Bildungssoziologin Janna Teltemann zu Corona: Es enstehen Nachteile für Kleinkinder aus bildungsfernen Familien

Donnerstag, 16. April 2020 um 13:42 Uhr

Professorin Janna Teltemann, Bildungssoziologin an der Universität Hildesheim, hat mit vier Kolleginnen aus der Bildungsforschung eine Stellungnahme zur Leopoldina-Empfehlung initiiert, die von 43 Professorinnen gezeichnet wurde. Für kleine Kinder, deren Familien keine entsprechenden Angebote für die frühe Förderung machen können, erwachsen in der Corona-Krise Nachteile. Die Krise treffe insbesondere auch Alleinerziehende.

Die 43 Wissenschaftlerinnen reagieren damit auf die Ad‐Hoc‐Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina „Coronavirus‐Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden“ vom 13.04.2020. Die Leopoldina empfiehlt, unter bestimmten  Voraussetzungen wie einer stabil niedrigen Rate von Neuinfektionen und dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems, den Bildungsbereich insgesamt schrittweise zu öffnen.

Diese Empfehlung sei wichtig und richtig. „Allerdings kommen wir in Abwägung der Zielkonflikte in dieser Situation, die durch eine Vielfalt von Herausforderungen geprägt ist, zu einer anderen Einschätzung, was die Öffnung im Bereich der Institutionen für die jüngsten Kinder angeht. Kindertageseinrichtungen haben einen Bildungsauftrag für alle Kinder ab 0 Jahren, sie sind neben der Betreuung und Erziehung von Kindern also auch maßgeblich für Bildung verantwortlich“, heißt es in der Stellungnahme der 43 Wissenschaftlerinnen.

Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätten unbestritten größten Vorrang. In Ergänzung der Leopoldina-Stellungnahme weisen die 43 Wissenschaftlerinnen darauf hin, dass von einer monatelangen Schließung der Kindertageseinrichtungen Kinder im Alter zwischen einem und vier Jahren und ihre Familien in vielerlei Hinsicht betroffen wären. „Aus entwicklungspsychologischer Perspektive sind vor allem der Wegfall des Kontakts zu anderen Kindern und die dadurch fehlenden Möglichkeiten zum sozialen Lernen zu bedenken; aus lernpsychologischer Perspektive das Fehlen von pädagogischen Anregungen. Hieraus erwachsen vor allem für Kinder Nachteile, deren Familien keine entsprechenden Angebote machen können und für die frühe Förderung besonders wichtig ist. Viele Kinder mit geringen Deutschkenntnissen werden über mehrere Monate kaum Kontakt zu deutschsprachigen Kindern und Erwachsenen haben.“

Zudem weisen die 43 Wissenschaftlerinnen auf soziale und ökonomische Folgen hin: Frauen werden durch den verlängerten Wegfall der institutionellen Betreuung entweder von Erwerbsarbeit abgehalten oder können sich nicht mit gleicher Kraft und Konzentration ihrer Arbeit widmen, da gerade bei jungen Kindern der Betreuungsaufwand sehr groß sei. Die erhöhte psychische Belastung und die negativen Konsequenzen für die Arbeitssituation treffen insbesondere auch Alleinerziehende, „die existentiell auf institutionelle Unterstützung angewiesen“ seien.

Die Wissenschaftlerinnen schlagen vor, zu prüfen, inwieweit eine Regelung gefunden werden kann, die es zulässt, dass kleine und konstante Gruppen tageweise oder in kürzeren Betreuungsschichten die Kindertageseinrichtungen besuchen dürfen. Entscheidend sei dabei, dass die Gruppen nur aus wenigen Kindern bestehen.

Zu den Verfasserinnen des Kommentars gehören neben der Bildungssoziologin Professorin Janna Teltemann auch die Erziehungswissenschaftlerin Professorin Viola Georgi und die Theologin Professorin Maren Bienert von der Universität Hildesheim.

Kommentar von 43 Bildungswissenschaftlerinnen zur Ad‐Hoc‐Stellungnahme der Nationalen Akademie der  Wissenschaften Leopoldina „Coronavirus‐Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden“ (PDF)
https://sync.academiccloud.de/index.php/s/MBO8UMvnCSwNOZe

Blog-Beitrag des Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda
https://www.jmwiarda.de/2020/04/16/die-mahnung-der-43/


Professorin Janna Teltemann forscht und lehrt am Institut für Sozialwissenschaften in Hildesheim. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim