Nachhaltig studieren an der Domäne?
Oder: Der CO₂-Abdruck unseres Studiums und was wir jetzt tun könnenGerade einmal eine Tonne CO₂ dürften bei einer klimafreundlichen Lebensweise pro Person jährlich ausgestoßen werden.
Klingt wenig? Ist es auch. Aktuell liegt der Durchschnittswert in Deutschland bei ganzen 12,5 Tonnen!
Um die individuelle Ökobilanz zu berechnen gibt es zahlreiche CO₂-Rechner im Internet, die uns unsere klimaschädlichen Laster immer wieder vor Augen führen. Dabei ist das Modell des CO₂-Abdrucks nicht ganz unumstritten. Was viele als hilfreiches Instrument auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Lebensstil empfinden, hat einen bitteren Beigeschmack: Der CO₂-Abdruck entstammt einer mehr als erfolgreichen PR-Kampagne des Ölkonzerns BP. Dem Unternehmen mit einem der höchsten CO₂-Ausstoße weltweit gelingt es so, die ökologische Verantwortung auf das Individuum auszulagern und von den viel größeren Missständen in der eigenen Industrie abzulenken.
Wir sollten uns also nicht in die Irre führen lassen — der Konsum eines Kaffees mit Kuhmilch ist im Vergleich zu den Klimasünden großer Konzerne nur ein Tropfen au dem heißen Stein. Doch die Klimakiller-Industrie können wir nicht an einem Tag in die Knie zwingen, während wir jeden Tag unzählige Alltagsentscheidungen treffen, die in ihrer Summe auch das Klima beeinflussen. Die Berechnung des CO₂-Abdrucks kann dabei erste Anhaltspunkte für die Auswirkungen individueller Handlungen auf das Klima liefern. Und je mehr Menschen mitmachen, desto größer ist der Impact dieser Kleinigkeiten. Es ist die Summe vieler Handlungen, die einen Unterschied machen kann. Positiver Nebeneffekt: Die Selbstwirksamkeit wird gestärkt.
Auch Entscheidungen, die tagtäglich im Studierendenleben getroffen werden, spielen eine Rolle. Aber an welchen Stellen kann ein kleiner Verzicht den größten Unterschied machen? Natürlich ist jede noch so kleine CO₂-Einsparung ein Schritt in die richtige Richtung, aber manche Schritte haben eben doch einen größeren Einfluss als andere. Deshalb habe ich mich mal umgeschaut, welche Entscheidungen Tag für Tag an der Domäne getroffen werden müssen und mir die Finger wund recherchiert, um dazu konkrete CO₂-Zahlen zu finden. Natürlich sind die nicht absolut und das ausgestoßene CO₂ ist nur ein Faktor von vielen, die die persönliche Ökobilanz beeinflussen. Trotzdem sind die Zahlen ein erster Anhaltspunkt, um ein Gefühl für die eigene CO₂-Bilanz zu bekommen. Vielleicht halten sie sogar die eine oder andere Überraschung bereit.
Um die Ökobilanz eines Tags am Kulturcampus zu veranschaulichen, begleiten wir nun die fiktive Studentin Mary bei einem typischen Tag an der Domäne mit all seinen ökologischen Tücken und Fallstricken. Dabei sollten wir immer im Hinterkopf behalten, dass sie für eine klimaneutrale Lebensweise höchstens 1 Tonne im Jahr und damit auf einen Tag gerechnet 2,74 kg ausstoßen dürfte. Das ist sozusagen ihr CO₂-Tages-Budget.
07.30 Uhr
Mary wohnt in der Nordstadt, Peiner Straße. Im Sommer fährt sie häufig mit dem Fahrrad zur Domäne, aber heute ist es kalt und sie nimmt die Linie 4 vom Hauptbahnhof. Damit stößt sie schon mal 790 g CO₂ aus — ein Großteil dessen, was sie an diesem Uni-Tag sonst noch so verbrauchen wird. Eine Autofahrt von der Marienburger Höhe zur Domäne würde CO₂-technisch so ziemlich auf das Gleiche hinauskommen. Wer näher am Studienstandort wohnt, spart also nicht nur Zeit, sondern auch eine Menge CO₂!
Übrigens: Studierende aus Hannover, denen ein Auto zur Verfügung steht, könnten bei ausschließlicher Berücksichtigung des CO₂-Ausstoßes tatsächlich über eine Fahrgemeinschaft nachdenken. Bereits ab drei Personen hat eine Autofahrt nämlich die bessere Ökobilanz als der ÖPNV! Allerdings sollte sich niemand bei der Entscheidung nur auf den CO₂-Ausstoß stützen – zumal dieser je nach Auto und Fahrstil stark variieren kann. Bei einer detaillierteren Betrachtung der Umweltfreundlichkeit des Autos müssten weitere Umweltaspekte wie Feinstaub und Ressourcenverbrauch miteinbezogen werden.
08.00 Uhr
An der Domäne angekommen braucht Mary erstmal einen Kaffee von „Marie“, dem Mensawagen. Aber Moment – wie sieht es da eigentlich mit dem CO₂-Ausstoß aus? Tatsächlich macht es einen großen Unterschied, wie Mary ihren Kaffee am liebsten trinkt. Den geringsten CO₂-Ausstoß hat mit 50 g der schwarze Kaffee, was nur noch übertroffen werden kann von schwarzem Tee mit 20 g. Ein Grund also, als Muntermacher morgens lieber zu Tee zu greifen?
Wer seinen Kaffee gerne mit viel Milch trinkt, hat schon deutlich mehr auf dem CO₂-Konto zu verzeichnen. Ein großer Latte mit Kuhmilch entspricht ganzen 340 g CO₂ und damit fast dem siebenfachen eines schwarzen Kaffees. Damit verbraucht er sogar mehr als eine Autofahrt zu fünft vom Bahnhof zur Domäne! Als Kompromiss bietet sich ein Latte mit Hafermilch an. Dabei werden immerhin nur 190 g CO₂ ausgestoßen.
Ein weiterer Faktor, der den CO2-Ausstoß beeinflusst, ist die Verpackung. Nicht ohne Grund sind eigene Coffee-To-Go-Becher zeitgleich mit einem steigenden Umweltbewusstsein in der Gesellschaft immer beliebter geworden. Ein Pappbecher mit Deckel addiert nochmal 20 g zur CO₂-Bilanz des Kaffees. Das jeden Tag sind aufs Jahr gerechnet immerhin 7,3 kg CO₂. Ganz zu schweigen von den Problemen, die der Plastikdeckel mit sich bringt.
Mary hat ihren eigenen Becher in der Hektik am Morgen vergessen, kann am Mensawagen aber praktischerweise auf den Pfand-Mehrweg-Becher „recup“ zurückgreifen. Dieser kann an verschiedenen Standorten teilnehmender Partner*innen ausgeliehen und zurückgeben werden. Hier gibt es eine Karte mit Recup-Partner*innen in Hildesheim und überall sonst: https://recup.de/
Wenn mal kein „recup“ verfügbar sein sollte, lohnt es sich schon, auf den Deckel zu verzichten. Dadurch kann immerhin über die Hälfte der Emissionen des Bechers eingespart werden.
08.10 Uhr
Mit dem Kaffee in der Hand begibt sich Mary zu ihrer ersten Vorlesung im Hohen Haus. Ganz oben – Raum 402. Da überlegt sie sich schon zweimal, die Treppe zu nehmen. Die energetisierende Wirkung des Kaffees hat leider noch nicht eingesetzt und sie sieht sich schon vor Anstrengung keuchend oben ankommen. Was also, wenn sie einfach den Fahrstuhl nimmt? Das kann sie machen, allerdings hat sie dann direkt weitere 95 g CO₂ auf ihrem Konto zu verzeichnen.
09.45 Uhr
Die Vorlesung hat Mary trotz ihrer Müdigkeit überstanden. Bis zum nächsten Mal muss sie 30 Seiten von Adorno zur ästhetischen Theorie lesen. Schon steht sie vor der nächsten Entscheidung: Drucken oder digital lesen? Sie könnte zwar ihren Laptop nehmen, aber so ein Blatt Papier ganz Old School mit Textmarker markieren zu können, hat schon seinen Reiz. Mary hat keinen eigenen Drucker, müsste also an der Uni drucken. Tatsächlich hat sie auf der Website des Green Office vor Kurzem gelesen, dass die Uni als „recyclingpapierfreundliche Hochschule“ ausgezeichnet wurde. Das bedeutet, dass auf 100 Prozent Recyclingpapier gedruckt wird, was sie für 30 Seiten 130 g von ihrem CO₂-Budget kostet. Damit kann sie im Vergleich zu Frischfaserpapier immerhin 30 g einsparen, also fast eine Tasse schwarzen Kaffee.
10.00 Uhr
Gedankenverloren will Mary nach ihrer Wasserflasche im Rucksack greifen. Doch scheinbar hat sie auch diese am Morgen vergessen einzupacken. Sieben Uhr früh ist einfach nicht ihre Zeit. Schade, denn Leitungswasser hätte mit gerade einmal 4 g CO₂ pro Liter zu Buche geschlagen. Nun muss sie sich wohl oder übel eine Flasche Wasser am Automaten in der Steinscheune holen. Dort gibt es Mineralwasser in der PET-Mehrweg-Flasche – noch mal 95 g CO₂.
10.05 Uhr
Jetzt, wo Mary schon mal in der Steinscheune ist, kann sie es sich dort für ihre anstehende Freistunde auch gleich gemütlich machen. Zwei Folgen von ihrer Lieblingsserie sollten drin sein. Nur irgendwas funktioniert schon wieder nicht mit eduroam. Theoretisch könnte sie auch über einen mobilen Hotspot schauen, das würde allerdings nicht nur zu Lasten ihres Datenvolumens, sondern auch ihres CO₂-Budgets gehen. Tatsächlich macht es nämlich einen enormen Unterschied, ob sie im WLAN oder im mobilen Netz streamt. Das WLAN ist um ein Vielfaches effizienter und verbraucht nur 3 g pro Stunde Netflix, im Gegensatz zu ganzen 90 g im Mobilnetz.
11.00 Uhr
Nach einer Folge Netflix fällt Mary ein, dass sie unbedingt noch in die Sprechstunde von Birgit Mandel muss wegen ihrer Hausarbeit. Also schreibt sie eine Mail mit ihrem Themenvorschlag. Die schlägt mit circa 10 g CO₂ zu Buche. Damit ist sie klimatechnisch zumindest eine Verbesserung im Vergleich zur Schneckenpost, denn ein Brief stößt mit Transport etwa 20 g aus. Trotzdem lohnt es sich, zu hinterfragen, wann man eine Mail verschickt. Ansonsten kann es schnell zum sogenannten „Rebound-Effekt“ kommen, da eine Mail zwar nur die Hälfte des CO₂s eines Briefes ausstößt, dadurch jedoch auch deutlich häufiger und mit weniger Inhalt verschickt wird.
14.00 Uhr
Nach einem weiteren Präsenzseminar sucht sich Mary eine ruhige Ecke, um das anstehende Online-Seminar zu besuchen. Ausnahmsweise läuft dieses über Zoom und nicht über BBB, da es von einer Gastdozentin abgehalten wird. Am Anfang werden alle gebeten, ihre Kamera anzuschalten, damit die Dozentin nicht ins Leere reden muss.
Kaum zu glauben, aber durch das Benutzen der Kamera werden statt 6 g stündlich ganze 150 g CO₂ ausgestoßen, also das 25-fache! Eine gute Ausrede also, aus ökologischen Gründen die Kamera auszulassen?, denkt Mary. Naja, die Dozentin tut ihr schon etwas leid vor dem schwarzen Bildschirm, vielleicht verzichtet sie auch einfach auf einen Kaffee und spart so das ausgestoßene CO₂ an anderer Stelle ein.
16.30 Uhr
Wieder zuhause sieht Mary, dass sie sogar schon eine Rückmeldung zu ihrem Hausarbeitsthema bekommen hat und eine Buchempfehlung gleich dazu. Stellt sich nur die Frage, woher sie dieses Buch bekommt. Ein kurzer Blick in den Hilkat zeigt, dass es in der Unibib leider nicht vorhanden ist. Also neu kaufen? Damit ginge immerhin ein ganzer Kilo CO₂ einher. Eine Alternative wäre, das Buch über die Unibib anschaffen zu lassen. Das geht sogar recht einfach über ein Formular und jede*r Studierende darf im Semester bis zu zehn Anschaffungsvorschläge einreichen! Dadurch wird das Buch zwar auch neu gekauft, aber der CO₂-Abdruck pro Person wird immer geringer, je mehr Menschen sich das Buch ausleihen.
Am Ende des Tages kann Mary alleine durch die Busfahrten, den Kaffee, eine Fahrstuhlfahrt, das Ausdrucken eines Textes, ein Wasser, eine Stunde Netflix und ein Online-Seminar schon auf einen CO₂-Ausstoß von über 2,5 kg kommen. Und da sind viele alltägliche Dinge wie ihre Mahlzeiten oder ihre Abendbeschäftigungen noch gar nicht mit einberechnet.
Die angestrebten 2,74 kg CO₂ pro Tag scheinen also fast utopisch. Sicherlich gäbe es noch viel mehr Baustellen, an denen Mary ansetzen könnte, um ihren Studierendenalltag etwas nachhaltiger zu machen.
Und jetzt?
Leider können wir unseren CO₂-Abdruck nur bedingt beeinflussen, da dieser nicht unerheblich von der Wirtschaft und Politik bestimmt wird. Wir sollten uns also auch nicht im Klein Klein verlieren, denn genau das ist es, was der Ölkonzern BP mit seiner PR-Kampagne zum CO₂-Abdruck erreichen wollte.
Zum Glück gibt es abseits von Verzicht auf Kaffee und Fahrstuhlfahrten noch andere Möglichkeiten, etwas für das Klima zu tun. Das positive Pendant zum ökologischen Fußabdruck ist der ökologische Handabdruck.
Dieser beinhaltet Handlungen, die einen positiven Impact auf das Klima haben. Damit können wir unseren Fußabdruck zwar nicht kompensieren, dafür steigert er die Selbstwirksamkeit umso mehr. Deshalb werden links ein paar Optionen vorgestellt, sich an der Uni für Nachhaltigkeit zu engagieren.
Sobald die Rahmenbedingungen gegeben sind, dass einzelne Handlungen weniger klimaschädlich sind, müsste sich auch nicht mehr jede einzelne Person drastisch einschränken, um ihr knapp bemessenes Tagesbudget von 2,74 kg CO₂ nicht zu überziehen.
Letztendlich geht es darum, dass der Nachhaltigkeitsgedanke auf jeder Ebene verankert ist und mitgedacht wird.
Ein Beitrag von Nina Lajcsak. Veröffentlicht am 24. März 2022