In ihrer Antrittsvorlesung unter dem Titel „Ü-Eier, Korpora und Augäpfel: Empirische Forschung zu den Auswirkungen des Kontexts auf die Sprachproduktion und das Sprachverstehen“ nutzt Lapshinova-Koltunski „Ü-Eier“ zur Veranschaulichung des aus der Informationstheorie stammenden „Überraschungswertes“ („surprisal“): Angenommen ein Kind öffnet ein beliebiges Überraschungsei und findet darin eine kleine Figur der Kinderserie „Paw Patrol“. Es freut sich und ist gleichzeitig überrascht, in diesem Ü-Ei, in dem ja alles Mögliche hätte drin sein können, ausgerechnet eine Figur aus der Lieblingssendung vorzufinden. Wenn es nun aber eine „Paw Patrol“- Spezialedition des Überraschungseis öffnet, erwartet es solch eine Figur. Es freut sich wieder, ist aber weniger überrascht. Schließlich hätten dort nur Figuren von „Paw Patrol“ drin sein dürfen. Bei dem beliebigen Überraschungsei wäre der Überraschungswert groß, weil die vorgefundene Figur nicht erwartet wird. Bei der Spezialedition hingegen wäre er umgekehrt klein.
In der Sprachforschung wird mit diesem Wert gemessen, wie überraschend die Verwendung eines Wortes oder Ausdrucks in einem bestimmten Kontext ist. Dadurch können etwa Aussagen über die Angemessenheit der verwendeten Worte in dem Kontext und damit dem Erfolg der Kommunikation getroffen werden. Solche Kontexte können etwa Situationen im Lebensalltag, aber auch Textsorten und die Übermittlungsform (mündlich oder schriftlich) sein. „In experimentellen Studien wurde außerdem gezeigt, dass ein hoher Überraschungswert ein Indikator von kognitiver Belastung ist. Das heißt: Je überraschender eine Phrase oder ein Wort ist, desto anstrengender ist die Verarbeitung für die Rezipientinnen und Rezipienten“, so Lapshinova-Koltunski. Den Überraschungswert ermittelt die Wissenschaftlerin mithilfe von Korpora, also elektrischen Textsammlungen.
Eine weitere Methode, um die Rolle von Kontexten in der Sprache zu untersuchen, ist das Eye-Tracking, bei dem die Augenbewegung gemessen wird. Vor kurzem hat die Professorin mit dieser Methode untersucht, ob die Übersetzung von bestimmten zusammengesetzten Wörtern eine anstrengende Praxis für den Übersetzenden ist. Mithilfe von Eye-Tracking konnte sie Aufschluss über die Bearbeitungs- und Lesezeit während des Übersetzungsprozesses gewinnen. Dadurch wiederum konnte sie erfassen, welche Faktoren die Praxis verkomplizieren.
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