Ein soft-guide für Profs* und Studis*, wie wir gemeinsam einen angstfreien Gesprächsraum öffnen können
Wir streiten, verwerfen, theorisieren und kommen aufeinander zu: Die Uni ist voller Stimme und Gespräche, Diskussionen und Geflüster. Wir behandeln sensible Themen und binden eigene Erfahrungen mit in unser akademisches Arbeiten und unsere Forschungspositionen ein. Eine Gesprächskultur an der Universität entwickelt sich nicht nur in den Seminaren, sondern auch vom Austausch in der Cafeteria, der Bib und zwischen Tür und Angel. Aber wie können wir im Seminarraum aufeinander zugehen und Diskussionen ermöglichen, ohne einander zu kennen? Und was ist, wenn ich einen falschen Begriff benutze? Bin ich überhaupt up to date? Kurz, wie sprechen wir mit- und übereinander?
Erstmal durchatmen!
Die Universität ist ein offener Raum, indem es ums Ausprobieren geht – Sprache ist ein Träger für unsere Handlungen und somit essenziell um soziale Ungerechtigkeit aufzuzeigen und Bedürfnisse und Perspektiven zu artikulieren. Wir werden nicht von heute auf morgen in einer Kommunikationsutopie leben. Aber wir können gemeinsam daran arbeiten, Veränderung und Awareness zu fordern.
„For we have been socialized to respect fear more than our own needs for language and definition, and while we wait in silence for that final luxury of fearlessness, the weight of that silence will choke us“
Audre Lorde
Gewaltfreie Kommunikation
Nicht-verletzende Kommunikationstrategien werden gefühlt in jedem Workshop und Plenum vorausgesetzt. Aber was heißt das eigentlich in unserer alltäglichen Auseinandersetzung? Und das, ohne sich in der eigenen Sprache verunsichert zu fühlen?
Wie kann Sprache gewalt-
voll sein?
Sprache übt Macht aus und repräsentiert gesellschaftliche Strukturen, die von Rassimus, Sexismus, Kolonialismus, Klassismus und Ableismus geprägt sind. Wir integrieren also unsere Vorurteile und subjektiven Mechanismen in unsere Kommunikation und reproduzieren gewaltvolle Mechanismen. Sprache ist an Aktion geknüpft.
HOW TO gewaltfrei
- Facts, facts, facts: Keep it real
- Sei offen gegenüber den Gefühlen der Gesprächsteilnehmer*innen
- Save the drama for your mama: Kommuniziere klar deine Gefühle und Bedürfnisse
- Formuliere deine Bedürfnisse in eine Bitte/Forderung um
Was kann gewaltfrei
GFK kann uns helfen, Kritik auszuüben und dabei klar unsere eigenen Auffassungen und Bedürfnisse auszudrücken. In einem Konflikt können wir uns an Kommunikationsmuster halten, die uns helfen, aufeinander zuzugehen und unser eigenständiges Handeln zu vermitteln.
Wenn wir unserem Gegenüber versichern, dass wir die Person anerkennen und unsere Position mitteilen, schaffen wir Vertrauen und vermeiden Missverständnisse.
Best practice:
Anstatt zu sagen: „Diese Perspektive muss man gar nicht einbeziehen und ist irrelevant.“
Probier: „Mir ist noch nicht ganz klar, inwiefern diese Perspektive mit dem Thema zusammenhängt – möchtest du das nochmal ausführen?“
FEHLERFREUNDLICHKEIT
In unserer Arbeit in Seminaren stolpern wir immer wieder über unangebrachte Begriffe, Äußerungen, die diskriminierende Strukturen reproduzieren und falsch aufgefasste Inhalte. Dabei ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig unsere Fehler aufzeigen und reflektieren.
EINFACHES BEISPIEL
In deinem Kurs wird jemand mis-gendert, also mit einem falschen Pronomen oder dem Deadname angesprochen. Im Idealfall weist jemand die ausführende Person darauf hin und diese entschuldigt sich und nimmt es auf, so dass sie beim nächsten Mal die korrekte Ansprechweise benutzt.
Das ist ein Dreamcase von Fehlerfreundlichkeit. Aber meistens stolpern wir über diese Situationen und in der realen Praxis ist es gar nicht so einfach, die eigenen Fehler einzugestehen und ihnen positiv zu begegnen.
HOW TO
Zunächst einmal ist es wichtig, Dinge anzusprechen. Dabei können wir einschätzen, ob man das Gespräch dem ganzen Seminar zugänglich macht, oder lieber unter vier Augen darüber spricht. Ob es dich selber betrifft oder du für andere eintrittst: Wenn wir nicht über unsere Fehler reflektieren, bleiben wir oft stehen und die Gesprächsatmosphäre wird negativ beeinträchtigt. Das Konzept von „Fehlerfreundlichkeit“ macht den Raum auf, dass wir Fehlern positiv und proaktiv gegenüberstehen. Das bedeutet nicht, dass Dinge ohne Konsequenzen behandelt werden: Beide Parteien müssen offen für die Auseinandersetzung sein: Die Universität ist ein „Experimentierraum“. Gemeinschaftlich geben wir Positionen eine Stimme, die teilweise wenig Lobby finden und wir arbeiten an Lösungen, Utopien und Projekten.
„Ich habe mit meiner Aussage jemanden angegriffen und traue mich jetzt nicht mehr etwas zu sagen“
Die erste Reaktion ist bei vielen erstmal unangenehm und man fühlt sich „exposed“. Mirrianne Mahn, Diversitätsreferentin für Kinder- und Jugendtheater sagte neulich in einem Vortrag im Seminar zu diversitätssensiblen und diskriminierungskritischen Ansätzen für und mit Kindern und Jugendlichen:
„Als ich neulich auf einen Begriff hingewiesen wurde, den ich verwendet habe, ohne dass mir bewusst war, dass dieser Machtstrukturen begünstigte, habe ich das erstmal persönlich genommen. Ich habe ja den Fehler gemacht. Dabei ist mir klargeworden: Es geht hier nicht um mich. Es geht um die Lebensrealitäten der Personen, die einen anderen Erfahrungsraum haben und diesem Visibilität verliehen. Es ist bereichernd in einen Lernprozess zu treten und sich mit seinem Sprachverhalten auseinanderzusetzen.“
Anstatt zu scheitern machen wir also Fehler. Wir erkennen sie an und setzen sie um, so dass wir weiterkommen.
SAFE® SPACES: RAUM GEBEN, RAUM NEHMEN
Von Universitäten, Einrichtungen, Stiftungen, Kulturinstitutionnen wird über die letzten Jahre immer mehr gefordert „safe spaces“ zu werden. Dabei geht es darum, marginalisierten Personengruppen einen Raum zu ermöglichen, der Betroffene von Diskriminierung schützt, willkommen heißt und aktiv ihre Positionen einbindet.
WAS SIND SAFE® SPACES
„SafeR spaces“ ist ein politisches Konzept, welches besagt: Ein safe space, also sicherer Ort, heißt nicht unbedingt, safe space. Schutzräume sind nicht frei von Diskriminerung, nur weil sie das von sich behaupten. Also arbeiten wir gemeinsam an „safeR“ spaces, in denen wir uns aktiv mit der Frage beschäftigen, wie wir sicherere Räume einrichten können. Auch an der Uni können wir uns vernetzen und gemeinsam daran arbeiten, ein Klima aufzubauen, in dem wir nicht nur andere schützen und auffangen, sondern uns auch klar nach außen gegen diskriminierende und verfassungsfeindliche Positionen stellen.
CANCEL-DINGS?
Das meist verbreitete Argument gegen „safe spaces“ ist das Recht auf Meinungsfreiheit. Die Forderung nach dem sicheren Raum wird oft verwechselt mit einer Unterdrückung der freien Meinung und mit „cancel culture“, „sei doch nicht so sensibel“, „so woke“ und „Identitätskultur“ beantwortet. Dabei können wir für unsere Seminar- und Gesprächskultur an der Universität erstmal den Schritt gehen und uns darauf einigen, dass wir marginalisierten und unterdrückten Stimmen einen sicheren Raum bieten möchten. Meinungen werden dabei nicht gecancelled – es handelt sich um eine Abmachung, die wir treffen, so dass sich alle Beteiligten gesehen und gehört fühlen.
„Jene die von diesem System jahrhundertelang profitiert haben, müssen einen Teil ihrer Macht abgeben und unter-repräsentierte Personengruppen Raum geben.“ — Mirrianne Mahn
Ob das bedeutet, euch für Triggerwarnungen auszusprechen oder bestimmte akademische Texte kritisch zu behandeln, da sie diskriminierende Inhalte aussagen: Fordert den „safeR space“. Für euch, für unseren Austausch, für das Spielen und Träumen.
LET'S TALK ABOUT…
… viele how’s, dont’s and do’s wie wir uns an der Uni austauschen. Die Themen, die uns offen stehen sind endlos. Sprache verändert sich und man kann sich schnell überfordert fühlen. Dabei schaffen wir durch unsere Kommunikation miteinander, immer wieder neue Räume und Möglichkeiten unsere Expertise auszubauen um eine gute Seminarkultur zu schaffen. Sprache ist Macht und wenn wir diese gemeinsam definieren, fangen wir an, ein größeres Bewusstsein und Veränderung einzuleiten.
Von der Uni auf die Straßen – Streitet euch, kommt euch entgegen, vernetzt euch und bleibt im Gespräch!
Ein Beitrag von Leonie Schramm