Von Fachbereichsbarometer bis Graffiti. Über den Umgang mit Konflikten am Kulturcampus
Hitzige Debatten im Seminar, empörte Studierenden-Grüppchen auf dem Hof und auseinandergehende Meinungen nach studentischen Aufführungen… Kontroversen sind ein wichtiger Teil des Alltags am Kulturcampus. Aber nur selten finden sie eine öffentliche Verhandlung. Anders war es beim Fachbareichsbarometers, einer Veranstaltung im Jahr 2019, und der Graffitiaktion im dem letzten April. Wir schauen nun gemeinsam zurück auf die letzten Jahre und fragen: Schaffen Konflikte am Fachbereich 2 eine nachhaltige Veränderung?

Foto: Anna Sophie Keil
2019: Mit dem Ziel einen Raum zu schaffen, in dem gemeinsam über das „Wie des Miteinanders“ am Fachbereich 2 nachgedacht werden kann, hatten Julia Speckmann, Wilma Raabe und Katrin Wille ein Experiment gestartet: Das Fachbereichsbarometer. Die Idee dazu entstand in der Gesprächsreihe Kultur der Selbstkritik. Hier tauschten sich Studierende und Mitarbeitende aus allen Instituten des Fachbereich 2 über Diskriminierung am Kulturcampus aus und setzten sich mit eigenen Privilegien und Unwissenheiten auseinander. Diese Art von Selbstkritik sollte durch das Fachbereichsbarometer eine öffentliche Form finden. Ihr Hauptanliegen war es, mehr Menschen aus den Fachbereichen zusammenzubringen und anhand von konkreten Beispielen institutsübergreifend zu diskutieren. Neben Julia Speckmann, Kathrin Wille und Wilma Raabe, die durch ihre Arbeit bei der Ideen- und Beschwerdestelle als Gästin zum Team hinzustieß, wurde das Fachbereichsbarameter von Stefan Krankenhagen und zwei Studierenden mitgestaltet.
Die Ideen und Beschwerdestelle ist als Teil des Qualitätsmanagements der Universität Hildesheim unter anderem dafür zuständig Ideen, Hinweise auf Probleme oder konkrete Beschwerden aus allen Fachbereichen anzunehmen und zu begleiten.
Nach Grußworten und einem Input von Wilma Raabe von der Ideen- und Beschwerdestelle, gab es zwei Vorträge. Einen zum Umgang mit Konflikten und einen zum Umgang mit Feedback. Dafür fanden sich je eine studierende und eine dozierende Person in Tandems zusammen und teilten einen konkreten Konflikt sowie dessen Lösung. Diese Inputs wurden in Kleingruppen diskutiert. Julia Speckmann beschreibt die Atmosphäre dabei als einig: „Ja, es habe Gesprächsbedarf gegeben, aber es war klar: Alle hier wünschen sich ein gutes Miteinander, Arbeits- und Lernumfeld und dafür können wir gemeinsam Wege finden.“ Aber dann ging es zurück ins Plenum und die Stimmung kippte. In der großen Runde wurde es, so wird Katrin Wille später schreiben, anklagend: „Ihr seid alle weiß, was wollt ihr uns beibringen?“, lautet der Vorwurf von studentischer Seite. „Antirassismus-Training für Lehrende muss verpflichtend sein“, die Forderung.
Die Eskalation bringt Gesprächsprozesse in Gang
Trotz der aufgeladenen Atmosphäre, oder vielleicht auch gerade deswegen, passierte etwas im Fachbereich. Einige beim Fachbereichsbarometer geäußerten Wünsche wurden umgesetzt. Das zeigt sich vor allem im Kleinen, hat aber auch strukturelle Einflüsse: So werden zum Beispiel Studierendenwünsche zu Lehrveranstaltungen seitdem stringenter abgefragt oder Hilfskraftstellen immer ausgeschrieben, was die Transparenz verbessern und Hierarchien verringern soll. Die Forderung an das Dekanat, rassismuskritisches Training für alle Lehrenden zu installieren, wurde nicht umgesetzt. Das Institut für Kulturpolitik organisierte stattdessen ausgehend vom Fachbereichsbarometer selbstständig eine Fortbildung für alle Mitarbeitenden. Außerdem, so Wilma Raabe von der Ideen- und Beschwerdestelle, erhielten die Teilnehmenden den gedanklichen Anstoß sich daran zurückzuerinnern, dass Universität ein Ort des Gesprächs, des Diskurses und im besten Fall auch des Dialogs sei.
Ein gutes Beispiel dafür sind Leonie Lorena Wyss und Stefan Krankenhagen. Die damalige Studentin der Kulturwissenschaft und der Dekan des Fachbereich 2 traten im Frühjahr 2020 in einen Briefwechsel. In ihrem ganz persönlichen Dialog tasten sie die Vorwurfsstruktur ab, die während des Fachbereichsbarometers so deutlich wurde und stellen sich Fragen über Identitätspolitik, Diskriminierung, und darüber wie ein konstruktiver Diskurs möglich ist. Am Ende ihres Briefwechsels rufen sie dazu auf, das Gespräch weiterzuführen und verweisen auf eine neue Idee. Unterstützt von der Ideen- und Beschwerdestelle können sich weitere Tandems aus Studierenden und Lehrenden des Fachbereich 2 zusammenfinden und über ein Medium ihrer Wahl in den Austausch treten. Auf den Aufruf meldeten sich seit 2020 aber keine Studierenden und nur wenige Dozierende, sodass die Aktion bisher nicht durchgeführt werden konnte.
Und dann kam die Pandemie. Alles verlagerte sich ins Digitale und die neuauferlegte Zurückgezogenheit schränkte den Austausch gesellschaftlich und damit auch am Kulturcampus erheblich ein. Die Konsequenz: Die gedanklichen Anstöße aus dem Fachbereichsbarometer stagnieren nun beinahe gänzlich im Lockdown.
Unter dem Titel Wie wir im Gespräch bleiben können haben Krankenhagen und Wyss ihren Briefwechsel veröffentlicht. Ihr findet das Buch in der Universitäts Bibliothek.

Foto: Anna Sophie Keil
Es mangelt daran die Anstöße in etwas Nachhaltiges zu überführen
Eine Pandemie und zwei Studierenden-Generationen später sei es aus Perspektive der Ideen- und Beschwerdestelle ruhig geworden um den Fachbereich 2, sagt Wilma Raabe. Das bedeutet aber nicht, dass wir alle gelernt haben, unsere Konflikte offen und konstruktiv auszuhandeln. Denn eine ähnlich aufrüttelnde Welle wie nach dem Fachbereichsbarometer schwappte im April 2022 über den Kulturcampus. Zu diesem Zeitpunkt tauchten provokante Graffitis auf: „Elitärer Elfenbeinturm“, oder „Was lehrt uns die Uni? Nichts!“, war auf den Gebäuden an der Domäne zu lesen. Dass die flapsigen Sprüche durchaus eine legitime Kritik an den Strukturen des Fachbereichs 2 enthielten, trat in der Diskussion um die Form der Aktion zurück. Dennoch äußerten sich einige Studierende entsprechend: „Die Fragen und die Kritik sind zum Teil berechtigt.“, sagte eine Studentin im April letzten Jahres und eine andere Person schrieb in einem Kommentar auf dem Blog: „News flash: die Domäne war nie ein Safe Space, […] hier passiert genauso Diskriminierung und unreflektierte Machtstrukturen wie überall sonst. […] Statt sich aber mal wirklich mit dem auseinanderzusetzen, was passiert ist und was so eine Aktion auslösen könnte, […] wird […] nur die Form kritisiert.“ Und es stimmt: Der Sommer verging und die Graffitis verschwanden unter dem Strahl des Hochdruckreinigers, ohne dass sie einen weiteren Anstoß zu inhaltlicher Auseinandersetzung hinterlassen hätten.
Das Fachbereichsbarometer und die Graffitiaktion zeigen mehrere Parallelen, vor allem aber gab es nach beiden ein produktives Moment des gedanklichen Anstoßes, das scheinbar nicht längerfristig andauerte. Eine Studentin der Kulturvermittlung beobachtet darin eine Grundsituation am Fachbereich 2: „Mir scheint, es fehlt manchmal ein bisschen an Ideen, Störungen in etwas Nachhaltigeres zu überführen, wenn sie auftreten.“

Foto: Anna Sophie Keil
Im Kleinen können wir erproben, was wir gesellschaftlich brauchen
Dabei haben wir doch alle ein Interesse daran, Prozesse anzustoßen und diesen Ort, an dem wir studieren und arbeiten, als den bestmöglichsten zu gestalten. Als Studierende ist das unsere Aufgabe. Wir tragen eine Verantwortung, von der wir uns nicht lösen können und dürfen. Wir müssen wagen über unsere Gefühle zu sprechen, zu sagen, was wir uns erbitten, ohne anklagend zu sein. Denn, wie die Studentin im Interview sagt: „Wenn sich niemand mehr mutig öffnet, entsteht Stagnation.“ Um uns so angreifbar zu machen, brauchen wir Vertrauen und ein Gegenüber, von dem wir wissen, dass es unsere Verletzbarkeit nachvollziehen wird. Das ist eine gegenseitige Aufgabe. Es ist klar: Dieser Prozess ist komplex, er wird dauern und wir könnten fragen, wieviel Zeit wir haben, wenn stetig Studierende kommen und gehen. Aber ist das wichtig? Denn am Kulturcampus können wir im Kleinen erproben, was wir gesellschaftlich brauchen. Lasst uns angstfreier werden und vertrauen. Lasst uns einander verstehen, voneinander lernen und im Dialog unsere Gedanken sortieren. Lasst uns unsere Positionierung offenhalten und im Austausch justieren. Lasst uns studentische Verantwortung übernehmen!

Foto: Anna Sophie Keil
Quellen:
Doerner, Gabriel / Brendler, Valentin: Graffitis stechen in das Herz der Domäne. Kulturcampus — Universität Hildesheim. 28.04.2022. https://www.uni-hildesheim.de/kulturpraxis/graffiti-kulturcampus. Zuletzt abgerufen: 09.02.2023, 11h00.
Krankenhagen Stefan / Wyss, Leonie Lorena: Wie wir im Gespräch bleiben können. Ein Briefwechsel über Antidiskriminierungsarbeit und den Umgang mit Konflikten an der Universität. Universitätsverlag Hildesheim. Hildesheim 2020.
Ein Beitrag von Anna Sophie Keil, veröffentlicht am 4. April 2023