Ein Beitrag von Kaja Sturmfels
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G: Bitte sag mir, dass du keine Methode erfunden hast, durch die Nudeln 30 Sekunden schneller gut sind, du nicht der Meinung bist, dass das Großstadtleben dich komplett anders geprägt hat als alle anderen Menschen, die in Berlin oder Hamburg leben, und du mir nichts vorsingen möchtest.
Z: Äh, hallo auch an dich, ich bin Zoe, meine Pronomen sind sie und ihr?
G: Gina. Sorry, aber ich sitze hier seit sechs Stunden und warte darauf, dass irgendjemand auftaucht, der Lust auf dieses Interview hat und mir tatsächlich etwas Spannendes erzählen kann.
Z: Verstehe. Dann kann ich dich vielleicht aufmuntern!
G: Ah ja? Na, mal sehen. Also. Warum glaubst du, dass du etwas Besonderes bist?
Z: Ich komm aus der Zukunft.
G: Okay, das ist schonmal was Neues. Nahe Zukunft, ferne Zukunft?
Z: Ehrlich gesagt keine Ahnung, welches Jahr haben wir denn?
G: 2020.
Z: 2020, holy shit, ich bin 80 Jahre zurückgereist?! Wow. 2020. Da weiß ich ja gar nichts drüber, ist das peinlich, war da irgendwas Besonderes?
G: Könnte man so sagen. Du kommst also aus dem Jahr 2100? Das heißt, die Menschheit gibt’s da noch?
Du kommst also aus dem Jahr 2100? Das heißt, die Menschheit gibt’s da noch?
Z: Jup. Sind die Prognosen da 2020 so schlecht für? Oh, was ist das denn, das sieht ja cool aus!
G: Was?
Z: Das da in deiner Hand.
G: Das ist eine 20 Cent-Münze, mit der ich die letzten Stunden rumgespielt habe, weil mir langweilig war.
Z: Ah, right, ich erinner mich, hab ich schonmal im Museum gesehen. Das tauscht ihr gegen Commons, oder?
G: Gegen was?
Z: Commons? Ach so, so heißt das bei euch noch gar nicht, äh, Zeug halt. Essen, Klamotten, Häuser, Kinderbetreuung…
G: Das klingt gerade so, als würdet ihr gar kein Geld mehr benutzen.
Z: Wenn Geld so was Ähnliches ist wie ne Münze, dann nicht, nee.
G: Und wie kommt ihr dann an Sachen ran? Also, Commons?
Z: Na ja, für Essen, Speicherkarten, Fahrräder, so was alles, gehen wir in nen Laden. Und für nen neuen Haarschnitt zu nem Frisursalon. Bei andren Sachen, zum Beispiel für ne neue Wohnung, stellen wir erstmal ne Anfrage im Portal. Da findet sich dann eigentlich auch schnell was, ich mein, es gibt ja in jeder Stadt ein Commons, das leerstehende Wohnungen pflegt und natürlich andre Leute, die umziehen wollen, sodass du die Wohnung übernehmen kannst. Wenn’s was Maßgeschneidertes sein soll — das geht natürlich genauso für Kleider, Möbel, Schmuck und so weiter — suchst du dir auch im Portal ein Commons, das das anbietet. Kann allerdings gut sein, dass die grad nicht genug Kapazitäten haben, dann musst du warten. Aber die sehen ja auch, wie viele Anfragen sie kriegen und können dann selbst Anfragen stellen, dass sie mehr Leute brauchen. Wenn dir die Sache total wichtig ist, kannst du natürlich selbst in dem Commons anfangen. Oder dein eigenes gründen, aber das ist eigentlich eher der Fall, wenn’s das, was du suchst, noch gar nicht gibt. Ich überleg zum Beispiel, ob ich mal ein Commons für-
G: Moment, Moment. Ihr kriegt die Sachen einfach so, ohne dafür zu bezahlen?
Z: Klar!
G: Aber wenn niemand mehr Geld braucht, um Dinge zu kaufen, warum arbeitet ihr dann noch? Ihr arbeitet doch, sonst gäbe es ja gar kein Essen, keine Klamotten und so weiter.
Z: Also wir nennen es jetzt nicht Arbeiten, aber wir machen Zeug, natürlich.
G: Und warum? Ich hätte jetzt eher gedacht, dass die Leute nur am Strand liegen, wenn alles umsonst ist.
Z: Würdest du dein ganzes Leben nur am Strand liegen wollen?
G: Nein.
Z: Na also.
G: Okay, ich will vielleicht Dinge tun, aber doch nur Dinge, die mir Spaß machen!
Z: Siehst du, genau das machen wir auch.
G: Ihr tut also nur Dinge, weil sie euch Spaß machen.
Z: Na ja oder, weil wir das Ergebnis haben wollen. Machst du nie was, weil du das Ergebnis haben willst?
G: Doch, okay, ja, ich putze das Bad und räum mein Zimmer auf. Ab und zu kann ich mich sogar zum Sport aufraffen. Aber das war’s dann auch, ich meine, wer macht denn bei euch die Müllabfuhr?
Z: Niemand, die ist vollautomatisiert.
G: Okay, dann fallen solche Fließbandarbeiten wohl auch weg — was ist mit der Altenpflege?
Z: Da gibt’s viele Leute, die das gern machen. Was soll denn daran so schlimm sein?
G: Die Überstunden, die Unterbezahlung, der Personalmangel. Oh. Okay gut, das Problem, dass zu wenig Geld da ist, gibt es natürlich nicht mehr.
Aber ihr müsst doch viel mehr alte Leute haben als wir. Und wenn ihr einen sinnvollen Betreungsschlüssel haben wollt, braucht ihr ja noch mehr Pfleger. Gibt es wirklich genug Menschen, die das freiwillig vierzig Stunden in der Woche machen?
Z: Wer hat denn was von vierzig Stunden in der Woche gesagt? Du kannst dir natürlich frei einteilen, wie viel du wo machst. Die meisten haben eine Sache, mit der sie sich hauptsächlich beschäftigen und helfen noch alle zwei Wochen irgendwo aus. Aber im Prinzip kannst du auch wochenweise in verschiedenen Commons was machen, das musst du vorher nur gut absprechen und es muss organisatorisch möglich sein.
G: Das heißt, ihr habt Dinge, die nicht so erfüllend waren, automatisiert, beziehungsweise die Arbeitsbedingungen verbessert und teilt sie dann noch auf.
Z: Genau.
G: Ihr stellt wahrscheinlich auch keine Dinge her, die niemand braucht. Oder Dinge, die sofort wieder kaputtgehen. Oder Dinge, die beides vereinen.
Z: Natürlich nicht, das wär ja total unlogisch, das erfüllt doch keine Bedürfnisse von Menschen. Macht ihr das etwa?
G: Was Commons genau sind, hab ich noch nicht verstanden. Und dieses Portal, das du erwähnt hast.
Z: Oh, ja, das ist wahrscheinlich etwas verwirrend, ein Common ist etwas, das hergestellt wird, aber ein Commons ist, mh, ne Art Organisation könnte mensch sagen? Also, du kannst theoretisch auch allein ein Commons haben, aber normalerweise besteht es schon aus mehreren Leuten. Und die produzieren dann zusammen etwas, Schuhe, Musikinstrumente, Kopfhörer, alles Mögliche, oder sie bieten was Immaterielles an, Kinos und Theater sind zum Beispiel Commons. Schulen auch.
Im Prinzip sind alle Dinge, die du unter mehr Menschen bringen willst als nur deine private zone, Commons. Und alle Commons werden in Commons hergestellt.
Nice, was für fancy Definitionen ich hier grad raushau! Was war die zweite Frage, ach ja, das Portal. Das ist einfach die große Seite, auf der wir uns organisieren, für den Einstieg in ein neues Commons, für Kommunikation zwischen verschiedenen Commons, als Info, was für Bedürfnisse neu sind und wie die bestehenden Commons sie erfüllen können, aber natürlich auch für die Gründung von neuen Commons.
G: Bedürfnisse, die neu sind — heißt das, wenn zum Beispiel ein neuer Kindergarten gebraucht wird, schreibt das einfach jemand ins Portal und eine Baufirma, ich meine, ein Bau-Commons baut das dann?
Z: Joah, bei Kindergärten und so was ist es natürlich bisschen komplizierter als bei nem Einfamilienhaus, da müssen erstmal genug Leute zustimmen, dass da tatsächlich Bedarf besteht. Und meistens wird dann auch vorher das Commons für den Kindergarten selbst gegründet, nicht, dass der gebaut wird und dann sind gar keine Menschen da, die die Kinder betreuen.
Aber ich glaub, du hast das Prinzip verstanden.
G: Da haben die Regierungen ja nicht mehr viel zu tun.
Beschlüsse zu Steuern und Mindestlohn fallen auch weg. Generell alles, was mit Geld zu tun hat. Krass.
Z: Die was haben nicht mehr viel zu tun?
G: Sag nicht, dass ihr auch keine Regierungen habt. Die Leute, die entscheiden, was in einem Land passiert. Beziehungsweise in einer Stadt. Oder in einem Zusammenschluss von Ländern. In irgendeinem größeren Bereich eben.
Z: Warum sollten das andere Menschen für uns entscheiden? Das können wir selbst doch wohl am besten. Wir wissen schließlich, was vor Ort los ist.
G: Aber es muss doch irgendwelche gemeinsamen Beschlüsse geben. Keine Ahnung, für Umweltauflagen.
Z: Du meinst, Vorschriften, dass Commons umweltfreundlich handeln sollen? Das ist doch selbstverständlich. Was sollte es bringen, wenn sie das nicht tun?
G: Stimmt, kein Geld jedenfalls. Aber sagen wir, es gibt jemanden, der will unbedingt ganz schnell sein Produkt herstellen, weil er es nicht abwarten kann und pfeift auf die Umwelt.
Z: Dann wird die Person nur sehr schwer Leute finden, die ihr dabei helfen. Ich würd in dem entsprechenden Commons jedenfalls nicht mitmachen. Und wenn ich in nem Commons wär, das etwas herstellt, was die Person für ihr Produkt braucht, würd ich auch vorschlagen, dass wir sie nicht unterstützen.
G: Umweltschädlichkeit kann sich also gar nicht durchsetzen.
Z: Und Tierquälerei auch nicht. Oder ein Commons, wo ein Mensch die andren die ganze Zeit herumkommandiert.
G: Okay, lass mich nachdenken. Was ist mit Maßnahmen gegen den Klimawandel?
Z: Dafür gibt’s ein globales Commons.
G: Ah, das hat dann wahrscheinlich eine Vormachtstellung, oder? Damit sie sich durchsetzen können, wenn sie was unternehmen wollen, was anderen Menschen nicht gefällt.
Z: Was? Nein! Das würd ja Menschen in ihrer Freiheit einschränken! Freiheit ist die Grundlage der Gesellschaft.
G: Aha, und damit das funktioniert, habt ihr alle auf wundersame Weise die gleiche Meinung, oder wie?
Z: Nein. Sind das die einzigen Lösungen, die ihr 2020 habt? Gewalt oder eh die gleiche Meinung?
Wenn ein Konflikt besteht, kümmert sich ein Konfliktvermittlungs-Commons darum und macht eine Mediation mit den beteiligten Parteien, bei der ne Lösung gefunden wird, die für alle passt.
G: Und das klappt immer? Wie soll das denn gehen, wenn zwei Positionen wirklich unvereinbar sind?
Z: Na, die Positionen bleiben in den seltensten Fällen, wie sie sind. Ein Konflikt bedeutet immer auch Selbstfindung und Reflexion.
G: Und wie habt ihr den Konflikt gelöst, wer die Yachten und Schlösser bekommt?
Z: Oha, die werden bei euch von einzelnen Menschen genutzt, stimmt’s? Irre, was soll denn eine Person allein mit nem Schloss anfangen? Also, das ist unterschiedlich, bei einigen finden Besichtigungen statt und es laufen die ganze Zeit Leute durch, andre werden tatsächlich bewohnt, aber eine Gruppe ist immer nur ein, zwei Tage da. Bisschen wie ein sehr gefragtes Hotel.
G: Aber ihr löst nicht wirklich alles über eine Konfliktvermittlung, oder? Mord zum Beispiel.
Z: Uh, nein, klar, paar Gesetze haben wir auch. Wer nen Mensch umbringt, kommt in ne spezielle psychiatrische Anstalt.
G: Das beruhigt mich doch. Okay. Ich fühle mich gerade etwas erschlagen, aber ich glaube, ich finde euer System gut. Wie heißt es denn eigentlich?
Z: Öh, da gibt’s viele Bezeichnungen. Einfach Utopie. Oder polyzentrale Inklusionsgesellschaft-
G: Polywas?
Z: Na ja, wir haben kein Zentrum für bestimmte Regionen, keine, na dings, Regierungen, sondern die Commons oder Zusammenschlüsse von Commons sind die Zentren. Also viele Zentren, polyzentral. Und wir sind ne Inklusionsgesellschaft, weil wir alle Menschen inkludieren. Alle haben das Recht, ihre Bedürfnisse zu äußern und wir helfen uns gegenseitig überall, wo’s geht.
G: Dann lebe ich wohl eher in einer Exklusionsgesellschaft. Ich meine, ich will niemanden ausbeuten, aber ich tue es automatisch, wenn ich ein T‑Shirt kaufe, das nicht fairtrade ist! Jetzt wird mir erst richtig klar, wie frustrierend das eigentlich ist.
Aber was ich mit der Frage meinte, war, wie das System heißt. 2020 haben wir Kapitalismus und 2100?
Z: Ach so, Commonism.
G: Das mit den Anglizismen hat sich irgendwie eher nicht gebessert, oder?
Z: Was hast du denn gegen Anglizismen? Also ich meine, es gab auch mal die deutsche Version Commonismus, aber das war wohl verwirrend, weil das so ähnlich klang wie irgendwas andres.
G: Kommunismus wahrscheinlich.
Aber kommen wir zur Frage aller Fragen: Wie seid ihr vom Kapitalismus zum Commonism gelangt? Beziehungsweise wie werden wir da hingelangen?
Z: Tja, ähm. Das hatten wir mal in Geschichte.
G: Ja, perfekt, und?
Z: Da war meine Aufmerksamkeit leider grade mit andren Sachen beschäftigt.
G: Na toll. Manche Dinge ändern sich echt nicht.
Z: Tut mir Leid, ich saß damals gleich zwei total süßen Menschen gegenüber! Ein Junge und ein Mädchen und ich konnt mich partout nicht entscheiden, wer mir besser gefällt und letzten Endes sind die beiden dann einfach zusammengekommen, ich war so was von am Boden zerstört.
G: Ja, das bin ich jetzt auch etwas. Woher soll ich denn wissen, dass die Utopie wirklich eintreffen wird? Am Ende kommst du gar nicht aus der Zukunft dieses Universums, sondern aus irgendeiner alternativen Realität.
Z: Hm, das wär wohl möglich. Aber weißt du was? Ich fand’s auch blöd, dass ich so gar keine Ahnung von der Geschichte des 21. Jahrhunderts hab, deshalb hab ich an der Uni ein Seminar dazu belegt.
G: Sag das doch gleich! Nein, Moment, Dramaturgie, erst eine kleine Zwischenfrage: Was studierst du? Irgendeinen coolen Zukunftsstudiengang, den es jetzt noch gar nicht gibt?
Z: Nee, den Standard.
G: BWL wird das wohl eher nicht sein?
Z: Psychologie.
G: Ah. Lass mich raten, ihr könnt aber Veranstaltungen wählen, die nichts mit eurem Studiengang zu tun haben?
Z: Klar.
G: Okay. Dann schieß los, erleuchte mich.
Z: Das geht nicht.
G: Was, warum denn nicht?
Z: Das Seminar hat grad erst angefangen.
G: Argh!
Z: Aber über die allerersten Keimformen haben wir schon geredet. So nach dem Motto „Schon damals fanden sich die ersten Ansätze unserer heutigen Gesellschaft, nächstes Mal reden wir dann darüber, worin das Damals eigentlich bestand”. Hast du mal irgendwas Internetfähiges?
G: Hier.
Z: Ach du Schande, was ist das denn?
G: Ein Smartphone.
Z: Smart? Wohl kaum. Das sieht ja aus wie das Ding, das bei den Spiegel-Selfies meiner Oma mit im Bild ist!
G: Merkwürdig.
Z: Oh. Ups. Ja gut, muss wohl gehen.
G: Und nach langwieriger Suche…
Z: So lang hat das auch nicht gedauert, höchstens ne halbe Stunde!
Da, schau, das kannst du dir angucken.
Und das hier.