Inter­view mit Sara Dahme

Inter­view mit der Stutt­garter Kunst- und Kultur­ver­mitt­lerin Sara Dahme

Wir haben die Kunst- und Kultur­ver­mitt­lerin Sara Dahme in Stutt­gart zum Inter­view getroffen. Auf dem KAMMERCAMPUS #13 SCHWER VERMITTELBAR an den Münchner Kammer­spielen hat sie bei den Studie­renden des "Theater vermitteln"-Seminars von Prof. Dr. Birgit Mandel einen blei­benden Eindruck hinter­lassen, weil sie performt, provo­ziert, uns auf ihrer ersten Power­point Folie erstmal ihre ameri­ka­ni­sche Karre und später dann ihre unkon­ven­tio­nellen Vermitt­lungs­for­mate präsen­tiert hat. Aber lest am besten selbst…

Hey Sara,
kannst du dich und deine beruf­liche Praxis kurz vorstellen?

Ich habe Abitur an einem huma­nis­ti­schem Gymna­sium in Ravens­burg gemacht mit Altgrie­chisch und Kunst als Leis­tungs­kurse. Dann bin ich nach Stutt­gart an die Akademie der Bildenden Künste, wo ich 2003 ange­fangen habe Kunst­er­zie­hung zu studieren. Parallel habe ich dann an der Univer­sität in Stutt­gart und Tübingen noch Germa­nistik, Erzie­hungs­wis­sen­schaften und Philo­so­phie studiert. Da ich ein biss­chen faul bin und mich nicht selbst um etwas kümmern wollte, begann ich 2011 mit dem Refe­ren­da­riat. Ich bin jetzt seit fünf Jahren fest an der Schule und unter­richte am Gymna­sium Kunst und Lite­ratur und Theater. Ich habe einen vollen Lehr­auf­trag, bin aber auch noch am Kultus­mi­nis­te­rium / ZKIS mit ein paar Depu­tats­stunden und am Schulamt jeweils für die Schul­kunst tätig, ein spezi­fi­sches Programm in Baden-Würt­tem­berg, das es seit fast 30 Jahren gibt. Das Inter­es­sante hieran ist, dass es schul­über­grei­fend ist und von der Grund­schule bis zum Gymna­sium über die Förder­schule alles dabei ist. Ansonsten habe ich mit dem Studium auch relativ früh ange­fangen, ich glaube 2005, im Würt­tem­ber­gi­schen Kunst­verein Führungen zu geben, weil ich immer Geld brauchte und nicht nur Rasen mähen und Latein­nach­hilfe geben oder in der Gastro arbeiten wollte. Das war so eine Mischung aus Geldnot und Faul­heit. Ich habe mir dann gedacht, 50 € für eine Stunde reden ist einfach gut bezahlt. Und es hat Spaß gemacht, weil ich mich mit Sachen ausein­an­der­setzen musste, die sehr gut für mich waren und trotzdem noch etwas dafür bekommen habe und coole Leute kennen­lernen durfte. Das war eigent­lich so eine Win-Win-Situa­tion. Seitdem mache ich da an sehr sehr sehr vielen Sonn­tagen die Führungen und auch Künstler*innengespräche. Das hat sich dann immer mehr ausge­weitet, sodass ich dann auch an der Staats­ga­lerie und anderen Insti­tu­tionen, die irgendwie mit dem Bereich Kunst zu tun haben, gelandet bin. Momentan mache ich tatsäch­lich sehr viel, weshalb es sich haupt­be­ruf­lich tatsäch­lich mehr nach 50 % Schule anfühlt. Der andere Teil ist sehr breit aufge­stellt. Im weitesten Sinne ist das Kultur­ver­mitt­lung, ange­fangen vom Theater Rampe, wo ich ein Format habe, bei dem es um keine Einfüh­rung geht. Immer noch der Würt­tem­ber­gi­sche Kunst­verein, bei dem ich jetzt schon etliche Jahre bin. Die Staats­ga­lerie, auch jetzt seit zehn Jahren schon, wo ich mit Kinder­work­shops und Kinder­ge­burts­tagen ange­fangen habe und momentan drei eigene Formate habe. Ich mache aber auch ganz andere Sachen, wie Autor*innengespräche im Lite­ra­tur­haus in Stutt­gart oder in der Stadt­bi­blio­thek Stutt­gart oder auch in Ludwigs­burg. Oder ich bin als Mode­ra­torin, z.B. bei den Dragon Days, einem Fantasy Festival in Stutt­gart, tätig oder führe Inter­views, wobei mich das immer wundert, weil ich so schlecht Fragen stellen kann, aber das scheint niemanden zu inter­es­sieren. (lacht) Auch bei der Oper Stutt­gart habe ich schon Formate auspro­biert. Ein weiteres Format habe ich in einer privaten Samm­lung in Lein­felden, jetzt auch schon seit 2015. Dann lege ich noch in Clubs auf, weil es wird ja sonst auch lang­weilig. Ich liebe Musik und habe relativ viele Schall­platten und finde das total geil, dass Leute meine Musik hören möchten und ich die laut spielen darf und Getränke und Geld dafür bekomme, voll verrückt.

Was verstehst du unter Kultur-/Kunst­ver­mitt­lung?

Mir geht es eigent­lich darum, Menschen für etwas zu begeis­tern, was mich berührt und was mich begeis­tert. Ein biss­chen wie beim Auflegen, wenn ich mir denke, groß­ar­tige Platte, die müsst ihr einfach mal laut hören. Genauso ist es mit der Kunst oder dem Theater. Ich möchte diese Begeis­te­rung dann weiter­geben, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass das nicht immer unmit­telbar funk­tio­niert. Ich versuche dann eher etwas zu öffnen und mitzu­geben. Und sehe mich mehr als eine Art Begleiterin.

Aber was ist mit Kunst, die dir nicht gefällt? Kannst du die auch vermitteln?

Ja, die kann ich auch vermit­teln, aber nur, wenn ich dafür bezahlt werde. (lacht) Ich hatte z.B. auch schon einmal eine Führung zu Neo Rauch, den ich nicht mag. Seine Malerei ist kata­stro­phal, aber da es eine Veran­stal­tung vom Freun­des­kreis der Staats­ga­lerie war, habe ich es trotzdem gemacht. Am Ende kam eine Dame auf mich zu und meinte: "Also da merkt man richtig, dass sie Fan von dem Maler sind!" Ich kann eben auch profes­sio­nell. Es ist meis­tens sogar sehr viel schwie­riger, Dinge zu vermit­teln, die man gut findet. Das ist, wie wenn man verliebt ist. Erkläre das mal jemandem! Das ist so schwierig. Was ist denn so beson­ders an der anderen Person? Die ist einfach toll, aber was genau, kann man oft irgendwie doch nicht erklären.

Welchem Bereich ordnest du Kunst­ver­mitt­lung zu? Der Pädagogik, der Kunst selbst, der Drama­turgie oder steckt viel­leicht sogar etwas Poli­ti­sches darin?

Mit Defi­ni­tionen tue ich mich sehr schwer, deshalb viel­leicht alles oder nichts hiervon?!? Am wenigsten der Pädagogik in jedem Fall. Ich finde diesen drama­tur­gi­schen Moment even­tuell den span­nendsten, weil der*die Dramaturg*in auch so eine Art Mittler*in zwischen den Welten ist. Das ist diese*r erste Zuschauer*in, der*die einschätzen kann, ob das Ganze funk­tio­niert, wie etwas kommu­ni­ziert werden kann und was noch fehlt. Poli­tisch braucht Kunst-/Kul­tur­ver­mitt­lung nicht zu sein, da Kunst selbst poli­tisch ist und gute poli­ti­sche Kunst meines Erach­tens keine*n Sprecher*in benö­tigt. Ich glaube aber, dass meine Formate auch einen ganz hohen perfor­ma­tiven Anteil haben und daher auch selbst in eine künst­le­ri­sche Rich­tung gehen. Wenn ich Führungen gebe, entsteht oft so eine Art Flow-Moment und dann kann es auch mal wissen­schaft­lich unkor­rekt oder kunst­ge­schicht­lich nicht so super penibel werden. Es gibt Leute, die das unmög­lich finden, wie ich über Kunst spreche. Aber heut­zu­tage kann ich auch einfach "Édouard Manet" googlen und mir die Daten und Fakten dazu selbst aneignen. Um diese Abruf­bar­keit geht es mir in meiner Arbeit nicht, sondern um etwas Emotio­nales, um eine Empfin­dung. Es geht mir um eine ästhe­ti­sche Erfah­rung und einen Möglich­keits­raum hierfür. Auch wenn das jetzt viel­leicht etwas kitschig klingt. (lacht)

Am Theater Rampe in Stutt­gart gibst du regel­mäßig KEINE Einfüh­rungen vor Thea­ter­auf­füh­rungen. Wie sehen diese Nicht-Einfüh­rungen aus?

Das Format entstand zusammen mit Martina Groh­mann, die die Drama­turgin und Inten­dantin des Hauses ist. Da sie es selbst nicht leiden kann, Einfüh­rungen zu geben, fragte sie mich, ob ich nicht hierzu Lust hätte. Das fand ich schon sehr char­mant, dass sie als Drama­turgin zugibt, Einfüh­rungen nicht zu mögen. Ich habe mir dann darüber Gedanken gemacht, warum ich mir selbst noch nie eine Einfüh­rung ange­hört habe. Das ist so eine Vorweg­nahme. Da ist jemand, der*die etwas besser weiß als ich in meiner Rolle als Zuschauer*in. Und mir wird dann vorweg erklärt, was ich zu verstehen habe. Das finde ich uner­hört, weil es so schlimm bevor­mun­dend und von oben herab ist. Martina und ich haben uns dann, zuge­ge­be­ner­maßen mit viel Wein, darüber ausge­tauscht, wie wir eine Einfüh­rung gut fänden, woraus das Format KEINE EINFÜHRUNG entstanden ist. Die Idee dahinter ist, dass ich das Stück nicht gesehen habe, genauso wenig wie die Besucher*innen, die an diesem Abend kommen. Alle Infor­ma­tionen, die ich bekomme, sind dieselben, die der*die Besucher*in bekommt, nämlich einzig und allein das kleine Booklet, was an der Kasse mit der Eintritts­karte heraus­ge­geben wird. Ich bin fünf Minuten vor meinem Format anwe­send und lese in diesen fünf Minuten diesen Text. Ich bereite mich also nicht tage­lang vor oder schaue mir die Biogra­fien der Künstler*innen an. Und dann beginne ich sehr asso­ziativ den Text, den ich vorliegen habe, und den Titel des Stückes ein biss­chen zu bespre­chen und verschie­dene Denk­räume zu öffnen. Es wird dann sehr schnell dialo­gisch. Das Format dauert auch nur 20 min, das ist ganz kurz und knackig, wie Speed­da­ting. Es geht dann z.B. darum, zu erfahren, warum die einzelnen Besucher*innen heute Abend hier sind. Was erwarten sie von dem Abend? Warum haben sie sich genau dieses Stück ausge­sucht? Und das ist total span­nend, weil es so weit gefä­chert ist von "Ich bin der Exfreund von der Schau­spie­lerin und wollte mal sehen, ob sie es jetzt kann", über "Ich studiere in Gießen Thea­ter­wis­sen­schaften und muss jetzt mal gucken, ob das hier was wird", bis hin zu "Naja, ich musste heute Abend auf meinen kleinen Bruder aufpassen und hatte nicht schon wieder Bock auf Kino". Andere kommen, weil sie eine Nach­bar­schafts­karte haben und das Stück dann umsonst sehen können oder weil ihr Mann Wolf­gang heißt und der Name auch im Stück vorkommt. Das ist so wahn­sinnig toll, weil alle aufgrund desselben Momentes anwe­send sind, nämlich um das Stück zu sehen, aber alle unter­schied­liche Auslöser hatten. Es geht darum, eine Gemein­schaft in dem Moment zu schaffen und vor allem darum, eine Angst­schwelle abzu­bauen. Man muss keinen intel­lek­tu­ellen Hinter­grund mitbringen, um ins Theater zu gehen. Das kann auch einfach eine profane Lust oder Unschlüs­sig­keit oder auch ein Zwang, wenn ich meine*n Partner*in begleite, sein. Daher sind auch Vorbe­halte total okay. In Bezug auf das Stück und die damit verbun­denen Erwar­tungs­hal­tungen versuche ich im Intro ein biss­chen zu provo­zieren. Und sage dann auch, dass ich bei dem Begriff "perfor­mativ" eine Gänse­haut bekomme oder dass Mitmach­theater mein größter Albtraum heute Abend wäre, weil ich Zwie­beln gegessen habe und möglichst mit niemandem nah reden möchte. Ich versuche die schlimmsten Erwar­tungen oder Befürch­tungen schon vorweg zu formu­lieren und frage anschlie­ßend, was die Zuschauer*innen denken, was passieren könnte. Hieraus entsteht dann meis­tens ein ganz schöner Dialog. Im Schnitt besu­chen ca. 30 Personen die KEINE EINFÜHRUNG. Pro besuchte KEINE EINFÜHRUNG kann man sich dann auch einen Stempel auf der Sammel­karte geben lassen. Im Schwa­ben­ländle lohnt sich das. Und bei fünf Stem­peln bekommt man eine Thea­ter­karte umsonst und darf mit mir ins Theater gehen. Dann gehen wir gemeinsam ins Theater, wo ich dann auch ganz klar sage, dass ich kein Thea­ter­profi bin und das weder studiert noch gelernt habe. Und danach gibt es dann die Ziga­rette danach, weil das Ganze schon auch ein biss­chen auf einen Flirt ausge­legt ist. Ich stehe dann zur Verfü­gung, warte an der Bar und sage den Zuschauer*innen, dass wir gerne nochmal über das Stück reden können, wenn sie Lust haben. Und das wird tatsäch­lich total toll in Anspruch genommen, weil das etwas komplett anderes ist als ein Nach­ge­spräch mit einem Profi, wo man sich blamieren oder etwas Falsches gesehen haben könnte. Das denken viele Besucher*innen. Und sie sind dann oft beru­higt, wenn sie hören, dass ich eine bestimmte Stelle der Insze­nie­rung auch nicht verstanden habe. Sie sind dann beru­higt, dass es in Ordnung ist, wie sie das wahr­ge­nommen haben. Oder auch jemandem einfach kurz mitzu­teilen, wie sie es fanden, finden die toll.

Was meinst du ist wichtig, um Theater zu vermitteln?

Ich denke, es ist wichtig Vorur­teile, Vorbe­halte und Ängste abzu­bauen. Theater ist natür­lich schon ein Extrem­raum. Ich befinde mich da in einem geschlos­senen Raum und bin in einen zeit­li­chen Ablauf einge­sperrt. Allein diese Panik davor, in der Mitte der Reihe zu sitzen und die Insze­nie­rung even­tuell schlimm finden zu können! Es ist hart, sich dann zu trauen aufzu­stehen und zu gehen. Das sind natür­lich Konven­tionen und Zwänge, die einen Thea­ter­be­such nicht unbe­dingt leicht machen. Insbe­son­dere vor nicht so konven­tio­nellen, linearen Insze­nie­rungen wie am Theater Rampe, das als Off-Theater eher post-drama­ti­sches Theater — das darf ich nicht offi­ziell sagen, da schimpft mich Martina immer (lacht) — zeigt, haben Leute natür­lich auch einfach ein biss­chen Angst. Uns geht es in dem Format KEINE EINFÜHRUNG darum, den Zuschauer*innen diese Angst, Erwar­tungen und Vorur­teile zu nehmen und sie mit einer wohl­wol­lenden und gut gelaunten Offen­heit in dieses Stück zu schi­cken, damit sie etwas zulassen.

D.h. Perfor­mance Art, bzw. expe­ri­men­tel­leres Theater stellt eine höhere Schwelle für Besucher*innen dar als ein Besuch im Stadt- und Staats­theater oder in der Oper?

Ja, da bin sicher. Wenn ich ins Schau­spiel­haus gehe, bin ich schließ­lich zu 90 % sicher, dass kein*e Schauspieler*in zu mir kommt, dass ich nicht aufstehen muss, also dass die Bühne die Bühne bleibt. Der Respekt­raum ist gewahrt und in der Oper sowieso. Das ist safe. Da kann ich auch schlafen, da ist es in Ordnung. Aber natür­lich, in dem Moment, in dem dieses sichere Terrain verlassen wird, gehe ich als Besucher*in ein Risiko ein.

Wenn man Studien über das durch­schnitt­liche Thea­ter­pu­blikum anschaut, die belegen, dass die Mehr­heit der Besucher*innen akade­misch gebildet und tenden­ziell älter sei sowie einen höheren sozialen Status inne­habe: Was läuft an den meisten Stadt- und Staats­thea­tern schief in puncto Vermitt­lung? Was muss sich ändern?

(lacht) Ohje, ich kann das nicht einschätzen, ob da etwas schief läuft. Es ist viel­leicht nicht das Versäumnis der Theater oder der Szene selbst, sondern eher der Gesell­schaft. Ich finde, Kultur hat in der heutigen Gesell­schaft einen viel zu geringen Stel­len­wert. Es ist nicht mehr en vogue in die Oper zu gehen. Ok, außer in Stutt­gart. (lacht) Da ist das noch ein Ding. Aber vermittle das mal an junge Menschen! Das hat in deren Welt keine Geltung mehr. Eine Dauer­karte fürs Theater ist nichts, womit man angeben kann. Ich finde, es ist ein gesell­schaft­li­ches Problem, dass Kultur nicht mehr den Raum und die Wert­schät­zung erfährt, die sie braucht. Man sieht es allein daran, wie Gelder verteilt werden und was von öffent­li­chen Geldern finan­ziert wird. Wenn man in Kultur mehr Gelder fließen lassen würde, bin ich mir sehr sicher, würde diese auch bei dem*der Durchschnittsbürger*in mehr Aner­ken­nung bekommen. Und ich denke tatsäch­lich auch, dass an Schulen versagt wird. Da stelle ich mich auch selbst an den Pranger. Es ist unglaub­lich schwierig, die Schüler*innen abzu­holen und mitzu­nehmen in diesen Kultur­kosmos. Dies benö­tigt eine sehr hohe Eigen­in­itia­tive der Lehrer*innen und ich kann verstehen, dass viele Kolleg*innen irgend­wann auch erschöpft sind und ihre private Frei­zeit dafür nicht opfern möchten. Man muss schon ein Idea­lis­ten­schwein sein, um sich perma­nent so aufzu­reiben und um diese Diskus­sionen auszu­halten. Das ist so eine grund­sätz­liche Proble­matik, die nicht an den Thea­tern liegt. Klar, könnten diese sich auch trauen, ein biss­chen radi­ka­lere Stücke zu zeigen! Sorry, muss es dann noch einmal Faust sein, ich weiß es nicht?!? Es gibt so viele zeit­ge­nös­si­sche, wunder­bare Autor*innen, die Stücke von so hoher Rele­vanz schreiben. Aber immer dieses histo­ri­sie­rende Moment der Rück­be­sin­nung, der Sicher­heit, des "damit kann man nicht so viel falsch machen"s, das ist einfach schade. Ich würde mir hier mehr Radi­ka­lität wünschen. Ich finde, Theater muss auch auf eine gewisse Art weh tun, um etwas zu errei­chen. Und wenn Theater nichts mehr errei­chen will, dann ist es ein histo­ri­sches Moment und dann reicht es auch, sich ein VHS-Tape anzu­schauen. Hierfür brauche ich das Direkte nicht mehr.

Ein weiteres Format, das du zusammen mit Andreas Vogel anbie­test, heißt Super­Sound­S­culp­ture, bei dem ihr mit eurem fahr­baren Schall­plat­ten­spieler auf Kunst­ent­de­ckungs­tour geht. Was ist das beson­dere an dem Format? Und ist "schwer­fäl­lige Kunst" durch Musik einfa­cher zu vermitteln?

Zwei­teres zuerst: ja, ist sie! Das ist tatsäch­lich mein Lieb­lings­format. Andreas und ich haben es gemeinsam entwi­ckelt, weil ich irgend­wann bei meinen Führungen bemerkt habe, dass die Leute schon begeis­tert sind, aber sich nicht die Kunst anschauen, sondern mich als Prot­ago­nistin. Das ist mensch­lich, ich bewege mich, habe ein schräges T‑Shirt an, ich bin lustig, ich flirte mit den Leuten. Das mache ich! Ich flirte hard­core mit den Leuten, weil ich will, dass sie ein gutes Gefühl haben und ich benutze dafür gnadenlos alle Tricks. Es ärgert mich aber, dass sie sich die Kunst nicht angu­cken. Und so kamen wir auf den Plan, dass wir uns Werke aussu­chen, die wir in Verbin­dung mit Musik bringen können, teil­weise formal, teil­weise zeit­lich gesehen, struk­tu­rell oder in Bezug auf den Produk­ti­ons­pro­zess. Also die unter­schied­lichsten Elemente, die man in eine Verbin­dung oder auch in einen Gegen­satz zu den Musik­stü­cken stellen kann. Ich sage dann kurz etwas zu den Werken, so eine mini-Einfüh­rung, aber sehr unkon­ven­tio­nell. Wie geht es mir damit? Welchen Kontext hat es? Wer sind dieje­nigen, die es gemacht haben? Dann lässt Andreas eine Schall­platte laufen und die Menschen haben über die Dauer des Tracks Zeit, sich das Kunst­werk anzu­schauen. Wir sagen auch vorher, dass diese Zeit nicht dafür gedacht ist, um mitein­ander zu reden, sondern dass wir danach darüber spre­chen, sodass man die Möglich­keit hat, die Musik zu hören und sich dazu das Werk noch einmal in Ruhe anzu­schauen. Danach erklärt dann Andreas, warum er das Stück ausge­wählt hat. Das ist dann ein total schöner Moment, weil jede*r zu Musik eine Meinung hat. Jede*r hat eine Lieb­lings­band, jede*r findet was gut oder nicht so gut. Popkultur ist sowieso Alltag. Die Kunst in der Staats­ga­lerie ist eben Hoch­kultur, da ist die Barriere, etwas dazu zu sagen, einfach höher. Wenn wir einen Song laufen lassen, wippen die Leute mit oder jemand erzählt von seinem letzten Rolling Stones Konzert. Jede*r hat hierzu eine Empfin­dung und dadurch trig­gern wir natür­lich etwas, sodass die Leute sich öffnen. Musik funk­tio­niert noch unmit­tel­barer als Kunst. Das ist ein anderer Teil unseres Alltags. Und dann kann man z.B. anhand eines so grau­en­vollen Songs wie "Lemon Tree" erklären, welche Syste­matik hinter dem Song steckt. Dass das ein Ohrwurm ist, weil er auf diese oder jene Weise gebaut wurde. Das ist dann viel­leicht kein Song, den ich mag, aber an diesem Stück Musik kann ich ganz viel erklären und genau diese Stra­te­gien und Prin­zi­pien lassen sich auch in der Kunst wieder­finden. Und das sorgt dann tatsäch­lich für diesen klas­si­schen Aha-Moment, was so schön ist, weil danach dann auch echt gute Fragen gestellt werden. Man kann die Besucher*innen also knacken. Das Ganze verläuft dann auch tatsäch­lich nach einem dialo­gi­sches Prinzip, also ich rede, Andreas redet und dann öffnen wir immer die Runde und es werden Empfin­dungen ausge­tauscht, Fragen geklärt, usw.

Kennst du ein Theater / Museum / …, das eine Vorreiter*innenrolle für Vermitt­lungs­for­mate darstellt?

Ich finde, dass in den nieder­län­di­schen Museen eine sehr gute Art von Vermitt­lungs­ar­beit geleistet wird. Diese bieten teil­weise ganz unge­wöhn­liche Feri­en­work­shops oder Führungs­for­mate für Kinder an. Gene­rell würde ich sagen, dass dort ein sehr kinder­freund­li­ches Programm ange­boten wird. Und dadurch habe ich auch das Gefühl, dass es selbst­ver­ständ­li­cher ist, das Kind ins Museum “abzu­schieben“. Die Begleit­pro­gramme sind offener und über­grei­fender gestaltet und inter­dis­zi­pli­närer, als ich sie aus Deutsch­land kenne. Da wird Kunst ganz selbst­ver­ständ­lich mit Musik, Schau­spiel, Grafik­de­sign oder aber auch philo­so­phi­schen Diskursen kombi­niert. Hier scheint das immer noch Mangel­ware zu sein, weil sich die Insti­tu­tionen nicht genug öffnen.

Was ist das schlimmste Vermitt­lungs­format, an dem du selbst teil­ge­nommen hast?

Schule. (lacht) Also allge­mein­bil­dendes Gymna­sium Baden-Würt­tem­berg. Das war das schlimmste Vermitt­lungs­format meines Lebens.

Welche Tipps hast du für ange­hende Kulturvermittler*innen? Was möch­test du ihnen noch mit auf den Weg geben?

Ich würde mir wünschen, dass sie sich trauen, sich für Dinge zu begeis­tern, die viel­leicht keinen hohen kultu­rellen Anspruch haben. Ich bin z.B. bren­nender Autofan. Ich liebe American Muscel Cars. Da geh ich voll drauf ab. Oder ich finde auch die Serie "Buffy" groß­artig. Ich mag Ponys. Ich esse wahn­sinnig gerne Sushi. Das sind so total profane, nicht-hoch­kul­tu­relle Dinge. Man muss einfach etwas finden, was man toll findet und ich schwöre, dass sich das überall mit einbauen lässt. Wenn man es dann hinbe­kommt, diese Begeis­te­rung weiter­zu­geben… Ich glaube, man muss diesen Anspruch, dass andere verstehen, was man selbst meint, einfach aufgeben. Ich mache z.B. eine Führung mit 60 Leuten, von denen wahr­schein­lich drei danach wissen, welche Bilder wir gerade ange­schaut haben. Früher hätte mich das verrückt gemacht. Weil ich ja dann doch echt viel Arbeit rein­ge­steckt habe, um ihnen zu erklären, wer Imi Knoebel oder so ist. Aber scheiß drauf. Die Haupt­sache ist doch, dass die eine gute Zeit hatten. Und das ist wirk­lich wichtig. Man muss unbe­dingt versu­chen Spaß an dem zu haben, was man macht. Irgend­etwas finden, was eine*n berührt und je spezi­eller die Sparte, desto geiler, finde ich. Außerdem ist es wichtig im Diskurs zu bleiben. Man darf nicht erwarten, dass andere eine*n verstehen. Es genügt voll­kommen, wenn das Publikum einen Möglich­keits­raum hatte, etwas zu erfahren, was es bisher nicht erfahren hatte. Das muss dann auch keinen pädago­gi­schen Mehr­wert haben. Es reicht auch einfach zu wissen: "Hey, das hat heute Spaß gemacht." Wenn das passiert, bin ich total zufrieden. Und, ich glaube, wenn man das hinbe­kommt, hat man ganz viel richtig gemacht.

Danke Dir!

Das Inter­view wurde geführt von Jessica Dietz.