Mit Hund in Hildesheim
Ein persönliches Kommentar von Clara SchönhartingAnfang 2020 kam doch tatsächlich die Frage auf, ob denn auch Hunde Corona verbreiten können. Viele Hundebesitzer*innen wurden dadurch kurz in Angst und Schrecken versetzt, doch konnten auch schnell wieder beruhigt aufatmen, als sich alles als ein Scam herausstellte.
Jetzt hat der Trend Hund eher einen Aufstieg erfahren, was in Zeiten von Abstandsregeln und dem Verlernen sozialer Verhaltensstrukturen und endlosen Spaziergängen eigentlich kein Wunder ist. Man vertritt sich die Füße, schnappt ein wenig frische Luft, kann die Selbstgespräche endlich mal an ein anderes Wesen richten.
Seit ich zwölf bin, haben meine Familie und ich einen äußerst lieben Labrador/ Schäferhund, der von meinen Eltern oft als ihr drittes Kind bezeichnet wird. Aufgrund der Tierhaarallergie meines Onkels Robert haben wir ihn Robbie genannt, als Friedenspfeife sozusagen.
Mit Robbie bin ich gemeinsam aufgewachsen, habe seine Milchzähne ausfallen, ihn älter werden sehen, war sogar gleichzeitig mit ihm in der Pubertät. Nun ist er schon an der Schnauze ergraut und obwohl es ihn noch nicht davon abhält, die Berliner Stadtparks nach Eichhörnchen zu durchforsten, wird er tagtäglich ein wenig langsamer. Seit ich in Hildesheim lebe, sehe ich ihn seltener, merke immer wieder, wie mir das Leben mit einem Hund fehlt, die täglichen Spaziergänge, die seltsame Symbiose, die man eingeht, wenn man sich auf dieses vierbeinige Tier einlässt. Als meine Mutter aufgrund von ihrer Arbeit letzten Sommer sehr viel Stress hatte und alle aus meiner WG verreist waren, bot ich ihr an, für zwei Monate auf Robbie aufzupassen.
Also fuhr meine Mutter Anfang August, das Auto vollgepackt mit dem Hund, Spielzeug, seinem Bett, Fressnäpfe und Trinkschalen nach Hildesheim. Für Robbie war das alles ein riesiger Spaß, bis meine Mutter von einem Moment zum anderen einfach verschwand und er nun plötzlich alleine mit mir in dieser ihm völlig fremden Wohnung saß und fürchterlich Heimweh bekam. Er fing an zu heulen, aß weniger und blieb stehen, wenn ich versuchte, ihn auch nur ein paar Straßen von der Wohnung zu entfernen. In dem Moment war ich, die dachte, sie habe alles im Griff und wüsste wie man sich um einen Hund kümmert, ebenso ängstlich wie er. Ich stellte fest, dass die alleinige Verantwortung für einen Hund sehr viel mehr bedeutet als mit so einem Tier gemeinsam aufzuwachsen und sich ab und zu um ihn zu kümmern.
Geht es vielleicht anderen genauso?
Hier also nun ein kleiner Erfahrungsbericht oder eine Charakterstudie oder ein Rant über die Hildesheimer Stadtverwaltung oder eben ein paar Tipps für Hundeverzweifelte.
Ich war überrascht davon, wie anders Hildesheim plötzlich aussieht, wenn man die Stadt mit einem Hund durchquert. Die Straßen sind nun nicht mehr nur Straßen und die Büsche auch nicht mehr nur Büsche. Plötzlich sieht man nur noch Hunde, Hunde, Hunde, teilt den Ort in ein komplexes System ein, wo man nun anleinen muss oder nicht, viele gammlige Essensreste herumliegen, das Wasser besonders dreckig ist, man vielleicht extra laut angeschrien wird, wenn das Tier mal unschuldig an den Baum pinkelt (was soll ich denn dagegen tun, es auflecken?).
Man selbst wird nun auch anders betrachtet, man ist nun Hundebesitzer*in. Dies bedeutet eine breite Projektionsfläche für die Blicke von außen. Die einen positiv, die anderen durchweg negativ. Man wird entweder angelächelt „Oh was für ein schöner Hund, darf ich ihn mal streicheln?“ oder pikiert von der Seite angestarrt und auf das Genauste beobachtet, ob man denn nun wirklich den Kot beseitigt. In manchen Fällen wird man sogar feststellen, dass es einige Personen gibt, die sich jedes Mal in einen irrationalen Wutanfall hineinsteigern, wenn ihnen ein Hund unter die Nase kommt. (Dies rate ich als kleine Geduldsübung zu nutzen: einfach bisschen innerlich meditieren und diesen Menschen breit entgegenlächeln)
Übrigens wird man nun auch von anderen Hundebesitzer*innen eindeutig registriert, genauso wie man sie selbst anfängt zu registrieren. Es handelt sich hierbei um eine äußerst feinfühlige Analyse, die sich letztendlich immer darauf beläuft: Ist der andere Hund Feind oder nicht Feind, was natürlich die jeweiligen Hundebsitzer*innen ebenfalls zum Feind oder zum Nicht-Feind macht. Mir ist aufgefallen, dass es vor allem darum geht, mit welchen Menschen ich mich verstehe. Hunde, die mein Hund anbellt, werden in den meisten Fällen auch von Leuten geführt, die mir unsympathisch sind, genauso wie ich ihnen wahrscheinlich ebenfalls unsympathisch vorkomme.
Besonders, wenn man einen männlichen Hund hat, geht es oft darum zu erkennen, ob das andere Tier ebenfalls ein Rüde ist oder nicht.
Ist dies der Fall, klingeln bei beiden Besitzer*innen sofort die Alarmglocken, die Hunde gehen langsam, wie in Zeitlupe auf sich zu, mit erhobenen Schnauzen, mit aufgeplustertem Fell und gefährlichen Blicken. Die Spannung ist atemberaubend, auch wenn sie nur für wenige Sekunden anhält. Dann bricht entweder absolutes Chaos aus, die Hunde gehen auf einander los, bellen sich zu Tode, die Besitzer*innen fangen an, sich gegenseitig und die Hunde anzuschreien und geraten im besten Fall noch in ein wildes Durcheinander von Hund, Mensch und Leine. (Nach einer solchen Situation herrscht meist das einvernehmliche Verständnis, sich von nun an strikt aus dem Weg zu gehen!).
Im besten Fall verläuft jedoch alles gut, die Tiere verstehen sich und die Menschen führen diesen seltsamen, rhetorischen Small Talk, den jeder zu hundert Prozent intus hat und wie eine Kassette abspulen kann. Oh, ist das ein Männchen oder Weibchen? Welche Rasse ist das? Und wie alt ist er/sie? (Ich stelle mir manchmal vor, wie politisch unkorrekt es wäre, diese Fragen über die eigenen Kinder zu stellen, bei Hunden ist dies allerdings absolut normal.)
Nach diesem Routineprogramm gibt es entweder eine schwache Zugabe, die sich auf das Wetter oder auf den Park bezieht, aber oft wird danach nur geschwiegen und sich angelächelt und dann geht man hoffentlich in getrennte Richtungen.
Schwierig wird es nur, wenn die Hunde sich bestens verstehen und die Zeit ihres Lebens haben man dann unangenehm berührt daneben steht, es nicht richtig unterbinden kann, man wegsehen will und dennoch gezwungen ist, gemeinsam mit diesem fremden Menschen Zeuge zu werden, wie die eigenen Hunde ihre Sexualität neu entdecken. Hört sich spaßig an, oder?
Es kann natürlich auch sein, dass man tatsächlich Menschen kennenlernt. Es hat eine alte Frau mit einem ängstlichen Dackel gegeben, die mir ihre ganze Lebensgeschichte erzählt hat, oder der Mann mit dem Labrador, der mir immer entgegenkam, wenn ich morgens hoch zum Galgenberg lief und von dem ich nun weiß, dass er vier Töchter hat. Wenn man einen Hund besitzt, wird man schnell feststellen, dass dies genauso eine Szene ist, wie es zum Beispiel die Skater*innen sind, oder die Domäne Menschen im Kontrast zu den Hauptcampus Menschen. Man muss sich nicht mögen oder sich kennen, aber man wird einander registrieren und diesem Fall genau wissen, inwiefern das eigene Tier zum anderen steht.
Eigentlich finde ich das toll, man empfindet einen Shift in der eigenen Wahrnehmung, man sieht die Welt aus einer etwas anderen Perspektive.
Zum Thema Leinenzwang in Hildesheim kann ich im Grunde genommen erst mal nur eines sagen: Oh, Oh. Ich weiß ja nicht, wie das die meisten hier sehen, aber ein Hund, der einem geworfenen Stock hinterher sprintet, während sein Mensch ihm mit der Leine hinterhergeflogen kommt, sieht einfach nicht schön aus. Natürlich hängt es hier von dem Grad an Erziehung ab, aber wenn das Tier hört, hat es sich einen freien Auslauf verdient, es liegt schließlich in der Natur des Hundes zu rennen. Außerdem gibt es oft weniger Konflikte mit anderen Artgenossen, wenn sich alle auf einer Augenhöhe begegnen und somit gelassener an die Situation herantreten können.
Doch diese Meinung teilt die Hildesheimer Stadtverwaltung nicht, weshalb ich hier nun auch mein demokratisches Recht nutzen und darüber jammern werde. Das Stichwort „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ ist ja bekanntlich ein Lieblingsthema der Deutschen, doch nimmt das Spießertum einen noch gewaltigeren Ausmaß an, wenn es sich um den Leinenzwang handelt. Es steht nämlich äußerst schlecht um die Freiheit der Hildesheimer Hunde! Es gibt nur zwei Flächen, an welchen es keine Leinenpflicht gibt: Das Hochwasserbett HohnsenNord und das Hochwasserbett HohnsenSüd. Also ja… richtig gedacht, es handelt es sich also eigentlich nur um ein Auslaufgebiet, welches die Hildesheimer Stadtverwaltung gnädigerweise überlassen hat. Theoretisch stehen der Wald und die freie Landschaft noch zur Option, doch nur für sechs Monate außerhalb der Brutzeit, die sich auf die Zeit zwischen dem 1. April und dem 30. September bezieht.
Die Bußgelder können übrigens sehr hoch werden! In meiner ersten Woche mit Hund in Hildesheim lief ich noch naiv ohne Leine durch die Sedanallee, bis mich zwei uniformierte Männer stoppten und nach meinem Ausweis verlangten. Ich musste vierzig Euro zahlen, mit der Drohung, dass es sich bei einer zweiten Verwarnung um einiges, einiges mehr handeln würde.
Einige, die überlegen, sich einen Hund anzuschaffen, fragen sich wahrscheinlich gerade: Geht das eigentlich, Hund und Studium?
Meine Antwort lautet hier jein. Ich denke, es hängt vor allem von dem eigenen Support System ab. Hast du ein Umfeld, das sich im Notfall um das Tier kümmern kann, wenn du zum Beispiel Klausuren hast oder krank bist? Wohnst du vielleicht in einer WG und würden sich deine Mitbewohner*innen engagieren? Oder haben sie im schlimmsten Fall eine Tierhaarallergie?
Es gibt leider auch keine wirklichen Angebote, die sich explizit an Studierende mit Hund richten. Doch wurden mir Webseiten wie nebenan.de empfohlen, die es sich zur Aufgabe machen, die Nachbarschaft zu connecten und vielleicht kann man ja dort etwas auf die Beine stellen… Es geht schließlich darum, kreativ Lösungen zu suchen. Zettel aufzuhängen und eine Hundepatenschaft anzubieten, könnte auch funktionieren. In Berlin gibt es eine Frau, die wir durch ebensolche Zettel kennengelernt haben. Zwei Mal die Woche geht sie mit Robbie einen Spaziergang und kümmert sich auch manchmal um ihn, wenn wir verreist sind. Viele Leute wie sie lieben Hunde, trauen es sich aber noch nicht zu, die volle Verantwortung zu übernehmen und finden es schön, Hundebesitzer*innen auf Teilzeit zu sein. Also eine win win Situation für alle Beteiligten!
Online-Seminare vereinfachen natürlich die Sache. Du musst nicht an die Domäne fahren oder zum Hauptcampus und das Tier alleine lassen. Das hat auch vielleicht viele auf den Gedanken gebracht, sich einen Hund zuzulegen, doch würde ich zu Bedenken geben, dass sich auch die Online-Semester langsam dem Ende entgegen neigen und es in Zukunft vielleicht schwieriger werden wird. Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, gewisse Opfer zu erbringen. Vielleicht wirst du nicht in der Lage sein, genau die Seminare zu wählen, die dich am meisten interessieren, sondern sie viel eher danach ausrichten, wann sie stattfinden und wo. Während des letzten Sommers hatte ich für eine Woche von zehn bis vier Uhr nachmittags einen Fotografie-Einführungskurs in der Moltkestraße.
Das bedeutete, dass ich jeden Morgen um sieben aufstand, um für zwei Stunden hoch in den Wald zu gehen, damit Robbie seinen Auslauf bekam. Zum Glück konnte ich meinen Dozenten dazu überreden, ihn mit in das Seminar zu nehmen, wo er sich jedes Mal unter meinem Tisch zusammenausrollte und für eine längere Zeit laut schnarchte.
Ich bin zwar kein Fan von kleinen Hunden, aber ich muss zugeben, dass es in der Zeit wahrscheinlich einfacher gewesen wäre, wäre Robbie ein kleiner Zwerg und nicht so ein riesiges, auffälliges Wesen, welches mehrere Stunden Bewegung braucht und bei manchen Menschen sogar gewisse Unruhen auslösen kann.
Im Grunde genommen hat damals alles gut geklappt, doch konnte ich mich letzten Endes weniger auf das Fotografieren konzentrieren als auf meinen Hund.
Deshalb rate ich dringend darüber nachzudenken, inwiefern man dazu bereit ist, das Studium in manchen Aspekten der Verantwortung unterzuordnen.
In Zeiten von Corona ist es natürlich ideal, einen Hund mitzunehmen, wenn man sich gemeinsam auf einen Spaziergang verabredet, doch wird es noch so einfach sein, wenn die Bars und die Kufa geöffnet haben? Du abends auf Partys gehst, mal einen kleinen Trip nach Hannover planst, im Sommer spontan in die Tohnkule springen und einen ganzen Tag am See verbringen willst? Es geht hierbei ums Verzichten und ums Kompromisseschließen.
(Ich habe übrigens bisher gemischte Informationen erhalten, im Bezug darauf, ob es erlaubt ist, sein Haustier mit an die Domäne zu bringen. So weit ich in Erfahrung gebracht habe, wird es jedoch, sofern der Hund gut erzogen ist und nicht allzu viel Lärm macht, durchaus toleriert.)
Das hört sich jetzt alles ein wenig negativ an und so soll es auch sein! Ein Hund bedeutet peinlicher Small Talk, Strafkosten, die Hände in den Kot eines anderen Lebewesens stecken, Geld Geld Geld, Verzicht auf die Freiheit und Hello Verantwortung!, Wutanfälle fremder Leute und der unfreiwillige Eintritt in eine ganz neue Szene.
Aaaaber, das ist schließlich auch nicht alles! Hunde nehmen zwar so gesehen viel, aber geben tun sie darum nicht weniger. Mit ihnen zusammen fühlt man sich nicht einsam, kann zwei Monate Isolation ertragen, den Wald entdecken, früh morgens um sieben Uhr, wenn alles aufwacht und die Vögel zu zwitschern beginnen und die Luft noch grau ist.
Man wird damit beginnen, die Welt mit anderen Augen zu sehen, die Stadt, die Natur, die Menschen, die Hunde, sich selbst.
