Kurzbeschreibung:
Jaspers, Die großen Philosophen


Karl Jaspers (1883-1969) legte im Jahr 1957 einen monumentalen Versuch vor, über die Grenze der Zeiten und Kulturen hinweg ins philosophische Gespräch mit den von ihm so genannten „großen Philosophen“ zu finden, um auf diese Weise seine Gegenwart und Zukunft philosophisch bestimmen zu können. Das Buch Die großen Philosophen schlägt einen Bogen, der für die damalige Zeit erstaunlich ist. Jaspers versuchte die zu seiner Zeit bereits unüberschaubare Fülle der philosophiegeschichtlichen Informationen zu bewältigen, indem eine philosophia perennis konzipierte, die nicht an den Grenzen Europas haltmacht. 

„Die Weltgeschichte der Philosophie ist zum erstenmal bewußt durch Hegel, heute aber ganz anders als damals zum Element gegenwärtigen Philosophierens geworden. […] Die Überlieferung der Philosophie ist für uns wie ein Meer, das nach Umfang und Tiefen unausgemessen und unausmeßbar ist. Noch nie zwar hat man wie heute enzyklopädisch so viel gewußt, noch nie hatte man so viele Texte in trefflichen Ausgaben zur Verfügung, noch nie so viele Berichte über das Gedachte, so viele Register und Nachschlagewerke, die, was man sucht, schnell bereitstellen. Diese bewunderungswürdigen Leistungen sind unentbehrlich für jede realistische Beschäftigung mit der Philosophiegeschichte. Aber sie bringen als solche die Philosophie nicht zu lebendiger Gegenwart. Eher entsteht das verwirrende Wissen einer Vielfachheit des Nebeneinander und Nacheinander oder die irreführende Vereinfachung in dogmatischen Übersichten." (Jaspers, Karl: Die großen Philosophen. München 1957, S. 7.)

„[Die Philosophen] stehen durch Probleme, Fragen und Antworten im Zusammenhang sachlicher Entwicklungsmöglichkeiten. Sie haben ihre Beziehung zu Mythus, Religion, Dichtung und Sprache. Sie zeigen eine Verwirklichung des Philosophierens in ihrer eigenen Praxis oder in den historischen Folgen ihrer Gedanken. Sie bedeuten gleichsam Inkarnationen von Mächten menschlicher Möglichkeiten, stoßen sich ab, verbünden sich, gehen gleichgültig aneinander vorüber oder beziehen sich aufeinander. Aber jene Aspekte unter historischen, sachlichen, genetischen, praktischen und kämpferischen Gesichtspunkten treten, obgleich unentbehrlich als Mittel der Auffassung, doch zurück in dem Maße, als die Philosophen selbst sichtbar werden. An ihre Zeit durch ihre Erscheinung gebunden, werden sie zeitlos objektive Gestalten, überschreiten sie den Geist ihres Zeitalters, indem sie ihn prägen. Sie können in der Folge auf alle Zeiten wirken. Sie interessieren als sie selbst und ihre Wahrheit. Jeder ist durch Werk und Wesen einzig, in einem nicht definierbaren Punkt unüberbietbar, wenn auch jeder, unterworfen dem Geschick aller Menschen, seine zu ihm gehörenden Grenzen hat. Sie sind in ihrem übergeschichtlichen Charakter wie ewige Zeitgenossen." (Ebd., S. 9f.)

„Wir wissen nur, daß der Weg zur tiefsten Vernunft in Jahrtausenden von den Philosophen beschritten wurde, und daß wir mit ihnen auf diesen Weg gelangen möchten.“ (Ebd., S. 13f. )

Schon im Jahre 1949 hatte Jaspers in seinem Buch Vom Ursprung und Ziel der Geschichte die Theorie der „Achsen-Zeit“ entwickelt. In dieser Achsen-Zeit (800 v. bis 200 n. u. Z.) sind nach Jaspers in verschiedenen geographischen Räumen unabhängig voneinander philosophische Denkbewegungen entstanden, die durch „maßgebende Menschen“ repräsentiert werden und die alle in einen großen umfassenden philosophischen Zusammenhang hineingehören. Sein Buch Die großen Philosophen beginnt daher zunächst mit einer längeren Bestimmung von „Größe“ in der Philosophie. Daran anschließend werden Sokrates, Buddha, Konfuzius und Jesus als die „maßgebenden Menschen“ vorgestellt. Als die „Fortsetzenden Gründer des Philosophierens“ kommen dann Plato, Augustinus und Kant zu Wort. Im letzten Teil finden sich unter dem Titel Aus dem Ursprung Denkende Metaphysiker Darstellungen zu Anaximander, Heraklit, Parmenides, Plotin, Anselm, Spinoza, Laotse und Nagarjuna.

An dieser Auswahl kann man gut die Gesinnung Jaspers erkennen und somit auch die Grenzen seines Entwurfs. Er versucht im Sinne eines lebendigen Philosophierens der Gegenwart die Grenzen der europäischen Philosophiegeschichte zu lockern. Dies gelingt ihm aber nur partiell, indem er vier – wenn man Jesus auch dazu zählt – fünf außereuropäische „große Denker“ einbezieht. Sein Entwurf gibt Anlass, kritisch über die Möglichkeiten und Grenzen eines „überzeitlichen“ Raumes der Vernunft im Sinne einer philosophia perennis und die Orientierung an „Großen Denkern“ nachzudenken als mögliche Grundlage für Philosophiegeschichtsschreibung in globaler Perspektive.

(Auszug aus: Elberfeld, Rolf: Philosophiegeschichtsschreibung in globaler Perspektive. Felix Meiner Verlag: Hamburg 2017. S. 289–91.)