Ein Jahr später — ein Zwischenfazit
Lars [22, Bachelor Szenische Künste]

In meinem ersten Semester auf der Domäne habe ich auf der Toilette einen Spruch entdeckt, der mich seitdem nicht mehr losgelassen hat: „Am Ende bist du immer noch du und nicht Hildesheim.“ Was fällt dir dazu ein?
Eine Sache, die mir im Voraus zu Hildesheim gesagt wurde, ist, dass der Domänecampus eine extreme Blase darstellt, also dass total viel innendrin passiert und sich so eine Stimmung einschleift, in der man sich isoliert. Ich bin über eine persönliche Empfehlung hierhergekommen und in dem Kontext ist irgendwann mal der Begriff der „Domäneblase“ gefallen. Obwohl ich natürlich so ein Gemeinschaftsgefühl auch zu schätzen weiß, hatte ich Angst vor dieser Art thematischer Einkapselung. Genau das ist es ja, was mit dem Spruch noch mal kommentiert wird: Dass ein Echoeffekt entsteht und diese Hildesheim- oder Domäne-Stimmung dazu führt, dass die eigenen Aussagen sich anähneln und man an Punkten, wo man eigentlich kantiger ist, abstumpft. Das würde für mich ein ganz scheußliches, repressives Gefühl ausmachen.
Hat sich deine Befürchtung bestätigt, dass deine Ecken hier abstumpfen könnten?
Nicht so konkret. Eigentlich ist in bestimmten Bereichen sogar das Gegenteil passiert, weil diese Angst auch dazu geführt hat, dass ich mehr darauf achte, diese Sachen präsent zu halten. Dadurch sind sie dann nicht so in Gefahr geraten oder sie sind, wenn sie herausgefordert wurden, in der Konfrontation sogar noch stärker geworden. Aber ich hab auch dadurch, dass sich die Realitäten hier so stark von denen in meiner Heimatstadt [Hamm] unterscheiden, nicht das Gefühl, besonders Gefahr zu laufen. Stattdessen gewöhne ich mir vielleicht einfach neue Umgangsweisen an, die man hier pflegt und die einen starken Kontrast zu meiner Heimat ausmachen. Die beeinträchtigen mich, glaub ich, nicht und ich mag das Gefühl, beide Kontraste zu haben. Dementsprechend hab ich auch zwischendurch das Bedürfnis wegzukommen, weil es hier Punkte gibt, wo ein Teil von mir nicht zur Sprache kommt.
Zum Beispiel?
Es sind so gewisse Lockerheiten. Mir kommt es hier teilweise spießiger und angespannter vor – diese Beobachtung untereinander und dieses auf Konfrontation Gespitzte, was ich aus meiner Heimat nicht kenne. Dort wird viel nonverbaler kommuniziert und viel nonverbaler verstanden, wie man zueinander steht. Ich hab das Gefühl, dass ich mich hier viel mehr erklären muss. Das vermisse ich manchmal, weil es für mich so eine Entspannung ausmacht.
Kannst du dich noch an deinen ersten Eindruck von der Stadt und von der Domäne erinnern?
Hildesheim an sich kam mir sehr wenig grün vor. Ich weiß nicht, wie die Stadt in Statistiken dasteht, aber ich sehe die Grünfläche nicht so präsent. Und ich fühlte mich irgendwie beengt. Auf dem Campus liegt das vielleicht daran, dass das alte Gemäuer so präsent ist. Diese sehr engen Gänge und dass alles so ein bisschen zusammengeklöppelt wirkt, weil es krumm und schief ist und hie und da versucht wurde, was dranzubauen. Es hat eine Art Werkcharakter – gerade der Kontrast zwischen den Burggebäuden und dem Theaterneubau plus Container, von dem ich nicht weiß, ob er bestehende Struktur sein soll oder auch irgendwann mal wieder abgeschafft wird. Da ich meinen Fokus gerade auf den Praxisanteil hier gelegt habe, fiel es mir am Anfang sehr schwer, mir einige der Räume in Benutzung für solche Sachen vorzustellen. Gerade weil ich die Campusstruktur der Bochumer Universität gewohnt war, wo alle Gebäude für genau diesen Zweck errichtet sind und nicht irgendwie modelliert wurden. Auf der anderen Seite macht das ja auch den Charme des Domänecampus‘ aus, weil man eine Bastelbereitschaft daraus abliest.
Und wie ging es dir mit der Stadt Hildesheim an sich?
Ich hatte zu Anfang die Hoffnung, dass es dadurch, dass die Stadt eben so klein ist und sich mit diesem Kleinstadtflair auch irgendwie ausstellt, sehr viel belebter ist. Also dass es eine Kultur des sich-öffentlich-Treffens gibt und Unternehmungen im öffentlichen Raum viel präsenter sind, als ich dann festgestellt habe. Mein Eindruck ist, dass die Stadt einerseits verschlafen ist und sich andererseits für kurze Zeit an bestimmten Punkten konzentriert – in Form von Versammlungen in Bars oder Studentenkneipen. Ich habe auch das Gefühl, dass sich der Domänecampus nicht wirklich mit der Stadt und den restlichen Bewohnern einblendet oder harmonisch durchmischt. Deshalb geht meine ganze Konzentration für Hildesheim nicht wirklich über diese Hotspots hinaus und mein Interesse für die Stadt ist gedämpft, weil ich das nicht als meinen Wohnraum empfinde.
Würdest du denn Hildesheim als Zuhause bezeichnen?
Das würde ich nicht – oder zumindest noch nicht. Ich würde es nicht außer Frage stellen, dass sich das noch entwickeln kann, aber derzeit ist es das definitiv nicht.
Gibt es Dinge, die dir beim Studienstart geholfen haben, Anschluss zu finden?
Diese ganze Einführungswoche habe ich schon mitgenommen. Da sind auch die ersten Anschlüsse zustande gekommen, über gemeinsame Sitzungen, bei denen man über Stundenplanstruktur und ähnliches spricht und durch ein erstes Austauschen schon mal sondieren kann: „Hey, diese Leute reden auf diese und diese Art, treten soundso auf, das find ich interessant oder das verstehe ich irgendwie.“ Da ich aber nicht genau wusste, wie die Teilung der Studiengänge hier ist, bin ich am Anfang davon ausgegangen, dass sich die Personengruppen weniger vermischen, als sie es nach der Einführungswoche getan haben. Das hat mich schon noch mal rausgeworfen aus dem ganzen ich-bilde-hier-ein-Netzwerk, weil ich im Vorkurs Leute kennengelernt habe, die ich dann vielleicht ein halbes Jahr nicht mehr getroffen habe, weil wir komplett unterschiedliche Kurse gewählt hatten. Das hat es auf jeden Fall erschwert. Trotzdem ist es nicht so, dass man hier starke Vereinsamungsgefühle hätte, weil es schon ein offener Umgang ist und es auch eine gewisse Affinität zu Partys gibt.
Ist die Affinität zu Partys etwas, wodurch sich die Studierenden hier besonders auszeichnen?
Schon. Ich muss sagen, dass ich definitiv sehr viel öfter ausgehe oder mich unterhalte in einem Kontext, der halb Bar, halb Tanzveranstaltung, halb Installationskunst-Betrachten ist – diese ganzen Mischformen, die der Campus betreibt und zelebriert. In Bochum haben solche Dinge weniger stattgefunden und waren weniger ergebnisoffen, weil man sich schon mit einem konkreten Plan im Kopf trifft. Die wenige Auswahl, die man hier hat, ist ein Faktor, der einerseits zu einem Sich-treiben-lassen führt, das aber andererseits nicht so überraschende Enden nimmt, sondern eine etwas zähe Abendgestaltung hervorrufen kann. Sachen wiederholen sich dann oft und sind sehr event-arm.
Gibt es etwas, was die Domäne dir beigebracht hat, oder Gewohnheiten, die sich erst hier geformt haben? Sagst du jetzt zum Beispiel Autor-innen?
Genau das war der Punkt, den ich jetzt auch sofort genannt hätte. Die Fähigkeit, ohne große Anstrengung diese genderbewusste Sprache anzuwenden. Zu Anfang war ich da skeptisch eingestellt, ob das nicht erstens schwierig wird und zweitens, weil ich bestimmte Argumentationsstrecken darin nicht nachvollziehen konnte. Ich hab dann aber im Endeffekt gemerkt, dass das Erlernen recht nebenbei geht und mir keine Anstrengung abverlangt. Es ist schön, das auf solch eine unaufgeregte Art und Weise gelernt zu haben.
Warst du am Anfang hauptsächlich skeptisch wegen der Umsetzbarkeit oder ging es auch um die Frage „Warum überhaupt die ganze Zeit darauf achten?“
Es ging mir auch darum, diese Frage erstmal zu diskutieren oder zu hören, was für eine Position der Gemeinschaft auf der Domäne dazu besteht. Ich bin nicht die Art Charakter, die sagt: „Ok, ihr macht das so. Kauf ich!“ Sondern ich möchte auch Begründungen hören, weil es für mich im Vorhinein nicht bereits eine Argumentation gab, die ich darauf hätte projizieren können. Ich finde, es ist zumindest legitim, darüber zu sprechen, was mit dieser Vorsicht in der Sprache erzielt werden soll und was die Ergebnisse des Ganzen sind. Wird beispielsweise ein Abbau von diskriminierenden Strukturen erreicht oder bildet es nur eine diskriminierende Struktur nach, die sich aber gleichzeitig unter einem Deckmantel verbirgt und dadurch schwerer zu erkennen ist? Das, finde ich, sind alles total wichtige Punkte, die man im Hinterkopf behalten sollte.
Hast du eine Haltung, wozu diese Vorsicht in der Sprache an der Domäne eher führt?
Ich habe das Gefühl, dass es Momente gibt, in denen die Diskussion um einen Begriff sich verselbständigt und einen anderen Diskussionsrahmen sprengt oder überschattet. Dass es beispielsweise innerhalb von Seminaren, die thematisch vorher anders gelagert waren, sehr stark in Richtung einer innerthematischen Diskussion um einen Begriff geht und um Sprachverhalten, wo kein Rückbezug zum Anwendungskontext dieses Begriffs mehr stattfindet. Diese Diskussion um Begrifflichkeiten ist ja auch ein wichtiger Punkt. Aber wenn ich dieselbe Diskussion in einem theatertheoretischen Seminar und dann zwei Stunden später in einem Bildende Kunst-Seminar und am übernächsten Tag noch mal in einem Literaturseminar führe, dann habe ich irgendwann einen gewissen Frust über die verlorene Inhaltlichkeit der Seminare. Zu solchen Dingen kann das führen, und auch zu gewissen Spannungsgefühlen davor, erstmal drauflossprechen zu können, ohne in Gefahr zu geraten, durch einen Fettnapf ins Kreuzfeuer zu geraten. Das ist eine Umgangsweise, die mir unangenehm ist und die ich auch nicht so praktizieren würde, dass man durch einen Fehler zum Objekt einer öffentlichen Abhandlung werden kann.
Was meinst du, wirst du in 5 oder 10 Jahren über deine Zeit hier denken?
Hoffentlich, dass sie mir was gebracht hat und ich nicht sage: „Wow, was für ne Zeitverschwendung!“ Ich will dann sagen können, dass die Zeit in Hildesheim mir irgendwelche Fähigkeiten und Anstöße mitgegeben hat, mir Kontakte und Zugänge gegeben hat, mit denen ich heute noch was mache. Also eigentlich die Vorstellung davon, dass ich in 5 Jahren in dem Bereich aktiv bin, in dem ich gerade studiere. Ob es jetzt eher in die Medien geht oder ans Theater, aber zumindest im Bereich Szenische Künste. Vielleicht auch, dass ich genau diese Orientierung hier mitgenommen habe, durch die ich später klarer darin bin, wo es hingehen soll.
Wie würdest du deinen Eltern die Domäne und das, was du dort machst, erklären?
Ich würde sagen, es ist ein kleiner Hotspot von Kunst- und Kulturschaffenden und ‑analysierenden. Ja, eigentlich eine Mini-Künstler- und Kulturwissenschaftlerversammlung mit ein bisschen Festivalcharakter. Es hat ein gewisses Theaterfestivalflair mit Versammlungsritualen und viel Herumstehen vor Seminarräumen, um Dinge noch einmal angeregt zu diskutieren.
Welchen Hogwarts-Häusern würdest du die Fachbereiche zuordnen?
Szenische Künste ist vielleicht Slytherin, weil der Fokus auf Schauspiel und Theater, den SK meiner Meinung nach hat, auch so einen sassy Charakter hat, so etwas Überspitztes und Gespieltes. Die Leute verstehen sich selbst als Schauspielende und treten dementsprechend auf. Manipulativ wäre schlimm gesagt, aber sie haben eben diesen Spaß an so einem zwischenmenschlichen Spiel. Dieser Teil ist also definitiv Slytherin. Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus ist Ravenclaw, weil ich denen dieses akribische Am-Text-bleiben zuordnen würde. Und auch weil das Schreiben eines Romans ein extrem langer Prozess ist, der den gleichen Fokus braucht. Kuwi ist, glaub ich, Gryffindor und PKM Hufflepuff – oder andersherum. Bei den beiden bin ich mir nicht sicher.
Vielen Dank!
Ein Beitrag von Katharina Schröder