Lerneifer wecken: Guten Morgen, Herr Lehrer!

Freitag, 11. September 2015 um 18:00 Uhr

Wenn ein Schultag beginnt, dann werden neun von zehn Grundschullehrkräfte mit „Guten Morgen, Frau…“ begrüßt. Männer: Fehlanzeige. Die Universität Hildesheim versucht, mehr Männer für den Lehrerberuf zu interessieren und Vorurteile abzubauen. Hannes Heinemann startet Anfang 2016 in den Schulalltag. Wer nicht mit voller Überzeugung dabei ist, wird von den Kindern auch nicht ernst genommen, sagt der 29-Jährige.

Für Hannes Heinemann war die Entscheidung ziemlich klar: Es soll in die Grundschule gehen. Der heute 29-Jährige hat schon vor dem Studium in das künftige Berufsfeld geschnuppert, an verschiedenen Schulen Praktika absolviert und so Unterricht mit 6- und mit 16-Jährigen beobachten können. Dafür habe er sich Zeit genommen, um „einen guten Überblick zu haben, welche Anforderungen der Lehramtsberuf mit sich bringt und wie die Arbeit ausfällt“. Während des Abiturs wusste er „noch gar nicht wirklich, wo es beruflich hingehen soll“. Ein Berufsberater, Eltern und eine Lehrerin empfahlen ihm, ein Praktikum zu absolvieren, bevor er sich für einen Studiengang entscheidet. Gesagt getan. Und Hannes Heinemann stand vor der Klasse. „Es ist ein Irrtum, wenn man als Schüler sagt: Ich weiß, wie der Lehramtsberuf abläuft. Klar hat man seine Tage bisher in der Schule verbracht – aber alles aus der Schülerperspektive erlebt“, so der Student. „Es tut gut, Schule aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.“

Der 29-jährige Lehramtsstudent hat in Vechta im Bachelor studiert und erst spät Praxiserfahrungen sammeln können. Zum Masterstudium wechselte er nach Hildesheim. „Viele Studierende stellen erst ziemlich spät fest, dass der Studiengang nicht der Optimale für sie ist, überlegen, ob sie abbrechen. Das ist ein großer Vorteil in Hildesheim, dass man im Studium auch im Schulalltag ist."

An der Universität Hildesheim gehen Lehramtsstudierende im ersten Studienjahr jeden Freitag ins Klassenzimmer (mehr zum Thema im Uni-Magazin 2015, Reportage „Willkommen im Schulalltag" ab Seite 46) und beobachten Unterricht und die Entwicklung von Kindern über einen längeren Zeitraum. Im November starten erneut etwa 500 Studienanfänger in die Schulpraktischen Studien, die erste Praxisphase.

Hannes Heinemann wurde von der Uni Hildesheim im Seminar „Gender-Training“  angesprochen, ob er im Projekt „Männer und Grundschullehramt“ mitwirken möchte. Er ist einer der wenigen Männer, neun von zehn Studierenden in seinen Seminaren seien weiblich, schätzt er. Ein Blick in die Statistik zeigt: 2015 sind von allen Bachelor-Lehramtsstudierenden 22,2 % männlich. Fünf Jahre zuvor lag die Zahl der männlichen Lehramtsstudierenden bei etwa 14 %. Im Masterstudium (Lehramt an Grundschulen) sind derzeit 15,3 % männlich, 2010 lag der Anteil bei 12,3 %.

Statt auf einer Online-Plattform sind Lehramtsstudenten live im Klassenzimmer

Im Projekt „Männer und Grundschullehramt“ – das das Gleichstellungsbüro der Universität Hildesheim seit 2010 aus frei werdenden Mitteln aus dem Professorinnenprogramm des Bundesbildungsministeriums finanziert – geht Hannes Heinemann an Gymnasien und berichtet aus dem Lehramtsstudium. Er bildet eine Brücke – zwischen Jugendlichen in der Orientierungsphase und der Universität.

Wichtig dabei: Die Schülerinnen und Schüler können Fragen stellen. Statt auf einer Online-Plattform ist Heinemann „live“ im Klassenraum, fordert das Gespräch und den Austausch ein, berichtet aus dem Studium. „Wir möchten durch diverse kleinere Projekte den Lehramtsberuf für Männer öffnen, Vielfalt an den Schulen zeigen und fördern und Vorurteilen entgegenwirken“, sagt Ilinda Bendler vom Gleichstellungsbüro der Uni. Durch die Zusammenarbeit mit Studenten sei die Hemmschwelle niedriger, Fragen zu stellen, so Bendler. „Jungen und Mädchen stellen Studentinnen und Studenten andere Fragen als älteren Uni-Beschäftigten.“

Hannes Heinemann studiert nun im vierten Mastersemester Grundschullehramt mit den Fächern Deutsch, Sachunterricht und Geschichte an der Universität Hildesheim und ist kurz vor dem Absprung in den Schulalltag. Seine Masterarbeit schreibt er zum Thema „Lehrerfeedback“. Er kann sich vorstellen, den Kontakt zur Uni zu halten, um weiterhin seine Erfahrungen an Jugendliche weiterzugeben. Im Frühjahr 2016 startet er in das Referendariat.

Das Gleichstellungsbüro arbeitet auch mit den „Anker-Peers“ der Studienberatung zusammen. Die „Anker-Peers“, das sind Studierende, die für die Beratung geschult in Schulen und Stadtteilen über den Uni-Alltag berichten und Schülerinnen und Schüler in Vorlesungen mitnehmen, um ihnen einen Einblick in das Studium zu geben. Was macht man in einem Studium wie Umweltsicherung, Übersetzen oder Wirtschaftsinformatik? Und wie läuft der Uni-Alltag eigentlich ab? Ab Oktober 2015 wird der Lehramtsstudent Maximilian Koch unter den Anker-Peers über das Thema „Männer an Grundschulen“ informieren, sagt Sonja Weber von der Zentralen Studienberatung. Mittlerweile besteht das Team aus Studierenden aus allen Fachbereichen, von den Künsten über das Lehramtsstudium bis zu den Naturwissenschaften. „Die studentischen Beraterinnen und Berater sind jederzeit erreichbar, per E-Mail und Facebook, sie bieten wöchentliche Sprechstunden und individuelle Beratungstermine an“, so Weber.

Vielfalt an den Schulen fördern und Vorurteilen entgegenwirken

In Niedersachsen sind neun von zehn Lehrkräften weiblich. Zum Stichtag 22.09.2014 waren an den allgemein bildenden Grundschulen in Niedersachsen insgesamt 20.055 Lehrkräfte – Vollzeitlehrkräfte und Teilzeitlehrkräfte mit mindestens der Hälfte der Regelstundenzahl – beschäftigt, davon rund 2.280 männliche und rund 17.780 weibliche. Der Anteil der männlichen Lehrkräfte an den Grundschulen beträgt rund 11,4 %, der Anteil der weiblichen Lehrkräfte rund 88,6 %, teilt Susanne Schrammar vom Niedersächsischen Kultusministerium mit.

Die Universität Hildesheim versucht mit Projekten wie „Männer und Grundschullehramt“ Berufsperspektiven aufzuzeigen. Statt großer Verpflichtungen können Jugendliche erst einmal „hineinschnuppern“. „Die Schüler haben erst etwas Angst, zu fragen“, so Ilinda Bendler. Beim jährlichen „Zukunftstag“ für Mädchen und Jungen erhalten die Jugendlichen daher Einblicke in Berufsfelder. Jungen nehmen unter anderem an Vorlesungen und Experimenten in Psychologie und Sachunterricht teil (Bericht vom Boys‘ Day 2015).

„Die Jungs reagieren mit Interesse, die jüngsten sind 10 Jahre alt, die älteren 16. Auch mit 17 ist man nicht unbedingt schon in der Lage zu sagen, was man werden möchte, deshalb ist eine Unterstützung in dieser Phase so wichtig“, so Bendler. Der angehende Lehrer Hannes Heinemann hat erfasst, wie Jugendliche denn auf diese Angebote reagieren. Er war selbst dabei: „Die meisten waren erstmals an der Universität, sie kamen ganz höflich und zurückhaltend in das Uni-Gebäude und in die Labore herein. Wir sind auf die Domäne Marienburg gegangen, die Schüler haben am Kurs ‚Digital Painting‘ teilgenommen – vielleicht werden sie die künftigen Kunst- oder Musiklehrer“, so der Lehramtsstudent. Alles hängt von engagierten Lehrenden ab, sagt Ilinda Bendler. „Man ist dort richtig dabei, wo die Lehrenden einen packen und motivieren. Ein ganz großer Dank an die Lehrenden und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die solche Angebote für Jugendliche machen.“

Nicht einfach, einer der wenigen angehenden Grundschullehrer zu sein

Hannes Heinemann ist in der Endphase seines Lehramtsstudiums. Im Dezember 2015 erfährt er, an welcher Schule er in das Referendariat starten wird. Blickt er zurück, dann sagt er: „Es ist nicht immer einfach, einer der wenigen angehenden Grundschullehrer zu sein. Ich merke es in meinem Studienalltag, während der Praktika. Ich bin für viele Dinge der erste Ansprechpartner, etwa wenn in Uni-Seminaren ein technisches Problem auftaucht – dann werde ich als erstes angeguckt.“ Jeder müsse lernen, solche Situationen zu nutzen, um über Vorurteile und Stereotype zu sprechen: „Nur weil ich ein Mann bin, bin ich kein Technikexperte.“

Grundschullehramt sei unter den Schülern „kein so angesehener Beruf“. Sie gehen davon aus, dass viele Frauen im Klassenzimmer sind, dass dort gebastelt wird und dass man wenig verdient, berichtet der Lehramtsstudent von seinen Erfahrungen an Schulen. Was er diesen Vorstellungen entgegensetzt?

„Mir fällt es nicht schwer, das zu entkräften“, sagt der angehende Lehrer. „Wenn man sich berufen fühlt, in der Grundschullehre tätig zu sein, dann ist es nicht wichtig, ob man ein bisschen mehr oder weniger verdient. Ich lege Jugendlichen ans Herz, ein Praktikum in mehreren Schulstufen zu machen.“ Manchmal erlebt er im Studienalltag, dass Studierende den Beruf nur wählen, weil sie „nicht wissen, was sie werden wollen“ oder „einen sicheren Job“ suchen. Er rät davon ab, eine Entscheidung auf dieser Grundlage zu treffen. Wer nicht mit voller Überzeugung dabei ist, wird von den Kindern auch nicht ernst genommen, sagt Heinemann. Schließlich müssen Lehrer begeistern können und Lerneifer bei den Kleinen wecken.

Info: Netzwerk Männer und Grundschullehramt und Gender-Trainings

Vielfalt im Lehrerzimmer: In Niedersachsen sind neun von zehn Lehrkräften weiblich. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Die Universität Hildesheim hat ein Netzwerk „Männer und Grundschullehramt – Gender und Diversität in der Grundschule“ aufgebaut. Die Plattform fördert den Austausch unter Lehrerinnen und Lehrern, Schulleitungen, Schulbehörden, Ministerien sowie Lehrenden und Studierenden an Universitäten, um langfristig auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Grundschullehramt hinzuwirken. Eine Onlineplattform wird regelmäßig aktualisiert, bietet kostenfreie Unterrichtsmaterialien und eine Praxisbörse an,  informiert über Weiterbildungsveranstaltungen und good practice-Beispiele an deutschen Universitäten.

Das Gleichstellungsbüro der Universität Hildesheim bietet seit 2010 im Projekt „Männer und Grundschullehramt“ Schnuppertage, Kooperationen mit Schulen und Berufsinformationsabende für Schüler an. Bundesweit gibt es bisher nur in Hamburg, Freiburg und Bremen ähnliche Initiativen.

Lehramtsstudenten sind am Hildesheimer Projekt beteiligt. Sie besuchen gemeinsam mit der Studienberatung Schulen und informieren über die Anforderungen und Aufgaben des Berufes. Im „Schultandem" unterrichten Oberstufenschüler eine Stunde in einer Grundschule, dabei werden sie von Studenten begleitet. Einer von ihnen ist zum Beispiel Martin Preisigke, der seine Masterarbeit über Männer in der Grundschule schrieb und Schüler des Gymnasiums Himmelsthür auf ihre erste Unterrichtsstunde in der Grundschule Moritzberg vorbereitet hat. Seit 2013 unterrichtet er an der Grundschule Cramme. Wer sich für das Thema „Männer und Grundschullehramt“ interessiert, kann sich an das Gleichstellungsbüro der Uni wenden (05121.883-92150, gleichstellungsbuero@uni-hildesheim.de).

Wie kann man im Unterricht vermeiden, Vorurteile zu verbreiten?

Lehramtsstudierende setzen sich in „Gender Trainings" zum Beispiel mit Rollenklischees in Unterrichtsmaterialen und Vielfalt im Klassenzimmer auseinander. Werden Mädchen und Jungen in Unterrichtsmaterial in verschiedenen Rollen dargestellt oder gilt zum Beispiel die Devise: Pferdebücher für Mädchen, Technik für Jungs? Die Auswahl von Unterrichtsmaterialien und Schulbüchern, die Kinder und Jugendliche in ihrer Vielfalt zeigen, statt in stereotypen Bildern, kann einen Beitrag dazu leisten, Vorurteile abzubauen. Im Seminar besprechen Studierende auch eigene Lehrbeispiele und Stundenkonzepte, um Theorie in die eigene Praxis zu übertragen. Lehramtsstudierende können auch an einem Gender-Training teilnehmen, das nächste findet am 13. und 14. November 2015 statt.

Das Training ist offen für alle Lehramtsstudierenden, die Teilnehmerzahl auf 20 begrenzt. Interessierte können sich schon jetzt einen Platz sichern indem sie sich an Charlotte Schiller vom Gleichstellungsbüro wenden (mintproj@uni-hildesheim.de).

Medienkontakt: Universität Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)

www.uni-hildesheim.de/ueber-uns/organisation/weitere-einrichtungen/gleichstellungsbuero/projekte/maennerundgrundschullehramt/veranstaltungen/gender-training-fuer-lehramtsstudierende


Egal ob Mann oder Frau: Lehrerinnen und Lehrer sollten begeistern können und Lerneifer bei den Kleinen wecken. Ein Blick in die Klassenzimmer in Niedersachsen zeigt: Etwa 11 % der Lehrenden an Grundschulen sind Männer. Im Projekt „Männer und Grundschullehramt“ – im Bild Projektmitarbeiterin Ilinda Bendler und Student Hannes Heinemann – gehen Lehramtsstudenten der Uni Hildesheim seit fünf Jahren an Schulen, um über den Lehrerberuf zu informieren. Pferdebücher für Mädchen, Technik für Jungs? Lehramtsstudierende in Hildesheim befassen sich auch mit Fragen wie: Wie kann man im Unterricht vermeiden, Vorurteile zu verbreiten? Für das nächste Seminar im November können sich Lehramtsstudierende aller Fächer noch anmelden. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Egal ob Mann oder Frau: Lehrerinnen und Lehrer sollten begeistern können und Lerneifer bei den Kleinen wecken. Ein Blick in die Klassenzimmer in Niedersachsen zeigt: Etwa 11 % der Lehrenden an Grundschulen sind Männer. Im Projekt „Männer und Grundschullehramt“ – im Bild Projektmitarbeiterin Ilinda Bendler und Student Hannes Heinemann – gehen Lehramtsstudenten der Uni Hildesheim seit fünf Jahren an Schulen, um über den Lehrerberuf zu informieren. Pferdebücher für Mädchen, Technik für Jungs? Lehramtsstudierende in Hildesheim befassen sich auch mit Fragen wie: Wie kann man im Unterricht vermeiden, Vorurteile zu verbreiten? Für das nächste Seminar im November können sich Lehramtsstudierende aller Fächer noch anmelden. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim