: Elisabeth Klaus; Ricarda Drüeke (Hg.): Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Bielefeld: transcript Verlag, S. 265–318.
[29] Vgl. Chayaka, Kyle (2001): WTF… Relational Aesthetics? über Nicolas Bourriaud.
[30] Dauchez, Aliénor; Gross, Luzi (2019): Ausufern, Hildesheim. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim: “Im Dialog wird die Situation gleichzeitig kreiert und reflektiert. (…) Ich möchte mit meiner Kunst keine Botschaften formulieren, sondern Fragen stellen, eher eine Spiegelung für die Betrachtenden schaffen.“
[31] „Wenn man Kunst als ein Mittel betrachtet, die Art des Denkens einer Gesellschaft zu formen, ist es sehr produktiv, dass diese Arbeit nicht nur von einer Person geschaffen wurde.“– Interview Dauchez/Gross (2019).
Ein Beitrag von Julia Andreyeva und Julia Valerie Zalewski