"Nach­hal­tig­keit hat für mich etwas mit Verbun­den­heit zu tun"

 

Kris­tina Gruber erläu­tert als ehema­lige Mitar­bei­terin des Kultur­po­litik-Insti­tuts und Co-Leiterin des Projektes "Nach­hal­tig­keits­kultur entwi­ckeln" ihre Sicht­weisen auf die Verbin­dungen von Nach­hal­tig­keit und Kulturwissenschaften.

 

 

Wenn du an Nach­hal­tig­keit denkst, welches Bild hast du da vor Augen?

Ich kann jetzt kein konkretes Bild nennen, aber ich kann es mit einem Begriff beschreiben: Nach­hal­tig­keit hat für mich etwas mit Verbun­den­heit zu tun — Verbun­den­heit unter Menschen und Verbun­den­heit der Menschen mit der Natur.

Nimmst du Paral­lelen in den Kultur- und Nach­hal­tig­keits­wis­sen­schaften wahr und wenn ja, welche sind das?

Ich sehe in dem Sinne Paral­lelen, dass es in den Kultur­wis­sen­schaften auf unter­schied­li­chen Ebenen – ob das jetzt etwas sehr Spezi­fi­sches in der Ausein­an­der­set­zung mit Kunst oder Musik ist, aber auch bis hin zu kultu­reller Verstän­di­gung — um einen krea­tiven und lernenden Prozess geht. Das ist etwas, was wir in den Nach­hal­tig­keits­wis­sen­schaften auch betonen: Dass eine nach­hal­tige Entwick­lung kein Endziel ist, sondern ein trans­for­ma­tiver Prozess. Und in diesem Prozess müssen wir auch viele Dinge weiter kreativ erlernen.

Und wodurch sind dir die Anknüp­fungs­punkte der Themen bewusst geworden?

Ich finde, sie sind prin­zi­piell sehr nahe­lie­gend, denn wir Menschen gestalten Kultur(en). So wie wir leben und denken, beein­flusst das den Umgang mit anderen Menschen und mit der Natur. Außerdem sehe ich Anknüp­fungs­punkte in Hinblick auf die Bedeu­tung krea­tiver Prozesse und Methoden. In den Nach­hal­tig­keits­wis­sen­schaften arbeiten wir beispiels­weise verstärkt mit trans­dis­zi­pli­nären Forschungs­me­thoden – also einem Vorgehen, das wissen­schaft­li­ches und prak­ti­sches Wissen mitein­ander verbindet. Auch vor dem Hinter­grund des Konzeptes einer Bildung für nach­hal­tige Entwick­lung spielen ko-krea­tive Prozesse eine zuneh­mende Bedeu­tung, um der Vision einer nach­hal­tigen Entwick­lung näher­zu­kommen. Das Expe­ri­men­tieren mit ko-krea­tiven Prozessen und Methoden findet sich also sowohl in den Kultur­wis­sen­schaften als auch den Nach­hal­tig­keits­wis­sen­schaften wieder.

Du hast, bevor du Co-Projekt­lei­terin von „Jetzt in Zukunft. Nach­hal­tig­keits­kultur entwi­ckeln: Praxis und Perspek­tiven sozio­kul­tu­reller Zentren“ und wissen­schaft­liche Mitar­bei­terin am Institut für Kultur­po­litik wurdest, Geografie und nach­hal­tiges Wirt­schaften studiert. Welches Wissen und welche Kompe­tenzen konn­test du aus deinem bishe­rigen Studium hier am Fach­be­reich einbringen?

In meinem vorhe­rigen Studium habe ich insbe­son­dere den Umgang mit komplexen Systemen erlernt. Ange­fangen bei der Geografie, wo ich an unter­schied­li­chen Schnitt­stellen die Komple­xität und die Zusam­men­hänge von Natur­pro­zessen kennen­ge­lernt habe sowie die Wech­sel­wir­kungen zwischen Mensch und Natur. Kleine Verän­de­rungen können manchmal große Auswir­kungen haben. Später habe ich in Forschungs­pro­jekten im Ausland mitge­ar­beitet, in denen ich die wirt­schafts­po­li­ti­sche Perspek­tive kennen­ge­lernt habe. Das Master­stu­dium „Nach­hal­tiges Wirt­schaften“ an der Univer­sität Kassel habe ich dann ganz bewusst gewählt. Eben ausge­hend von der Erkenntnis, dass, wenn wir Prozesse oder Systeme verän­dern oder weiter­ent­wi­ckeln wollen, das Wirt­schafts­system unsere Gesell­schaft wesent­lich beein­flusst und daher eine zentrale Rolle spielt. Mir war es auch wichtig, weiterhin inter­dis­zi­plinär zu arbeiten, sodass ich im Master­stu­dium beispiels­weise Semi­nare in den Poli­tik­wis­sen­schaften gewählt habe, um die Gänze unseres komplexen Welt­sys­tems aufgreifen zu können. Wenn ich die Defi­ni­tion von Nach­hal­tig­keit vor Augen habe und die Kultur als verbin­dendes Element betrachte, so habe ich mich in die ökolo­gi­sche, soziale und wirt­schaft­liche Dimen­sion sehr tief einge­ar­beitet und konnte das dann im Forschungs­pro­jekt und am Institut einbringen.

Welche Poten­tiale siehst du in den Geistes- und Kultur­wis­sen­schaften in Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit? 

In den Geistes- und Kultur­wis­sen­schaften passiert schon sehr lange sehr viel in der Hinsicht. Wenn ich mir zum Beispiel die Philo­so­phie anschaue, da gibt es schon seit Jahr­zehnten eine Ausein­an­der­set­zung mit Mensch-Umwelt-Inter­ak­tionen und den Auswir­kungen auf unsere gesell­schaft­liche Entwick­lung. Es braucht insge­samt weiter Grund­la­gen­for­schung und zudem verstärkt mit einem trans­dis­zi­pli­nären Charakter. Das ist ein großes Poten­tial, was die Geistes- und Kultur­wis­sen­schaften, insbe­son­dere so wie ich das auch in Hildes­heim erlebt habe, mitbringen. Beson­ders in den Natur­wis­sen­schaften sind trans­dis­zi­pli­näre Methoden an der einen oder anderen Stelle noch in den Anfängen. In den Kultur­wis­sen­schaften und in Hildes­heim habe ich es so wahr­ge­nommen, dass trans­dis­zi­pli­näres Arbeiten deut­lich ausge­prägter ist und ein größeres Bewusst­sein da ist, wie dies umge­setzt und gestaltet werden kann.

Und welche Wünsche hast du in Bezug auf das Thema Nach­hal­tig­keit an die Kultur­wis­sen­schaften für die Zukunft?

So wie an alle Diszi­plinen habe ich den Wunsch, dass mitein­ander gear­beitet und geforscht wird und, dass die Notwen­dig­keit und auch die Heraus­for­de­rung, die mit einer nach­hal­tigen Entwick­lung einher­gehen, mitein­ander betrachtet werden. Das ist ein ganz zentraler, aber auch heraus­for­dernder Punkt. Denn man versucht ja, indem man sich in einer Diszi­plin aufhält, sich selber Grenzen zu setzen; die Gesamt­heit und die Komple­xität kann auch über­for­dernd sein. Deswegen macht es total Sinn, dass wir uns erst einmal in unseren Diszi­plinen aufhalten und uns dort vertiefen, um dort zu Expert*innen zu werden. Gleich­zeitig ist es von Anfang an wichtig, in den Austausch zu treten und zu erkennen und wahr­zu­nehmen, was in anderen Diszi­plinen für Meinungen, Ergeb­nisse und Erkennt­nisse vorliegen und diese dann mit den eigenen Ergeb­nissen und Erkennt­nissen in Verbin­dung zu bringen. Dass wir in unseren Diszi­plinen sind und bleiben können, aber gleich­zeitig offen und sensibel sind für andere Diszi­plinen und dadurch zu einem gemein­samen Bild, zu einer gemein­samen Vision, kommen – das ist eine große Herausforderung.

Ein Beitrag von Luci­enne Pilliger, veröf­fent­licht am 24. Mai 2022