Wir sind Hermine und Mieke und sind letztes Jahr von unseren jeweiligen Auslandsaufenthalten zurückgekommen. Losfahren und Neues erleben schön und gut – aber was passiert eigentlich nach dem Ausland? Wir hatten beide bei unserer Rückkehr Probleme damit, wieder in Hildesheim anzukommen. Also dachten wir, wir schreiben darüber.
Kurz zu uns:
Hermine war 2023 für fünf Monate in Bergen, Norwegen. Bei ihrer Rückkehr nach Hildesheim hat ihr nicht nur die Natur Norwegens gefehlt, sondern sie hat sich nach der Zeit in einer 16er WG mit viel Trubel auch plötzlich wieder sehr einsam gefühlt.
Hermine bei ihre letzten Verabschiedung, nach der drei tägigen Rückreise
Miekes Abschied von Korea (ein Abschied von vielen)
Mieke ist vor zwei Jahren nach Seoul, Südkorea geflogen und letztes Jahr wieder nach Deutschland zurückgekommen. Ihre ersten Wochen in Deutschland hat sie wie in einem Schwebezustand verbracht und sie hat regelmäßig ausgerechnet, wie spät es jetzt gerade in Seoul ist.
Im Austausch mit anderen Menschen, die von ihrem Auslandsaufenthalt zurückgekommen sind, haben wir herausgefunden, dass diese Nachwirkungen, die wir erlebt haben – Einsamkeit, emotionaler Schwebezustand, Vermissen und vieles mehr – kein Einzelfall sind. Auch dass seit knapp zehn Jahren der umstrittene Begriff Post-Erasmus Depression existiert, weist darauf hin.
Ohne Vergleiche zu Depressionen wollten wir uns hier ein Stimmungsbild machen und Kontext für unsere eigenen Erfahrungen erstellen. Deswegen haben wir eine Umfrage unter Studis gestartet und gefragt: Wo wart ihr, wie ging es euch da und wie war euer Zurückkommen? Die Umfrage findet ihr hier.
Basierend auf dieser Umfrage, Gesprächen mit einzelnen Personen, die hier mit Pseudonymen genannt werden, und unseren persönlichen Erfahrungen wollen wir in diesem Blogbeitrag verschiedene Reisewege in Richtung Heimat nachzeichnen und porträtieren. Das Zurückkommen von einem Auslandsaufenthalt erfährt lange nicht so viel Hype wie der erste Aufbruch ins Ausland, die Ankunft im alten Umfeld kann aber mindestens genauso herausfordernd sein. Deswegen stellen wir weiter unten im Text vor, wie wir und verschiedene Menschen mit diesen Herausforderungen umgegangen sind. Auch wenn es nicht die eine Antwort oder Methode für ein leichtes Wiederankommen gibt: Vielleicht findet ihr euch ja in der einen oder anderen Perspektive wieder, so wie wir es während unserer Gespräche und des Schreibens erlebt haben. Auch das kann schon guttun.
Auslandssemester in Zahlen
Laut Zusammenstellung der Daten zur Erasmus-Mobilität durch die Nationale Agentur für EU-Hochschulzusammenarbeit im DAAD sind vor allem im Nachgang der Corona-Pandemie ist die Anzahl an Studis an der Universität Hildesheim, die sich für ein Auslandssemester entschieden haben, deutlich gesunken. Aus den letzten zehn Jahren war 2021 das Jahr mit den meisten Auslandsstudierenden: 239 Menschen – mehr als zwei Drittel davon aus dem Bereich der Kunst, Kunstwissenschaften und Geisteswissenschaften.
An unserer Umfrage, die einen Einblick in die unterschiedlichen Erlebnisse verschiedener Menschen geben soll, haben 20 Menschen teilgenommen. Davon haben 18 Menschen ihr Auslandssemester in Europa verbracht, eine Person in Afrika und eine in Asien. Mit 15% (drei Menschen) war Frankreich hier das meistbesuchte Land; je zwei Leute haben sich für einen Auslandsaufenthalt in Italien, Spanien und Portugal entschieden.
Von den Umfrage-Teilnehmer:innen hatten zwei überlegt, ihr Auslandssemester aus verschiedenen Gründen abzubrechen, während 50% überlegt hatten, zu verlängern – nicht nur, weil es ihnen so gut gefallen hatte, sondern auch, weil manche einfach nicht mehr das Bedürfnis hatten, nach Hildesheim zurückzukehren.
Abschiede
Trotzdem ging es dann zurück – für die meisten ohne Verlängerung ihres Aufenthalts. Und dieses Zurückgehen begann mit dem Abschied vom Land, der Stadt und dem persönlichen Umfeld, die für viele mehrere Monate lang Alltag und Zuhause bedeutet haben.
Wie glücklich ich bin, etwas zu haben, das einen Abschied so schwer macht, sagte ja schon Winnie Pooh.
Manche Auslandsaufenthalte vergingen mit einem Wimpernschlag: Kaum hatte man sich eingelebt, war die Zeit schon vorbei. Zwischen gefühlter Surrealität und Stress erzählen Blanca und Alba, zwei unserer Interviewpartnerinnen, von sehr unterschiedlichen Erfahrungen: Blanca steckte schon tief in der Planung ihres Auslandspraktikum in Bolivien, daher waren ihre Abschiede eher gehetzt. Währenddessen musste Alba vor allem das Gefühl von Surrealität verarbeiten, als sie sich sogar die Zeit nahm, sich vom Ladenbesitzer an der Ecke zu verabschieden, mit dem sie sich gut verstanden hatte.
Vor allem der Abschied von Kontakten vor Ort fiel auch uns nicht leicht, ganz gleich, ob Kommiliton:innen, Mitbewohnis und/oder Freund:innen – denn einige dieser zufälligen Bekanntschaften hatten sich zu schönen Freundschaften entwickelt. Hermine hatte sich so daran gewöhnt, in ihrer 16-köpfigen WG immer jemanden um sich zu haben und ihr Leben mit ihren Mitbewohnis zu teilen, dass der Abschied sehr schmerzhaft für sie war. Miekes Laufgruppe hatte eine Abschiedsfeier für sie organisiert, die den Abschied für sie schwer machte. In die Wehmut mischte sich aber auch die Erleichterung, bald alte Freund:innen und Familie wiedersehen zu können.
Trotzdem kamen gerade bei den Abschieden viele Bedenken auf: Werde ich noch einmal in dieses Land zurückkommen? Wie werde ich mit meinen Freund:innen vom Auslandsaufenthalt in Kontakt bleiben? Kann ich die Beziehungen über die räumliche, kulturelle und ggf. zeitliche Distanz aufrechterhalten? Werden meine neuen Freundschaften Bestand haben, auch wenn mein Alltag sich jetzt wieder verändern wird?
Ankommen
Endlich wieder zu Hause! Endlich? Naja – auf jeden Fall: zu Hause!
Nach ihrer Rückkehr aus Frankreich fühlt sich Amelie an der Uni wie ein Ersti. In den online Kursen während Corona gab es kaum eine Gelegenheit, sich auf dem Campus zu orientieren: Wo finde ich was? Wie ist die Atmosphäre in offline Kursen? In ihrem Studiengang hat Amelie einige Freund:innen, aber die Gruppe von Leuten, mit denen sie zusammen im Ausland war, löst sich nach der Rückkehr teilweise auf. Dafür entstehen neue Freundschaften, für die es während ihres Auslandsjahres keinen Platz gab.
Alba fährt, frisch aus Italien, direkt nach Berlin für ein Praktikum. Die Ankunft in Deutschland verläuft gut (anders als bei Mieke, die mit der Deutschen Bahn direkt eine Stunde Verspätung mitbringt), aber das Verarbeiten des Auslandsaufenthalts kommt erst sehr viel später mit der Rückkehr in ihr altes Umfeld nach Hildesheim.
In unserer Umfrage gaben die meisten an, dass ihnen neben Freund*innen (75%) und Familie (60%) auch bestimmte Orte oder Tätigkeiten geholfen haben, wieder anzukommen. Die Antworten reichten vom eigenen Zimmer bis hin zum Klavierspielen. Instrumentspielen (Gitarre) war auch Miekes Mittel der Wahl, als sie nach ihrem Auslandsjahr wieder nach Hildesheim in eine neue WG gezogen ist, um sich dort einzuleben.
Für Malin war die Rückkehr nach Deutschland lange Zeit nur Gedankenspielerei. Fünf Jahre nach ihrem ersten Aufenthalt kam sie schließlich zurück: um ihren Freund wiederzusehen und einen Master in Hildesheim zu machen. Trotz der Vorfreude auf die Rückkehr fand sie ihre Ankunft auch enttäuschend: Die ganzen ersten Male, die sie in ihrem ersten Auslandsjahr in Hildesheim hatte, lassen sich nicht wiederholen. Jetzt nimmt sie Sachen anders wahr als damals als Erasmus-Studentin und organisiert ein Festival mit, das sie sechs Jahre zuvor nur besucht hatte – alles ist “auch schön, aber anders.”
Wie wird aufgearbeitet, was wird vermisst und woran wird sich erinnert?
Sogar die Regentage schienen in Bologna wunderschön, findet Alba.
Nizzas Promenadenweg zur Uni, Tanzen in Madrid, die nahen Berge oder veganer norwegischer Käse – laut unserer Umfrage vermissen 100% aller Teilnehmer:innen Dinge aus ihrem Erasmus.
Besonders gerne denkt Alba daran zurück, wie die Frau im Supermarkt schon wusste, was sie für Oliven haben möchte, weil sie immer dieselben genommen hat. (Das waren einfach die besten.) Trotzdem hat sie immer noch nicht das Gefühl, ihr Ankommen so richtig aufgearbeitet zu haben. Es fühlt sich weiterhin surreal für Alba an, dass sie fünf Monate lang in Bologna gelebt hat, jetzt aber schon so lange wieder zurück ist. Durch ihren Auslandsaufenthalt hat sie aber auch gemerkt, dass sie Hildesheim und die Menschen sehr wertschätzt. Auch wenn sie nicht für immer hier bleiben möchte, ist Alba froh, das zu haben.
Neben länderspezifischen Eigenheiten sind es vor allem Stücke des eigenen Ausland-Alltags, die fehlen. Amelie, die ein Jahr in Nizza studiert hat, vermisst neben dem guten Wetter am meisten das Ritual, sich wöchentlich mit ihren Kommiliton:innen in ihrem italienischen Stammrestaurant zu treffen und Pizza zu essen. Und Mieke fehlt neben den vielen Cafés, die bis 10 oder 11 auf hatten, auch das Laufen entlang von Flüssen und Kanälen.
Besonders am Kulturcampus ist es kein Wunder, dass viele Menschen, die sich die Zeit dafür genommen haben, ihren Aufenthalt aufzuarbeiten, das auf künstlerische Weise getan haben – Schreiben, in Gesprächen und mithilfe von Fotos. Manche sind hingegen noch gar nicht dazu gekommen vor lauter neuem Alltagsstress und Zukunftsplanung. Und auch wenn das Thema noch immer nicht oft besprochen wird: von unserer Umfrage und persönlichen Kontakten kennen wir, Hermine und Mieke, einige Menschen, die beispielsweise die Services der Psychologischen Beratungsstelle des Studentenwerks o. ä. in Anspruch genommen haben.
Ein paar letzte Worte
In diesem Beitrag sind viele verschiedene Geschichten, Perspektiven und Details zusammengekommen – von uns und von Leuten, die uns von ihrem Auslandsaufenthalt und Ankommen erzählt haben, sowie von allen, die an unserer Umfrage teilgenommen haben. Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, eure Geschichten zu teilen.
Wir hoffen, dass die eine oder andere Person sich in diesen Perspektiven und Erfahrungen wiederfinden kann. In den Kommentaren könnt ihr weitere Gedanken zu dem Thema, eure eigenen Erfahrungen und Anekdoten teilen.
Ein Beitrag von Hermine Warnatz und Mieke Karpenkiel, veröffentlicht am 23.08.2024