Herbstlaub statt Pfingstrosen und Rüben: In diesem Jahr wurde die Pfingstakademie des Master-Studiengangs Kulturvermittlung, nach einiger Zeit war es endlich wieder einmal so weit, zur Herbstakademie. Eine frühlingshaft vorgestellte Fahrradtour, lauschiges Beisammensein, Handshakes oder Willkommensumarmungen – das Vorbereitungsteam und auch die Partizipierenden mussten in diesem Jahr umdisponieren, improvisieren und offen sein für Ungewohntes.
Ein Semester lang bereiteten sich gut 25 Studierende zusammen mit Birgit Mandel und Julia Speckmann vor allem digital auf die Exkursion vor. Zwei Treffen vor Ort, sollte das klappen? Ja! Im Langen Garten 21 war es so weit: Die Exkursion führte tatsächlich nach Hildesheim. Im Fokus die Frage: Wie könnte das aussehen, Hildesheim als Kulturhauptstadt 2025? Dieser Frage widmeten sich gut drei Dutzend Forschende an den insgesamt drei Tagen der Exkursion.
Unser Treffpunkt: Zwischen Kufa und Theaterhaus, im Langen Garten 21, besetzten wir das komplette Erdgeschoss. Früher war dort ein Berufsinformationszentrum, dank eigens etwickeltem Raumkonzept wurde es dort gemütlich. Trotz Herbstwetter und Lüftungsoffensiven, mit genügend Abstand und Masken, zeigten sich Studis und Dozierende widerstandsfähig und diszipliniert. Und viele waren vor allem eins: neugierig. Eine Präsenzveranstaltung, nach langer Zeit des Durch-den-Bildschirm-in-die-Welt-Schauens etwas Neues und Altes zugleich. Die Erstis nutzten die Gelegenheit sich und Hildesheim besser kennenzulernen.
Vom ersten Tag an wurden wir dafür von der seminarinternen Küchencrew versorgt, die sich der Challenge stellte, eigentlich gar keine Küche zur Verfügung zu haben und uns trotzdem quer durch Europa bis zu Hildesheims “Rosen und Rüben” verpflegte.
Beim Frühstück im Stadterkundungsstyle teilte das Los die Frühstückenden den verschiedenen “Häusern” zu: von Dom über Domäne und die beiden Theater bis zum faserwerk.
Dann ging es ganz real nach draußen. Die Teilnehmenden hatten sich zuvor für einen Lieblingsort in Hildesheim entschieden, den sie nun erradelten und mit kleinen Inputvorträgen in Szene setzten. Der Regen wartete, bis wir zurück waren und es kamen alle trocken vom Hafen, von Kloster, Wall oder anderen (neuen) Lieblingsorten zurück in den Langen Garten der Nordstadt.
Per QR-Code einlesbares Lektürematerial ließ der Praxis die Theorie folgen. Michele Brandt und Prof Dr. Julius Heinicke öffneten die Diskussion zum Thema Weltkulturerbe mit europakritischen Perspektiven auf koloniale Fallstricke und ungehörte Stimmen. Alle verteilten sich an einen Ort ihrer Wahl im Gebäude oder draußen und sprachen über Perspektiven, Narrative oder kulturelle Teilhabe. Im Restaurant bot sich die Möglichkeit die Themen zu vertiefen und sich weiter kennenzulernen.
Der zweite Tag führte zu einer ganzen Reihe von Gedankenreisen, draußen und drinnen, aufs Land und in die Stadt, doch zunächst kulinarisch. Beim Frühstück ging es in vier europäische Länder. Dann zum “Dagewesensein”. Was das ist, das konnten die Zuhörenden selbst herausfinden. Begleitet von der Stimme von Nicola Scherer Henze versanken die Akteur:innen sitzend, liegend oder herumlaufend in ihren Gedanken. Was bleibt von uns in Hildesheim? Mit dieser Frage wurden sie nach draußen begleitet. Telefonate, unerwartete Wiedersehen, Spaziergänge in der Nordstadt oder Sonnenblumen in Nachbargärten — manch eine:r ließ sich ganz plastisch von den Gedanken bewegen. Beim anschließenden Tanzworkshop ging es körperlich weiter. Die Tanzenden erahnten trotz Maske das Lächeln der Bewegungspartner:innen, konzentrierten sich ganz auf ihre Schritte, spiegelten beim Partner:innentanz Gesten und Bewegungen wider, führen synchrone Stampftänze aus oder meditierten im Duett.
Dann statteten sich alle mit Brettchen, Messer und einem Hut aus, der Gemüseschnippelvortrag von Daniel Gad ließ alle Schnippelnden zu Hildesheimer Akteur:innen des Kulturhauptstadtbewerbungsprozesses werden. Denn jeder Hut stand für eine Person, die an diesem beteiligt war.
Beim Vortrag nehmen wir als Resümee mit: Macht etwas, werdet aktiv! So kann aus einer Idee eine Handlung werden und die Stadtgemeinschaft verknüpft sich.
Und so wie sich die Rosen und Rüben verbinden, verbinden sich Stadt und Land. Bei der Exkursion geschah dies in Form des Rübeneintopfes und eines Aperitifs mit Rosen vor der Podiumsdiskussion. Da ging es noch einmal ums große Ganze.
Zur Einstimmung auf diese hörten wir einen Vortrag von Siglinde Lang, zum Thema “KulturRÄUME in der Provinz? — (zeitgenössische) Kunst als Motor der Regionalentwicklung.” Sie sprach über das Potenzial von Kunst, Zwischenräume herzustellen, in denen lokale Mitgestaltung und Kreativität wachsen kann. In vielen Beispielen zeigte sie wie diese entstehen können: Ob temporär oder langfristig, mobil oder fest, in Leerständen oder Schaufenstern. In vielen Orten der Provinz kamen in ihren Beispielen Künstler:innen und Bevölkerung zusammen, um zu diskutieren und zu verhandeln, aber auch um gemeinsame Projekte durchzuführen, vom neubelebten Postamt bis zum Mitmachzirkus.
Zur Podiumsdiskussion waren neben Siglinde Lang aus Salzburg auch noch Lene Wagner vom Kulturhauptstadtbüro, Stefan Könneke von der Kulturfabrik und Dilek Boyu vom Verein “Brücke der Kulturen” aus Hildesheim eingeladen. Sie diskutierten über den Bewerbungsprozess und seine Potenziale und Risiken, die Aufgabe, alle aus der Stadtbevölkerung ins Boot zu holen und die Aufteilung von Fördergeldern.
Die Podiumsdiskussion zeigte uns, dass es nicht so einfach ist die unterschiedlichen Wünsche und Forderungen, Bedürfnisse und Perspektiven zusammenbringen. Wie lassen sich unterschiedliche Sichtweisen, mögliche Diskurse und Auseinandersetzungen zunächst sichtbar machen, verändern und transformieren? Welche Interventionen sind vorstellbar? Was macht eine jeweilige Stadtgemeinschaft überhaupt aus? Und was können wir selbst tun, um Gemeinschaft und Austausch zu ermöglichen? Mögliche Antworten auf diese Fragen bekamen wir am Freitag. Die Teilnehmenden des Seminars “Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum” intervenierten transformativ.
Mona Lühring und Michael Eulenstein haben eine Stadtkarte mit Lieblingsorten von Hildesheimer:innen entworfen. Dafür befragten sie zufällig ausgewählte Hildesheimer:innen und besuchten die verschiedensten Orte. Daraus erstellten sie eine interaktive und künstlerisch aufbereitete Karte, die digital und analog erarbeitet wird. Sie soll für Vernetzung und Austausch sorgen, sodass sich Hildesheim schon bald an neuen Lieblingsorten begegnen und austauschen kann.
Der Marienfriedhof ist heute ein Park und es erinnern nur noch einzelne denkmalgeschützte Grabsteine an seine frühere Nutzung. Nachdem der Ort mit seinen Erinnerungen, seinem Verfall und seiner Neunutzung erkundet wurde, wurde dieser auch haptisch erfahrbar. Die Teilnehmer des Seminars "Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum" intervenierten hier transformativ. Der öffentliche Raum wird so selbst zum Vermittler, der als ein verbindendes Dazwischen mit dem Menschen interagiert.
Den Abschluss machte die Illustratorin und Autorin Marei Schweitzer. Sie gab uns einen Einblick in ihr aktuelles Werk, in dem ein Musikjournalist, Postboten und vor allem Buchstaben eine Rolle spielen. Was ein Pangram ist, das wissen wir jetzt. Der literarische Spaziergang ging von A bis Z, verband Orte und Worte.
Die Akademie durfte aber natürlich nicht ohne eine Runde Feedback enden. Alle Beteiligten stellten ihre Lieblingsmomente und Kulturhauptstadtassoziationen vor und erstellten so aus den einzelnen Eindrücken eine gemeinsame Mind Map der Hildesheimer Exkursion.
Und hier sind ein paar bewegte Eindrücke im Aftermovie der Akademie!
Ein Artikel von Melanie Dening und Kerstin Brust.