Wege in die Wissenschaft

mercredi, 13. août 2014 um 11:30 Uhr

Eine Studie der Universität Hildesheim zeigt: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden in der Postdoc-Phase, also der Zeit nach der Promotion, überwiegend unspezifisch und unverbindlich gefördert. Diese Phase sei „ein Nadelöhr für den weiteren wissenschaftlichen Karriereverlauf“, sagt Svea Korff, wissenschaftliche Mitarbeiterin im vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt „Chancengleichheit in der Postdoc-Phase in Deutschland".

Wie Wissenschaftsorganisationen „Postdocs“ in ihrer beruflichen und wissenschaftlichen Laufbahn nach der abgeschlossenen Promotion unterstützen, das untersucht eine Hildesheimer Forschergruppe derzeit in einer Studie. Sie haben bundesweit und fächerübergreifend Frauen und Männer (Online-Befragung: 539 Personen, qualitativ: 66 Personen) in der Zeit nach der Promotion – der Postdoc-Phase – befragt. Zudem wurden in einer repräsentativen Stichprobe 365 Internetseiten deutscher Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen analysiert. Was bietet das jeweilige Förderprogramm an, etwa Information, Vernetzung, Finanzierung und Mentoring? Welche Hürden müssen die Postdocs überwinden, um am Programm teilzunehmen? Wer wird angesprochen?

„Wir haben untersucht, inwieweit die Förderprogramme Geschlecht thematisieren, die Postdoc-Phase ist ein Nadelöhr für den weiteren wissenschaftlichen Karriereverlauf. Wir haben die Internetseiten etwa nach Stichworten wie 'Postdoc', 'wissenschaftlicher Nachwuchs', 'Gender' und 'Diversity' unter Menüpunkten wie 'Forschung', 'Personal', 'Weiterbildung', 'Gleichstellungsbüro', durchforstet und außerdem über Google gesucht“, sagt Svea Korff, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Chancengleichheit in der Postdoc-Phase in Deutschland“. Das Bundesforschungsministerium und die EU fördern das Projekt. Ergebnisse sollen auf einer Abschlusskonferenz im Februar 2015 vorgestellt werden.

Bislang lagen nur Einzeluntersuchungen vor, ein Gesamtüberblick zur Förderlandschaft fehlte hingegen. Die Forscherinnen und Forscher der Arbeitsgruppe „Hochschule und Bildung“ der Universität Hildesheim haben bereits in einem Vorgängerprojekt bundesweit den Weg zum Doktorgrad in strukturierten Promotionsprogrammen an deutschen Hochschulen erfasst. Dabei wurde ein Evaluationsinstrument entwickelt, mit dem Promotionsprogramme ihr „Gender und Diversity“-Profil analysieren können und so reflektieren können, was sie für „Chancengleichheit“ tun.

Erste Ergebnisse der Postdoc-Studie zeigen nun: Angebote für Postdocs gibt es an nahezu allen untersuchten Universitäten (37 Universitäten an denen 247 Förderprogramme identifiziert werden konnten) und außeruniversitären Forschungseinrichtungen (4 externe Forschungseinrichtungen mit insgesamt 19 Förderprogrammen). An den Fachhochschulen fanden die Forscher nur in knapp 9 Prozent der Fälle (9 Fachhochschulen mit 19 Förderprogrammen) Angebote für Postdocs. Die untersuchten Universitäten fördern Postdocs meist in Form von Informationen (55,1 Prozent) und finanzieller Unterstützung (36,4 Prozent).

Knapp zwei Drittel (65,5 Prozent) der Programme sind zielgruppenunspezifisch und richten sich an alle interessierten Postdocs, ganz unabhängig von deren Geschlecht oder anderen kategorisierenden Merkmalen. Ein Viertel der untersuchten Förderprogramme (26,5 Prozent) richten sich explizit an Wissenschaftlerinnen. Kein Programm in der Stichprobe ist ausschließlich für Männer als Zielgruppe ausgeschrieben. 8 Prozent der Förderprogramme richten ihren Fokus ausdrücklich auf Diversity und sprechen vor allem ausländische Postdocs an.

„Bei der Postdoc-Phase handelt es sich überwiegend um einen Karriereweg, bei dem Eigeninitiative gefordert ist, um sich gezielt Informationen und finanzielle Unterstützung zu beschaffen“, sagt Svea Korff. Dabei macht die Studie vier Typen von Förderprogrammen aus: Neben Informationen und Finanzierungsmaßnahmen (Typus „Search“ und „Cash“) fand das Forschungsteam zwei weitere Formen, um Karrierewege in der Postdoc-Phase zu unterstützen: Kurzfristig angelegte Qualifizierungs- und Beratungsangebote (Typus „Flow“), die sich vor allem an ausländische Postdocs richten, und eher längerfristig angelegte Mentoring-Programme, welche vor allem Frauen fördern und in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten auf dem Weg zu einer Professur „wachsen lassen“ sollen (Typus „Grow“).

Wissenschaftseinrichtungen sollten nachvollziehbar erklären, für wen ihre Programme bestimmt sind und was sie anbieten. Schließlich sind sie öffentlich im Internet zugänglich und mögliche Adressaten müssen die Angebote finden können, sagt Svea Korff.

Um den Aufstieg von Frauen – von der Promotion bis zur Professur – zu fördern, setzen der Bund, Länder und Hochschulen Förderprogramme ein. Deutschland ist im europäischen Vergleich eines der Länder mit den wenigsten Professorinnen, zahlreiche Frauen verlassen die akademische Laufbahn bevor sie eine Professur in Aussicht haben. Bisher wurden vor allem erfolgreiche Promotionen und Karrieren derer untersucht, die dem Wissenschaftssystem erhalten bleiben. Die Hildesheimer Forschergruppe befragt derzeit in Gruppen- und Telefoninterviews Postdocs. Dabei gehen sie der Frage nach, wie ihre berufliche und persönliche Entwicklung verläuft, welche Anreize sie motivieren im Hochschulsystem zu arbeiten und wo auch Gründe für den Ausstieg aus der Wissenschaft liegen. Erste Auswertungen zeigen, dass die Postdoc-Phase kaum eine gesicherte berufliche Laufbahnperspektive bietet: In ihr spitzt sich der Wettbewerb in der Wissensgesellschaft derart zu, dass er für viele sehr gut qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unattraktiv wird, da sie ihre Potenziale nicht entfalten können, sondern aufgerieben werden. Zudem bietet das deutsche Wissenschaftssystem zu wenige Karriereoptionen jenseits der Professur, was auch in einer Erklärung des Wissenschaftsrates vom Juli 2014 moniert wird.

Abschlusskonferenz

Auf dem Abschlusssymposium „Chancengleichheit in der Postdoc-Phase in Deutschland – Gender und Diversity“ am 26. und 27. Februar 2015 an der Universität Hildesheim werden erstmals umfassend Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt vorgestellt. Eine verbindliche Anmeldung ist via E-Mail möglich (chance@uni-hildesheim.de). Die Anzahl der Plätze ist begrenzt, weitere Informationen online.  Auf der Konferenz sollen Handlungsempfehlungen zur Optimierung der Postdoc-Phase in Deutschland erarbeitet werden. Die Veranstaltung richtet sich an Postdocs und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Postdoc-Phase im Wesentlichen mitgestalten, etwa in der Nachwuchsförderung, Gleichstellung und Personalentwicklung in Wissenschaftsorganisationen. Interessierte können sich an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsclusters „Hochschule und Bildung“ wenden (Svea Korff, E-Mail: chance@uni-hildesheim.de, Telefon: 05121.883-11750).

Lesetipp / Details zu den Forschungsergebnissen:

„Nachwuchs im Netz: Eine Untersuchung der Genderrelevanz von Förderprogrammen für Postdocs“, Daniela Böhringer, Julia Gundlach, Svea Korff (erschienen in: Beiträge zur Hochschulforschung, 36. Jahrgang, 3/2014)


Die Arbeitsgruppe „Hochschule und Bildung“ der Universität Hildesheim untersucht bundesweit die Lebenslagen von „Postdocs“ und wer sie wie fördert. Derzeit befragen sie Wissenschaftler nach der Promotion, wie ihre berufliche und persönliche Entwicklung verläuft, welche Anreize sie motivieren im Hochschulsystem zu arbeiten und wo Gründe für den Ausstieg aus der Wissenschaft liegen. Foto: Chris Gossmann

Die Arbeitsgruppe „Hochschule und Bildung“ der Universität Hildesheim untersucht bundesweit die Lebenslagen von „Postdocs“ und wer sie wie fördert. Derzeit befragen sie Wissenschaftler nach der Promotion, wie ihre berufliche und persönliche Entwicklung verläuft, welche Anreize sie motivieren im Hochschulsystem zu arbeiten und wo Gründe für den Ausstieg aus der Wissenschaft liegen. Foto: Chris Gossmann