Suchen mit der blinden Kuh: Digitale Medien in der Grundschule

samedi, 10. janvier 2015 um 18:44 Uhr

Kinder wachsen mit digitalen Medien auf. Tür zu, Stecker raus – im Klassenzimmer ist das Internet vielerorts nicht angekommen. Studierende der Informationswissenschaft wollen mit einem Online-Kurs bundesweit Grundschullehrkräfte und Lehramtsstudierende erreichen und über den sicheren Einsatz von mobilen Geräten wie Tablets im Unterricht informieren. Einblicke in den kostenfreien Kurs „Digitales Lernen in der Grundschule“.

Tablets und Smartphones gehören für viele Kinder mittlerweile zum Aufwachsen dazu. Im Unterrichtsalltag ist der Umgang mit mobilen digitalen Geräten bisher kaum angekommen, darauf weisen Studierende der Informationswissenschaften der Universität Hildesheim hin. In ihrer Recherche an Schulen in der Region sind sie auf Unsicherheit und Zurückhaltung gestoßen, digitale Medien im Klassenzimmer einzusetzen. Das wird auch in einem Video deutlich. „E-Learning haben wir eigentlich nur durch unseren Computerraum“, sagt eine Lehrerin. Mit mobilen Geräten könnte man hingegen flexibler arbeiten, in einer Ecke im Klassenraum, am Gruppentisch. Allerdings sieht sie die Gefahr, das Tablets als Spielzeug genutzt werden. „Wir haben überhaupt keine Tablets in der Schule. Ich fühle mich derzeit auch nicht in der Lage, weil ich überhaupt keinerlei Vorwissen habe“, sagt eine andere.

„Wir möchten informieren und Grundschullehrerinnen und Lehrern näher bringen, wie sie E-Learning im Unterricht anwenden können“, sagt Alice Holka. Die 27-Jährige aus Oberhausen studiert an der Universität Hildesheim „Internationales Informationsmanagement“. Gemeinsam mit 20 Studierenden hat sie in einem Projektseminar bei Professor Joachim Griesbaum den Online-Kurs „Digitales Lernen in der Grundschule – Tablets von Lehrern sinnvoll eingesetzt“ entwickelt. In dem kostenfreien Kurs – einem sogenannten MOOC – erfahren Lehramtsstudierende und Grundschullehrkräfte, wie sie Tablets sinnvoll in ihrem Unterricht einsetzen können. Das Besondere: Die Kursteilnehmer kommen aus ganz Deutschland. Ob eine Lehrerin aus Frankfurt, eine Referendarin aus Magdeburg, ein Lehramtsstudent aus Ludwigsburg oder ein Lehrer aus Oldenburg – jeder kann teilnehmen.

Die Studierenden vermitteln im ersten Teil des Kurses, was E-Learning ist, warum es sinnvoll ist, Grundschüler im Umgang mit neuen digitalen Technologien vertraut zu machen, wo Chancen und Risiken liegen und welche Voraussetzungen für den Einsatz von Tablets in der Grundschule geschaffen werden müssen.

Im zweiten Teil geben sie einen Überblick über den Einsatz von Tablets an Grundschulen in Deutschland, diskutieren die Rolle der Lehrperson und zeigen Praxisbeispiele aus einer Hildesheimer Grundschule. Eine Lehrerin berichtet in einem Video von ihren bisherigen Erfahrungen im Schulalltag. Nur wenige Grundschulen haben Erfahrungen mit Tablets im Unterricht oder arbeiten wenn nur eine gewisse Zeit in der Woche mit den Geräten, sagt Kyra Bornemann. Eine bereits 5. Klasse der Molitoris-Schule in Harsum arbeitet zum Beispiel einmal in der Woche mit Tablets. Die Schule setzt die Geräte besonders für die Internet-Recherche in Geschichte und Erdkunde ein, da in diesen Fächern die Schulbücher schnell veralten und keine aktuellen Informationen enthalten.

Auf dem Markt schwirren eine Menge Apps für Grundschüler umher, die allerdings nicht immer geeignet sind, da sie bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllen. so die von den Studierenden interviewte Lehrerin Christiane Schulte von der Grundschule Fischbeck. Dann tauchen zum Beispiel Rechenaufgaben ohne Mengendarstellungen auf, lediglich mit Zahlen. Ihre Schülerinnen und Schüler seien besonders motiviert, mit dem Tablet selbstständig zu arbeiten. Schwierig werde es manchmal, wenn die Kinder zu schnell von der eigentlichen Aufgabe abgelenkt werden, etwa wenn sie für sich spannende Themen im Internet finden und sich diese lange anschauen oder durchlesen. „Die Tablets werden an dieser Schule besonders in Gruppenarbeiten für Recherchen im Sachunterricht genutzt. Die Schüler arbeiten mit Suchmaschinen für Kinder wie ‚blinde-kuh.de‘ und bereiten damit eigenständig Referate vor“, berichtet Kyra Bornemann von der Recherche. Die 26-jährige Studentin hat die Kursinhalte mitentwickelt und besitzt selbst übrigens kein Tablet. Sie erinnert sich an ihre Grundschulzeit: „Wir hatten ein Englisch-Lern-Computerspiel, welches ich sehr gerne gespielt habe. Ich kann mir gut vorstellen, dass Schüler motivierter sind, wenn das Lernen mithilfe von Tablets ‚spielerischer‘ und eigeninitiierter gestaltet werden kann.“

Kinder-Suchmaschinen wie blinde-kuh sollen sichere Recherche ermöglichen: Dabei werden auch Surftipps zu Internetseiten in türkischer Sprache sowie Nachrichten zusammengestellt. Screenshot: Isa Lange/Uni Hildesheim

Im dritten Teil des Kurses zeigen die Studierenden, wie mobile Geräte sinnvoll in den Unterricht eingebunden werden können. Die Studierenden gehen auf den sicheren Umgang mit Tablets ein, von der sicheren Recherche im Internet bis zum Einrichten von Sicherheitsschranken und der Betreuung der Kinder während der Nutzung. „Wir stellen eine App vor, die Vorgaben des Kultusministeriums und Datenschutzaspekte berücksichtigt und Schülern spielend Lerninhalte vermittelt. Diese App ist frei verfügbar. Außerdem geben wir einen Überblick über weitere Apps für den Unterricht“, sagt James Patric Hiller. Der 29-Jährige studiert an der Uni Hildesheim „Internationales Informationsmanagement“ mit dem Schwerpunkt Informationswissenschaft.

Wenn 27 Kinder im Unterricht mit Tablets hantieren – kann der Klassenlehrer dann den Überblick behalten, wo die einzelnen Schüler hinklicken? Die Hildesheimer Studierenden stellen Kontrollapps zum Sicherheitsbrowsing vor und bieten Einblicke in die Kindersuchmaschine „fragFINN" sowie die Recherche im Kinder-Wiki „ZUM-Grundschul-Wiki". „Lehrer sollten Schüler anleiten, nur innerhalb dieser geschützten Umgebung zu agieren. Sie können nicht ständig kontrollieren. Sie sollten Schüler dabei begleiten, den Sinn dieser Suchmöglichkeiten zu erkennen. Kindergerechte Suche im Netz kann auch Spaß machen“, so Hiller. Für den medienerfahrenen Studenten bietet die digitalen Geräte eine Chance, „normalen Unterrichtsalltag“ durch multimediale, bunte, abwechslungsreiche Inhalte anzureichern. „Wer mit Freude bei der Sache ist, lernt besser und speichert die Informationen nachhaltiger. Aber: Lernapps können den Unterricht nicht ersetzen, sondern eben nur ergänzen.“ In der heutigen Zeit sei Informationskompetenz ein wichtiger Schlüsselfaktor, so James Hiller. Wer weiß, wo er suchen müsse, könne seinen „Wissensschatz ausbauen“, so der Student.

Im vierten Teil des Kurses zeigen die Studierenden, wie man Eltern den Einsatz von mobilen Endgeräten im Unterricht näher bringen kann. Der Umgang mit Medien sei – genauso wie das Lesen, Schreiben und Rechnen – eine wichtige Voraussetzung für das spätere Berufsleben. Voraussetzung für den Einsatz von mobilen Endgeräten in der Schule sind medienkompetente Lehrerinnen und Lehrer. Die Studierenden geben einen Einblick Aus- und Fortbildung zum Thema sowie zur Beantragung von Fördermitteln.

Im ZUM-Grundschulwiki können Kinder die Inhalte der Internetseite mitgestalten und ihr Wissen weitergeben. Ein Detektiv erklärt, wie man sicher surft. Screenshot: Isa Lange/Uni Hildesheim

Wie Schulen auf digitale Medien reagieren, beobachtet Professor Joachim Griesbaum. „Derzeit finden sich vermehrt Initiativen, Tablets in den Unterricht zu integrieren. Die Folgen sind bislang wenig erforscht“, sagt der Informationswissenschaftler der Hildesheimer Universität. Digitale Medien seien Teil der allgemeinen Infrastruktur, innerhalb derer lehren und lernen stattfindet. „Technologien können auch völlig neue soziale Lehr- und Lernkontexte erschaffen.“ Zwar könne so ein höheres „informationelles und soziales Lernkapital realisiert werden“.

Gleichzeitig bestünde aber die Gefahr des „Information Overloads“ und der Ablenkung, so Griesbaum. Ein Klick hier, ein Wischen dort. „Die Informations- und Medienkompetenz wird für Lehrende und Lernende immer wichtiger.“ Die Informationswissenschaft könne dazu beitragen, den kompetenten und sicheren Umgang mit elektronischen Informationen und Kommunikationsformen zu erlernen. „Digitale Medien erlauben es uns im Idealfall Lehr- und Lernumgebungen zu verbessern. Das Lernen selbst können sie uns nicht abnehmen. Für die Gestaltung von Lernprozessen und -szenarien, bleiben fachbezogene und pädagogisch-didaktische Kompetenzen der Lehrkräfte nach wie vor zentral.“

Ich bin deine Ministerin: Auch mit Informationen von Politikern – hier die Kinderwebseite der Bundesfamilienministerin – müssen Kinder lernen, umzugehen. Screenshot: Isa Lange/Uni Hildesheim

Teilnahme am MOOC „Digitales Lernen in der Grundschule“

Der Online-Kurs startet am 12. Januar 2015. Vier Wochen lang wird jeden Montagnachmittag eine neue Inhaltseinheit freigeschaltet, die dann zu einem beliebigen Zeitpunkt bearbeitet werden kann. Für die Bearbeitung müssen etwa 45 Minuten in der Woche eingeplant werden. Jeder, der bis zum 9. Februar 2015 alle Inhalte bearbeitet hat, bekommt eine Teilnahmebescheinigung. Die Kursteilnehmer können in moderierten Foren ihre Fragen stellen und sich mit anderen Teilnehmern austauschen. Interessierte können sich ab sofort kostenfrei anmelden. Alle Inhalte sind auch nach dem Start verfügbar. Und ja – auch von unterwegs kann man natürlich an dem Kurs teilnehmen (unterstützte Plattformen sind iOS, Android, Palm webOS, BlackBerry).

Lernen im digitalen Zeitalter: Fachleute für E-Learning

Online Wissen teilen: Wie E-Learning und Wissensmanagement über das Internet organisiert werden, erforscht Joachim Griesbaum. Der Professor für Informationswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Soziale Netzwerke und Kollaborative Medien“ forscht an der Universität Hildesheim zu Suchmaschinen-Marketing, Identitätsbildung in sozialen Online-Medien und Wissensmanagement im Internet. „MOOCs beruhen auf dem Gedanken, dass Wissen in Online-Netzwerken und Communities sozial erzeugt und erworben wird“, sagt Griesbaum über virtuelle Großgruppen-Lernszenarien. Er befasst sich mit Vorteilen, Problemfeldern und Folgen dieses Trends. Seine Studierenden haben 2014 einen MOOC über Wissensmanagement und im Jahr davor einen Online-Kurs „Datenschutz im Internet" angeboten.

Ende der Kreidezeit: Einblick in die digitale Lehrerausbildung

Kreidetafel oder Technik – wie verändert sich der Lehrerberuf technisch? In Bad Salzdetfurth sieht die Lösung so aus: Da das Lehrerkollegium die Technik unterschiedlich stark nutzt – einige mit Neugier, andere mit Skepsis – stehen in jedem Klassenraum eine weiße Tafel, die mit Stiften beschrieben werden kann, und eine interaktive Tafel mit allen technischen Möglichkeiten. Lehramtsstudierende erproben die Technik, Siebtklässler helfen ihnen dabei. Die Studierenden der Universität Hildesheim sind im ersten Studienjahr jeden Freitag im Klassenzimmer und beobachten Unterricht. [zur Reportage „Kreidetafel oder Technik – wie verändert sich der Lehrerberuf technisch?"]


Ein Klick hier, ein Wischen dort. „Digitale Medien erlauben es uns im Idealfall Lehr- und Lernumgebungen zu verbessern. Das Lernen selbst können sie uns nicht abnehmen", sagt Professor Joachim Griesbaum von der Uni Hildesheim. Foto: Dustin Rauch

Ein Klick hier, ein Wischen dort. „Digitale Medien erlauben es uns im Idealfall Lehr- und Lernumgebungen zu verbessern. Das Lernen selbst können sie uns nicht abnehmen", sagt Professor Joachim Griesbaum von der Uni Hildesheim. Foto: Dustin Rauch

Ein Klick hier, ein Wischen dort. „Digitale Medien erlauben es uns im Idealfall Lehr- und Lernumgebungen zu verbessern. Das Lernen selbst können sie uns nicht abnehmen", sagt Professor Joachim Griesbaum von der Uni Hildesheim. Foto: Dustin Rauch