Hildes­heim

in

Bücher­schränken

Wir würden doch alle gerne mehr lesen – zumin­dest schreiben wir das auf unsere Liste mit Neujahrs­vor­sätzen. Dann ist aber alles super stressig und wir kommen nicht mal dazu, in den Buch­laden zu gehen, und ganz abge­sehen davon – Bücher werden auch echt immer teurer!  Als jemand, der seit gut 15 Jahren auf der Jagd nach guten Büchern für nicht viel Geld ist, fällt mir das immer mehr auf. (Klar, Infla­tion und so.) Und BAföG reicht nicht für alles, was man gern lesen würde! Hildes­heim bietet aber eine ganze Menge Möglich­keiten, Bücher für billig bis gar kein Geld zu erstehen: eine davon sind die Bücher­schränke, die in der Stadt verteilt sind. Wenn am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig ist und man echt gern einfach mal was lesen würde, ohne dafür gleich wieder 15€ hinzu­blät­tern, die auch ein halber Wochen­ein­kauf hätten sein können, dann sind das die rich­tigen Orte. Die Idee hinter Bücher­schränken ist eine ziem­lich einfache, aber geniale. Man hat einen öffent­li­chen Ort und stellt dort ein Regal auf. Jede*r kann sich Bücher, die inter­es­sant klingen, mitnehmen, und welche, die man nicht mehr möchte, hinein­stellen. Die Schränke sind offen zugäng­lich (und auf den meisten, die ich in Hildes­heim gefunden habe, steht auch eine Gebrauchs­an­wei­sung). Dadurch kann man aber auch ein inter­es­santes Porträt einer Stadt erkennen, denn in den Bücher­schränken befinden sich nunmal Bücher, die jemand aus irgend­einem Grund nicht mehr haben und auch nicht verkaufen wollte – gleich­zeitig bleiben ja auch nur die Bücher für längere Zeit in den Schränken, für die sich niemand genug inter­es­siert, um sie mitzunehmen.

Übri­gens: Autor*innen, die ihr grund­sätz­lich in jedem Bücher­schrank (und in eigent­lich auch jedem Geschäft, das gebrauchte Bücher verkauft) findet, sind Heinz G. Konsalik und Pearl S. Buck – meines Wissens nach weil Bücher von beiden Autor*innen lange en masse produ­ziert und verkauft werden konnten, aber die Regale der Gene­ra­tionen, die diese Bücher gekauft haben, langsam durch- und diese Autor*innen aussor­tiert werden.

Orte, an denen ich Bücher getauscht habe: Nord­stadt // Stadt­mitte // Himmelsthür // West­stadt // Moritz­berg // Mari­en­burger Höhe

Nord­stadt: Justus-Jonas-Straße Ecke Martin-Luther-Straße, bei der Martin-Luther-Kirche

Gibt es einen besseren Ort für einen Bücher­schrank als die Justus-Jonas-Straße?! Hier gibt es super viele Ratgeber (Steuern für Dummies z.B.) und "neuere" Bücher (read as: inner­halb der letzten 20 bis 25 Jahre erschienen) – als ich für die Fotos da war, gab es alle Bände von Twilight (alle!) und eine Menge Nicolas Sparks. Ich habe dort vor zwei Jahren auch Maja Lundes "Die Geschichte der Bienen" gefunden. Dieser Bücher­schrank ist aber oft extrem voll, was dazu führt, dass Bücher auf die krea­tivsten Arten gesta­pelt und noch hinein­ge­quetscht werden; es empfiehlt sich, immer eine Hand unter das Fach zu halten, falls eines heraus­fällt. Die Nord­stadt ist günstig zum Wohnen, weswegen es dort viele Studie­rende gibt, die das Leid eines leeren Porte­mon­naies (und eines zu voll­ge­stopften Bücher­re­gals) kennen. Wenn sie ihre Bücher also loswerden wollen, scheint das der perfekte Ort zu sein – gut für uns! Dass jemand Twilight sowohl komplett in den Schrank gestellt hat, als auch dass noch niemand die Bücher wieder raus­ge­holt hat, hat mich ein biss­chen schmun­zeln lassen – kein Wunder, dass einem Twilight in Hildes­heim ganz bald unbe­quem wird. Der Hype ist vorbei, und dass Edward ein komi­scher Stalker ist, scheint mitt­ler­weile jede*r zu verstehen; deswegen sind sie aber auch noch da. Die vielen Studie­renden erklären aber auch das Vorkommen von Büchern wie "Steuern für Dummies" – immerhin lehren Gymna­sien nur Sachen, die für das prak­ti­sche Erwach­se­nen­leben so absolut gar nicht von Nutzen sind… viel­leicht muss man sich das echt mal mitnehmen.

Stadt­mitte: Michae­lis­platz, zwischen dem Alten- und Pfle­ge­heim Michaelis Hildes­heim und St. Michaelis

Dieser Bücher­schrank ist super ordent­lich und nicht mal ansatz­weise voll­ge­stopft. Offen­sicht­lich kümmern sich die Leute, die dort Bücher hinbringen, sehr darum. Hier gibt es sogar ein eigenes Regal­brett für Kinder- und Jugend­li­te­ratur (das nicht ganz 100%-ig so genutzt wird). Hier findet man viele Klas­siker, z.B. von Jane Austen oder Frances Hodgson Burnett. Diesem Bücher­schrank merkt man sehr an, dass sich jemand dafür verant­wort­lich fühlt und den Schrank in Ordnung hält. Auch merkt man ein wenig, dass Leute, die das Alten- und Pfle­ge­heim besu­chen, immer mal wieder Bücher mitbringen, es sind nämlich einige Bücher dabei, die vor 20 bis 30 Jahren Gegen­warts­li­te­ratur waren, also viel­leicht aus den Regalen von Ange­hö­rigen stammen, die mitt­ler­weile nicht mehr so viel Energie für's Lesen haben.

Stadtmitte/Neustadt: Am Cafe Viva, Luci­en­vörder Straße 22A

Dieser Bücher­schrank hat nur eine Seite, anders als die meisten anderen, was ihm nicht gerade gut tut: Er ist super super voll und die Bücher sind in mehreren Reihen hinein­ge­stellt, auf andere Bücher gesta­pelt, einfach rein­ge­packt, wie sie passen, deswegen ist es sehr schwer, einen vernünf­tigen Über­blick zu bekommen. Trotzdem kann man ein biss­chen sehen und einige Aussagen treffen: An Klas­si­kern gibt es einige bekannte Namen wie Theodor Fontane, Daphne du Maurier oder Thomas Mann. Ein paar der Bücher sehen wirk­lich alt, aber teil­weise noch ganz gut erhalten aus. Es gibt aber auch neuere non-fiction, z.B. The Seventh Sense von Joshua Cooper Ramo, und einige Thriller, vor allem von Dan Brown. Es scheint, der Lese­ge­schmack der Neustädter ist ganz schön durchwachsen.

Himmelsthür: Danziger Straße Ecke Jahn­straße, in der Nähe der Bushal­te­stelle Pauluskirche

In diesem Bücher­schrank liegen nur super wenige Bücher oben auf den Reihen, es ist sogar ein extra Schild ange­bracht. Dafür merkt man dem Schrank auch wirk­lich an, dass er weitaus ordent­li­cher und aufge­räumter ist, als z.B. der an der Univer­sität oder in der Nord­stadt! Die Bücher sind auch meis­tens in besserem Zustand, was tatsäch­lich zum Teil an der ordent­li­chen Lage­rung liegen kann. Hier gab es viel Ingrid Noll und Wolf­gang Hohl­bein, aber auch einiges an Kinder­bü­chern, mehr, als ich an den anderen Schränken sehen konnte. In Himmelsthür scheint es viele ehema­lige Kinder zu geben, bzw. Kinder, die gerade so über das Alter von 8–10 hinaus sind. Es sind beson­ders viele Pfer­de­bü­cher, was die Kinder­bü­cher angeht – kann sich noch jemand an den Pony Club erin­nern? Im Kontrast dazu findet man einige Thriller und auch ein paar englisch­spra­chige Bücher (soweit ich das gesehen habe, auch alles Thriller): John Grisham gab es oft, genauso wie den übli­chen Verdäch­tigen: Stephen King, hier verkleidet als Richard Bach­mann. Da werden die Eltern, die die Pony Club-Bücher ihrer Kinder dort hinein gestellt haben, auch mal ihre eigene Samm­lung ausge­mistet haben. Klas­siker findet man aber auch: Hein­rich Böll war gleich mehr­mals vertreten. Das schreibt noch weiter das Bild von netten Klein­fa­mi­lien – Mama nimmt die Pfer­de­bü­cher und die alten Kings mit, und dann kann sie auch eben noch schnell den Böll mitnehmen, den liest hier eh keiner mehr. Ordnung muss aber sein für die Himmelst­hürer, man möchte fast sagen, zu Recht. Man hat viel schneller und einfa­cher einen Über­blick, wenn man sich nicht durch fünf Reihen Bücher samt oben drauf gequetschten auf einem Regal­brett quälen muss.

West­stadt: Phoe­nix­straße 9, vor Subway und der Volksbank

Dieser Bücher­schrank ist norma­ler­weise nicht so voll, wurde mir erzählt. Die Auswahl an Büchern war über­ra­schend erfri­schend im Vergleich zu den anderen, wo man seltenst neuere Titel findet: Hier gab es super viel Cecilia Ahern, Jojo Moyes und andere Autor*innen, die herz­er­wär­mende und ‑zerrei­ßende Liebes­ge­schichten schreiben – aber auch einiges an Groschen­ro­manen: heute sehr viel "Julia extra". Eben­falls über­ra­schen­der­weise gab es einiges an neueren Fantasy- und Jugend­ro­manen, von Jona­than Stroud oder Ursula Potzn­anski zum Beispiel. Dieser Bücher­schrank wird anschei­nend auch von Jugend­li­chen genutzt, und der Lese­ge­schmack der Gegend scheint viel auf Unter­hal­tung ausge­legt zu sein; viel­leicht auch ein wenig auf Realitätsflucht.

Moritz­berg: in der Nähe vom Ulmenweg 11A, gegen­über von St. Markus

Dafür, dass dieser Bücher­schrank sich gegen­über einer Kirche befindet, sind erstaun­lich wenig (auf den ersten Blick) kirch­liche Bücher vertreten, dann wiederum werden die in dieser Gegend viel­leicht eher behalten. Man hat die übli­chen Verdäch­tigen: Pearl S. Buck, Heinz G. Konsalik, Johannes Mario Simmel, dazu einiges an Reader's Digest. Genauso viel, wenn nicht sogar mehr, gab es dieses Mal einiges an histo­ri­schen Romanen (von Kerstin Cantz z.B.), aber auch einige Nacken­beißer – ich glaube, es waren mindes­tens je drei Schotten und drei Wikinger dabei. Man findet aber auch ein paar von Kerstin Giers Büchern, genauso wie eine beacht­liche Menge an Thril­lern, von Tom Clancy oder Frank Schät­zing zum Beispiel. Der Lese­ge­schmack der Moritz­berger ist ziem­lich zeit­ge­nös­sisch, und einem biss­chen Aufre­gung und Nerven­kitzel sind sie defi­nitiv nicht abge­neigt – der kann dann aber auch gleich wieder aus dem Regal verschwinden.

Mari­en­burger Höhe: an der Univer­sität, bei der Sparkasse

An der Uni findet man oft viel Fach­li­te­ratur – ist eben super einfach, die da vor dem Seminar schnell noch hinein­zu­stellen, wenn man sie nicht mehr braucht. Es gibt auch super viele Thriller- und Horror-Bücher, vor allem von Stephen King (Ich glaube, ich habe in den letzten drei Jahren kein einziges meiner Stephen King-Bücher wo anders her geholt). Die vielen Thriller und Krimis sind ziem­lich einfach zu erklären: Weil man sie der Span­nung wegen liest, kann man sie nur ein Mal lesen. Danach stehen sie nur im Regal um, und wie oft wird man Misery noch lesen, wenn man es seit zwanzig Jahren hat? Dazu kommt einiges an alter Fantasy (zumeist aus den 90ern oder frühen 2000ern) und oft Romanzen aus den letzten 20 Jahren. Trotzdem taucht auch ab und an mal ein Hemingway auf, oder einige Reader's Digest Bücher (wobei man diese Sammel­bände wirk­lich nicht empfehlen kann, weil die Bücher massiv vom Verlag gekürzt wurden – also, wenn ihr euch für einen halben Isabel Allende inter­es­siert… knock yourself out.) Obwohl der Inhalt eigent­lich so gemischt ist, sieht man meis­tens nur ältere Leute am Schrank stehen; aber der Arzt ist ja auch gleich daneben.

Eine Sache, die ich noch erwähnen möchte: Der Bücher­schrank an der Uni wurde letztes Jahr ange­zündet und war eine Weile gar nicht benutzbar, dann blieb für einen Zeit­raum das oberste Fach unge­säu­bert und an der Seite hing ein Heine-Zitat: "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Mitt­ler­weile ist der Schrank wieder komplett sauber und repa­riert, wahr­schein­lich, weil er ohnehin immer so voll ist, dass man das oberste Regal­brett auch als Mahnung nicht so lassen konnte – vergessen sollte man solche Vorfälle aber auf keinen Fall.

Beitrag und Bilder von Elisa­beth Lehmann

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