Präsidentin May-Britt Kallenrode im Interview / Video-Ansprache zum Sommersemester

samedi, 10. avril 2021 um 06:30 Uhr

Das Sommersemester 2021 ist ein digitales Semester. Im Interview und in einer Video-Ansprache spricht die Präsidentin über die Forschungsstärke der Universität Hildesheim, das Sommersemester und ihren Wunsch, in Zukunft auch mal in der Mensa-Schlange mit Studierenden zu reden.

Interview mit Präsidentin May-Britt Kallenrode

Seit ihrem Amtsantritt als Präsidentin hat Prof. Dr. May-Britt Kallenrode zahlreiche Gespräche mit Studierenden, Lehrenden und Wissenschaftler*innen geführt. In Zeiten der COVID-19-Pandemie möchte die Physikerin Studierenden ein Grundvertrauen in die Zukunft vermitteln. Das Sommersemester 2021 ist ein digitales Semester. Im Interview spricht die Präsidentin über die Forschungsstärke der Universität Hildesheim und ihren Wunsch, in Zukunft auch mal in der Mensa-Schlange mit Studierenden zu reden.

Das Interview führten die Studentin Elisabeth Schimpf, Mitglied des studentischen Redaktionsteams, und Isa Lange Anfang April 2021.

Frau Kallenrode, eine Universität lernt man im Laufe der Zeit kennen. Sie sind nun seit 100 Tagen im Amt. Sie haben das Amt der Präsidentin in Zeiten der COVID-19-Pandemie begonnen. Was bewegt Sie besonders?

Präsidentin: Mich bewegt, wie wir die Universität gestalten können in all ihren Facetten – trotz der COVID-19-Pandemie. Corona darf nicht beherrschend sein. Die Universität hat sehr viel in der Pandemie gelernt. Nach zwei Semestern Erfahrung in der digitalen Lehre lautet meine Bitte an die Forschenden und Lehrenden: Nutzen Sie zu Beginn des Sommersemesters die ersten Lehrveranstaltungen, um gemeinsam mit den Studierenden zu diskutieren, wie wir gemeinsam das digitale Semester gestalten, besprechen Sie, wie es laufen soll. Sind zum Beispiel mehr Zeiten für Austausch möglich, separate kleinere Breakout-Rooms? Ich glaube, die Uni wird unglaublich kreativ mit den Bedingungen der Pandemie umgehen. Zu Beginn der Pandemie war unser Universitätsalltag von viel Unsicherheit bestimmt.

Für das Sommersemester gibt es zwar leider kein Zurück zur Präsenz aber zumindest Klarheit und Planungssicherheit: Das Sommersemester 2021 wird ein digitales Semester. Einige wenige Lehrveranstaltungen werden in Präsenz stattfinden, wo es notwendig ist. Wenn zum Ende des Semesters mehr Öffnung und Präsenz möglich sein sollte, werden wir kreative verantwortungsvolle Wege gehen.

Video-Ansprache der Präsidentin Prof. Dr. May-Britt Kallenrode zum Sommersemester 2021

„Grundvertrauen in die Zukunft vermitteln“

Gemeinsam mit Mitgliedern der Universität Hildesheim haben Sie sich in Ihren ersten Amtswochen mit der Potentialanalyse der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen (WKN) befasst und Potentialfelder strukturiert. Als Grundlage dienten die Entwicklungsplanungen MINERVA 2020 und MINERVA 2025. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit in der kurzen Zeitspanne gestaltet?

Präsidentin: Im Auftrag des Niedersächsischen Wissenschaftsministeriums führt die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen eine Potentialanalyse des niedersächsischen Wissenschaftssystems durch. Die Erarbeitung des Dokuments der Universität Hildesheim habe ich aus mehreren Gründen als Chance erlebt: Trotz der laufenden Pandemie haben wir die Potentialanalyse bearbeitet.

In den kommenden Monaten und Jahren bauen wir auf diesem Prozess auf und setzen die Diskussion in der Universität fort. Mit dem Ziel,  die vielfältigen Verbindungen im Forschungsprofil der Universität sichtbar zu machen. Dazu wünsche ich mir eine breite Beteiligung und hoffe, dass wir trotz der Pandemie geeignete Formate dafür finden. Die Universität Hildesheim ist eine forschungsstarke Profiluniversität, deren Forschungsleistung ganz wesentlich auf transdisziplinärer Zusammenarbeit beruht – das müssen wir noch viel deutlicher herausarbeiten.

Die Universität Hildesheim ist forschungsstark und befindet sich auf dem Weg zur DFG-Mitgliedschaft. Was bedeutet dies? Welche Chancen entstehen?

Präsidentin: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist die größte Forschungsförderorganisation und der größte Drittmittelgeber in der Bundesrepublik mit einer jährlichen Bewilligungssumme von über 3 Milliarden Euro. Die DFG steht für die forschungsbezogene Selbstorganisation der Wissenschaft  – daher sollte die Universität Hildesheim künftig als Mitglied zur DFG gehören. Wir bereiten die Antragstellung dafür vor und werden als Universität gemeinsam noch einige Arbeit auf diesem Weg erledigen. Die DFG-Mitgliedschaft ist eines der wichtigen Ziele meiner Amtszeit. Sie ist ein auch nach außen sichtbarer Nachweis der Forschungsstärke mit dessen Hilfe wir unsere Position im Hochschulssystem wesentlich klarer markieren können.

„Der Auftrag der Universität ist Forschung, Lehre und Transfer“

Kommen wir zum Thema Transfer: Welchen Auftrag hat die Universität mit und in der Gesellschaft? Wie nimmt die Gesellschaft an der Universität teil?

Präsidentin: Der Auftrag der Universität ist Forschung, Lehre und Transfer. Wir haben unterschiedliche Auftragsebenen: Die Fachkräftesicherung, die wir leisten, ist fundamental. Mit ihrem Ursprung in der Lehrerbildung nimmt die Universität Hildesheim für die Sicherung der Lehrkräfte im Bundesland Niedersachsen eine entscheidende Rolle ein. Fachkräfte bildet die Universität von der Kulturwissenschaft bis zur Informatik in Hildesheim aus. Transfer ist außerdem Teil der Forschung.

Die Universität Hildesheim erbringt wichtige Leistungen für das Land und die Gesellschaft, denken Sie an die aktuellen Studien der Hildesheimer Jugendforschung zur Lage von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie oder die Forschung am Zentrum für Bildungsintegration – Diversity und Demokratie in Migrationsgesellschaften zum Abbau von Bildungsungleichheiten. Das ist auch ein Vorteil einer vergleichsweise kleineren Universität: Wir können flexibel auf aktuelle Fragen aus der Gesellschaft reagieren. Das Zusammenwirken mit der Bürgergesellschaft zeigt sich in vielen Fachvorträgen, in denen Bürger:innen mit Wissenschaftler:innen zusammenkommen. Das Green Office befördert Nachhaltigkeit und neue Mobilitätskonzepte, Studierende wirken im Rahmen des „Service Learning“ in die Stadt hinein. Das kulturelle Spektrum der Stadt Hildesheim wird durch die Kulturwissenschaften bereichert.

Wie ist es eine Universität in der COVID-19-Pandemie zu leiten, ohne den Studierenden zu begegnen?

Präsidentin: Die leere Uni ist etwas, das irritiert. Studierenden bin ich gleichwohl begegnet: Die Studierendenvertretungen in Senat und Stiftungsrat, sowie Mitglieder von StuPa und AStA haben sich sehr bemüht und Treffen in Kleingruppen ermöglicht, natürlich unter den Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen. So konnten wir uns schon austauschen über eine Vielzahl von Fragen rund um das Studium, aber auch über Themen, die über das Studium weit hinaus gehen:  Etwa über Diskriminierungserfahrungen, Bildungsintegration, Nachhaltigkeit oder Klimaschutz. Natürlich nicht abschließend, diese Diskussionen möchte ich sehr gern fortsetzen.

Was fehlt sind die informellen Kontakte mit Studierenden und Lehrenden – es fehlt, dass man in der Schlange in der Uni-Mensa steht und mal die Präsidentin anquatschen kann. Zum Beispiel würde ich auch sehr gern als Gast an einer StuPa-Sitzung teilnehmen,  solche Termine sind in der Pandemie leider derzeit kaum realisierbar.

Ich studiere im 4. Semester, im April starte ich in das dritte digitale Semester. Was denken Sie, bewegt die Studierenden der Universität Hildesheim gerade am meisten?

Präsidentin: Was die Studierenden bewegt, ist vermutlich genauso divers wie das, was die Gesellschaft im Allgemeinen bewegt. Über einige der o. g. Themen haben wir ja bereits sprechen können. Was für Ihre Generation das vermutlich Ungewohnteste ist, ist die Unsicherheit, das nicht Planbare. Sie haben mit Zielen und Studienplänen angefangen, die sich jetzt nicht in der ursprünglich angedachten Form realisieren lassen. Die Situation in der COVID-19-Pandemie ist leider so, aber bitte stecken Sie den Kopf nicht in den Sand.

Wir – die Universität und die Politik – haben die Aufgabe, besser zu erläutern, dass der Fachkräftemangel auch nach der Pandemie das größte Hemmnis für die Wirtschaft sein wird. Sie und Ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen haben vielleicht einiges aus dem Curriculum nicht gelernt, aber sie haben so viel gelernt, sind sehr gut ausgebildet, die Arbeitgeber warten auf Sie. Sie haben in der Pandemie Neues jenseits des Curriculums gelernt, etwa Selbstwirksamkeit erfahren und Ihren Arbeitsstil neu organisiert. Die Gesellschaft wird einen Weg aus der Pandemie finden und aus den Erfahrungen der Pandemie lernen. Mein Wunsch ist, dass wir Ihnen, den Studierenden, mehr Grundvertrauen in die Zukunft vermitteln.

Auf jeden Fall – ich habe im Studium während der digitalen Seminare viel gelernt, zum Beispiel, wie man sich in Webkonferenzen sinnvoll organisiert. Sie sagten, der informelle Austausch auf dem Campus fehlt Ihnen derzeit. Wie wichtig ist Ihnen der Meinungsaustausch auf Augenhöhe mit den Studierenden? Wie wollen Sie in Zukunft den Austausch zwischen Ihnen und den Studierenden fördern?

Präsidentin: Den informellen Austausch kann ich nur anbieten – ich signalisiere Ansprechbarkeit. Den formalen Austausch organisieren wir durch regelmäßige Termine zum Beispiel mit den Mitgliedern der Studierendenvertretung. Ich möchte ein vertrauensvolles Verhältnis mit der studentischen Vertretung aufbauen. Eine weitere Chance sehe ich darin, einen „Dies Academicus“ zu gestalten, einen Tag, an dem wir uns gemeinsam mit einem Thema intensiv auseinandersetzen, auch gerne mit einem öffentlichen Part und externen Gästen. Mein Hauptwunsch an die Mitglieder der Universität ist: Sagen Sie mir, wenn etwas unrund läuft. Sagen Sie es mir rechtzeitig, das ist meine Bitte an Sie.

„Was in meinem Büro nicht fehlen darf, sind Bleistifte.“

Was sind Ihre Aufgaben als Präsidentin der Universität Hildesheim, und wie nehmen Sie die Aufgaben corona-bedingt wahr? Womit befassen Sie sich den Tag über am meisten?

Präsidentin: Womit ich mich am meisten befasse, ist, die Universität am Laufen zu halten – das ist hauptsächlich viel bürokratischer Kleinkram, viele Gespräche und natürlich auch die Gremienarbeit. Zudem befasse ich mich mit der großen Aufgabe, wo die Universität Hildesheim in zehn Jahren sinnvollerweise stehen könnte. Antworten auf diese Frage finde ich natürlich nicht allein, sondern durch Diskurse, in die ich eine möglichst große Anzahl von Mitgliedern und Angehörigen der Universität einbinden möchte.  Es wäre natürlich aktuell ohne Corona einfacher, dazu in größeren Runden zusammenzuarbeiten und Begegnungen zu initiieren, aber die Pandemie bremst uns nicht aus. Ein weiterer Teil meiner Arbeit ist die Außenvertretung der Universität gegenüber der Politik und den Ministerien sowie der Austausch mit der Stadtgesellschaft. Pandemiebedingt gibt es in den Begegnungen mit der Stadt großen Nachholbedarf – ich freue mich auf den Austausch.

Wie würden Sie Ihre heutige Arbeitsstelle in fünf Wörtern beschreiben?

Präsidentin: Eine Wundertüte – immer etwas Neues.

Wie ist Ihr Büro eingerichtet? Was darf in Ihrem Büro nicht fehlen?

Präsidentin: Mein Büro ist sehr funktional eingerichtet, mit einem großen Besprechungstisch, einem Schreibtisch und Stauraum. Ich habe eine Vorliebe für Schwarz-Weiß Fotografie, wie man in meinem Büro erahnen kann. Was nicht fehlen darf: Bleistifte! (lacht) Ich merke schon, wenn ich Ihnen das jetzt mitteile, bekomme ich wahrscheinlich mit der Zeit eine Bleistiftsammlung.

„Die Universität steht vor der Herausforderung, wie Gemeinschaft funktioniert, wenn durch Digitalisierung die räumlichen Abstände immer größer werden.“

Was planen Sie gemeinsam mit dem Präsidium für die Entwicklung der Universität? Wo sehen Sie die Hochschule in zehn Jahren?

Präsidentin: Eine der ganz wichtigen Aufgaben ist unser Weg in die Mitgliedschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Hier müssen wir als forschungsstarke Universität viele Aspekte genau reflektieren und gegebenenfalls nachjustieren: Wie betreiben wir zum Beispiel Forschungsförderung, wie organisieren wir die Nachwuchsförderung und wie berücksichtigen wir Gleichstellungsfragen? Ich möchte auch zu mehr Forschung in größeren Forschungsverbünden anregen und zu Kooperationen ermutigen, die bestenfalls in entsprechenden Anträgen münden.

In der baulichen Entwicklung stehen spannende Überlegungen bevor: Wie wird die Universität nach Corona funktionieren und was bedeutet dies für die räumliche Organisation von Forschung, Lehre und Arbeitsorganisation? Brauchen wir zum Beispiel mehr Räume für kleinere Gruppenarbeiten? Wir sollten uns hier mit den Lehren der Pandemie auseinandersetzen und Zeichen setzen. Bestimmte Bereiche der Wissensvermittlungen funktionieren digital sehr gut.. Die Universität steht vor der Herausforderung, für sich eine Antwort auf die Frage zu finden, wie Hochschule als Gemeinschaft funktioniert, wenn durch zunehmende Digitalisierung die räumlichen Abstände immer größer werden und persönliche Begegnungen seltener. Wie pflegen wir Verbundenheit? Wie verändert sich Lehr-Lern-Verhalten? All dies gilt es gemeinsam zu hinterfragen, hier wird die Universität in den Austausch kommen und sich positionieren.

„Mit Neugierde an Aufgaben herangehen“

Gab es schon erste Enttäuschungen in Ihren ersten Amtstagen? Dinge, die nicht geklappt haben, oder die Sie sich anders vorgestellt haben?

Präsidentin: Da ich neu an die Universität Hildesheim gekommen bin, gab es keine Erwartungen, die hätten enttäuscht werden können. Eine Uni ist in einem Biotop gewachsen, mit ihr bestimmte Strukturen und Prozesse. Das Wichtigste ist, offen genug zu sein und wahrzunehmen, was die Universität treibt, was sie zusammenhält und die Universität gemeinsam weiterzuentwickeln. Es gibt viele Modelle, wie mögliche Zukünfte sein können. Haben Sie denn als Studentin, als Sie an die Uni Hildesheim kamen, Enttäuschungen erlebt?

Stimmt, es ist so eine neue Situation, in der ich nicht besondere Erwartungen hatte, die enttäuscht werden könnten. Ich habe, als ich mein Studium in Hildesheim aufgenommen habe, diesen besonderen Ort nicht erwartet. Ich studiere am Kulturcampus Domäne Marienburg…

Präsidentin: …auf einer ehemaligen Wasserburg! Damit rechnet man nicht, wenn man sich an einer Uni bewirbt. Das Wichtige ist, mit Neugierde an die Aufgaben heranzugehen und zu schauen, was kommt. Wie haben Sie denn das digitale Studium bisher erlebt?

Ich studiere an der Universität Philosophie-Künste-Medien nun im 4. Semester.  Drei Semester habe ich dann digital studiert. Die digitale Lehre funktioniert immer besser, ich kann zum Beispiel in einer Vorlesung zurückspulen und mir Wissensinhalte noch einmal anhören, das klappt gut. Aber philosophieren kann man digital nicht ersetzen, das funktioniert nicht. Wie haben Sie Ihre eigene Studienzeit erlebt? Was konnten Sie aus dieser Zeit für sich mitnehmen?

Präsidentin: Meine eigene Studienzeit in Kiel war geprägt vom Überlaufen der Universitäten durch die geburtenstarken Jahrgänge und der damit verbundenen beschleunigten Entwicklung hin zur „Massenuniversität“. Immer wieder habe ich sehr gute Förderung durch Lehrende erlebt. Im ersten Semester habe ich gelernt: Physik hast du verstanden, wenn du einen Sachverhalt deinen Großeltern erklären kannst. Das habe ich mir als Motto mitgenommen, nicht nur für die Physik. Im Studium habe ich aber auch Frust aufgrund harter formaler Voraussetzungen und manche Durststrecken erlebt: Will ich das wirklich weiter studieren? Dann hat sich immer wieder mein Interesse an Physik durchgesetzt, das half, auch solche Phasen zu bewältigen.

Frau Kallenrode, vielen Dank für Ihre Zeit und das freundliche Gespräch!


Universitätspräsidentin May-Britt Kallenrode. Foto: Daniel Kunzfeld