woke:
„in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung „
Duden
Im ersten Teil meines Beitrages ging es um die Umfrage, die ich durchgeführt habe. Hier geht es nun weiter mit den Interviews. Personen aus der Umfrage, der Qualitätsmanagement-Kommission, eine Ansprechperson für sexualisierte Diskriminierung und ein Studienabbrecher erzählen über ihre Erfahrungen am Kulturcampus. Dabei gehen sie auf die geäußerten Vorwürfe der Diskriminierung, des Elitärseins, der Cancel Culture, der Selbstinszenierung sowie die Politisierung von Thematiken ein.
Um einen tieferen Einblick in die Gesellschaft des Kulturcampus zu gewinnen, führte ich neben der Umfrage auch Interviews mit acht unterschiedlichen Personen durch. Diese Personen repräsentieren aufgrund ihrer divergenten Positionen verschiedene Perspektiven. Einerseits betrachtet jemand die Domäne als ein “fruchtbares Biotop, wo man sich austauschen kann” und das zudem diskriminierungssensitiv sei. Andererseits gibt eine andere Person zu bedenken, dass “aufs erste und zweite Hinsehen” dieser Campus so wirke “als wäre Toleranz das Wichtigste und man wäre offen für alles”, man höre viel von Sich-gegenseitig-ausleben-lassen, Zuhören, Aufeinander-eingehen und Rücksicht nehmen. “Aber irgendwie habe ich das Gefühl gehabt, dass diese Werte nur für bestimmte Gruppen galten”. Doch schließt das eine das andere aus? Oder ist es möglicherweise sogar so, dass beides möglich ist und wir am Kulturcampus ambivalente Realitäten erleben?
Die Ergebnisse der (nicht repräsentativen) Umfrage aus dem ersten Beitrag verweisen auf eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf Toleranz und Offenheit sowie der empfundenen Realität der Teilnehmer*innen: Trotz positiver Rückmeldungen über engagierte Lehre und eine hilfsbereite Gemeinschaft, berichten einige von Ausgrenzung, Diskriminierung und einem Gefühl des Unwohlsein, welches Fragen nach der tatsächlichen Inklusivität und Wokeness der Domäne aufkommen lässt. Wenn du den ersten Teil noch nicht gelesen hast klicke hier.
Wie war das nochmal mit der Diskriminierung? – Kurzer Exkurs
Fangen wir mal an, wo wir aufgehört haben: bei der Diskriminierung am Kulturcampus. Aus der Umfrage kam die Erkenntnis, dass es sie auf jeden Fall zu geben scheint. Doch weil es auch keine einsehbaren Statistiken dazu auf der Uniwebsite gibt, meldete ich mich bei Prof. Dr. Maike Gunsilius. Sie ist dezentrale Gleichstellungsbeauftragte für den Fachbereich 2 und als solche auch Ansprechperson für sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt. Als Gleichstellungsbeauftragte beschäftigt sie sich mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in Forschung und Lehre für Mitarbeitende und Studierende des Fachbereiches. Sie begleitet Ausschreibungen und Bewerbungsverfahren und bietet als Ansprechperson Betroffenen von sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt vertrauliche Erstberatung, z. B. bei Unsicherheiten zur Einordnung von Erfahrungen sowie Handlungsmöglichkeiten.
Doch manchmal ist Diskriminierung nicht ganz eindeutig, und man ist sich unsicher, ob es nun welche ist oder nicht. Ab wann ist also etwas Diskriminierung?
“Das ist in der Tat nicht immer leicht einzuordnen, aber es gibt klare Definitionen zu Diskriminierung im Artikel 3 des Grundgesetzes, zu Benachteiligung in §1 und 2, und zu Belästigung in §3 und 4 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Diese liegen auch der aktualisierten universitären Leitlinie zum Schutz vor sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt zugrunde.” (Dr. Maike Gunsilius)
Die folgenden Begriffsdefinitionen beziehen sich “auf Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität” (AGG §1). Der Paragraph 3 des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) besagt1:
(2) Eine indirekte Benachteiligung liege vor, wenn scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren eine Person aufgrund der oben genannten Gründe benachteiligt.
(3) Unter Belästigung definiere man unerwünschte Verhaltensweisen, die mit den oben genannten Gründen zusammenhängen und bewirken oder bezwecken, dass die Würde einer Person verletzt wird. Dazu gehöre auch die Erschaffung eines verachtenden Umfeldes gegen die Person.
(4) Unter Sexuelle Belästigung begreife man unerwünschte sexuell bestimmte Verhalten, Handlungen, Aufforderungen, Berührungen und Anmerkungen oder Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Inhalten, welche bezwecken oder bewirken, dass die Würde einer Person verletzt sowie ein verachtendes Umfeld geschaffen wird.
Klassismus wird in den Begriffsdefinitionen nicht inbegriffen. Genauso wie in der Universität, denn ursprünglich wollte ich mich an die Antidiskriminierungsbeauftragten der Universität Hildesheim richten, leider gibt es sie aber nicht. Auch Ansprechpersonen für andere Diskriminierungsformen wie Rassismus, Ableismus oder Klassismus habe ich online nicht auffinden können. An wen soll man sich also wenden, wenn man nicht konkret von sexualisierter, sondern von anderen Formen der Diskriminierung betroffen ist?
“Die Ideen- und Beschwerdestelle, sie ist im Moment die Anlaufstelle an der Universität dafür, mit der wir Gleichstellungsbeauftragte eng zusammenarbeiten. Man kann sich dort beschweren und beraten werden. Als Ansprechpersonen für sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt sind wir nicht für alle Formen von Diskriminierung explizit aus- oder fortgebildet, auch wenn wir sexualisierte Diskriminierung natürlich verschränkt mit weiteren Diskriminierungsformen sehen.” (Dr. Maike Gunsilius)
Leider war aber die Ideen- und Beschwerdestelle zum Zeitpunkt meiner Recherche nicht besetzt. Weshalb ich auch keine näheren Informationen zu weiteren Diskriminierungsformen herausfinden konnte. Die eigentliche Frage, die aber noch im ersten Beitrag offenblieb, ist: Wie sieht es mit Diskriminierungsvorfälllen am Kulturcampus aus?
Maike Gunsilius erzählt mir, dass es keine klaren und aussagekräftigen Statistiken bezüglich dessen gebe. Die Ansprechpersonen und das Gleichstellungsbüro sammeln seit dem letzten Jahr anonymisiert Berichte zu Fällen sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, sie gehen jedoch davon aus, dass viele Fälle nicht angesprochen werden und deshalb auch eine hohe Dunkelziffer existiere. Die Zahl der Fälle, die im Rahmen der vertraulichen Beratung berichtet werden, liege für den Fachbereich 2 momentan im einstelligen Bereich. Gemeinsam mit ihren Kollegen*innen bemerke sie eine Zunahme an Beratungsgesprächen. Wobei sie betont, dass es vermutlich an dem höheren Bewusstsein für die Problematik liege und nicht an den steigenden Fallzahlen.
Wer wurde interviewt?
Ich habe mit acht verschiedenen Personen vom Kulturcampus ein Gespräch gehabt. Neben der Dozierenden Prof. Dr. Maike Gunsilius sprach ich ebenso mit Prof. Dr. Johannes Ismaiel-Wendt, Studiendekan des FB2 und Vorsitzender der QM-Komission. Darüber hinaus interviewte ich Nina, Meret, Vivienne sowie zwei weitere Studierende, die anonym bleiben wollen. Die neunte Person ist der Studienabbrecher, welcher ebenfalls bevorzugt, anonym zu bleiben.
Das mag ich…
Fangen wir mal mit den guten Erfahrungen der Interviewten an. Im Großen und Ganzen stimmen viele mit den genannten positiven Aspekten in der Umfrage überein.
Vivienne studiert im 6. Semester BA Internationale Kommunikation und Übersetzen und besucht die Literaturkurse am Kulturcampus. Als Außenstehende nehme sie die Domänestudierenden nicht nur als offen, kreativ und individuell wahr, sondern auch als eine wirkliche Gemeinschaft. Zumindest im Vergleich zum Bühlercampus. Außerdem scheint ihr die Extrovertiertheit vieler Personen an dem Kulturcampus zu sympathisch zu sein. Ihrer Meinung nach herrsche auch deshalb eine kreative und warme Atmosphäre.
Nina studiert im 6. Semester BA Kreatives Schreiben und ist Mitglied in der QM-Kommission. Sie erlebt es als ein super fruchtbares Biotop, wo man sich austauschen könne. Wobei sie den Kulturcampus als “sehr reflektiert und gestaltbar” erlebt mit einer guten Gesprächskultur. Darüber hinaus schätzt sie sehr den Willen und das Interesse der Dozierenden, den*die Student*in weiterzubringen. Meret studiert im 7. Semester MA Kulturvermittlung, arbeitet nebenbei in der Studienberatung und ist ein ehemaliges Mitglied der QM-Kommission. Die Studierenden nimmt sie als sehr offen, motiviert, hilfsbereit und locker wahr. Zudem mag sie gerne die Mentalität und stelle auch “eigentlich keinen Konkurrenzdruck” fest. Dabei finde sie die Dozent*innen nicht nur wertschätzend, sondern auch interessiert an studentischen Belangen. Wobei sie denkt, “Dozierende machen wahrscheinlich mehr als sie müssten”.
Eine andere Studentin studiert im 6. Semester BA Kulturwissenschaften. In persönlichen Begegnungen mit einzelnen Personen hat sie ausschließlich gute Erfahrungen gemacht. Grundsätzlich habe sie das Gefühl, dass “die Menschen an der Domäne tolle Leute sind”. Darüber hinaus betrachtet sie den Kulturcampus als einen “total inklusiven und tollen Ort. Und das versucht er ja auch zu sein”. Ihre Kommilitonin ist im 9. Semester und studiert ebenfalls BA Kulturwissenschaften. Sie “finde es so schön, dass marginalisierte Personen hier an der Domäne ihren Raum haben und sich hier aussprechen können”. Außerdem seien die meisten Dozierenden ihrer Meinung nach sehr wohlwollend, wobei viele “auch voll niedrigschwellig” seien.
Diskriminierung
Wie wir schon aus der Umfrage wissen, haben fast die Hälfte der Befragten Diskriminierung entweder selbst erfahren oder mitbekommen. Sexismus und Klassismus wurde dabei mit am häufigsten genannt. Eine der Betroffenen ist unter meinen Gesprächspartner*innen.
Die Kuwi Studentin im 9. Semester ist Halbbritin und bezeichnet sich als “bisschen chitty –chatty”. In dem Gespräch erzählt sie mir über ihre Erfahrung mit (internalisiertem) Sexismus, wobei sie Folgendes in der Umfrage schreibt:
“Oftmals fühle ich mich als sehr weiblich gelesene Person in meiner Femininität, nicht ganz richtig am Platz. Ich hatte Situationen, in denen ein Dozent über mich als ‚Mädchenkind‘ gesprochen hat, oder in meiner Gesangsprüfung mir gesagt wurde, ich würde in dieser Gesellschaft nicht ernst genommen werden, wenn ich so weich und hoch spräche. Ich finde es manchmal schade, dass wir zwar viel über die Dekonstruktion von Machtverhältnissen und dem Patriarchat sprechen, aber dies zu wenig passiert.”
Unsere Kommilitonin erfuhr Sexismus aufgrund ihrer offensichtlichen Weiblichkeit, wie sie mir selbst erklärt. Denn “dadurch merke ich, dass ich weniger ernst genommen werde, weil ich eben auch noch eine hohe Stimme habe. Und dann gefragt zu werden, in einer Prüfungssituation, wo ich die Person nicht kenne, ich habe die vorher noch nie in meinem Leben gesehen, dann gefragt werde, ob ich Sport mache”. Dabei beschreibt sie, dass es ihr Unwohlsein in der Prüfung nur noch verschlimmert habe, da auch nun ihre Körperlichkeit im Fokus stand.
Weiterhin, als das Thema von Sexismus auf Klassismus geschweift ist, hatte dieselbe Studentin das Gefühl geäußert, dass man viel auf Sexismus und Rassismus achte, aber wenig auf Klassismus. Sie spüre diesen zwar nicht an sich selbst, “aber ich spüre es, wenn ich mit Freunden*innen rede”. Es werde oft wenig die Perspektive von Menschen aus anderen Klassen und anderen Lebensrealitäten beleuchtet. “Also, ich habe das Gefühl, es wird oft eine Norm vorausgesetzt und oft eine gewisse Realität propagiert. Und ich habe oft das Gefühl, dass die Realität, die propagiert wird, eigentlich nicht der Lebensrealität der Menschen entspricht und auch nicht mitbedacht wird”. Es gäbe nicht den Relativismus, indem man berücksichtigt “wo was herkommt”, stattdessen greife man auf das Schwarz-Weiß-Denken zurück.
Elitärsein und Elfenbeinturm
Das Thema des Elfenbeinturmes liege, wie ich erfahren habe, schon länger in der Marienburger Luft. Wobei es aber ein wenig ignoriert zu werden scheint. Durch die Gespräche erfuhr ich, dass die Domäne mal mit unterschiedlichen Graffitizügen darunter auch mit dem “Elfenbeinturm [mit einem Pfeil auf das Theaterinstitut]”, beschmückt wurde. Leider wurde anschließend keine Diskussion darüber geführt, weswegen Meret der Meinung ist, dass es strukturell da mehr Interventionen brauche. Sie hätte es gut gefunden, als erste Maßnahme zunächst darüber in einer Versammlung gemeinsam zu sprechen.
Der Pfeil des Graffitizuges war auf das Theaterinstitut gerichtet, obwohl eine der Studentinnen findet, dass im Theaterinstitut viel über Niedrigschwelligkeit geredet wird. Dabei stellt sie es in Vergleich mit dem Musikinstitut, welches nochmal “ein anderes elitäres Verständnis” habe als andere Institute. Wo sie als Beispiel die Gesangsprüfung als “total elitäre” Situation wahrnehme, “wo du vor Leuten vorsingen musst, die nicht mal gesehen haben, was dein Prozess ist. Und später hat man ein Prüfungsgespräch, zu dem man sich eigentlich kaum vorbereiten kann, wo einem alle möglichen Fragen gestellt werden”. Gerade der hohe akademische Anspruch zeige ihr den Elfenbeinturm im Musikinstitut.
Einen möglichen Grund für diesen Anspruch findet man in Dr. Ismaiel-Wendt’s Motiven in der Eignungsprüfung. Denn bezogen auf sein Fach Musik gibt er zu, dass er eine Menge in der Prüfung voraussetze. “Ich setzte sogar etwas voraus, was theoretisch ich nicht erwarten kann von einem*er Schüler*in, die in Deutschland das Abitur gemacht hat. Sondern ich setzte etwas voraus, was diese*r Schüler*in wahrscheinlich in einer Musikschule gelernt hat”. Wenn er die Frage stellt “Sie haben gerade das und das auf der Gitarre gespielt, welche harmonische Stufe ist das?”, sei ihm der Selektionsprozess durch das Stellen dieser Frage bewusst. “Trotzdem halte ich an so einer Frage fest, wohlwissend, dass sich nicht jede Person in Deutschland Instrumentalunterricht leisten konnte. Trotzdem halte ich an so einer Frage fest, weil ich wissen möchte, hat sich diese Person schonmal mit Musik machen beschäftigt. Und wenn sie bei uns anfängt zu studieren, wird Energie genug da sein, sich darin einzuarbeiten, weil sie hier auch Instrumentalunterricht bekommen wird”. Dabei berücksichtige man auch die moderne Art des Musikmachens in der Eignungsprüfung, beispielsweise in Bezug auf die Arbeit mit Ableton (Software für Musikproduktion).
Eine Studentin hinterfragt aber aufgrund des hohen akademischen Anspruchs das Ziel des Musikinstituts, und vermutet eine Wahrnehmungsverschiebung. “Wollen die jetzt plötzlich Musiker*innen ausbilden, die super akademisch sind, oder wollen sie eigentlich weiterausbilden, die dann in Musikvermittlung arbeiten”. Deshalb glaubt sie, müsse ein gewisser Standard erhalten bleiben, da wir an einer Universität sind, weshalb sie sich fragt, was genau der Ansatz und das Ziel der Institution sei.
Johannes Ismaiel-Wendt beschreibt dabei, dass beispielsweise der Instrumentalunterricht nicht “bei 0 ansetzen kann. Das kann eine Hochschule nicht leisten. Also wer an das Instrumentenspielen herangeführt werden möchte, müsste zur Musikschule gehen und nicht ein Universitätsstudium machen”. Demnach bildet das Musikinstitut nicht aus, sondern weiter.
Weiter geht es auch mit der Wissensvoraussetzung und dem Name-Dropping, die mit dem elitären Sein oft verknüpft wird. Meret nimmt keine Wissensvoraussetzung wahr, im Gegensatz zu Vivienne und einer weiteren Kommilitonin. Dabei stören sie unterschiedliche Faktoren.
Denn Vivienne bemerkt in ihren Literaturkursen, dass manche Dozent*innen gerne nur ihren Weg gehen. Wie sie mir weiterhin erklärt “führen Dozierende ihre Meinung und ihr Wissen aus und lassen dann das eine andere Person sprechen. Und dann reicht es auch schon zu dem Thema”. Die andere Studentin bemängelt, dass “ein paar Dozierende voll Name-Dropping“ betreiben, oder manchmal Fachbegriffe benutzen, ohne diese näher zu erläutern. Weshalb sie denkt, dass es “cool wäre, wenn Dozenten*innen Begriffe nochmal in zwei Sätzen erklären würden”, damit sichergestellt werden kann, dass alle zumindest ein grobes Verständnis von den jeweiligen Fachbegriffen haben.
Die Überforderung einiger Studierender könne Johannes Ismaiel-Wendt ganz gut nachvollziehen. Denn er denkt “wer sich in die Universität begibt, begibt sich in eine Überforderungssituation. Und kann gar nicht alles verstehen, und kann gar nicht alles wissen und kennen. Das ist ungefähr so wie ein Baby eine Sprache lernt. Das wird einfach zugeschüttet mit Worten und isoliert erstmal nur „Da“. Und so funktioniert das auch im Studium. Wir bewegen uns eigentlich in Unkenntnis, und ein Studium ist eigentlich dazu da, einige dieser Verknüpfungspfade aufzubauen. Also das Ziel kann ja gar nicht sein, dass jemand, der oder die Literatur studiert, irgendwie genau das kennt, was der Professor meint, das man heutzutage kennen muss”. Seiner Ansicht nach sei das Mehrfächer-Studium dazu da, Verknüpfungen zwischen den einzelnen Fächern herzustellen und somit einen Pfad einzugehen, “der gar nicht nach Möglichkeit existiert”.
Zum Vorwurf des Elitärsein gegenüber manchen Dozierenden hat er ebenfalls eine interessante These aufgestellt: “Ich glaube, dass Ängste Dinge oft falsch wahrnehmen lassen. Wenn ich vielleicht so einen Vortrag von einem Kollegen aus dem Literaturinstitut gehört habe, der auf extrem hohem Niveau argumentiert und spricht, dann kann ich mir vorstellen, dass wenn ich mit solchen Leuten gar nicht vertraut bin, wenn meine soziale Herkunft mich nicht mit solchen Leuten vertraut gemacht hat, dass ich die Leute voll falsch lese. Also, dass ich die als elitär lese, dass ich gar nicht wahrnehmen kann, was Anette Pehnt oder Guido Graf z. B. tun für ein anderes, erweitertes Literaturverständnis. Für mich werden die immer elitär sein, wenn ich voller Angst bin”.
Cancel Culture und Übersensibilität
Cancel Culture :
ist ein “systematischer Ausschluss oder Boykott von Personen oder Organisationen aufgrund von vorgeworfenen [moralischen, politischen] Verfehlungen, um gesellschaftlichen Druck auszuüben“.
Duden
Nimmst du an der Domäne eine Cancel Culture wahr?
Stille im Gespräch. Auf diese Frage antworteten nahezu alle der befragten Studierenden auf die gleiche Art und Weise. Die Unterhaltung verstummte. Der Denkprozess war im Gesicht geschrieben, bis leise und vorsichtig angefangen wurde, eine Antwort zu formulieren.
“Ich frage mich, ob wir hier ein bisschen zu übersensibilisiert sind und man deshalb bestimmte Meinungen nicht sagt. Da frage ich mich auch, ob man nicht dann Diskurse dementsprechend schmälert aus Angst, komisch angeguckt zu werden. Es wäre mehr Fehlerfreundlichkeit angesagt. Obwohl mir diese Situation so nie passiert ist”. (Meret)
Die Antworten auf die Frage sind unterschiedlich ausgefallen. Die Kernkritik ist jedoch nahezu bei allen identisch.
Nina hat den Eindruck, dass “eine Meinung haben dürfen manchmal ungleich verteilt“ ist. Eine Cancel Culture nehme sie am Kulturcampus definitiv nicht wahr, wohl aber gelegentlich einen “Empörungs-Hype”. “Aus einer politischen Reflektiertheit heraus Kleinigkeiten hochzustilisieren und andere Leute zu richten.“ Da kippe die politische Wachsamkeit vereinzelt in ein Messen mit zweierlei Maß, indem “für die eigene Position sehr viel Freiheit oder sehr viel Geltung beansprucht wird, die gleichzeitig anderen politischen Stimmen nicht so zugestanden wird”. Das sei aber nicht typisch Hildesheim, sondern eher eine Begleiterscheinung der woken Bewegung insgesamt.
Eine andere Studentin schätze es wert, dass versucht wird “so liebevoll miteinander umzugehen”, doch gleichzeitig bemerkt sie, wie der starke Wille “inclusive zu sein”, wieder ausgrenzend ist. Denn ihr fehle manchmal die Kommunikation untereinander, da in Seminaren teilweise Ausgrenzung statt Aufklärung stattfinde. Durch die hohe Achtung auf die politisch korrekte Ausdrucksweise, gerate oft der soziale Hintergrund der sprechenden Person in den Hintergrund. Sie hebt insbesondere die Arbeiter*innenkinder hervor, die, bevor sie an den Kulturcampus gekommen sind, beispielsweise noch nie mit der Gendersprache oder Ähnlichem in Berührung waren. Weshalb es in solchen Situationen eines freundlichen Hinweises und einer Aufklärung bedürfe, aber leider nicht immer passiere. “Dass ich auch in Seminaren sitze und das Gefühl habe, ich kann gar nicht was sagen, weil ich habe das Gefühl, wenn ich versuche es zu sagen, es dann falsch aufgegriffen werden wird, weil es falsch aufgegriffen werden will”. Die Grenzen werden ihrer Meinung nach manchmal zu schnell hochgezogen. “Auch wie Dozis schonmal gecancelt wurden, wobei man gucken muss, dass manche 60+ sind. Ihr müsst auch Menschen in ihren Kontexten betrachten, in ihrer positioning, also was sind ihre Hintergründe, wo in der Gesellschaft stehen sie. Und mir fehlt manchmal dieses Verständnis an der Domäne dafür, aus welchen Lebenssituationen oder Sinus-Milieus die Menschen kommen”.
Ihre Kommilitonin meint, dass man gelegentlich für etwas Kleines “fertiggemacht” wird, was eigentlich nicht von großer Relevanz sei. “Das ist der Versuch von sehr viel Inklusivität, die dafür sorgt, dass Leute die tatsächlich da sind, nicht inkludiert werden”. Vivienne hat keine Cancel Culture an der Domäne wahrgenommen, wenn nur aus Erzählungen, weshalb sie dazu auch keine Äußerung abgeben kann.
Bisher lässt sich aus den Aussagen zusammenfassen, dass es keine Cancel Culture in ihrem Sinne gebe. Dafür sei aber eine schnelle Empörungshaltung durchaus wahrnehmbar. Die Übersensibilität sowie die hohe Achtung auf political correctness seien dabei die möglichen Gründe für diese Haltung. Infolgedessen führe es durch den starken Willen der Inklusivität zur Exklusivität von bestimmten Personengruppen. Darüber hinaus drossele man durch die Ausgrenzung einen perspektivreichen Diskurs, weshalb man sich mehr Aufklärung und Fehlerfreundlichkeit wünsche.
Doch wer ist das “Problem”?
Ein Großteil meiner studentischen Gesprächspartner*innen haben das Gefühl, dass es eine Minderheit sei, die für die Sprechangst im Raum sorge. Eine Studierende erklärte es so, dass eine Minorität extreme Meinungen mit so viel Selbstverständlichkeit vertrete, dass es schwierig sei, diese in Frage zu stellen.
Dahingehend wurde auch in der Umfrage der Vorwurf an die Dozenten*innen geäußert, dass diese keinen Perspektivwechsel fördern. Diesem konnte aber kaum jemand in den Interviews zustimmen. Im Gegenteil beschreibt sogar jemand, dass “aus persönlicher Erfahrung Dozierende fast immer versucht haben, den Perspektivwechsel zu fördern”. Nur um die Ecken hörte man von seinen Kommilitonen*innen, wo es nicht so war. Derweil fügte sie eine interessante Anmerkung hinzu, “es ist nicht eine Gruppe an Leuten, die alles schlimm machen, aber so fühlt es sich manchmal an”. Ist also vielleicht manchmal unsere Angst, etwas zu sagen, unnötig?
Selbstinszenierung
Inszenierungen sind am Kulturcampus Alltag. Doch was ist mit der Selbstinszenierung? Denn schon in der Umfrage wurde die These geäußert, ob der woke und überaus gebildete Studierende nicht nur Teil einer Selbstinszenierung sei. Denn auch meine Interviewpartner*innen haben von einer gewissen Performance gesprochen.
Eine Studentin behauptet “Selbstinszenierung ist ein Domäne-Problem”. Doch warum? Da kommen wir auch wieder zurück zum Thema Name-Dropping und Nutzen von Fachbegriffen. In den Gesprächen erzählen mir die Studierenden, dass sie ein Gefühl haben, dass einige ihrer Kommilitonen*innen bewusst Begrifflichkeiten verwenden oder Name-Dropping betreiben, um zu zeigen “was sie für einen Begriff gelernt haben”. Die Problematik dabei erklärt Vivienne, denn, “wenn dann irgendwas erzählt wird, dann muss man sofort wissen, was sie meinen. Und ich sitz da und denke mir, ich habe gefühlt kein Wort verstanden, auch wenn du Deutsch sprichst. Ich verstehe nicht, wovon du gerade redest. Und dann wollen viele Leute auch nicht noch dazu irgendetwas erklären oder Fragen beantworten”. Dadurch wirke man auch “ein bisschen bildungselitär”. Aber auch Johannes Ismaiel-Wendt hat Ähnliches beobachtet: “Was Name-Dropping betrifft, bin ich häufiger von Studierenden schockiert als von Kollegen*innen. Sie betreiben das manchmal sehr viel heftiger. […] Und wenn mensch dann nachfragt „was meinst du eigentlich damit oder was hat die Person eigentlich dazu gesagt“ oder so, dann wird es manchmal sehr still, und dann ist das irgendwas mit Macht und Foucault. Dann fragt man nach, was genau der*diejenige damit meint, und dann bewegt sich da viel auf einem Podcast Niveau, habe ich manchmal das Gefühl, um das böse zu formulieren”.
Offensichtlich kommt die Selbstinszenierung einiger Studierender nicht so gut bei meinen Gesprächspartnern*innen an. Weshalb ich mir die Frage stelle, aus welchen Gründen diese Art von Inszenierung eigentlich zu existieren sein scheint?
Politik und Wissenschaft
Politik und Wissenschaft sind zwei Perspektiven, aus denen ein Thema idealerweise betrachtet werden sollte. Wird es zu einem Problem, wenn einer der Bereiche deutlich im Vordergrund steht? Es wurde nämlich der Vorwurf geäußert, dass viele der Seminare stark politisiert werden, wodurch der wissenschaftliche Aspekt stark in den Hintergrund gedrängt werde.
Eine Studentin stimmt dem Vorwurf zu. Sie habe dabei das Gefühl, dass so viel über die Politik geredet wird, dass man manchmal nicht mehr am ursprünglichen Thema und der Realität dran sei. Ihrer Kommilitonin mangelt es ebenfalls manchmal an der wissenschaftlichen Perspektive. Es gebe zwar “coole Dozierende, die coole wissenschaftliche Seminare anbieten”, genauso wie Studierende die daran Interesse haben. Leider erlebte sie viele Seminare, bei denen ”theoretisch das Thema wissenschaftlich gewesen wäre oder hätte sein können”, es aber lediglich zu einem Erfahrungsaustausch gekommen ist. “Was fein ist, das kann‘s geben. Gerade auch in Übungen voll gewollt”. Es nehme ihrer Ansicht nach aber Überhand, wobei sie das Gefühl habe, dass es mit der Angst vorm Hinterfragen verknüpft sei. Dabei ginge das starke politische Interesse ihrer Erfahrungen nach “eher von Studierenden” aus.
Ihr ist es bewusst, dass alle Themen, mit denen sich der Kulturcampus auseinandersetze, irgendwo eine politische Ebene besitzen. Dies könne man auch nicht außer Acht lassen “und das wollen wir auch nicht. Aber in manchen Situationen wäre es hilfreich zu unterscheiden, ob wir über das Thema, was auch immer es gerade ist, eher politisch oder eher wissenschaftlich sprechen wollen. Es gibt viele Themen, bei denen ich – und ich glaube viele an der Domäne – politisch gesehen sagen würden: „darüber können wir gar nicht sprechen, das steht gar nicht zur Debatte, das ist nicht hinterfragbar“. Aber ich glaube ganz fest daran, dass alles hinterfragbar und auch immer wieder zu hinterfragen ist – eben aus einer wissenschaftlichen Perspektive. Auch wenn wir nach der Diskussion zum gleichen Ergebnis kommen, und auch wenn wir politisch denken, dass die Frage nicht okay ist. Wir müssen das Fragen trotzdem zulassen, dafür ist der universitäre Raum da!“.
Studienabbrecher
Stimmen, die wir bisher gehört haben, sind Studentinnen von der Domäne. Auch wenn sie stellenweise Verbesserungsbedarf benannt haben, studieren sie weiterhin am Kulturcampus. Wie lautet aber die Stimme von jemandem, der das Studium abgebrochen hat? Dieser jemand ist ein ehemaliger Kulturwissenschaften Student, der nach zwei Semestern das Studium abgebrochen hat. Sein Name bleibt anonym, doch nicht der Grund für seinen Abbruch. Wie waren diese zwei Semester für ihn?
“Es ist ein ambivalentes Ding für mich gewesen, weil auf der einen Seite habe ich ganz viele Menschen kennengelernt, insbesondere unter den Studierenden, die wirklich sehr kreativ und sehr unternehmensfreudig waren. Und wirklich mal outside the box gedacht haben. So wie am Campus habe ich das noch nicht erlebt, dass diese Menschen tatsächlich versuchen, die Grenzen von dem, was sie machen, wieder und wieder zu überwinden, und wieder und wieder sich neuen Herausforderungen stellen und wieder und wieder irgendwie versuchen, neue Wege zu finden mithilfe von allen möglichen Formen der Kunst emotional Menschen zu bewegen und relevant zu bleiben. Und ich habe da viele tolle Freundschaften geschlossen sowie viele tolle Bekanntschaften gemacht. Und das hat mir total viel gegeben und das fand ich total schön.” Das sei die positive Seite des Studiums gewesen.
Leider scheint es aber für ihn auch eine große negative Seite gehabt zu haben. “Weil aufs erste und zweite Hinsehen wirkt dieser Campus so, als wäre Toleranz das Wichtigste und man wäre offen für alles und es gäbe irgendwelche ideellen Werte, im Sinne von man muss sich ausleben lassen, man muss sich zuhören, man muss aufeinander eingehen, man muss aufeinander Rücksicht nehmen. Das sind Dinge die hört man relativ viel. Aber irgendwie habe ich das Gefühl gehabt, dass diese Werte nur für bestimmte Gruppen galten, beziehungsweise hier anders gelebt wurden, als ich sie empfunden hätte”.
Ein großes Thema, wie er es selbst beschreibt, sei political correctness gewesen. Wobei ihn dasselbe stört, wie die restlichen Gesprächspartner*innen, nämlich die starke Politisierung von Thematiken. Der Fokus lag des Öfteren auf der politischen Ebene, wodurch die wissenschaftliche Ebene, wie zuvor bemängelt, in den Hintergrund rückte. “Und das fand ich für mich sehr schade”. Es seien zwar natürlich “alles wichtige Debatten, die zu führen sind”, doch er kam an die Domäne, um künstlerische Thematiken zu lernen sowie sich weiterzubilden und nicht “moralische Richtlinien” vorgetragen zu bekommen.
Dabei habe er das Gefühl, dass die Domäne versuche, ”immer auf dem neusten Stand des höchstfluiden Diskurses zu bleiben”. Die Problematik bestünde in seinen Augen darin, dass Personen, die nicht auf demselben Stand der Dinge waren, “verhätschelt” wurden. Wenn man dem nicht zugestimmt habe, hat man “halt irgendein -ismus aufgedrückt bekommt”. Zu mindestens habe er es so erlebt und mitbekommen.
Darüber hinaus bemerke er, dass “heutzutage wieder sehr gerne in Gruppen gedacht wird. Also man ist schwarz, muslimisch, jüdisch, christlich, eine Frau, eine Transperson etc.”. Dann gebe es noch die Gruppe der alten, weißen Cis-Männer. “Und ich gehörte jetzt nicht in die Kategorie alt, aber sehr wohl weißer Cis-Mann”. Infolgedessen wurde ihm mehrmals in Debatten gesagt: “Du als weißer Cis-Mann kannst dazu nichts sagen”. Theoretisch auf die Situation betrachtet, wird in dem Fall die Meinung einer Person aufgrund ihres Geschlechts und der Hautfarbe als weniger Wert wahrgenommen. “Und das fand ich irgendwie entlarvend und traurig für eine Bewegung, die eigentlich so auf Integration und Inklusion und wir-alle-gemeinsam und gegen Diskriminierung und Marginalisierung aus ist”.
Der Grundauslöser für seinen Abbruch scheint mit einem bestimmten Vorfall verknüpft zu sein, der das Fass ein bisschen zum Überlaufen brachte. Im Rahmen eines Seminars wurde er nämlich von seinem Dozenten “quasi als Rassist” betitelt. Mittlerweile ist er der Meinung, dass es ein Missverständnis gewesen sein muss und er falsch verstanden wurde, wobei keine Bemühungen unternommen “wurden, mich richtig zu verstehen, weil ich weiß, dass das, was ich gesagt habe oder das was ich sagen wollte, definitiv nicht rassistisch war und auch nicht als Rassismus intendiert war. Absolut nicht, überhaupt gar nicht”.
Zur Wahrung der Anonymität kann ich leider nicht die inhaltliche Situation beschreiben. Seinen Erzählungen nach stellte der Dozent eine Frage, woraufhin er eine Antwort abgab, die stellenweise anekdotisch gewesen sei. Dabei vermute er selbst, dass das Problem die Anekdotik in der Antwort war. Was genau jedoch rassistisch gewesen ist, weiß er bis heute nicht, da er nicht aufgeklärt wurde. “Dementsprechend wurde erwartet, dass ich es selbst sehe, was keinen Sinn ergibt, weil dann hätte ich es nicht gesagt. Ich hätte mir schon gewünscht, dass mir das erklärt worden wäre. Mir wurde keine Möglichkeit gegeben, in diesem Fall zu lernen. Wenn ich wirklich etwas Rassistisches gesagt habe, gedacht habe oder einer rassistischen Auffassung war, dann wäre das ein super Moment gewesen, mir das aufzuzeigen und mir das zu erklären. Das wurde nicht gemacht”. Der Vorfall führte dazu, dass für ihn anschließend der Aufenthalt in Kulturcampusnähe eine “enorme Drucksituation” bedeutete. “Einfach weil ich ganz viel meiner Energie darauf verwenden musste, zu gucken, dass ich niemandem auf die Füße trete”. Daraufhin entschloss er in den ersten Tagen der Semesterferien abzubrechen.
Fazit- Meine Meinung
Jetzt stellt sich nach all der Kritik und den Meinungen die Frage: Ist der Kulturcampus woke oder scheint er nur so? Nun, ich denke, das generelle Problem des Kulturcampus ist der Anspruch, divers, inklusiv und woke zu sein. Dies gelingt aber meiner Ansicht nach nicht immer, denn zum einen ist die Domäne nicht divers genug und zum anderen erzeugt dieser Anspruch automatisch Druck, der wiederum zu Ausgrenzungen führen kann. Denn wenn man zwanghaft versucht, so politisch korrekt wie möglich zu handeln und sich zu verhalten, wird es zur Priorität. Dadurch könnten andere Meinungen, die nicht dem “woke” und politisch korrekten Bild entsprechen oder davon abweichen, möglicherweise nicht akzeptiert werden. Vielleicht gibt es unbewusst die Denkweise “Wenn du nicht auf unserer Seite bist, dann bist du gegen uns”. Der Grund, vermute ich, liegt im (indirekten) Zwang, der dazu führt, dass man das Gefühl hat, beweisen zu müssen, dass man antidiskriminierend, tolerant, inklusiv usw. ist. Um also nicht als intolerant angesehen zu werden, verstummen einige Personen, um sich gar nicht erst der “Gefahr” auszusetzen. Andere folgen lieber dem Anspruch, indem sie diesen auch offen in Kursen vortragen, da es sich für sie so gehört. Dadurch treiben sie den Druck weiter und auf diese Weise entsteht ein Teufelskreis. Dies führt zu einem Ausschluss von den anwesenden Personen.
Die Kritik an den Wissensvoraussetzungen ist verständlich, jedoch glaube ich, dass das Problem generell im universitären System liegt, das von Natur aus klassistisch ist. Diese Strukturen lassen ein elitäres Verhalten zu. Im Allgemeinen passiert das meiste, was am Kulturcampus geschieht, meiner Erfahrung nach, auch an anderen Universitäten (-manchmal sogar in stärkerem Maße). Es steht jedoch nicht so stark in der Kritik, weil die anderen Universitäten nicht den Anspruch an sich selbst gesetzt haben, anders zu sein als alle anderen.
Dementsprechend finde ich den Kulturcampus im Vergleich sehr angenehm und deutlich woker als andere Unis, die ich kenne. Es ist zwar schwierig etwas an den (klassistisch-) universitären Strukturen zu ändern, aber wir können an unserem Umgang miteinander arbeiten. Deshalb auch von mir nochmal die Bitte: mehr “Fehler”-freundlichkeit und Aufklärung. Bleibt locker, einfach sein anstatt zwingen etwas zu sein.
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Oktober 2023. Internet: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/AGG/agg_gleichbehandlungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile#:~:text=(3)%20Versto%C3%9Fen%20Besch%C3%A4ftigte%20gegen%20das,Versetzung%20oder%20K%C3%BCndigung%20zu%20ergreifen. S. 10 ff. Zuletzt besucht: 07.04.2024 ↩︎
Ein Beitrag von: Jana Zimmermann, veröffentlicht am 13.05.2024