Zahlentheorie: „Und dann kommt die Idee ganz plötzlich“

lundi, 28. août 2017 um 18:54 Uhr

Aus der Forschung: Am Ende hilft oft Zeit, um die Dinge vollständig zu verstehen. Im Interview spricht der Mathematiker Jan-Hendrik de Wiljes über seine Doktorarbeit, die Anwendung mathematischer Theorien und die Förderung des mathematischen Denkens in Grundschulen.

Wer Jan-Hendrik de Wiljes zuhört, entdeckt, wie faszinierend mathematisches Denken ist. Da sind zum Beispiel die Primzahlen, von denen der Wissenschaftler mit Begeisterung berichtet. „Primzahlen sind die Bausteine der natürlichen Zahlen". Eine Zahl ist eine Primzahl, wenn man sie nur durch sich selbst und durch 1 teilen kann. Beispielsweise die 2, die 3, die 5, die 7, die 11. Eine ungelöste Frage ist zum Beispiel das Primzahlzwillingsproblem. Gibt es unendlich viele Paare von Primzahlen, die sich nur um 2 unterscheiden, fragt de Wiljes – und nennt Paare wie 3 und 5, 11 und 13, 59 und 61.

Primzahlen sind aber nicht nur von theoretischem Interesse, sondern haben im letzten Jahrhundert in der Kryptographie unerwartet praktischen Nutzen erfahren. „Wie kann man Daten im Internet sicher übertragen? Daten müssen zum Beispiel beim Online-Banking oder beim Austausch von E-Mail-Nachrichten sicher sein. Bekannt ist das RSA-Verfahren, welches auf folgendem Prinzip basiert: Zwei Primzahlen, etwa 11 und 13, kann man leicht multiplizieren – 143. Diese 143 aber dann wieder aufzuteilen ist weitaus schwieriger, das zurückzuverfolgen dauert länger", erläutert der Mathematiker.

Stift und Papier gehören zum Alltag des Wissenschaftlers.  „Ich fange an, probiere aus, suche Prinzipien. Dann führe ich viele Gespräche, es ist wichtig in Kolloquien zusammenzukommen und Ideen unter Fachleuten zu präsentieren." De Wiljes gehört zu einem Team um Professor Jürgen Sander, das regelmäßig Expertinnen und Experten aus der Zahlentheorie an einen Tisch holt, um sich über gelöste und ungelöste mathematische Probleme auszutauschen.

Interview mit dem Zahlentheoretiker Jan-Hendrik de Wiljes

Wie heißt Ihre Doktorarbeit?

Meine Doktorarbeit trägt den Titel „Über maximale Mengen, die keine k+1 Zahlen mit größtem gemeinsamen Teiler ungleich 1 enthalten“.

Was untersuchen Sie in der Forschung?

Ich untersuche die Cliquenzahl in speziellen Hypergraphen – das ist eine graphentheoretische Interpretation des Themas. Man kann das Problem wie folgt verständlich machen: Unter den ersten 20 natürlichen Zahlen suche ich möglichst viele, so dass jede Primzahl höchstens zwei (das entspricht dem k) dieser Zahlen teilt, das wären etwa {1,2,3,4,5,7,9,11,13,17,19}. Jetzt kann man sich natürlich dieselbe Frage stellen, wenn nicht die ersten 20 natürlichen Zahlen, sondern die ersten n natürlichen Zahlen (wobei n eine beliebige natürliche Zahl ist) betrachtet werden. Andererseits kann man auch das k ändern (also kann man fordern, dass jede Primzahl höchstens drei oder vier – oder eben mehr – Zahlen der Menge teilt). Solche Fragen und noch viele weitere – unter anderem unter Betrachtung „verallgemeinerter natürlicher Zahlen“ – untersuche ich.

Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?

Ganz erstaunlich ist, dass solche maximalen Mengen ab einem genügend großen n (in Abhängigkeit von k) keine Elemente mit mehr als drei Primteilern enthalten (und im Fall von genau drei Primteilern, muss einer dieser Teiler 2 oder 3 sein).

Warum ist Ihre Forschung keine Zeitverschwendung – warum ist Ihre Forschung wichtig?

Das ist eine gute Frage. Erstens ist es ein sehr interessantes Problem. Es gibt viele ähnliche von dem berühmten Paul Erdös untersuchte Fragestellungen, insbesondere die graphentheoretische Interpretation enthält einen Spezialfall, über den Erdös selbst geforscht hat, den sogenannten Coprime Graph of Integers. In der Mathematik geht es nicht zwingend immer um den Nutzen für den Alltag, aber es ist ein Anliegen der Zahlentheorie, die Verteilung der Primzahlen zu verstehen.

Mit der Kryptographie gibt es ein klassisches Anwendungsgebiet, das Resultate aus der Zahlentheorie verwendet, die deutlich früher und ohne jeden Wunsch der Anwendung gefunden wurden. Insofern ist nicht auszuschließen, dass die Ergebnisse meiner Arbeit irgendwann auch eine Anwendung in der „realen Welt“ finden.

Und wie lange dauert Ihre Forschung?

Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal denke ich über ein Problem lange nach – häufig mit vielen Ansätzen, die dann in Sackgassen führen – und lasse es ruhen und dann kommt mir die richtige Idee ganz plötzlich, beispielsweise unter der Dusche. Andere Probleme lassen sich nur durch das Erstellen vieler Beispiele genauer verstehen und lösen, dann ist durchaus einiges an Programmieraufwand und systematischen Ausprobieren gefragt. Am Ende hilft aber oft Zeit – gelegentlich ohne direkte Beschäftigung mit den Fragestellungen –, um die Dinge vollständig zu durchdringen.

Welche Verantwortung tragen Sie als Wissenschaftler?

Um ehrlich zu sein, in meinem Gebiet nicht so furchtbar viel. Es ist lediglich wichtig, dass die Beweise korrekt sind, damit spätere Forschung auf einem sicheren Fundament betrieben werden kann. Deutlich verantwortungsvollere Aufgaben habe ich meiner Meinung nach in der Ausbildung von angehenden Lehrerinnen und Lehrern an der Universität Hildesheim. Der Einfluss auf zukünftige Generationen durch die Ausbildung von (hauptsächlich) Grundschullehrkräften kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Da denke ich natürlich auch als Vater von zwei KiTa-Kindern an mathematische Bildung.

Nun sind Sie fertig mit Ihrer Promotion an der Universität in Hildesheim und tragen den „Doktortitel“ – haben Sie Sorge, wie es nun beruflich weitergeht?

Nicht wirklich, mit Mathematik findet man (fast) immer sehr interessante Aufgaben und es gibt (fast) überall Bedarf. Es geht eher darum, den passenden Bereich zu finden, der einem Spaß macht.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person

Dr. Jan-Hendrik de Wiljes, 32, geboren in Hannover, Titel der Doktorarbeit „Über maximale Mengen, die keine k+1 Zahlen mit größtem gemeinsamen Teiler ungleich 1 enthalten“, betreut durch Prof. Dr. Jürgen Sander vom Institut für Mathematik und Angewandte Informatik der Universität Hildesheim. Der Mathematiker hat zuvor an Universitäten in Berlin und Hannover geforscht, seit sieben Jahren arbeitet de Wiljes in Hildesheim.

Lehrerausbildung: „Mathematisches Denken fördern“

Hier äußert sich der Mathematiker Jan-Hendrik de Wiljes über mathematische Theorien und ihre Anwendung im Alltag.

Der Wissenschaftler bildet in Hildesheim die nächste Generation der Mathematiklehrerinnen und Mathematiklehrer aus, etwa in Seminaren wie „Vertiefung der Graphentheorie“, „Mathematische Anwendersysteme für den Unterricht“ oder „Kryptographie – Algebraische und zahlentheoretische Methoden“. Wie bringt man Kindern und Jugendlichen mathematisches Denken bei? Die Kryptographie sei ein „dankbares Arbeitsgebiet für Lehrerinnen und Lehrer", eine mathematische Theorie, die Anwendung im Alltag erfährt, beliebt bei den Lehramtsstudierenden, sagt de Wiljes. „Man muss erst ein gewisses Zahlenverständnis aufbauen, man muss wissen, was natürliche Zahlen, Grundrechenarten und Primzahlen sind – dann kann man mit der Kryptographie im Unterricht loslegen, etwa in der sechsten Klasse. Man kann Bezüge zu Computern herstellen, über den sensiblen Umgang mit Daten sprechen. Verschlüsselung ist das Thema überhaupt – auch für Erwachsene."

Mit dieser Nähe zum Alltag, mit der Anwendung mathematischer Theorien haben die Mathematiker aber auch „sehr zu kämpfen". „Mathematik ist viel mehr als Anwendung. Eine ganze Menge an Problemen hat nichts mit der Realität zu tun. Vielen Personen erschließt sich dabei nicht der Sinn“, sagt Jan-Hendrik de Wiljes. Zudem sei die Realität komplex.

De Wiljes nennt als Beispiel das Netz der Deutschen Bahn. „Möglichst viele Züge sollen zu passenden Zeiten die richtigen Orte passieren, Menschen transportieren, Lokführer und Maschinen müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Und dann kommt das Wetter, Eis und Sturm. Ich kann das Problem nicht einfach in ein mathematisches Modell übertragen, es gibt viele Ungewissheiten." In der Mathematik hingegen könne er „störende Nebenfaktoren zunächst reduzieren, Eis und Regen weglassen". Es gehe darum „auch mit Objekten Kontakt zu haben, die keinen Bezug zur Realität haben". Mathematisch zu denken mache einfach große Freude – wie auch die Verbreitung des Rätsels „Sudoku" zeige. „Es muss nicht alles auf Anwendung getrimmt sein. Kinder in der Grundschule wollen ihren Kopf benutzen, sie haben viel Wissensdurst und Spaß beim Denken. Wenn wir Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, die das gut transportieren und das mathematische Denken fördern, geht das nicht verloren", sagt der Mathematiker.

Einblicke in Forschung

Das Interview mit Dr. Jan-Hendrik de Wiljes ist Teil einer fortlaufenden Serie über Doktorandinnen und Doktoranden an der Universität Hildesheim. Wer Einblicke in seine Arbeit, Forschungsmethoden und wissenschaftliche Erkenntnisse geben möchte, kann sich gerne in der Pressestelle bei Isa Lange melden (presse@uni-hildesheim.de). So gibt zum Beispiel die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Wiebke Hiemesch Einblicke in ihre Dissertation. Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Jennifer Clare zeigt in ihrer Doktorarbeit, wie Politik und Literatur ineinandergreifen.


Jan-Hendrik de Wiljes arbeitet am Institut für Mathematik und Angewandte Informatik der Universität Hildesheim. Hier lehrt er gerade in der Vorlesung zur Graphentheorie im Hörsaal 4. Notizen des Doktoranden. In seiner wissenschaftlichen Karriere wird er von dem Zahlentheoretiker Professor Jürgen Sander unterstützt. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Jan-Hendrik de Wiljes arbeitet am Institut für Mathematik und Angewandte Informatik der Universität Hildesheim. Hier lehrt er gerade in der Vorlesung zur Graphentheorie im Hörsaal 4. Notizen des Doktoranden. In seiner wissenschaftlichen Karriere wird er von dem Zahlentheoretiker Professor Jürgen Sander unterstützt. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

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