zum verhältnis von 
poli­ti­scher
und kultu­reller bildung

Welche gemein­samen Ziele teilen die kultu­relle und poli­ti­sche Bildung? 
Worin unter­scheiden sie sich in Bezug auf Methoden und Prin­zi­pien?
Wann wird auf der einen Seite eine künst­le­ri­sche Ausein­an­der­set­zung für die poli­ti­sche Bildung
inter­es­sant und auf der anderen Seite die poli­ti­sche Dimen­sion der kultu­rellen Bildung relevant?

Illustration aus dem Reader Grundbegriffe für kulturelle Bildung Kapitel Zum Verhältnis von kultureller & politischer Bildung

Im Dezember 2019 wurde die Bundes­aka­demie für Kultu­relle Bildung Wolfen­büttel von der Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung zur offi­zi­ellen Bildungs­trä­gerin für poli­ti­sche Bildung ernannt. Als eine Fort- und Weiter­bil­dungs­ein­rich­tung für Kunst- und Kultur­schaf­fende aus den Berei­chen Bildende Kunst, Darstel­lende Künste, Lite­ratur, Kultur­ma­nage­ment, Museum und Musik ist sie damit zunächst kein ganz gewöhn­li­cher Träger­verein für poli­ti­sche Bildung – doch ein überaus inter­es­santer: Denn dieser Fall zeigt womög­lich, so wie andere ähnliche Praxis­bei­spiele auch, dass sich aktuell eine insti­tu­tio­nelle Annä­he­rung zwischen kultu­reller und poli­ti­scher Bildung beob­achten lässt, die das Verhältnis beider Bildungs­be­reiche neu defi­nieren könnte.

Die Bundes­aka­demie für Kultu­relle Bildung Wolfen­büttel e.V. (ba•) ist eine Fort- und Weiter­bil­dungs­ein­rich­tung für alle Menschen, die inner­halb des Kultur­be­triebs arbeiten. Die Akademie verfolgt damit den Auftrag eines lebens­langen Lernens. Rund 180 Veran­stal­tungen werden jähr­lich ange­boten, darunter Semi­nare, Quali­fi­zie­rungs­reihen und Tagungen.[32] Die Entschei­dung der Aner­ken­nung durch die Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung beruht auf einer Begut­ach­tung mit Besuch des Semi­nars „Remember. Eine künst­le­ri­sche Ausein­an­der­set­zung mit Denk­mä­lern und Erin­ne­rungs­orten”, das im Oktober 2019 in der Akademie statt­fand und die Gedenk­stätte für Opfer des Natio­nal­so­zia­lismus in der JVA Wolfen­büttel besucht und foto­gra­fisch thema­ti­siert hat.[33]

Die Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung (BpB) ist eine Geschäfts­be­reichs­be­hörde des Bundes­mi­nis­te­riums des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Ihre Aufgabe besteht darin, das „Verständnis für poli­ti­sche Sach­ver­halte zu fördern, das demo­kra­ti­sche Bewusst­sein zu festigen und die Bereit­schaft zur poli­ti­schen Mitar­beit zu stärken”[34]. Dafür stellen die Bundes­zen­trale und die jewei­ligen Landes­zen­tralen für poli­ti­sche Bildung beispiels­weise Lern­ma­te­ria­lien, Reisen, Bücher, Online-Dossiers, Jugend­ma­ga­zine sowie Weiter­bil­dungs­an­ge­bote in allen Praxis­fel­dern poli­ti­scher Bildung zur Verfü­gung und fördern Veran­stal­tungen von Träger*innen poli­ti­scher Bildung durch Zuschüsse.

Mit Blick auf eine zuneh­mende Rena­tio­na­li­sie­rung in vielen Ländern unserer Welt und eines gene­rell spürbar verän­derten Mitein­an­ders zwischen Nationen, Kulturen, Reli­gionen, gesell­schaft­li­chen Gruppen und Gene­ra­tionen wird in den letzten Jahren die Forde­rung immer lauter, kultu­relle und poli­ti­sche Bildung mehr zusam­men­zu­denken: „Warum sich nicht öfter zusam­mentun, um sich gemeinsam gegen gesell­schaft­liche Auflö­sungs­er­schei­nungen in einigen Regionen des Ostens, aber nicht nur da, zu stemmen? Doch bisher verhin­dert ein, wie ich finde, kurioser Streit mehr Koope­ra­tion”[35], schrieb Olaf Zimmer­mann, Geschäfts­führer des Deut­schen Kultur­rates, im Jahr 2018. 

Denn parallel dazu, so deutet er bereits an, gibt es wiederum auch die Bemü­hungen, kultu­relle von poli­ti­scher Bildung genau aus denselben Gründen strenger abzu­grenzen und an einer insti­tu­tio­nellen Tren­nung beider Bildungs­be­reiche fest­zu­halten: „Eine demo­kra­ti­sche Gesell­schaft tut gut daran, poli­ti­sche und kultu­relle Bildung zu trennen. Denn sie braucht beide Perspek­tiven: ein klares Bekenntnis zu gemein­samen Regeln und Werten einer Gesell­schaft und Frei­räume für den Einzelnen, um eigene Haltungen zu entwi­ckeln und so gesell­schaft­liche Trans­for­ma­tion zu ermög­li­chen”[36], schrieb Susanne Keuchel, Präsi­dentin des Deut­schen Kultur­rates und Direk­torin der Akademie der Kultu­rellen Bildung des Bundes und des Landes NRW im selben Jahr.

Diese Entwick­lungen geben Anlass dazu, das Verhältnis der kultu­rellen und poli­ti­schen Bildung genauer zu untersuchen:

→ Welche gemein­samen Ziele teilen die kultu­relle und poli­ti­sche Bildung? 
→ Worin unter­scheiden sie sich in Bezug auf Methoden und Prin­zi­pien? 
→ Wann wird auf der einen Seite eine künst­le­ri­sche Ausein­an­der­set­zung für die poli­ti­sche Bildung inter­es­sant und auf der anderen Seite die poli­ti­sche Dimen­sion der kultu­rellen Bildung relevant?

Illustration aus dem Reader Grundbegriffe für kulturelle Bildung Kapitel Zum Verhältnis von kultureller & politischer Bildung

Vergleich beider bildungssparten

Die Gegen­stands­felder beider Sparten, Kultur und Politik, haben zunächst einmal gemeinsam, dass sie sich eigent­lich jegli­cher Abgren­zung entziehen und unauf­hör­lich und wesens­be­dingt inein­an­der­greifen. Kultur lässt sich niemals ausschließ­lich auf die Künste beschränken und Politik ist viel mehr als nur staat­li­ches Handeln. Beides beschäf­tigt sich mit komplexen Dimen­sionen gesell­schaft­li­cher Bezie­hungen und deren Gestal­tung, mit der Ausein­an­der­set­zung mit der Wirk­lich­keit, ihrer Inter­pre­ta­tion und einer Umgangs­form. Dennoch haben sich histo­risch betrachtet zwei verschie­dene Bildungs­tra­di­tionen mit unter­schied­li­chen Ansätzen, Zielen und Insti­tu­tionen entwi­ckelt, die in der folgenden Tabelle stich­punkt­artig gegen­über­ge­stellt werden.

Tabelle aus dem Reader Grundbegriffe für kulturelle Bildung Kapitel Zum Verhältnis von kultureller & politischer Bildung

Beutels­ba­cher konsens
als Rahmung der
poli­ti­schen bildung

Der wesent­liche Rahmen für die poli­ti­sche Bildung in Deutsch­land wird durch den soge­nannten Beutels­ba­cher Konsens bestimmt, welcher die allge­mein aner­kannten Grund­prin­zi­pien der poli­ti­schen Bildung fest­legt. Er ist das Ergebnis einer Tagung der Landes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung Baden-Würt­tem­berg im Herbst 1976 in Beutels­bach. Demnach muss sich poli­ti­sche Bildung an drei Grund­prin­zi­pien ausrichten: dem (1) Über­wäl­ti­gungs­verbot, das vorsieht,  dass Lehrende Schüler*innen nicht ihre Meinung aufzwingen oder sie – mit welchen Mitteln auch immer – über­rum­peln dürfen, sondern sie sich mit Hilfe des Unter­richts durch neutrale Aufklä­rung eine eigene Meinung bilden lassen. Damit zusam­men­hän­gend fordert das (2) Gebot der Kontro­ver­sität eine stets kontro­verse und disku­tier­bare Darstel­lung von Themen. Das (3) Prinzip der Adressat*innenorientierung soll die Adressat*innen in die Lage versetzen, eine gesell­schafts­po­li­ti­sche Situa­tion und die eigene Posi­tion darin zu analy­sieren und sich aktiv am poli­ti­schen Prozess zu beteiligen.[40]


unter­schiede und
schwie­rig­keiten bei einer zusam­men­füh­rung kultu­reller und poli­ti­scher bildung

Wie bis hierhin aufge­zeigt, sind die kultu­relle Bildung wie auch die poli­ti­sche Bildung jeweils eigen­stän­dige Bildungs­be­reiche, die über eigene Struk­turen, Tradi­tionen und Orien­tie­rungen verfügen. Zwischen diesen gibt es daher auch Unter­schiede, aus denen sich einige Vorbe­halte gegen­über einer Verbin­dung von kultu­reller und poli­ti­scher Bildung ergeben.

zweck und ziel

Der erste Aspekt, in dem die beiden Bildungs­be­reiche kolli­dieren, findet sich in der Diffe­renz zwischen der schein­baren Zweck­frei­heit der kultu­rellen Bildung und der Zweck­be­stim­mung der poli­ti­schen Bildung.[41] Die Zweck­frei­heit der kultu­rellen Bildung geht vor allem aus dem hier genutzten Medium der Künste hervor. Die Zweck­frei­heit der Kunst wird von vielen Autoren – von Kant über Rous­seau bis zu Adorno – seit Jahr­hun­derten disku­tiert. Der Slogan „l’art pour l’art“ von Théo­phile Gautier geprägt, verdeut­licht diesen Gedanken.[42] Die Zweck­frei­heit der kultu­rellen Bildung äußert sich in ihrer subjekt­ori­en­tierten Absicht, während die Absicht der poli­ti­schen Bildung gesell­schaft­lich orien­tiert ist. Dementspre­chend unter­scheiden sich auch die Ziele, die sie errei­chen wollen: Die Stär­kung des Indi­vi­duums bzw. die Subjekt­stär­kung stehen der Förde­rung poli­ti­scher Urteils- und Hand­lungs­fä­hig­keit, mit Fokus auf dem Gemein­wohl, gegenüber.[43]


werte

Ein weiterer Unter­schied besteht im Umgang mit Werten und der Werte­ver­mitt­lung. Kultu­relle Bildung geschieht durch das Befassen mit den Künsten mitten in „gesellschaftliche[n] Wert­vor­stel­lungen“[44].

„Der entschei­dende Unter­schied zur poli­ti­schen Bildung liegt in der Ziel­ge­rich­tet­heit der Werte­ver­mitt­lung. Kultu­relle Bildung und die Künste stärken einen spie­le­ri­schen Umgang mit Normen und Werten und bieten so einen Diskurs­raum für indi­vi­du­elle Aushand­lungs­pro­zesse. Der Mehr­wert liegt in dem Medium der Künste, das nicht mit ‘richtig’ oder ‘falsch’ operiert, und dadurch Frei­raum für Inno­va­tion und gesell­schaft­li­chen Wandel ermög­licht. Eine ziel­ge­rich­tete Werte­ver­mitt­lung, wie in der poli­ti­schen Bildung, würde diesen Frei­raum ad absurdum führen.“[45]  


ästhe­ti­sche erfahrung

Es gibt einen Wider­spruch zwischen dem „Sinn­li­chen“ und dem Über­wäl­ti­gungs­verbot. Das „Sinn­liche“ steht in Zusam­men­hang mit ästhe­ti­schen und künst­le­ri­schen Erfah­rungen. Diese sind Bestand­teil der kultu­rellen Bildung bzw. können im Zuge der kultu­rellen Bildung gemacht werden. Die ästhe­ti­schen Erfah­rungen der kultu­rellen Bildung kolli­dieren mit dem Über­wäl­ti­gungs­verbot der poli­ti­schen Bildung, welches aus dem schon beschrie­benen Beutels­ba­cher-Konsens hervor­geht. 

„So ist es nicht erlaubt, Schüler[*inen] im Sinne erwünschter Meinungen zu über­rum­peln und damit an der Gewin­nung eines selbst­stän­digen Urteils zu hindern. Diese Gefahr kann jedoch bestehen, wenn ästhe­ti­sche Erfah­rungen mit einer ziel­ge­rich­teten poli­ti­schen Botschaft verbunden werden. Der Natio­nal­so­zia­lismus ist ein Beleg hierfür.“[46]


mani­pu­la­tion, miss­brauch 
und instru­men­ta­li­sie­rung

Der Natio­nal­so­zia­lismus als Beispiel ist unter anderem Ausgangs­punkt für verschie­denste Bedenken, die bei einer Verbin­dung von kultu­reller und poli­ti­scher Bildung vorherr­schen. Beispiels­weise besteht die Sorge, dass Inhalte durch die Verbin­dung beider Bildungs­be­reiche mani­pu­lativ wirken könnten. Dr. Helle Becker spricht in diesem Zusam­men­hang davon, dass poli­ti­sche Bildung mit kultu­rellen Mitteln nicht als „rich­tige“ und seriöse Bildung ange­sehen wird, und „dass Inhalte eher emotional als kognitiv vermit­telt werden und dass dies mani­pu­lativ wirken könnte.“[47] 

Eng verwoben mit der Angst vor Mani­pu­la­tion gibt es die Sorge, dass die hier thema­ti­sierte Verbin­dung miss­braucht werden könnte. Es muss unter­schieden werden zwischen den Zwecken von Bildung und poli­ti­scher Ideo­logie. Denn wie die jüngere Geschichte zeigt, kann sowohl Kunst als auch kultu­relle und poli­ti­sche Bildung zu ideo­lo­gi­schen Zwecken miss­braucht werden.[48] Max Fuchs spricht in diesem Zusam­men­hang einer Instru­men­ta­li­sie­rung von einer Verbin­dung von Politik und Macht, die einer Verbin­dung von Kultur und Sinn­fragen gegen­über­steht. Politik habe auch eine andere Zeit­lich­keit, als das Kultur­system, sodass sie eher zwei getrennte Bereiche zu sein scheinen.[49]

Politik hat mit Macht zu tun, Kultur dagegen mit der Kommu­ni­ka­tion von Sinn­fragen. Politik sollte recht schnell zu Entschei­dungen kommen, die Teil­be­reiche des Kultur­sys­tems wie Kunst, Wissen­schaft oder Reli­gion brau­chen dagegen Zeit, um Argu­mente immer wieder von neuem zu über­prüfen. […] Gerade im Umgang mit den Künsten fällt dabei immer wieder der Begriff der Auto­nomie, mit dem man sich gegen jede gesell­schaft­liche (und damit auch poli­ti­sche) Nutzung wehren will. Man pflegt viel­mehr die Angst vor einer „Instru­men­ta­li­sie­rung“.”[50]

Illustration aus dem Reader Grundbegriffe für kulturelle Bildung Kapitel Zum Verhältnis von kultureller und politischer Bildung

Chancen und Poten­ziale einer Verbin­dung von kultu­reller und poli­ti­scher Bildung


Trotz der Schwie­rig­keiten und
Gefahren eines Brücken­schlags sollte man nicht außer Acht lassen, dass beide Ansätze auch Schnitt­mengen in ihren Bildungs­zielen haben und sich daher auch gegen­seitig befruchten können. Durch die Möglich­keit einer Verbin­dung können das Indi­vi­duum und die Gesell­schaft von den Wech­sel­wir­kungen profi­tieren und gestärkt werden. Im besten Falle führt dies eine Erwei­te­rung der Kompe­tenzen und des Reflek­ti­ons­ver­mö­gens mit sich.

Gemein­sam­keiten und Anforderungen

Kultu­relle wie auch poli­ti­sche Bildung beschäf­tigen sich allge­mein mit der Frage nach dem Handeln und Leben des Menschen. Sie streben gemeinsam nach Möglich­keiten und Ange­boten, die Entwick­lung und Persön­lich­keits­bil­dung des Indi­vi­duums zu fördern, sowie Kompe­tenzen zu entwi­ckeln, die auf verschie­dene Bereiche über­tragbar sind. Trotz ihrer unter­schied­li­chen Schwer­punkte und Hand­lungs­mög­lich­keiten haben beide Ausrich­tungen eine Ressourcen- und Schöp­fungs­viel­falt, um zum Wohle der Politik und Gesell­schaft zu dienen und geeig­nete Rahmen­be­din­gungen dafür zu gestalten.

Ein nennens­wertes Beispiel, das Max Fuchs aufführt, ist das „Zurück­drängen einer gras­sie­renden neoli­be­ralen Ausrich­tung in Politik und Verwal­tung, die der kultu­rellen und der poli­ti­schen Bildung nicht zuträg­lich ist“[51].

Gerade dann, wenn sich die Bereiche inhalt­lich und metho­disch nahe­kommen, ist es wichtig die Schwer­punkte klar zu diffe­ren­zieren, um keine Miss­ver­ständ­nisse zu erzeugen. „[Man] würde ja bei poli­ti­scher Bildung, die sich z.B. mit Kultur­po­litik befasst, nicht sagen, dass es sich um kultu­relle Bildung handelt. Genauso wenig ist kultu­relle Bildung, die Poli­ti­sches thema­ti­siert, auto­ma­tisch poli­ti­sche Bildung“[52] , so Dr. Helle Becker. Je besser man hier unter­scheidet, umso wirkungs­voller kann es sein, die Bereiche mitein­ander ins Verhältnis zu setzen und ihre gemein­samen Ergeb­nisse zu beurteilen.

prinzip des perspektivwechsels

Die kultu­relle Bildung bietet diverse Hand­lungs­räume, um einen Umgang mit Span­nungs­fel­dern zu erproben.[53] Die Betei­ligten werden dabei mit wech­selnden Perspek­tiven konfron­tiert, die sie zu diffe­ren­zieren lernen müssen. Damit können wich­tige Wahr­neh­mungs- und Entschei­dungs­kom­pe­tenzen erlernt werden. „Dies kann auch eine Voraus­set­zung sein, um Fremd­be­stim­mung über­haupt erst wahr­zu­nehmen, ihre Funk­ti­ons­weise zu durch­schauen und schließ­lich einen Weg zur Selbst- und Mitbe­stim­mung zu finden.“[54], erläu­tert Kirsten Witt, Grund­satz­re­fe­rentin der Bundes­ver­ei­ni­gung Kultu­relle Kinder- und Jugend­bil­dung. Beson­ders die poli­ti­sche Bildung kann von so einer Heran­ge­hens­weise profitieren.

parti­zi­pa­ti­ons­kultur und ihre adressat*innen

Wenn die kultu­relle Bildung den Anspruch der Parti­zi­pa­ti­ons­kultur mit Mitteln der sinn­li­chen und evalu­ie­renden Ausein­an­der­set­zung erfüllen kann, so stellt sich die Frage, wie auch die poli­ti­sche Bildung dieses errei­chen kann. Um poli­ti­sche Bildung möglichst inter­es­sant und rele­vant zu vermit­teln, muss sie auf die Bedin­gungen der unter­schied­li­chen Adressat*innen eingehen. „Ihre Ziele lassen sich nur reali­sieren, wenn sie einge­bettet sind in eine Parti­zi­pa­ti­ons­kultur und wenn sie mit dem gelebten Alltag und der Lebens­wirk­lich­keit der Bürger*innen […] zu tun haben“[55] , äußert sich Thomas Krüger, Präsi­dent der Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung.

Somit sollte die poli­ti­sche Bildung idea­ler­weise auf die Bedürf­nisse und Bedin­gungen der unter­schied­li­chen Adressat*innen eingehen, sie dort abholen, um sie dann in einen Raum der Teil­habe einzu­binden. Dafür bedarf es einer Ziel­gruppen- und Bedürf­nis­ana­lyse, zu dem unter anderem Sprache, Ausdrucks­weisen und kultu­rellen Praxen der unter­schied­li­chen Ziel­gruppen gehören.

Um die verschie­denen Ziel­gruppen glei­cher­maßen anzu­spre­chen und akti­vieren zu können, werden häufig kultur­päd­ago­gi­sche Ansätze und Methoden genutzt. Mit ihren Mitteln kann der Zugang zur gesell­schaft­li­chen Teil­habe eröffnet und demo­kra­ti­sche Praxis sinn­lich begreifbar gemacht werden: „Sie offe­riert Formate, um Alltags- und Lebens­fragen auf persön­liche, auch poli­ti­sche Ausdrucks­weise auf die Bühne, ins Netz oder aufs Papier zu bringen.“[56]

Eine weitere Heraus­for­de­rung besteht darin, poli­ti­sche Bildung von den tägli­chen Frei­zeit­an­ge­boten heraus­zu­heben und als Alter­na­tive attraktiv zu machen. Vor allem das Marke­ting der poli­ti­schen Bildung muss hierbei ziel­grup­pen­ori­en­tierter und ‑akti­vie­render arbeiten.[57]


viel­falt der deutungsmöglichkeiten

An dieser Stelle spricht sich Anja Besand, Profes­sorin für Didaktik der poli­ti­schen Bildung an der TU Dresden, gegen eine Eintei­lung in „Kunst via Politik“ und „Kunst mit Politik“ aus.[58] Das führe ihrer Meinung nach weit­läufig zu einer Zertei­lung der Rezipient*innen und einer Klas­si­fi­zie­rung in „gut“ und „schlecht“. Gerade in der Praxis wird deut­lich, dass viele Projekte und Künstler*innen sich nicht eindeutig der einen oder der anderen Kate­gorie zuordnen lassen. Deshalb sei es wichtig, den Deutungs­raum offen zu halten. Beson­ders in der Viel­falt der Deutungs­mög­lich­keiten liegt häufig das Poten­zial des Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raums und des daraus geschöpften Wertes.

irri­ta­tion und ereignishaftigkeit

Oft steckt das beson­dere Poten­zial von Ereig­nissen in ihren Widerständen.[59] Nicht durch Mittel wie Annahme und Enthalt­sam­keit entsteht das Vermögen zur Reflek­tion und Auto­nomie, sondern durch Kritik, Irri­ta­tion und das Wissen um die Bedin­gungen von Hand­lungs­fä­hig­keiten. In diesem Sinne ist es span­nend, mit den Wider­ständen der beiden Bildungs­sparten zu arbeiten. In der Praxis werden dazu Kontrast- und Grenz­erfah­rungen erprobt, in Form von unge­wöhn­li­chen Orten und Settings, sowie Neu-Zusam­men­stel­lungen von Themen, Mate­rial und Menschen.[60] Man spricht dabei von dem Begriff der Ereig­nis­haf­tig­keit. „Gemeint ist die Insze­nie­rung eines Ereig­nisses im Sinne einer Ausnahme vom Alltag. Ein Ereignis, das berührt, das spie­le­ri­sche und auch pola­ri­sie­rende Elemente enthält.“[61] Kultu­relle Bildung wird hierbei als Instru­ment für Unge­plantes und Über­ra­schendes genutzt. Poli­tisch bildend wirkt die Methode, wenn die Betei­ligten lernen, das Gesche­hene durch Abstand­nahme und Einord­nung zu reflektieren.

 

Gemein­sam­keiten und Anforderungen

„In Bezug auf poli­ti­sche Bildungs­pro­zesse geht es in der kultu­rellen Bildung darum, Räume zu schaffen und Erfah­rungen zu ermög­li­chen, sich Politik als gesell­schaft­li­ches Hand­lungs­feld anzu­eignen“[62], so fasst es Kirsten Witt zusammen. In diesen „Räumen“ können die Betei­ligten verschie­dene Stand­punkte erlernen, ihre eigene Posi­tion – ihre Selbst­wirk­sam­keit – dazu entwi­ckeln. Um das zu errei­chen, können die verschie­denen Prin­zi­pien und Methoden, von denen einige bereits im Vorfeld genannt wurden, einge­setzt werden.

„Projekte und Ange­bote Kultu­reller Bildung sind wie Labore mit Ernst­fall­cha­rakter – oder auch ernst­hafte Situa­tionen, die einen spie­le­risch expe­ri­men­tellen Grundton beinhalten“.[63]

In dieser Form sollen die Teil­neh­menden Zusam­men­hänge zwischen ihrer Lebens­si­tua­tion und den gesell­schaft­li­chen Bedin­gungen verstehen und zur Mitge­stal­tung ange­regt werden. Obwohl Witt in ihrem Text vor allem über Projekte mit Jugend­li­chen spricht, können solche Konzepte auf alle Alters­stufen über­tragen werden. Wichtig dabei ist, die Ange­bote an den Stärken der Teil­neh­menden auszu­richten und sie als Akteur*innen in den Prozess einzu­binden. Auf diese Weise werden die indi­vi­du­ellen schöp­fe­ri­schen Fähig­keiten und Kräfte geför­dert, sowie Begeg­nungen auf Augen­höhe geschaffen. Die Teil­neh­menden erfahren die Bedeu­tung und Wirkung ihrer Handlungen.

Gedenk­stätten und geschichts­mu­seen als beispiel

In diesen Insti­tu­tionen besteht die Aufgabe der Vermittler*innen darin, histo­ri­sche und poli­ti­sche Themen an die Besucher*innen heran­zu­tragen. Auch hierbei werden gerne Methoden der kultu­rellen Bildung zum Einsatz gebracht. Den Besucher*innen wird dabei ein Raum oder ein Mittel geben, das Vergan­gene und theo­re­tisch Aufge­fasste sinn­lich und emotional für sich (neu) zu erleben und eine Haltung zu entwickeln.

Jugend­bil­dung als beispiel

In der heutigen Jugend­ar­beit konzen­trieren sich Insti­tu­tionen und Pädagog*innen darauf, die Themen der komplexen Umwelt mit der Lebens­wirk­lich­keit und den  Inter­essen der Jugend­li­chen zu verbinden. Ziel ist es, junge Menschen zu befä­higen sich in unter­schied­li­chen Lebens­welten zu behaupten, mit komplexen globalen Zusam­men­hängen und Wider­sprü­chen konstruktiv umgehen zu lernen und ein indi­vi­du­elles Lebens­kon­zept zu entwi­ckeln.[64] „Poli­ti­sche Bildung ist in der Kultu­rellen Jugend­ar­beit weit mehr als Demo­kra­tie­er­zie­hung […]. Sie verordnet sich im Kontext von Mitbe­stim­mung, Mitge­stal­tung, Parti­zi­pa­tion und poli­ti­schen Handeln.“[65] Für die Träger bedeutet dies, ihre Praxis­for­mate nach diesen Prin­zi­pien auszurichten.

Illustration aus dem Reader Grundbegriffe für kulturelle Bildung Kapitel Zum Verhältnis von kultureller & politischer Bildung

Fazit

Keine Frage, poli­ti­sche und kultu­relle Bildung gehen von völlig verschie­denen Grund­prin­zi­pien aus, bringen unter­schied­liche Kompe­tenzen hervor und verfolgen gene­rell unter­schied­liche Ziele, die beide, für Indi­vi­duum und Gesell­schaft, wichtig und sinn­voll sind. Deshalb ist es zunächst aus fach­li­cher Perspek­tive sinn­voll die Bildungs­sparten nicht grund­sätz­lich zu vermi­schen, sondern zu unter­scheiden. Es gibt gewisse Proble­ma­tiken, die hier aufge­zeigt wurden, welche diese Unter­schei­dung unter­stützen. Dennoch wurde auch deut­lich, dass die einzelnen Bildungs­felder Möglich­keiten mitbringen, die in dem jeweils anderen Bereich posi­tive Auswir­kungen auf z.B. die Vermitt­lung haben können, ohne beide Bildungs­be­reiche inein­ander verschmelzen zu lassen. Die klare Kommu­ni­ka­tion über die verschie­denen Ebenen ist dabei wichtig. Die kultu­relle und die poli­ti­sche Bildung haben das Poten­zial sich gegen­seitig gut ergänzen und befruchten zu können – dieses muss nun von den einzelnen Insti­tu­tionen ergriffen werden. ◀

Von Julia Andreyeva, Sarah Hartke & Julia Valerie Zalewski

[32] Vgl. Bundes­aka­demie für Kultu­relle Bildung Wolfen­büttel (o.J.): “Über uns”. In: bundesakademie.de.
[33] Vgl. Bundes­aka­demie für Kultu­relle Bildung Wolfen­büttel (2019): “ba erhält Aner­ken­nung durch die Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung”. In: bundesakademie.de.
[34] Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung (o.J.): “Über uns – die bpb”. In: bpb.de.
[35] Zimmer­mann, Olaf (2018): Kultu­relle und poli­ti­sche Bildung: Mehr Mut zur Koope­ra­tion. Gesell­schaft­liche Auflö­sungs­er­schei­nungen können nur gemeinsam erfolg­reich bekämpft werden.
[36] Keuchel, Susanne (2018): Kultu­relle und poli­ti­sche Bildung? Eine histo­ri­sche und aktu­elle Veror­tung sowie ein Plädoyer für Acht­sam­keit.
[37] Ermert, Karl (2009): Was ist kultu­relle Bildung?
[38] Bundes­mi­nis­te­rium des Innern, für Bau und Heimat (o.J.): Poli­ti­sche Bildung.
[39] Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung (o.J.)
[40] Bundes­zen­trale für poli­ti­sche Bildung (o.J.): Beutels­ba­cher Konsens. In: bpb.de.
[41] Vgl. Zimmer­mann 2018
[42] Vgl. Spreng, Eber­hard (2011): “Der Verfechter der zweck­freien Kunst”. In: Deutsch­land­funk, 31.08.2011.
[43] Vgl. Keuchel 2018
[44] Ebd.
[45] Ebd.
[46] Ebd.
[47] Becker, Helle (2009): Kultu­relle und poli­ti­sche Bildung sollen sich nicht gegen­seitig kolo­nia­li­sieren.
[48] Vgl. Zimmer­mann 2018
[49] Vgl. Fuchs, Max (2018): “Gemein­sames Ziel, verschie­dene Wege? Kultu­relle und poli­ti­sche Bildung”. In: kulturrat.de.
[50] Ebd.
[51] Ebd.
[52] Becker 2009
[53] Vgl. Witt, Kirsten (2017/18): “Poli­ti­sche Bildung in der Kultu­rellen Jugend­bil­dung”. In: Kultu­relle Bildung Online.
[54] Ebd.
[55] Krüger, Thomas (2011): “Die kultu­relle Bildung als Teil poli­ti­scher Bildung. Rede von Thomas Krüger auf der Fach­ta­gung Was PISA nicht gemessen hat – Zukunfts­per­spek­tiven der kultu­rellen Bildung”. In: bpb, 04.11.2011.
[56] Wolf, Birgit (2017): “Bundes­weite Akteure der kultu­rellen Bildung: Eine Einfüh­rung in die Struk­turen”. In: Kultu­relle Bildung Online.
[57] Vgl. Krüger, Thomas 2011
[58] Vgl. Rein­hold, Katha­rina (2010): Inspi­ra­tion – Bildung begegnet Kunst in Politik, Tages­do­ku­men­ta­tion, S. 10.
[59] Vgl. Krüger, Thomas (2018): “Thomas Krüger ist neues Mitglied im Rat für Kultu­relle Bildung”. In: deutsche-bank-stiftung.de.
[60] Vgl. Witt, Kirsten 2017/18
[61] Ebd.
[62] Ebd.
[63] Ebd.
[64] Vgl. ebd.
[65] Ebd.

Ein Beitrag von Julia Andreyeva und Julia Valerie Zalewski