Von Fach­be­reichs­ba­ro­meter bis Graf­fiti. Über den Umgang mit Konflikten am Kulturcampus

von | Apr. 4, 2023

Hitzige Debatten im Seminar, empörte Studie­renden-Grüpp­chen auf dem Hof und ausein­an­der­ge­hende Meinungen nach studen­ti­schen Auffüh­rungen… Kontro­versen sind ein wich­tiger Teil des Alltags am Kultur­campus. Aber nur selten finden sie eine öffent­liche Verhand­lung. Anders war es beim Fach­ba­reichs­ba­ro­me­ters, einer Veran­stal­tung im Jahr 2019, und der Graf­fi­ti­ak­tion im dem letzten April. Wir schauen nun gemeinsam zurück auf die letzten Jahre und fragen: Schaffen Konflikte am Fach­be­reich 2 eine nach­hal­tige Veränderung?

Foto: Anna Sophie Keil

2019: Mit dem Ziel einen Raum zu schaffen, in dem gemeinsam über das „Wie des Mitein­an­ders“ am Fach­be­reich 2 nach­ge­dacht werden kann, hatten Julia Speck­mann, Wilma Raabe und Katrin Wille ein Expe­ri­ment gestartet: Das Fach­be­reichs­ba­ro­meter. Die Idee dazu entstand in der Gesprächs­reihe Kultur der Selbst­kritik. Hier tauschten sich Studie­rende und Mitar­bei­tende aus allen Insti­tuten des Fach­be­reich 2 über Diskri­mi­nie­rung am Kultur­campus aus und setzten sich mit eigenen Privi­le­gien und Unwis­sen­heiten ausein­ander. Diese Art von Selbst­kritik sollte durch das Fach­be­reichs­ba­ro­meter eine öffent­liche Form finden. Ihr Haupt­an­liegen war es, mehr Menschen aus den Fach­be­rei­chen zusam­men­zu­bringen und anhand von konkreten Beispielen insti­tuts­über­grei­fend zu disku­tieren. Neben Julia Speck­mann, Kathrin Wille und Wilma Raabe, die durch ihre Arbeit bei der Ideen- und Beschwer­de­stelle als Gästin zum Team hinzu­stieß, wurde das Fach­be­reichs­ba­ra­meter von Stefan Kran­ken­hagen und zwei Studie­renden mitgestaltet.

Die Ideen und Beschwer­de­stelle ist als Teil des Quali­täts­ma­nage­ments der Univer­sität Hildes­heim unter anderem dafür zuständig Ideen, Hinweise auf Probleme oder konkrete Beschwerden aus allen Fach­be­rei­chen anzu­nehmen und zu begleiten.

Nach Gruß­worten und einem Input von Wilma Raabe von der Ideen- und Beschwer­de­stelle, gab es zwei Vorträge. Einen zum Umgang mit Konflikten und einen zum Umgang mit Feed­back. Dafür fanden sich je eine studie­rende und eine dozie­rende Person in Tandems zusammen und teilten einen konkreten Konflikt sowie dessen Lösung. Diese Inputs wurden in Klein­gruppen disku­tiert. Julia Speck­mann beschreibt die Atmo­sphäre dabei als einig: „Ja, es habe Gesprächs­be­darf gegeben, aber es war klar: Alle hier wünschen sich ein gutes Mitein­ander, Arbeits- und Lern­um­feld und dafür können wir gemeinsam Wege finden.“ Aber dann ging es zurück ins Plenum und die Stim­mung kippte. In der großen Runde wurde es, so wird Katrin Wille später schreiben, ankla­gend: „Ihr seid alle weiß, was wollt ihr uns beibringen?“, lautet der Vorwurf von studen­ti­scher Seite. „Anti­ras­sismus-Trai­ning für Lehrende muss verpflich­tend sein“, die Forderung.

Die Eska­la­tion bringt Gesprächs­pro­zesse in Gang

Trotz der aufge­la­denen Atmo­sphäre, oder viel­leicht auch gerade deswegen, passierte etwas im Fach­be­reich. Einige beim Fach­be­reichs­ba­ro­meter geäu­ßerten Wünsche wurden umge­setzt. Das zeigt sich vor allem im Kleinen, hat aber auch struk­tu­relle Einflüsse: So werden zum Beispiel Studie­ren­den­wün­sche zu Lehr­ver­an­stal­tungen seitdem strin­genter abge­fragt oder Hilfs­kraft­stellen immer ausge­schrieben, was die Trans­pa­renz verbes­sern und Hier­ar­chien verrin­gern soll. Die Forde­rung an das Dekanat, rassis­mus­kri­ti­sches Trai­ning für alle Lehrenden zu instal­lieren, wurde nicht umge­setzt. Das Institut für Kultur­po­litik orga­ni­sierte statt­dessen ausge­hend vom Fach­be­reichs­ba­ro­meter selbst­ständig eine Fort­bil­dung für alle Mitar­bei­tenden. Außerdem, so Wilma Raabe von der Ideen- und Beschwer­de­stelle, erhielten die Teil­neh­menden den gedank­li­chen Anstoß sich daran zurück­zu­er­in­nern, dass Univer­sität ein Ort des Gesprächs, des Diskurses und im besten Fall auch des Dialogs sei.

Ein gutes Beispiel dafür sind Leonie Lorena Wyss und Stefan Kran­ken­hagen. Die dama­lige Studentin der Kultur­wis­sen­schaft und der Dekan des Fach­be­reich 2 traten im Früh­jahr 2020 in einen Brief­wechsel. In ihrem ganz persön­li­chen Dialog tasten sie die Vorwurfs­struktur ab, die während des Fach­be­reichs­ba­ro­me­ters so deut­lich wurde und stellen sich Fragen über Iden­ti­täts­po­litik, Diskri­mi­nie­rung, und darüber wie ein konstruk­tiver Diskurs möglich ist. Am Ende ihres Brief­wech­sels rufen sie dazu auf, das Gespräch weiter­zu­führen und verweisen auf eine neue Idee. Unter­stützt von der Ideen- und Beschwer­de­stelle können sich weitere Tandems aus Studie­renden und Lehrenden des Fach­be­reich 2 zusam­men­finden und über ein Medium ihrer Wahl in den Austausch treten. Auf den Aufruf meldeten sich seit 2020 aber keine Studie­renden und nur wenige Dozie­rende, sodass die Aktion bisher nicht durch­ge­führt werden konnte.

Und dann kam die Pandemie. Alles verla­gerte sich ins Digi­tale und die neuau­f­er­legte Zurück­ge­zo­gen­heit schränkte den Austausch gesell­schaft­lich und damit auch am Kultur­campus erheb­lich ein. Die Konse­quenz: Die gedank­li­chen Anstöße aus dem Fach­be­reichs­ba­ro­meter stagnieren nun beinahe gänz­lich im Lockdown.

Unter dem Titel Wie wir im Gespräch bleiben können haben Kran­ken­hagen und Wyss ihren Brief­wechsel veröf­fent­licht. Ihr findet das Buch in der Univer­si­täts Bibliothek.

Foto: Anna Sophie Keil

Es mangelt daran die Anstöße in etwas Nach­hal­tiges zu überführen

Eine Pandemie und zwei Studie­renden-Gene­ra­tionen später sei es aus Perspek­tive der Ideen- und Beschwer­de­stelle ruhig geworden um den Fach­be­reich 2, sagt Wilma Raabe. Das bedeutet aber nicht, dass wir alle gelernt haben, unsere Konflikte offen und konstruktiv auszu­han­deln. Denn eine ähnlich aufrüt­telnde Welle wie nach dem Fach­be­reichs­ba­ro­meter schwappte im April 2022 über den Kultur­campus. Zu diesem Zeit­punkt tauchten provo­kante Graf­fitis auf: „Elitärer Elfen­bein­turm“, oder „Was lehrt uns die Uni? Nichts!“, war auf den Gebäuden an der Domäne zu lesen. Dass die flap­sigen Sprüche durchaus eine legi­time Kritik an den Struk­turen des Fach­be­reichs 2 enthielten, trat in der Diskus­sion um die Form der Aktion zurück. Dennoch äußerten sich einige Studie­rende entspre­chend: „Die Fragen und die Kritik sind zum Teil berech­tigt.“, sagte eine Studentin im April letzten Jahres und eine andere Person schrieb in einem Kommentar auf dem Blog: „News flash: die Domäne war nie ein Safe Space, […] hier passiert genauso Diskri­mi­nie­rung und unre­flek­tierte Macht­struk­turen wie überall sonst. […] Statt sich aber mal wirk­lich mit dem ausein­an­der­zu­setzen, was passiert ist und was so eine Aktion auslösen könnte, […] wird […] nur die Form kriti­siert.“ Und es stimmt: Der Sommer verging und die Graf­fitis verschwanden unter dem Strahl des Hoch­druck­rei­ni­gers, ohne dass sie einen weiteren Anstoß zu inhalt­li­cher Ausein­an­der­set­zung hinter­lassen hätten.
Das Fach­be­reichs­ba­ro­meter und die Graf­fi­ti­ak­tion zeigen mehrere Paral­lelen, vor allem aber gab es nach beiden ein produk­tives Moment des gedank­li­chen Anstoßes, das scheinbar nicht länger­fristig andau­erte. Eine Studentin der Kultur­ver­mitt­lung beob­achtet darin eine Grund­si­tua­tion am Fach­be­reich 2: „Mir scheint, es fehlt manchmal ein biss­chen an Ideen, Störungen in etwas Nach­hal­ti­geres zu über­führen, wenn sie auftreten.“

Foto: Anna Sophie Keil

Im Kleinen können wir erproben, was wir gesell­schaft­lich brauchen

Dabei haben wir doch alle ein Inter­esse daran, Prozesse anzu­stoßen und diesen Ort, an dem wir studieren und arbeiten, als den best­mög­lichsten zu gestalten. Als Studie­rende ist das unsere Aufgabe. Wir tragen eine Verant­wor­tung, von der wir uns nicht lösen können und dürfen. Wir müssen wagen über unsere Gefühle zu spre­chen, zu sagen, was wir uns erbitten, ohne ankla­gend zu sein. Denn, wie die Studentin im Inter­view sagt: „Wenn sich niemand mehr mutig öffnet, entsteht Stagna­tion.“ Um uns so angreifbar zu machen, brau­chen wir Vertrauen und ein Gegen­über, von dem wir wissen, dass es unsere Verletz­bar­keit nach­voll­ziehen wird. Das ist eine gegen­sei­tige Aufgabe. Es ist klar: Dieser Prozess ist komplex, er wird dauern und wir könnten fragen, wieviel Zeit wir haben, wenn stetig Studie­rende kommen und gehen. Aber ist das wichtig? Denn am Kultur­campus können wir im Kleinen erproben, was wir gesell­schaft­lich brau­chen. Lasst uns angst­freier werden und vertrauen. Lasst uns einander verstehen, vonein­ander lernen und im Dialog unsere Gedanken sortieren. Lasst uns unsere Posi­tio­nie­rung offen­halten und im Austausch justieren. Lasst uns studen­ti­sche Verant­wor­tung übernehmen!

Foto: Anna Sophie Keil

Quellen:

Doerner, Gabriel / Brendler, Valentin: Graf­fitis stechen in das Herz der Domäne. Kultur­campus — Univer­sität Hildes­heim. 28.04.2022. https://www.uni-hildesheim.de/kulturpraxis/graffiti-kulturcampus. Zuletzt abge­rufen: 09.02.2023, 11h00.

Kran­ken­hagen Stefan / Wyss, Leonie Lorena: Wie wir im Gespräch bleiben können. Ein Brief­wechsel über Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ar­beit und den Umgang mit Konflikten an der Univer­sität. Univer­si­täts­verlag Hildes­heim. Hildes­heim 2020.

 

Ein Beitrag von Anna Sophie Keil, veröf­fent­licht am 4. April 2023

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