„Für euch geht es heute darum, in ein Berufsfeld hineinschnuppern zu können und Erfahrungen zu sammeln, die euch dabei helfen sollen ein berufliches Ziel zu entwickeln.“ Mit diesen Worten eröffnete Martina Melke-Harmgardt aus dem Gleichstellungsbüro den Boys’ und Girls’ Day in der Aula des Bühler Campus. Auch die Anker-Peers Merit und Hermine sprachen ein Willkommen und ihre Ansprechbarkeit bei Fragen zu Studienangelegenheiten aus. Nachdem sie aus dem Studierendenleben berichtet und den Unterschied von Schule und Universität dargestellt haben, wurden die Schüler*innen von den Workshopleiter*innen abgeholt.
Auf eine gespannte Mädchengruppe wartete die Design Thinking Wallet Challenge. Design Thinking ist eine kreative Methode zur Lösungsfindung und -entwicklung. Inka von Fromm und Nina Fiebig von der KET (Kompetenzwerkstatt für Entrepreneurship und Transfer) führten die Mädchen durch den Vormittag. Die Aufgabe: Ein ideales Portemonnaie zu kreieren. Normalerweise ist die Herangehensweise an Probleme – vorausgesetzt man möchte sie lösen – so schnell wie möglich eine Lösung zu finden. Beim Design Thinking hingegen wird ein Prozess mit mehreren Schritten durchlaufen, der dann zu einem Ergebnis führen soll, das auf die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer*innen ausgerichtet ist. Zunächst stand die Problemanalyse im Vordergrund: Was ist den Nutzer*innen wichtig? Was soll auf jeden Fall Bestandteil des Portemonnaies sein? Was fehlt bei dem eigenen Geldbeutel? Die Vorschläge für ein ideales Portemonnaie reichten von dem stimmenden Preis-Leistungs-Verhältnis bis hin zu komplexen IT-Bestandteilen. „Es wäre auf jeden Fall sinnvoll, einen Chip in das Portemonnaie einzubauen, um es orten zu können, wenn es geklaut wird oder verloren geht“, sagte Marlene und einige Mädchen im Raum nickten zustimmend. Nach der Problemanalyse sollte es in die Phase der Ideenfindung gehen. Dafür standen zum Basteln eines Geldbörsen-Prototypen Knete, Pfeifenputzer, Bastelpapier, Strohhalme und viele weitere Bastelutensilien zur Verfügung. „Es hat mir viel Spaß gemacht. Ich finde es toll, dass wir kreativ und in Teams arbeiten konnten“, sagte Emma, die kleine Schwester von Marlene. Die beiden Geschwister aus verschiedenen Klassenstufen konnten den Boys’ und Girls’ Day gemeinsam verbringen.
Währenddessen lernte eine Gruppe von 15 Jungen den Beruf des Übersetzers näher kennen. Warum braucht es überhaupt Übersetzer*innen, wenn es doch Maschinen gibt, die das übernehmen können? „Maschinen verstehen keine Ironie und keine Gefühle und können Kontexte, die sehr wichtig für die Übersetzung sein können, nicht durchblicken“, sagte Franziska Heidrich-Wilhelms, die mit ihren Kolleginnen aus dem Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation den Workshop durchführte. Viele der Teilnehmenden sprechen zwei Muttersprachen und interessieren sich für einen Beruf, der „etwas mit Sprache zu tun hat“. Mit dem Programm EZtitles erstellten die Teilnehmenden Untertitel für den Kurzfilm „The Present“ (2014). Nach dem ersten Schritt der Übersetzung des gesprochenen Textes aus dem Englischen ins Deutsche musste u.a. genau eingestellt werden, wann und wie lange ein Untertitel erscheinen soll. „Untertitel müssen sich dem Rhythmus des Films anpassen. Jeder Film hat unterschiedlich viele Schnitte und die Charaktere haben bestimmte Sprechgeschwindigkeiten, sodass der Prozess für jeden Film anders ist“, sagt Liliana Camacho González, wissenschaftliche Angestellte des Instituts. Zum Abschluss wurde mit dem Sitzpartner noch eine kurze Konversation in Gebärdensprache geführt. „Das war mein erster Zukunftstag und ich fand es super. Wir haben die ganze Zeit praktisch gearbeitet“, berichtet Elias, nachdem er einen Vormittag lang Übersetzer war.
Der Zukunftstag sagt ade zum Klischee
Der alljährlich stattfindende Zukunftstag richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse. Die Idee dahinter ist, dass Mädchen Berufe kennenlernen können, in denen meist Männer arbeiten und Jungen Einblicke in solche gewinnen, in denen Frauen in der Überzahl sind. Der Berufswunsch eines Individuums soll nicht von Rollenbildern beeinflusst werden, sondern aus den persönlichen Interessen und Neigungen entstehen. Nach Angabe des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V., welches den Aktionstag auf Bundesebene organisiert, haben sich geschlechtergetrennte Angebote bewährt, damit Schüler*innen Rollenklischees hinterfragen und sich offener mit persönlichen Berufswünschen jenseits gesellschaftlicher Normen auseinandersetzen. Mädchen hätten beispielsweise "unter sich" eine andere Herangehensweise an Technik, weniger Berührungsängste und würden sich mehr zutrauen.
„Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ ist das Thema des diesjährigen Zukunftstags. In Anlehnung daran konnten Mädchen heute in dem Workshop „Excel4Business“ ihre digitalen Schlüsselkompetenzen trainieren. Währenddessen haben sich andere Schülerinnen mit der Bewertung und dem Design von Apps beschäftigt oder eine eigene Start-Up-Idee gegründet. Jungen konnten heute vor Ort hinter die Kulissen des Vorlesungssaals blicken, den Beruf eines Linguisten oder Übersetzers kennenlernen oder spielerisch mit Detektiv- und Abenteuergeschichten ihre Englischkenntnisse aufbessern. Außerdem konnten sie das Online-Angebot „Die Reise des Buches in der Bibliothek“, organisiert und durchgeführt von der Universitätsbibliothek, oder einen digitalen Workshop rund um das Studium und den Beruf des Grundschullehrers mit dem Fach Sachunterricht besuchen.
„An unserer Universität kommen viele Angebote für den Girls’ Day aus dem Fachbereich drei und vier und konkret aus den Wirtschaftswissenschaften und MINT-Fächern“, berichtet Martina Melke-Harmgardt vom Gleichstellungsbüro. Sie hat den Girls’ und Boys’ Day an der Universität Hildesheim organisiert. Für Jungen gebe es regelmäßig Angebote im Bereich des Grundschullehramts und der Sprachwissenschaften.
Text: Elisabeth Schimpf