Eine neue Dimension des Schreibens geht seit kurzem ihren Weg: Schreiben mithilfe von Künstlicher Intelligenz und digitalen Tools, zusammengefasst unter dem Oberbegriff "Digitale Literatur". Literarische Werke können so auf völlig neue Art und Weise erschaffen werden. Ich nehme euch mit auf eine aufregende Reise in die Welt der KI und zeige euch, wie sich fesselnde und originelle Texte erstellen und auch lesen lassen.
In diesem Sommersemester bin ich zum ersten Mal auf den Begriff "Digitale Literatur" gestoßen. Zu Beginn hatte ich noch keine Vorstellung davon, was dahinter steckt. Umso begeisterter war ich, als ich in den Seminaren, die ich besuchte – darunter eine Werkstatt zu Digitaler Literatur –, die praktische Arbeit kennenlernen durfte.
Hier seht ihr, an was ich in diesem Semester geschrieben habe.
Digitale Literatur – Was ist das?
Was fällt alles unter dem Begriff "Digitale Literatur? Wie können sich Schriftsteller*innen digitale Tools zunutze machen und mit Künstlicher Intelligenz Texte schreiben (lassen)? Und: Ist das Schreiben mit KI die Zukunft? Das waren die Fragen, mit denen ich mich beschäftigt habe.
Bei digitaler Literatur denkt man eventuell erst einmal an im Internet zum Download bereitgestellte Bücher, wie sie beispielsweise im HilKat angeboten werden, oder E‑Books, die auf einem E‑Reader gelesen werden können. Streng genommen, obwohl hier die Meinungen auseinander gehen, fallen diese Beispiele auch unter den Begriff, allerdings ist die Bandbreite weitaus größer. So zählen interaktive Geschichten, die online bereitgestellt werden und bei denen die Leser*innen die Handlung durch eigene Entscheidungsmöglichkeiten mitgestalten und fortsetzen können, oder transmediales Storytelling dazu, bei dem Geschichten über verschiedene Medienplattformen hinweg erzählt werden. Weitere Beispiele sind generative, Hyper- und Webliteratur. Hyperliteratur bezeichnet Texte, in denen die Leser*innen zwischen verschiedenen Abschnitten navigieren, um den Gesamtkontext zu erfassen. Unter Webliteratur fallen beispielsweise Blogbeiträge, Websites, Zeitschriften, die online abrufbar sind, aber auch Foren, in denen sich Schreiberlinge zusammenfinden und ihre Texte veröffentlichen. Generative Literatur beinhaltet das Erlebnis, das ich in diesem Semester erfahren durfte, nämlich Schreiben mithilfe von Künstlicher Intelligenz; Texte, die mit Algorithmen in Echtzeit generiert werden.
Im Unterschied zu traditioneller Literatur, ermöglicht es digitale Literatur den Leser*innen, interaktiv mit der Geschichte zu agieren, um so Raum für experimentelle Ansätze und neue Formen des Schreibens zu bieten. Zudem ist der Zugang zu digitalen Werken über Plattformen oder Websites leichter.
Digitale Literatur ist ein Begriff, der sich im stetigen Wandel befindet. Allgemein werden darunter Texte verstanden, die diese drei Zuschreibungen aufweisen:
1. multimedial
2. interaktiv
3. vernetzt
Schreiben in einer anderen Dimension
Kreatives Schreiben mit KI ist bisher wenig erforscht. Das Schreiben(lassen) von Texten im digitalen Raum geht zurück auf Theo Lutz, der 1959 Gedichte mit dem Großrechner Zuze22 generierte und dabei als Vorlage Kafkas Roman Das Schloss nahm. Mit einem Algorithmus wurden einzelne Wörter zusammengefügt, sodass am Ende Gedichte herauskamen, an denen nicht zu erkennen war, welcher ursprüngliche Text dahinter steckte. Mittlerweile gibt es sehr vielfältige Möglichkeiten, Texte zu generieren. Einige davon werden im Folgenden vorgestellt.
Künstliche Intelligenz ist nichts weiter als ein künstliches neuronales Netzwerk, das dem in unserem Gehirn ähnelt. Vereinfacht gesagt: Nach dem Prinzip Input-Blackbox-Output werden eingegebene Informationen verarbeitet und kommen dann "anders" wieder raus. Genauso funktioniert das Generieren von Texten, wenn mit sogenannten Prompts – Schreibvorgaben in Form von einem Wort oder einem Satz – gearbeitet wird. Beispielsweise schlägt man der KI – etwa ChatGPT – vor: "Schreibe mir ein Gedicht über eine Rose". Höchstwahrscheinlich kommt eine detaillierte Beschreibung der Pflanze heraus, eventuell noch die Bedeutung, geschrieben im Reimschema. Diese Vorgehensweise, Texte so generieren zu lassen, heißt konnektionistisches Schreiben. Programme wie ChatGPT werden trainiert und mit Informationen "gefüttert", woraus sie dann diejenigen auswählen, nach denen man fragt. Mit ihnen lassen sich nicht nur Gedichte generieren, sondern auch ganze Geschichten.
Auszug aus dem Projekt "Der Ruf der verlorenen Sonnen":
Der Magier, der die verlorenen Sonnen erschaffen hat, trug den Namen Thalendor. Er war ein legendärer und mächtiger Zauberer, dessen Kräfte und Weisheit die Grenzen der Vorstellungskraft überstiegen. Thalendor war bekannt für seine tiefe Verbindung zur Natur und seine Fähigkeit, Elementarkräfte zu beherrschen. Thalendor widmete sein Leben der Erforschung und dem Studium der uralten Magie, um das Gleichgewicht in der Welt aufrechtzuerhalten. In einem langen und mystischen Ritual gelang es ihm, die verlorenen Sonnen zu erschaffen und ihnen ihre einzigartigen Fähigkeiten zu verleihen. Als Hüter der verlorenen Sonnen war es Thalendors Aufgabe, sicherzustellen, dass sie an einem Ort von großer Macht und Schutz aufbewahrt wurden. Deshalb errichtete er sein Grab in der Wüste, an einem geheimen Ort, der nur den Eingeweihten bekannt war. Dort schmückten die verlorenen Sonnen das Grab und verbreiteten ihr leuchtendes Licht in der Umgebung.
(generiert mit: ChatGPT‑3)
himmel unterm karussell verlorene einzelne ausstieg trümmern auffindbar finger flinke schrank mechanisch trockenen vergraben überall (generiert mit: automatengedichtautommat)
Tolle Tools
Mein erstes Projekt mit ChatGPT war eine Fanfiction, die ich zusammen mit der KI geschrieben habe. Ich habe angefangen und die KI dann gebeten, weiter zu schreiben. Je spezifischer ich in den Vorgaben wurde, desto besser setzte ChatGPT diese um. Allerdings konnte ich die KI nur sehr schwer dazu bringen, in meinem Stil zu schreiben, deswegen vereinfachte ich diesen ein wenig. Es kam auch vor, dass wichtige Story-Elemente im weiteren Verlauf einfach nicht mehr erwähnt wurden und dann musste ich einige Hinweise eingeben, damit diese wieder auftauchten. Innerhalb von vier Stunden hatte ich eine komplette zusammenhängende lange Geschichte plus Klappentext und Titel und den Steckbriefen der Protagonist*innen und wichtigsten Figuren. Normalerweise brauche ich je nach Länge mehrere Wochen oder auch Monate dazu, wenn ich ohne KI schreibe.
Neben ChatGPT gibt es noch beispielsweise AI.Dungeon, ein Textadventure Game, bei dem man in sehr viele unterschiedliche Rollen schlüpfen und in ebenso verschiedenen Welten ein eigenes Abenteuer schreiben kann. Ein weiteres Beispiel ist sudowrite, ein extra für Schriftsteller*innen entwickeltes Programm, dessen KI beim Plotten, Charaktererstellung und Worldbuilding hilft.
Ebenso habe ich noch Poe ausprobiert. Poe ist ebenfalls ein KI-Programm und hat verschiedene Chatbots, darunter auch ChatGPT‑4. Das Besondere: Poe kann in die Rollen anderer Chatbots schlüpfen und dann in deren Stil schreiben.
Hier könnt ihr AI.Dungeon ausprobieren:
Geschichten schreiben und erzählen in der Zukunft
Es gibt viele Möglichkeiten, KI für das eigene Schreiben zu nutzen. Wie schon erwähnt, konnte ich mir anfangs unter den Begrifflichkeiten nichts vorstellen. Von digitaler Literatur hatte ich noch nie gehört und hätte in erster Linie an E‑Books gedacht. Künstliche Intelligenz schreckte mich eher ab, außerdem finde ich das selbstständige Kreieren von eigenen Figuren, Welten und Geschichten viel schöner und möchte das weder einem anderen Menschen noch einer Maschine überlassen. Nach vier Monaten Auseinandersetzung mit diesem Thema und vielem Ausprobieren, hat sich meine Meinung geändert. Ich finde, die KI ist eine gute Möglichkeit, die Kreativität mit den generierten Inhalten anzuregen und daraus Inspirationen für das eigene literarische Schaffen zu gewinnen. Das Schreiben mit KI wird in Zukunft mehr Raum einnehmen. Jennifer Becker, welche die Werkstatt digitale Literatur leitet, hat dazu eine klare Meinung:
Vom jetzigen Standpunkt aus wird es mehr von den Fiction-Writing Programmen geben, und da lässt sich natürlich fragen, was das für Auswirkungen auf das Geschichtenerzählen hat.
Jennifer Becker im Interview vom 26.06.2023
Durch KI werde ein niedrigschwelliger Zugang geschaffen, der insbesondere für Leute, die ein Buch schreiben wollen, von Vorteil sein könne. Es werde aber auch dazu führen, dass bestimmte Erzählungen noch viel massenhafter hergestellt und darunter auch problematische Themen zu finden sein werden, wie etwa Diskriminierung.
Ich denke, dass, obwohl das Schreiben mit KI-gestützten Programmen noch am Anfang steht, es nicht lange dauern wird, bis eine KI in der Lage ist, zu gendern oder in leichter Sprache zu schreiben. Die Entwicklung schreitet voran, und ich bin sehr gespannt, wie und ob sich mein eigenes Schreiben ändern wird.
Ein Beitrag von Lena Hawemann, veröffentlicht am 28. Juli 2023