FACHFREMD

In dieser Reihe begeben wir uns in Diszi­plinen, die denen des Fach­be­reichs 2 fern sind. Man muss ja nicht immer über Theater reden.

Disso­zia­tive Identitätsstörung

Wie die Reihe „Fach­fremd“ ja betont, reden wir hier nicht über Theater, auch wenn es bei diesem Thema zunächst viel­leicht so wirken mag, wenn man zum ersten Mal darauf stößt. Aber nein. Kein Theater.

Statt­dessen fand ich mich bei meiner stun­den­langen Recherche urplötz­lich in der Psycho­logie wieder. Denn ich hatte etwas entdeckt, wovon ich noch nie zuvor gehört hatte:

Die Disso­zia­tive Iden­ti­täts­stö­rung (DIS).

Dabei mag man sich durchaus fragen, nachdem ich direkt mit einem solchen einlei­tenden Satz losge­legt habe: Aber was hat eine DIS angeb­lich mit Theater zu tun?

Nein, halt stopp — was ist denn eine DIS überhaupt?

Beides zwei der hunderten von Fragen, die ich mir selbst gestellt hatte, als ich begann, mich zuerst auf YouTube von einem Inter­view und Erklär­video ins nächste zu klicken und mich dann in Arti­keln und Foren zu vergraben.

Hier folgen also ein paar Antworten auf diese Fragen.


Als DIS wird ein Störungs­bild bezeichnet, bei dem

in einem einzelnen Körper zwei oder mehrere vonein­ander getrennte Iden­ti­täten leben.

Also nicht wie wir das gewohnt sind – keine verschie­denen Seiten, die wir haben, wenn wir mit unter­schied­li­chen Menschen reden oder uns an anderen Orten befinden, sondern verschie­dene Persön­lich­keiten. Die Anzahl dieser Iden­ti­täten vari­iert stark – Tina von D.I.S. Ding auf YouTube beispiels­weise hat über vierzig Persönlichkeits„anteile” (wie sie auch manchmal genannt werden) und eine Ober­grenze der Abspal­tungen gibt es nicht.

Dabei wech­selt es, welche der Persön­lich­keiten gerade „vorne“ ist, „das Auto steuert“, wie eine andere Betrof­fene es beschreibt. Diese Anteile können sehr unter­schied­lich auftreten oder sich in Aspekten ähneln, sind jedoch alle eine Persön­lich­keit für sich, mit eigenen Fähig­keiten, Vorlieben und Interessen.

Es gibt Iden­ti­täten, von denen eine eine Sprache spricht, die die andere nicht spricht, die Hand­schrift ist anders, eine Iden­tität kann Auto fahren, die anderen nicht, sogar körper­liche Unter­schiede wurden fest­ge­stellt: Die Augen­farbe kann sich verdun­keln oder aufhellen und auch tief­grei­fen­dere Dinge wie Gluten­un­ver­träg­lich­keit und sogar Diabetes und Blind­heit können etwas sein, unter dem die eine Persön­lich­keit leidet, die nächste jedoch nicht.

Denn Menschen mit einer DIS spielen ihre Persön­lich­keiten nicht, auch wenn es für andere oftmals danach aussehen mag. Auch wenn Schauspieler*innen sehr intensiv eine Rolle spielen und sich für diese Zeit eine andere Iden­tität aneignen — die Hirn­muster sind, wie beob­achtet wurde, beim Thea­ter­spielen deut­lich anders, als wenn jemand disso­zi­iert und in andere Teil­iden­ti­täten geht. Diese Methode des Hirn­scans ist jedoch noch recht neu und die Krank­heit wird bis heute noch viel ange­zwei­felt. Obwohl es inzwi­schen sichere Diagno­se­mittel, Instru­mente und besagte Gehirn­scans gibt, um fest­zu­stellen, wann eine DIS vorliegt, ist diese Störung für Nicht-Betrof­fene so schwer vorstell- und fassbar, dass

ihre Exis­tenz noch immer oft bearg­wöhnt wird.

Auch die Unbe­kannt­heit der DIS trägt höchst­wahr­schein­lich zur Skepsis ihr gegen­über bei.

Das, obwohl laut einer Zeit Online Repor­tage allein in Deutsch­land mehr als ein Prozent der Bevöl­ke­rung mit multi­plen Persön­lich­keiten lebt. Schät­zungen dies­be­züg­lich besagen, dass es welt­weit sogar bis zu zwei Prozent sein dürften. (Zum Vergleich: Rothaa­rige machen eben­falls zwei Prozent aus.) Davon sind, wie die New York Times berichtet, ein unver­hält­nis­mäßig großer Anteil Frauen, was sich aus der Entste­hung der DIS erklärt – früh­kind­li­cher Miss­brauch, bei Frauen deut­lich häufiger als bei Männern.

In einem Inter­view von TheMedCircle auf YouTube wurde die Situa­tion von Menschen, die mit einer DIS leben, auch mit der von Homo­se­xu­ellen vor Jahr­zehnten vergli­chen. Mir kam jedoch eher die moder­nere bzw. aktu­el­lere Paral­lele zu dem Bild in den Kopf, das viele Menschen von trans* Menschen haben, beson­ders nicht-binären.

Trotz lang­jäh­riger Forschung und Evidenz der Exis­tenz von DIS aus über fünfzig Jahren ist sie noch immer nicht aner­kannt — oder mit Klischees behaftet, wie beispiels­weise der Vorstel­lung eines bösen Alter Egos wie bei Jekyll & Hyde, oder auch anderer

kultu­reller Horrorgeschichten,

was eben­falls eine Ähnlich­keit zur Wahr­neh­mung von trans* Menschen in den Medien aufweist. Auch gibt es wenig Ärzt*innen, die auf die DIS spezia­li­siert sind, manche glauben nicht einmal daran.

Ein weiteres Klischee, das beide gemeinsam haben: den Verdacht auf das Vortäu­schen eines Zustandes, aus welchen Gründen auch immer. Hier ist dies jedoch zumin­dest ansatz­weise rück­führbar auf einen medi­en­in­ten­siven Vorfall, von dem die New York Times einmal im Jahre 1988 berich­tete und den sie schließ­lich 2014 noch einmal thematisierte.

Dabei handelte es sich um das Phänomen „Sybil“ — die Studie einer Frau mit 16 Persön­lich­keiten, über die 1973 ein allem Anschein nach sehr massen­taug­li­ches Buch veröf­fent­licht wurde. Millio­nen­fach verkauft und anschlie­ßend 1976 als Fern­seh­film adap­tiert, wiederum von mehreren zehn Millionen ange­sehen. Die Frau, dessen echter Name Shirley Ardell Mason lautete, sorgte durch diesen Medi­en­boom dafür, dass die Störung 1980 offi­ziell medi­zi­nisch aner­kannt wurde.

So weit, so gut.

Dann jedoch begannen Leute damit, sich im Fern­sehen massen­weise als Person mit DIS auszu­geben, wie bei einem heißen Trend, auf den es aufzu­springen galt. DIS wandelte sich von einem äußerst selten diagnos­ti­zierten Störungs­bild zu einem kultu­rellen Phänomen. Dieses dauerte von circa der Mitte der acht­ziger bis zur Mitte der neun­ziger Jahre – bis erfolg­reiche Gerichts­pro­zesse durch­ge­führt wurden gegen einige Psych­iater, die falsche Diagnosen ausge­stellt hatten. Verständ­lich, dass nach­fol­gend Verwir­rung oder gera­dezu Miss­trauen ausbrach, was die DIS anging. Was bis heute anhält.

Denn wie funk­tio­niert das Ganze über­haupt? Wie kann man sich das vorstellen? Und wie kommt es nun genau zustande?

Menschen erleben diese Störung verschieden, auch wie sie zustande kommt, kann stark vari­ieren. Auch die auf die Behand­lung von DIS spezia­li­sierte Psycho­the­ra­peutin Michaela Huber bestä­tigt in einem Inter­view mit der ZEIT online, es gebe sehr viele verschie­dene Möglich­keiten, wie jemand sich spalten könne, es läge jedoch ein klares Muster vor.

Wenn es sehr früh passiert, dass ein Kind

massiven, unum­gäng­li­chen Stress und wieder­holtes Trauma

erlebt (egal, was für einen Stress, oft jedoch das Leiden unter viel Gewalt, beson­ders ritua­li­serter sexu­eller Gewalt, oft auch in Verbin­dung mit sekten­ar­tigen Struk­turen), wachsen manche Teile der Persön­lich­keit gar nicht erst zusammen, wie es norma­ler­weise passiert. Die runde Persön­lich­keits- und Iden­ti­täts­bil­dung kann nicht stattfinden.

Diese Zusam­men­fü­gung der Persön­lich­keit findet norma­ler­weise sehr früh statt, der gene­relle Konsens dies­be­züg­lich scheint das 5. Lebens­jahr zu sein, spätes­tens, wie Huber meint, Psycho­the­ra­peutin Andrea Eckert vertritt jedoch die These, dass dies noch bis zum 8. Lebens­jahr passieren könne. Fest steht jeden­falls: Wenn die Inte­gra­tion bis dahin nicht statt­ge­funden hat, heißt das, dass sie später auch nicht mehr passiert, demnach können sich später immer noch Persön­lich­keiten bilden, auch wenn man bereits älter ist.

Diese Persön­lich­keiten dienen als Schutz­me­cha­nismen und jede hat einen Grund, da zu sein. Zustande gekommen sind sie als „Abschalt-Mecha­nismus“ in trau­ma­ti­sie­renden Situa­tionen, wobei die Abspal­tung den Rest der Persön­lich­keit schützt.

Unter anderem dadurch, dass sich eine Persön­lich­keit nicht an das erin­nern kann, was vorge­fallen ist, wenn ein anderer Anteil vorne war.

Diese Amnesie dauert auch im späteren Leben noch an

und ist ein häufiger Grund dafür, dass eine DIS über­haupt entdeckt wird. Sowohl von der Person mit DIS selbst, als auch von Ange­hö­rigen. Da das „System“, wie das Zusam­men­spiel der Persön­lich­keiten in einem Körper gemeinhin genannt wird, grund­sätz­lich darauf ausge­legt ist, in Alltags­si­tua­tionen zu funk­tio­nieren, nicht aufzu­fallen und mit verschie­denen Hand­lungs­be­rei­chen zurecht­zu­kommen, kann es sein, dass die Symptome gar nicht als DIS iden­ti­fi­ziert werden.

Was oft als reine Vergess­lich­keit gedeutet wird, kann darin ausarten, dass man sich an Orten wieder­findet, an die man sich nicht erin­nert, gegangen zu sein, ohne dass man weiß, wie man wieder zurück­findet. Anstatt harm­lo­seren Dingen, wie keine Erin­ne­rungen daran, wie man den Morgen verbracht hat oder was jemand zu einem gesagt hat.

Damit man jedoch mit DIS ein funk­tio­nie­rendes Leben leben kann, ist eine

Kommu­ni­ka­tion zwischen den Anteilen

sehr wichtig und das, worauf eine Therapie der DIS meis­tens abzielt. Ein gemein­sames Tage­buch ist beispiels­weise eine geläu­fige Methode.

Auch ein Co-Bewusst­sein der Persön­lich­keiten ist möglich, wobei ein Anteil mitbe­kommen kann, was passiert, wenn ein anderer Anteil gerade vorne ist, wenn dieser das zulässt. Das System funk­tio­niert ähnlich wie ein Haus mit vielen Bewohner*innen, wobei die Person, die auf dem Balkon steht, vorne ist und die Balkontür im über­tra­genen Sinne öffnen (und die anderen teil­haben lassen) oder auch schließen kann.

Ansonsten lässt sich schlecht kontrol­lieren, welcher Anteil hervor­kommt, dies wird oft hervor­ge­rufen durch gewisse persön­liche Triggerpunkte.

Ein Wechsel kann beispiels­weise statt­finden in einer Stress­si­tua­tion, durch gewisse hervor­ge­ru­fene Erin­ne­rungen, starke Emotionen oder senso­ri­sche Erfah­rungen wie Geräu­sche, Gerüche, Geschmäcke oder auch bestimmtes berührtes Gewebe.

 

In diesen paar Abschnitten konnte ich selbst­ver­ständ­lich bei weitem nicht alles unter­bringen, was ich inzwi­schen über die DIS gelernt habe und sicher­lich erst recht nicht alles, was es über sie zu sagen gibt. Ich hoffe jedoch, dass euer Inter­esse, so wie meines zu Anfang, geweckt worden ist.

Und viel­leicht habt ihr ja nach all dem eben­falls Lust und Muße, euch in die Recherche zu stürzen und diesen ganzen Iden­ti­täts­kom­plex etwas besser zu verstehen, weswegen ich abschlie­ßend noch einige der Kanäle verlinke, die mir bei meinem Verständnis von alledem stark geholfen haben.

Disso­ciaDID

D.I.S. Ding

ZEIT online

MedCircle

Und damit verab­schiede ich mich mit einem herz­li­chen auf Wieder­sehen – und auf mehr Aufklärung.

Ein Beitrag von Ariane Siebel

FACHFREMD

In dieser Reihe begeben wir uns in Diszi­plinen, die denen des Fach­be­reichs 2 fern sind. Man muss ja nicht immer über Theater reden.

Disso­zia­tive Identitätsstörung

Wie die Reihe „Fach­fremd“ ja betont, reden wir hier nicht über Theater, auch wenn es bei diesem Thema zunächst viel­leicht so wirken mag, wenn man zum ersten Mal darauf stößt. Aber nein. Kein Theater.

Statt­dessen fand ich mich bei meiner stun­den­langen Recherche urplötz­lich in der Psycho­logie wieder. Denn ich hatte etwas entdeckt, wovon ich noch nie zuvor gehört hatte:

Die Disso­zia­tive Iden­ti­täts­stö­rung (DIS).

Dabei mag man sich durchaus fragen, nachdem ich direkt mit einem solchen einlei­tenden Satz losge­legt habe: Aber was hat eine DIS angeb­lich mit Theater zu tun?

Nein, halt stopp — was ist denn eine DIS überhaupt?

Beides zwei der hunderten von Fragen, die ich mir selbst gestellt hatte, als ich begann, mich zuerst auf YouTube von einem Inter­view und Erklär­video ins nächste zu klicken und mich dann in Arti­keln und Foren zu vergraben.

Hier folgen also ein paar Antworten auf diese Fragen.

 

Als DIS wird ein Störungs­bild bezeichnet, bei dem

in einem einzelnen Körper zwei oder mehrere vonein­ander getrennte Iden­ti­täten leben.

Also nicht wie wir das gewohnt sind – keine verschie­denen Seiten, die wir haben, wenn wir mit unter­schied­li­chen Menschen reden oder uns an anderen Orten befinden, sondern verschie­dene Persön­lich­keiten. Die Anzahl dieser Iden­ti­täten vari­iert stark – Tina von D.I.S. Ding auf YouTube beispiels­weise hat über vierzig Persönlichkeits„anteile” (wie sie auch manchmal genannt werden) und eine Ober­grenze der Abspal­tungen gibt es nicht.

Dabei wech­selt es, welche der Persön­lich­keiten gerade „vorne“ ist, „das Auto steuert“, wie eine andere Betrof­fene es beschreibt. Diese Anteile können sehr unter­schied­lich auftreten oder sich in Aspekten ähneln, sind jedoch alle eine Persön­lich­keit für sich, mit eigenen Fähig­keiten, Vorlieben und Interessen.

Es gibt Iden­ti­täten, von denen eine eine Sprache spricht, die die andere nicht spricht, die Hand­schrift ist anders, eine Iden­tität kann Auto fahren, die anderen nicht, sogar körper­liche Unter­schiede wurden fest­ge­stellt: Die Augen­farbe kann sich verdun­keln oder aufhellen und auch tief­grei­fen­dere Dinge wie Gluten­un­ver­träg­lich­keit und sogar Diabetes und Blind­heit können etwas sein, unter dem die eine Persön­lich­keit leidet, die nächste jedoch nicht.

 

Denn Menschen mit einer DIS spielen ihre Persön­lich­keiten nicht, auch wenn es für andere oftmals danach aussehen mag. Auch wenn Schauspieler*innen sehr intensiv eine Rolle spielen und sich für diese Zeit eine andere Iden­tität aneignen — die Hirn­muster sind, wie beob­achtet wurde, beim Thea­ter­spielen deut­lich anders, als wenn jemand disso­zi­iert und in andere Teil­iden­ti­täten geht. Diese Methode des Hirn­scans ist jedoch noch recht neu und die Krank­heit wird bis heute noch viel ange­zwei­felt. Obwohl es inzwi­schen sichere Diagno­se­mittel, Instru­mente und besagte Gehirn­scans gibt, um fest­zu­stellen, wann eine DIS vorliegt, ist diese Störung für Nicht-Betrof­fene so schwer vorstell- und fassbar, dass

ihre Exis­tenz noch immer oft bearg­wöhnt wird.

Auch die Unbe­kannt­heit der DIS trägt höchst­wahr­schein­lich zur Skepsis ihr gegen­über bei.

Das, obwohl laut einer Zeit Online Repor­tage allein in Deutsch­land mehr als ein Prozent der Bevöl­ke­rung mit multi­plen Persön­lich­keiten lebt. Schät­zungen dies­be­züg­lich besagen, dass es welt­weit sogar bis zu zwei Prozent sein dürften. (Zum Vergleich: Rothaa­rige machen eben­falls zwei Prozent aus.) Davon sind, wie die New York Times berichtet, ein unver­hält­nis­mäßig großer Anteil Frauen, was sich aus der Entste­hung der DIS erklärt – früh­kind­li­cher Miss­brauch, bei Frauen deut­lich häufiger als bei Männern.

 

In einem Inter­view von TheMedCircle auf YouTube wurde die Situa­tion von Menschen, die mit einer DIS leben, auch mit der von Homo­se­xu­ellen vor Jahr­zehnten vergli­chen. Mir kam jedoch eher die moder­nere bzw. aktu­el­lere Paral­lele zu dem Bild in den Kopf, das viele Menschen von trans* Menschen haben, beson­ders nicht-binären.

Trotz lang­jäh­riger Forschung und Evidenz der Exis­tenz von DIS aus über fünfzig Jahren ist sie noch immer nicht aner­kannt — oder mit Klischees behaftet, wie beispiels­weise der Vorstel­lung eines bösen Alter Egos wie bei Jekyll & Hyde, oder auch anderer

kultu­reller Horrorgeschichten,

was eben­falls eine Ähnlich­keit zur Wahr­neh­mung von trans* Menschen in den Medien aufweist. Auch gibt es wenig Ärzt*innen, die auf die DIS spezia­li­siert sind, manche glauben nicht einmal daran.

Ein weiteres Klischee, das beide gemeinsam haben: den Verdacht auf das Vortäu­schen eines Zustandes, aus welchen Gründen auch immer. Hier ist dies jedoch zumin­dest ansatz­weise rück­führbar auf einen medi­en­in­ten­siven Vorfall, von dem die New York Times einmal im Jahre 1988 berich­tete und den sie schließ­lich 2014 noch einmal thematisierte.

 

Dabei handelte es sich um das Phänomen „Sybil“ — die Studie einer Frau mit 16 Persön­lich­keiten, über die 1973 ein allem Anschein nach sehr massen­taug­li­ches Buch veröf­fent­licht wurde. Millio­nen­fach verkauft und anschlie­ßend 1976 als Fern­seh­film adap­tiert, wiederum von mehreren zehn Millionen ange­sehen. Die Frau, dessen echter Name Shirley Ardell Mason lautete, sorgte durch diesen Medi­en­boom dafür, dass die Störung 1980 offi­ziell medi­zi­nisch aner­kannt wurde.

So weit, so gut.

Dann jedoch begannen Leute damit, sich im Fern­sehen massen­weise als Person mit DIS auszu­geben, wie bei einem heißen Trend, auf den es aufzu­springen galt. DIS wandelte sich von einem äußerst selten diagnos­ti­zierten Störungs­bild zu einem kultu­rellen Phänomen. Dieses dauerte von circa der Mitte der acht­ziger bis zur Mitte der neun­ziger Jahre – bis erfolg­reiche Gerichts­pro­zesse durch­ge­führt wurden gegen einige Psych­iater, die falsche Diagnosen ausge­stellt hatten. Verständ­lich, dass nach­fol­gend Verwir­rung oder gera­dezu Miss­trauen ausbrach, was die DIS anging. Was bis heute anhält.

Denn wie funk­tio­niert das Ganze über­haupt? Wie kann man sich das vorstellen? Und wie kommt es nun genau zustande?

 

Menschen erleben diese Störung verschieden, auch wie sie zustande kommt, kann stark vari­ieren. Auch die auf die Behand­lung von DIS spezia­li­sierte Psycho­the­ra­peutin Michaela Huber bestä­tigt in einem Inter­view mit der ZEIT online, es gebe sehr viele verschie­dene Möglich­keiten, wie jemand sich spalten könne, es läge jedoch ein klares Muster vor.

Wenn es sehr früh passiert, dass ein Kind

massiven, unum­gäng­li­chen Stress und wieder­holtes Trauma

erlebt (egal, was für einen Stress, oft jedoch das Leiden unter viel Gewalt, beson­ders ritua­li­serter sexu­eller Gewalt, oft auch in Verbin­dung mit sekten­ar­tigen Struk­turen), wachsen manche Teile der Persön­lich­keit gar nicht erst zusammen, wie es norma­ler­weise passiert. Die runde Persön­lich­keits- und Iden­ti­täts­bil­dung kann nicht stattfinden.

Diese Zusam­men­fü­gung der Persön­lich­keit findet norma­ler­weise sehr früh statt, der gene­relle Konsens dies­be­züg­lich scheint das 5. Lebens­jahr zu sein, spätes­tens, wie Huber meint, Psycho­the­ra­peutin Andrea Eckert vertritt jedoch die These, dass dies noch bis zum 8. Lebens­jahr passieren könne. Fest steht jeden­falls: Wenn die Inte­gra­tion bis dahin nicht statt­ge­funden hat, heißt das, dass sie später auch nicht mehr passiert, demnach können sich später immer noch Persön­lich­keiten bilden, auch wenn man bereits älter ist.

 

Diese Persön­lich­keiten dienen als Schutz­me­cha­nismen und jede hat einen Grund, da zu sein. Zustande gekommen sind sie als „Abschalt-Mecha­nismus“ in trau­ma­ti­sie­renden Situa­tionen, wobei die Abspal­tung den Rest der Persön­lich­keit schützt.

Unter anderem dadurch, dass sich eine Persön­lich­keit nicht an das erin­nern kann, was vorge­fallen ist, wenn ein anderer Anteil vorne war.

Diese Amnesie dauert auch im späteren Leben noch an

und ist ein häufiger Grund dafür, dass eine DIS über­haupt entdeckt wird. Sowohl von der Person mit DIS selbst, als auch von Ange­hö­rigen. Da das „System“, wie das Zusam­men­spiel der Persön­lich­keiten in einem Körper gemeinhin genannt wird, grund­sätz­lich darauf ausge­legt ist, in Alltags­si­tua­tionen zu funk­tio­nieren, nicht aufzu­fallen und mit verschie­denen Hand­lungs­be­rei­chen zurecht­zu­kommen, kann es sein, dass die Symptome gar nicht als DIS iden­ti­fi­ziert werden.

Was oft als reine Vergess­lich­keit gedeutet wird, kann darin ausarten, dass man sich an Orten wieder­findet, an die man sich nicht erin­nert, gegangen zu sein, ohne dass man weiß, wie man wieder zurück­findet. Anstatt harm­lo­seren Dingen, wie keine Erin­ne­rungen daran, wie man den Morgen verbracht hat oder was jemand zu einem gesagt hat.

 

Damit man jedoch mit DIS ein funk­tio­nie­rendes Leben leben kann, ist eine

Kommu­ni­ka­tion zwischen den Anteilen

sehr wichtig und das, worauf eine Therapie der DIS meis­tens abzielt. Ein gemein­sames Tage­buch ist beispiels­weise eine geläu­fige Methode.

Auch ein Co-Bewusst­sein der Persön­lich­keiten ist möglich, wobei ein Anteil mitbe­kommen kann, was passiert, wenn ein anderer Anteil gerade vorne ist, wenn dieser das zulässt. Das System funk­tio­niert ähnlich wie ein Haus mit vielen Bewohner*innen, wobei die Person, die auf dem Balkon steht, vorne ist und die Balkontür im über­tra­genen Sinne öffnen (und die anderen teil­haben lassen) oder auch schließen kann.

Ansonsten lässt sich schlecht kontrol­lieren, welcher Anteil hervor­kommt, dies wird oft hervor­ge­rufen durch gewisse persön­liche Triggerpunkte.

Ein Wechsel kann beispiels­weise statt­finden in einer Stress­si­tua­tion, durch gewisse hervor­ge­ru­fene Erin­ne­rungen, starke Emotionen oder senso­ri­sche Erfah­rungen wie Geräu­sche, Gerüche, Geschmäcke oder auch bestimmtes berührtes Gewebe.

In diesen paar Abschnitten konnte ich selbst­ver­ständ­lich bei weitem nicht alles unter­bringen, was ich inzwi­schen über die DIS gelernt habe und sicher­lich erst recht nicht alles, was es über sie zu sagen gibt. Ich hoffe jedoch, dass euer Inter­esse, so wie meines zu Anfang, geweckt worden ist.

Und viel­leicht habt ihr ja nach all dem eben­falls Lust und Muße, euch in die Recherche zu stürzen und diesen ganzen Iden­ti­täts­kom­plex etwas besser zu verstehen, weswegen ich abschlie­ßend noch einige der Kanäle verlinke, die mir bei meinem Verständnis von alledem stark geholfen haben.

Disso­ciaDID

D.I.S. Ding

ZEIT online

MedCircle

Und damit verab­schiede ich mich mit einem herz­li­chen auf Wieder­sehen – und auf mehr Aufklärung.

Ein Beitrag von Ariane Siebel