Ausgangspunkt
2018 ließ die Kuratorin der Manchester Art Gallery Clare Gannaway das Werk "Hylas und die Nymphen“, das eine Szene aus der griechischen Mythologie zeigt, abhängen und erklärte es zu einer eigenständigen Kunst-Performance. An der Stelle, an der das Gemälde hing, sollten Museumsbesucher*innen ihre Diskussionsbeiträge an die Wand pinnen. Während es in den sozialen Netzwerken von Zensurvorwürfen hagelte, wollte die Kuratorin das Gegenteil bewirken: eine Debatte, wie Bilder in der heutigen Zeit gezeigt werden sollten. "Diese Galerie präsentiert den weiblichen Körper als entweder 'passiv-dekorativ' oder 'femme fatale'. Lasst uns diese viktorianische Fantasie herausfordern!“ So lässt sich die Liste ewig fortführen, wie etwa die Reaktionen auf die Arbeiten Natalia LL, die entfernt und nach einem kollektiven Bananenessen als Protestaktion wieder auf ihren Platz wanderten.
Wie hier ersichtlich wird, haben Sammlungen von Artefakten und Kunstwerken, die sich mit Sexualität befassen, eine wichtige Rolle bei der Produktion von sexuellem Wissen. Vielfältige sexuelle und geschlechtliche Lebensweisen sind in Deutschland gesellschaftliche Realität und Teil der sozialen Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Für die auf Menschenrechten und Demokratie basierende Institution Museum sollte es daher selbstverständlich sein, systematisch darauf zu achten, die Vielfalt der Gesellschaft im Blick zu haben und sich über vielfältigere Angebotsformate einem diversen Publikum zuzuwenden. Ebenso sind Lust und Begehren Themen, die in all ihren Facetten und Spielarten in der Kunst immer wieder aufs Neue verhandelt wurden und werden. „Geschlecht und Sexualität als grundlegende Modi menschlicher Vergesellschaftung und als immanente Elemente der Geschichte spielten in Museen schon immer eine Rolle“. Jedoch scheint es an pädagogischen Konzepten und Methoden zu mangeln um über Gender und vielfältige sexuelle Lebensweisen in einem musealen Rahmen zu sprechen.
Gleichzeitig sieht man weiterhin wie Perspektiven von Frauen, BIPoC´s, queeren Menschen, Menschen mit Behinderungen, Sexarbeiter*innen und Menschen aus anderen marginalisierten Gemeinschaften ausgeschlossen werden. Das rassistische und koloniale Erbe von Museumssammlungen, die Exotisierung von nicht-westlichen Körpern und Wünschen und die Objektifizierung von Frauen sind bekannt und untersucht worden. Doch was passiert nun mit all diesen Erkenntnissen und was sind die Ansätze in den Vermittlungsabteilungen der Museen?
Das lab.Bode im Bode-Museum unternimmt den Versuch mit dem „Let’s Talk about Sex and Art! Methodenkit“ durch die Vermittlungspraxis vielfältigere Darstellungen von Gender, Körpern und Sexualitäten hervorzuheben. Während des Seminars mit dem gleichnamigen Titel bei Prof. Fiona McGovern, durften wir diese kreativen Zugänge zu ausgewählten Skulpturen kombiniert mit Kunstvermittlungsmethoden und performativen Übungen, Comics und Zeichnungen sowie didaktischen Materialien und Arbeitsweisen aus der Sexualpädagogik testen. Der vorliegende Textbeitrag gibt Praxiseinblicke in das sexpositive und diskriminierungskritische Bildungsangebot und prüft seine Übertragbarkeit an einem Hildesheimer Museum.
Gespeist wurden die Formate aus Fragen und Interessen der teilnehmenden Schüler*innen und Lehrer*innen sowie aus Workshops mit Fokusgruppen zusammen mit diskrimierungserfahrenen Sexualpädagog*innen und Kunstvermittler*innen.
Schwule, lesbische, bi- und pansexuelle, queere sowie asexuelle und aromantische Kinder und Jugendliche werden diskriminiert und der Mangel an Informationen und role models erschweren ihnen ihre sexuellen und romantischen Orientierungen bzw. Begehren zu erkennen bzw. anzuerkennen. Dem möchte das lab.Bode in kleinen Teilen entgegenwirken und ihre Bildungsteilhabe erhöhen.
Denn „die Vermittlung von Wertschätzung der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt sowie anderer Formen von Vielfalt in der Gesellschaft ist […] Teil des Bildungsauftrages, mit denen Museen ihren Dienst an der Gesellschaft verrichten.“ lab.Bode setzt daher einen Schwerpunkt auf macht- und diskriminierungskritische Vermittlungsarbeit u.a. durch sexualitätsbezogene Inhalte und deren visuelle Repräsentationen.
Laut Andrea Günter, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bode Museum arbeitet und maßgeblich am Programm beteiligt war, bilden die Skulpturen immer den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit einem neuen Themenkomplex. Die Werkbetrachtung biete die Möglichkeit, Schwellenängste abzubauen und auch über sensible Themen ins Gespräch zu kommen, ohne, dass über sich selbst gesprochen werden müsse. Durch eine gemeinsame Analyse der Objekte könnten Themen in einen historischen Kontext eingebettet und ihre Bedeutung verbildlicht werden. Anhand von neun Stationen sowie einem Vor- und Nachspiel werden die folgenden Schwerpunkte verhandelt:
Viva la Vulva,
Hymen und Sex-Shaming,
Körperbilder,
Lust und Begehren: Sexy Lyrik,
Lust und Begehren: Coming out,
Lust und Begehren: Lust ist divers,
Konsens?!,
Nicht-Konsens,
Gender (und Performance).
Zu Beginn des Workshops wurden Regeln aufgestellt, die wichtig sind, wenn in einer Gruppe über Sexualität gesprochen wird und gleichzeitig Regeln besprochen, die generell im Museum gelten.Die Teilnahme auf freiwilliger Basis ist wichtig was bedeutet, dass der Workshop zwischendurch oder auch ganz verlassen werden kann, wenn die Teilnehmenden merken, dass sie ein Thema psychisch belastet. Des Weiteren gilt das Gebot der Schweigepflicht und das gemeinsame Unterschreiben der festgelegten Workshopregeln als Zustimmung und gemeinsamen Vereinbarung.
Eine der Stationen soll nun genauer unter die Lupe genommen werden: Gender (und Performance)
Hier können Fragen auftauchen wie: Was bedeutet Geschlecht und Geschlechtsidentität? Was bedeuten die Begriffe Trans* und Inter*? Welche Zuschreibungen und Reproduktionen von Geschlechterverhältnissen finden wir hier?
Zur Annäherung an das Thema kommt das Mittel der inszenierten Fotographie zum Einsatz. Die Aufgabe hierbei war es sich gemeinsam in die Pose von vier verschiedenen Skulpturen zu begeben, die jeweils zwei unterschiedlichen Darstellungen von Weiblichkeit und von Männlichkeit verkörpern. Im Anschluss wurden die Bilder gemeinsam angeschaut und zusammen reflektiert. Leitfragen dabei waren:
Was hat das bei euch ausgelöst?
Wie habt ihr euch beim Posieren gefühlt?
Das Erlebte wurde mit Hilfe der Fotos besprochen und es bestand die Möglichkeit mit Hilfe von Adjektiven , die auf Karten standen, Eigenschaften zuzuordnen. Abschließend wurde über die konstruierten Charaktere von Geschlechterperformance diskutiert. Ziel war es unterschiedliche Geschlechterperformances zu beleuchten und eindimensionale, stereotype Vorstellungen von Geschlechterrollen in Frage zu stellen.
Schauen wir uns jetzt an, ob und in welcher Form das Methodenkit auch auf das hildesheimer Dommuseum übertragen werden konnte.
Besuch im Dommuseum Hildesheim
Im Dommuseum besuchten wir die Ausstellung Frauenwelten. Die Klöster Heiningen und Dorstadt- zwei bedeutenden Frauenklöstern, die eng mit Hildesheim verbunden sind. Über den konkreten historischen Kontext einzelner Objekte hinaus wird gefragt, wodurch das Rollenverständnis der Frauen geprägt wurde und mit welchen Bildtraditionen Rollenzuweisungen in Kirche und Gesellschaft formuliert wurden und werden.
Dazu muss verdeutlicht werden, dass „in der katholischen Kirche […] Frauen noch immer die Gleichstellung mit ihren männlichen Glaubensbrüdern“ missen. Das Geschlechtsmerkmal ‚weiblich‘ begründet ihren Ausschluss vom Weiheamt. Damit bleiben ihnen gleiche Rechte auf richtungsweisende Befugnisse verwehrt, sie haben keinen Zugang zur Entscheidungsmacht, insbesondere in Fragestellungen, die die ganze Menschheit betreffen. Außerdem haben Frauen wenig, bzw. auf höchster institutioneller Ebene keinen Zugang zu Leitungs-und Führungspositionen. Martina Manegold-Strobach beschreibt, wie „sich entlang der Exponate eine unerwartete, den geprägten Rollenbildern gegenläufige Tradition der Frauen im Bistum Hildesheim entdecken“ lässt. „Sie zeugt von Eigenständigkeit, Vollmacht und Zugang zu Bildung, von theologisch-philosophischer wie auch liturgischer Ermächtigung sowie von Leitungs-und Entscheidungsbefugnis, die selbst die Auseinandersetzung mit bischöflicher Macht nicht scheut.“
Das Wirken der bedeutenden Frauen während einer ganzen Epoche stellt nicht nur Geschlechterstereotypen ihrer Zeit auf den Kopf, sondern fordert Menschen heute heraus, die Vision einer geschlechtergerechten Kirche konstruktiv zu beschreiben und für eine lebendige Umsetzung an die Lebenswirklichkeit anzupassen. Entlang ermutigender Entdeckungen in den historischen Frauenwelten kann die Wirksamkeit innerkirchlicher, noch heute bestehender Rollenbilder aufbrechen.
Die Ausstellung stellt die Geschichte der Konvente von der Gründung bis zur Barockzeit mit ausgewählten Objekten wie spätmittelalterlichen Skulpturen, Textilien, Handschriften, Büchern und weiteren Dingen dar.
Betrachtet man den Kontext eines Dommuseums, würde man vielleicht nicht in erster Linie erwarten, dass hier über sexpositive und diskriminierungskritische Bildungsangebote gesprochen werden könnte. Doch gerade das nicht Gezeigte bietet viele Möglichkeiten Themen zu besprechen und im Vergleich zu Besuchen in anderen Museen zu betrachten.
Mit dem Methodenkit könnte das nicht Dargestellte ergänzend entworfen und Alternativen zu heteronormativen Beziehungsformen in Form von Schwesternschaft/Freund*innenschaft unter den Nonnen, platonischer Liebe, Safe Spaces und Zärtlichkeit in den Mittelpunkt rücken. Weitere Ideen aus unserer Studierendengruppe war die Inszenierung eines Aufklärungsgesprächs zwischen den beiden Stifter*innen Hildeswid und Alburgis (Stifterinnen der Klosterkirche Heinigen; dargestellt durch ein Antependium in der Ausstellung) mit den Methoden aus dem Bereich Sexy Lyrik und ein Austausch über Konsens anhand von zwei Gestalten auf einem Wandteppich.
LITERATUR
Debus, Katharina/Laumann, Vivien (Hrsg.) (2018): Pädagogik geschlechtlicher, amoröser und sexueller Vielfalt. Zwischen Sensibilisierung und Empowerment. Berlin: Eigenverlag: Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V.
Günther , Andrea: Let’s talk about sex and art!, in: Anna Pritz, Rafaela Siegenthaler, Marion Thuswald (Hg.): Bilder befragen. Begehren erkunden, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2020. Quelle: http://zkmb.de/lets-talk-about-sex-and-art/; Letzter Zugriff: 07.03.2022.
Hartmann, Jutta (2018): Jugendbildung queer(en) – Zur Relevanz einer heteronormativitätskritischen Pädagogik. In: Busche, Mart/Hartmann, Jutta/Nettke, Tobias/Streib-Brzič, Uli (Hrsg.): Heteronormativitätskritische Jugendbildung. Reflexionen am Beispiel eines museumspädagogischen Modellprojekts. Bielefeld: transcript, S. 19–48.
Nettke, Tobias (2018): Museen als Bildungsorte – Queere Inhalte auf dem Weg ins Museum. In: Busche, Mart/Hartmann, Jutta/Nettke, Tobias/Streib-Brzič, Uli (Hrsg.): Heteronormativitätskritische Jugendbildung. Reflexionen am Beispiel eines museumspädagogischen Modellprojekts. Bielefeld: transcript, S. 49–68.
Ein Beitrag von Nina Diel. Veröffentlicht am 25. April 2022