Nacht­ein­ander Folge 6

Spea­k­easy Vol. 5

Ihr habt’s verpasst? Wir nicht. Wir gehen auf Hildes­heims Partys, damit ihr es nicht müsst.

Vorge­plänkel

Zum fünften Mal in Folge hüllen sich die Bewohner Hildes­heims in ihren feinsten Zwirn, um in der Kultur­fa­brik zu Elek­tro­s­wing das Tanz­bein zu schwingen. Der Dress­code verlangt eine Garde­robe im Zwan­ziger Jahre Stil, also den alten Zwan­zi­gern, als alle so rumge­rannt sind wie der große Gatsby. Bereits eine Stunde vor Party­be­ginn hat man die Möglich­keit, den Lindyhop zu lernen, aber das habe ich komplett vergessen oder nicht mitbe­kommen oder sowas in der Art. Statt­dessen durch­stö­bere ich lieber fremde Klei­der­schränke nach dem passenden Outift. Letzt­end­lich entscheide ich mich für ein Arbei­ter­hemd und Schie­ber­mütze. Das ist dann wohl in etwa so elegant wie einer der Schläger aus Peaky Blin­ders, der dir schief zugrinst und dabei merkst du, dass ihm mehrere Zähne in der Visage fehlen.

 

Während­ge­plänkel

Eine Schlange gibt's nicht vor dem Eintritt, wir lassen uns vom Türsteher abklopfen, dann können wir im Keller der Kufa verschwinden. Erstaun­lich, die Leute haben sich alle an den Dress­code gehalten: überall weiße Hemden, Hosen­träger, schwarze Fliegen und Diademe. Unter manch einem Hosen­bein blitzt bei genauerer Betrach­tung zwar ein Sneaker auf, aber ansonsten stimmt das Gesamt­bild. Da fühle ich mich ja fast ein biss­chen under­dressed. Einige Leute scheinen den Tanz­kurs mitge­macht zu haben und sie wirbeln elegant an uns vorbei. Ich gehe an die Bar und kaufe mir ein Bier. Jetzt fallen mir erst die Gestalten auf, die am Rand der Halle auf den Vorsprüngen sitzen. Mit ihren Anzügen und Aben­klei­dern und den im Schatten liegenden Gesich­tern haben sie etwas von einer geheimen Verei­ni­gung, die hierher gekommen ist, um die Leute beim Tanzen zu beob­achten. Irgendwie stellt sich aber nicht so die rich­tige Party­stim­mung bei mir ein. Das passiert mir in letzter Zeit oft in Hildes­heim, dass ich denke, dass ich das alles so in der Art irgendwie schon viel zu oft erlebt habe. Kufa, die Jam Sessions im Thav, das war alles cool und neu, als man als Erst­se­mester abends eupho­risch durch die Stadt gestreift ist. Mitt­ler­weile fühlt es sich so an, als ob man alles schon gesehen, alles schon erlebt hat. Das muss der Hildes­heim-Blues sein, von dem sie alle reden. Nach dem zwan­zigsten Elektro-Swing-Song mit Stak­kato-Piano und Blech­blä­sern haben wir jeden­falls genug von den Zwan­zi­gern und beschließen, den Abend in einer Kneipe ausklingen zu lassen.

Nach­ge­plänkel

Wir entscheiden uns für die am kürzesten entfernte Kneipe, die man ansteuern kann, wenn man aus der Kufa kommt. Studie­rende trifft man hier meis­tens nicht an, statt­dessen hängen die unter­schied­lichsten Leute über der Theke oder den einar­migen Banditen in der Ecke. Ich schaue zu, wie die Feigen und Melonen über den Bild­schirm rasen und sich dann immer wieder in voll­kommen will­kür­li­chen Reihen anordnen. An den Wänden hängt eine wilde Zusam­men­stel­lung aus Bildern und Deko­ra­tionen: an der Wand zum Klo beob­achtet Marilyn Monroe, wie zwei leicht beklei­dete Damen auf dem Plakat neben ihr intim werden. Ich bin mir ziem­lich sicher, dass die Topf­pflanzen im Fenster aus Plastik sind. Das Licht ist schummrig, im Hinter­grund kann man hören, wie sich die Dart­pfeile ins Filz bohren. Es riecht nach Ziga­ret­ten­qualm, kaltem Schweiß und Verzweif­lung. Irgend­wann schwankt eine hacke­dichte Frau hinter den Tresen und wech­selt eigen­händig die Song­aus­wahl. Ein Blick auf die Uhr, Drei ist es schon. Als wir dann auch noch aufge­for­dert werden, zu den Böhsen Onkelz zu tanzen, wird es höchste Zeit zu gehen. Auf dem Rückweg begegnen wir anderen Party­gän­gern, die sich auf den Heimweg machen und für einen kurzen Augen­blick habe ich echt das Gefühl, in der Zeit zurück zu reisen. Viel­leicht ist es aber auch einfach nur höchste Zeit, schlafen zu gehn.

Text: Connor Endt.

Illus­tra­tion: Ole Harms.

Weitere Folgen: