von Gabriel Dörner und Valentin Brendler, 28. April 2022
Am vergangenen Freitag wurden auf dem Kulturcampus zahlreiche Graffiti entdeckt, nahezu alle Gebäude der historischen Domäne Marienburg inklusive des Theaterneubaus sind betroffen. Nun melden sich auch viele Studierende zu Wort
Foto: Gabriel Dörner
Plötzlich schien es nur noch ein Thema auf dem KulturCampus zu geben: Ende letzter Woche wurden zahlreiche Schriftzüge mit Sprühfarbe auf dem Campus entdeckt. Sprüche wie »Fürs Sterben Geboren – Lernen zu verstehen – Blablabla«, »Was ist die Uni? Die Uni ist nichts!« oder »Keine Ruhe den Unwissenden« fanden überraschte Studierende und Mitarbeitende am Freitagmorgen an den Wänden wieder. Seitdem leuchten sie allen, die sich auf dem Kulturcampus aufhalten, in grellen Farben entgegen. Jedenfalls so lange, bis sie entfernt werden. Bis dahin erhitzen sie weiterhin die Gemüter: »Das müssen Anfänger*innen gewesen sein, die das gesprüht haben« ist sich eine Studentin sicher. »Wenn sie wenigstens ästhetisch wären … aber sie sind so hässlich!«, schreibt uns eine andere. Doch nicht nur der künstlerische Geschmack wird nicht getroffen, auch inhaltlich findet eine weitere Stimme, dass die Sprüche »echt whack« sind.
Zwischen Kunst und Sachbeschädigung
Nun ist die Domäne Marienburg ein Kulturcampus und dessen Mitglieder setzen sich täglich mit verschiedensten Formen ästhetischer Praktiken auseinander. Dass Graffiti Kultur sein können, lässt sich seit Banksy wohl nur schwer bestreiten. Viele Städte heißen sogenannte Urban Art gut oder tolerieren Graffiti an bestimmten Flächen – auch die Stadt Hildesheim. Doch die Grenze zwischen künstlerisch getroffener Aussage und Sachbeschädigung ist schmal. Denkt man an Bahnhöfe, verwahrloste alte Gebäude und Brücken, welche mit sogenannten »Tags« über und über bedeckt sind, würde es wohl wenige Betrachter*innen geben, die hierin eine künstlerische Position sehen.
So sieht es auch die die Studentin Clara Wiese, die noch am Freitag auf Instagram ihre Ansicht zu den Graffiti auf dem Campus äußerte.: »Ich bin sprachlos über so viel Vandalismus, Respektlosigkeit und lächerlicher Anti-Haltung«, schrieb sie. »Wer darf das sauber machen? Diejenigen, die eh schon mega viel arbeiten. Und dann nicht machen können, wofür sie eigentlich bezahlt werden.« Inzwischen erreichten unsere Redaktion noch weitere Kommentare auf unserem Instagram-Kanal: »Richtig unnötig!« oder »Absoluter Bullshit« und »Dummdofes Quatschgeschmiere«, ist da zu lesen.
Almut Stoletzki, Dekanatsgeschäftsführerin des Fachbereichs 2, verurteilt den Vandalismus auf Schärfste und bedauert, dass andere Baumaßnahmen nun womöglich hinten anstehen müssen. »Den Schaden zu beseitigen, bindet viele unserer Ressourcen, die wir gern anders genutzt hätten«, so Stoletzki. »Erst hatten wir das Hochwasser, dann den Wasserschaden im Haus 1 und nun das. Wir hätten gern Geld und Energie in andere, wichtige Sanierungsprojekte gesteckt, doch das ist nun vorerst nicht möglich.« Besonders kostenintensiv sei die Instandsetzung der Kupfer-Fassade am Theaterneubau, da hier möglicherweise keine rückstandslose Reinigung möglich ist. Auch die Reinigung der empfindlichen Natursteinmauern könnte sich als kompliziert erweisen.
Foto: Gabriel Dörner
Studierende sehen auch berechtigte Kritik
Trotz aller Fassungslosigkeit sehen einige Studierende durchaus ein Anliegen hinter den Schmierereien: »Die Fragen und die Kritik sind zum Teil berechtigt. Aber diese Art, es zu artikulieren, ist es nicht«, so eine Studentin aus der Kulturpraxis-Redaktion. – Ein Kommilitone antwortet darauf hin: »Ich finde Vandalismus kann ja durchaus begründet sein, aber was soll das hier bewirken?« Die Studentin Charlotte Palatzky schlägt vor: »Man könnte einen Kurs im nächsten Semester drüber machen, das fände ich spannend.« Und ein anonymer Kommentar auf Instagram lautet: »Kein Gras drüber wachsen lassen, nicht wieder in den Elfenbeinturm klettern wär irgendwie schön.«
Bei all den Kommentaren und reflektierten Einschätzungen wird klar, dass das Thema viele Menschen in besonderer Weise berührt. Eine Studentin erklärt sich das so: »Dass Viele das derart anfasst, sagt viel über unsere Uni und die studentische Kultur aus. An anderen Unis wäre sowas nicht der Rede wert.« Aber es gebe beim Kulturcampus eine besondere Verbundenheit zu den alten Gemäuern, glaubt eine weitere Stimme. »Ich hab nach dem Hochwasser hier angefangen, als alles kaputt war. Und jetzt das!«, so eine Zuschrift auf Instagram.
Viele Studierende sehen in der Aktion allerdings nicht nur einen Angriff auf die Gebäude, sondern insbesondere auch auf die Institution und die universitäre Gemeinschaft. »Offenbar sollte es nur innen zu sehen sein, nach Außen ist die Kritik ja nicht sichtbar«, so eine Stimme aus der Studierendenschaft. Damit träfen die Graffiti vor allem eines: Mitten in das Herz der Domäne und vieler Studierender. »Ich muss zugeben, dass ich das Gefühl hatte, getroffen zu sein.«, schrieb uns eine Studentin per Instagram.
»Für mich als jemand, der im Sommer Installationen am Campus umsetzt, ist dadurch viel Vertrauen zerstört.«, sagt eine weitere Studentin im Gespräch. »Ich empfand unseren Campus immer als eine Art Safe Space, habe sogar manchmal mein Fahrrad über nacht hier gelassen. Nun muss ich mich fragen, ob meine Sachen auch über Nacht dem Vandalismus zum Opfer fallen könnten.«
Auf unsere nicht ganz ernst gemeinte Frage, was die Studierenden denn selbst mal an die Wände schreiben wollen, erhielten wir die Antwort: »Nichts, weil ich gecheckt hätte, dass das nicht die Richtigen trifft.«
Bleibt zu hoffen, dass die Person(en), die die Grafitti angebracht haben, das auch realisieren.
Die Straftat wurde durch die Universität bereits zur Anzeige gebracht. Hinweise nimmt die Polizeidirektion Hildesheim unter der Nummer 05121 9390 und auch direkt auf ihrer Onlinewache entgegen.
Foto: Gabriel Dörner
4 Kommentare
Also ich finde das witzig. An sich schon eine Kunstinstallation, die zwar die falschen trifft, aber dennoch starke Gefühle auslöst. Ich bin zwar nicht aus der Domäne, aber ich werde extra hinkommen um mir das Graffiti anzusehen, bevor es beseitigt wird. Ich war ehrlich gesagt schockiert zu sehen, wie langweilig der sogenannte „Kulturcampus“ aussieht – natürlich muss man historische Gebäude wahren, aber zumindest hat er jetzt Farbe. Die Sprüche sind so dumm, dass sie (fast) wieder genial sind.
Als jemand, der seit vier Jahren hier studiert, finde ich die Reaktion auf diesen Akt wirklich extrem enthüllend. Ja, es ist scheiße, dass das jetzt überarbeitete unterbezahlte Kräfte wegmachen müssen. Aber dafür gebe es eine Lösung, nämlich das gemeinsam als Studierendenschaft wegzumachen, wenn man – anscheinend – als Studierendschaft ein Problem mit dem Graffiti hat.
Ich habe weniger ein Problem mit der Aktion als mehr ein Problem mit dem jetzigen moralischen Aufschrei. Wir finden es also alle geil, uns subversive Aesthetiken für unsere Theaterstücke und Kunstprojekte anzueignen, aber sobald mal dieselben subversiven Mittel anwendet – und, oh Gott, Graffiti auf ein historisches Gebäude sprüht – lassen alle die pikierten Bürgis raushängen. Come on, Leute, glaubt ihr, die queeren Revolutionen und antipatriachalen Strukturen, die ihr so gerne anpreist und künstlerisch verarbeitet, sind alle durch friedlichen, nicht in den öffentlichen Raum eingreifenden Protest entstanden? Dann die Forderung, Kritik sollte wenigstens künstlerisch wertvoll vorgetragen werden. Klassismus pur. Die Person, die das gemacht hat, hatte aber nun Mal keinen Bock auf das, was hier als „künstlerisch wertvoll“ angesehen wird.
Es war, wie der Artikel richtig feststellt, eine nach innen gerichtete Kritik, die die Strukturen der Uni und der Domäne angreift. News flash: die Domäne war nie ein Safe Space – eine Uni kann in der derzeitigen Situation überhaupt kein Safe Space sein, sondern hier passiert genauso Diskriminierung und unreflektierte Machtstrukturen wie überall sonst. Als marginalisierte Person ist das auch keine Überraschung. Statt sich aber mal wirklich mit dem auseinanderzusetzen, was passiert ist und was so eine Aktion auslösen könnte – denn Probleme gibt es momentan viele – wird auf übelste cringe neolib Art nur die Form kritisiert. DIese Abwehr zeigt nur, wie notwendig so eine Aktion mal war. Lasst das Graffiti doch einfach dran. So sehen Unis nun mal aus – sie sind eine Plattform für Diskussionen, auch auf den Wänden.
Ich stimme dem Kommentar von semi_anonymes_baby zu. Schade auch, dass die Kritik dieser Graffiti nicht wirklich ernst genommen und besprochen wird. Die Formulierung mit dem Elfenbeinturm find ich mit Bezug zur Domäne sehr passend.
Danke, danke, danke semi_anonymes_baby für deinen Kommentar. Ich hätts nicht besser sagen können.