Theater unberechenbar: Algorithmen und Menschen auf der Bühne

jeudi, 02. juillet 2015 um 12:00 Uhr

Was Regeln und Formeln aus Aufführungen machen: Algorithmen werden immer theatraler, sagt der Theaterwissenschaftler Ulf Otto. Auf dem Kulturcampus kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Medien, Theater und Informatik zusammen.

Was passiert mit dem Theater unter digitalen Bedingungen? „Algorithmen werden immer theatraler. Sie haben große Auftritte auf den Bühnen und immer mehr mit sozialen Rollenspielen zu tun. In den darstellenden Künsten sind sie mal spektakulär als Industrieroboter, mal interaktiv als Sortieralgorithmus oder auch unterschwellig als Datenbanksystem wirksam“, sagt der Theaterwissenschaftler Ulf Otto von der Universität Hildesheim.

Theater und digitale Kultur nehmen aufeinander Bezug: Theaterhäuser setzen sich thematisch mit der Digitalisierung auseinander oder übernehmen die Technik. So verbindet die Gruppe „machina ex“, die von Studierenden in Hildesheim gegründet wurde, Computerspiele und interaktives Theater und lässt die ursprüngliche Abgrenzung zwischen Zuschauer und Schauspieler in ihren ungewohnten, partizipativen Spielformen verschwimmen. Theater ist aber auch in digitale Kultur eingebettet, in Berichterstattung, live-streams und in sozialen Netzwerken mit der Öffentlichkeit verwoben, sagt Ulf Otto.

Nach welchen Regeln und Formeln Theater und digitale Kultur zusammenkommen, damit beschäftigen sich Anfang Juli Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Theater, Medien und Informatik auf dem Symposium „Acting algorithms“ an der Universität Hildesheim. Dabei konzentrieren sie sich auf Algorithmen, die zunehmend auch im Theater auftauchen und „auf der Bühne leben“. Irina Kaldrack vom Zentrum für Digitale Kulturen in Lüneburg betrachtet in ihrer Analyse zum Beispiel die „Handlung zwischen Algorithmen, Daten und Menschen“. Wird Theater dadurch berechenbarer? Studierende der Kulturwissenschaften setzen sich in einem Workshop mit Georg Werner von der Gruppe Rimini Protokoll und Turbo Pascal mit interaktiver Programmierung und Performance auseinander. Wie können zum Beispiel Lichtstimmungen oder Klangereignisse auf der Bühne automatisch ausgelöst werden? Das Grundinteresse der Studierenden an technischen und ästhetischen Fragen sei groß, freut sich Otto.

Ulf Otto lehrt und forscht am Institut für Theater, Medien und Populäre Kultur in Hildesheim. Seine Dissertation ist unter dem Titel „Internetauftritte. Eine Theatergeschichte der neuen Medien" erschienen. Als Theaterwissenschaftler fragt er, wie sich Darstellungsformen in der Gesellschaft verändern, worauf Theater reagiert. Dabei lohnt auch der Blick in die Geschichte: Derzeit untersucht er in einem dreijährigen, von der Volkswagen-Stiftung geförderten Habilitationsprojekt die Elektrifizierung des Theaters um 1900. Um die Geschichte zu erforschen, greift der Wissenschaftler auf Rezensionen von Theaterstücken, technischen Quellen und Firmenprospekte (etwa Siemens und AEG), Pamphlete von Künstlern und Polizeivorschriften um die Jahrhundertwende zurück.

Theater war vor der Erfindung des elektrischen Lichts „wahnsinnig heiß, wahnsinnig stickig“, so Ulf Otto. Die Theaterästhetik sei vor der Elektrifizierung geprägt gewesen von „flackernder, surrender Luft“ und einer instabilen Lichtquelle. Mit der Erzeugung von Licht und der Verbreitung dieser Technik hat sich auch die Ästhetik verändert. Kulissen und manche Materialien funktionierten unter dem bläulich-hellen Licht auf einmal nicht mehr, so der Theaterwissenschaftler. „Noch spannender ist, die weitere Entwicklung: Bis zu unserem heutigen Standardbeleuchtungssystem in der Theatertechnik dauerte es noch Jahrzehnte. Noch um 1910 war man dem Scheinwerfer gegenüber eher skeptisch. Heute sagen wir: Jemand steht im Scheinwerferlicht.“

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, 05121.883-90100, presse(at)uni-hildesheim.de)


Nach welchen Regeln und Formeln Theater und digitale Kultur zusammenkommen, damit beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Theater, Medien und Informatik auf dem Symposium „Acting algorithms“ an der Universität Hildesheim.