Höchste Ehre im „Elfenbeinturm“: Privatdozentin Dr. Sylvia Jaki gewinnt den Science Slam 2022

mercredi, 16. novembre 2022 um 16:43 Uhr

Zum achten Science Slam der Universität Hildesheim fanden sich über 450 Zuschauer*innen im Audimax und vor den Bildschirmen ein, um den wissenschaftlichen Wettstreit von einem Professor und drei Professorinnen mitzuerleben. Als Gewinnerin geht PD Dr. Sylvia Jaki mit ihrem humorvollen Vortrag über die Stigmatisierung von Wissenschaftler*innen in den Medien hervor.

„Wissenswertes gehirnfreundlich serviert.“ Mit dieser Beschreibung des Science Slams leitete Prof. Dr. Martin Schreiner, Vizepräsident für Stiftungsentwicklung, Transfer und Kooperationen in das Duell der Wissenschaften ein. „Wie bei seinem Vorbild dem Poetry Slam ist der Science Slam ein Wettbewerb der kreativen Köpfe unter wissenschaftlichen Vorzeichen“, sagte der Vizepräsident, der die vier kreativen Köpfe des gestrigen Abends für einen Auftritt auf der Audimax-Bühne gewinnen konnte.

Laura Wirthmüller, studentische Hilfskraft beim Friend- und Fundraising ergriff als Nächste das Wort. Sie führte das Publikum gemeinsam mit Prof. Dr. Martin Schreiner durch den Abend und organisierte den Science Slam federführend. Kurz und knapp erklärte sie die Spielregeln: Jede*r Professor*in hat 15 Minuten Zeit, um mit einem Vortrag zu frei gewähltem Thema aus der eigenen Fachdisziplin das Publikum für sich zu gewinnen. Nach den vier Performances würden die Zuschauenden dann über ein Online-Tool ihre Stimme für den besten Vortrag abgeben und darüber entscheiden, wer Ruhm, Ehre und den Titel „Science-Slam-Sieger*in 2022“ mit nach Hause nehmen kann.

Das war der Science Slam 2022! Eine (sehr) unwissenschaftliche Zusammenfassung in Bildern

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Die vier Kombattant*innen und ihre Themen

Prof. Dr. Jan Richter, Professor für Experimentelle Psychopathologie, ging mit seinem Vortrag „Zwischen Genie und Wahnsinn – sind wir nicht alle ein bisschen irre?“ als erster Slammer auf die Bühne. Der Psychologieprofessor kritisierte in seinem Beitrag die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Bis zu einem Alter von 75 Lebensjahren läge das Lebenszeitrisiko – das ist das Risiko, mindestens einmal im Leben unter einer voll ausgeprägten psychischen Erkrankung zu leiden – bei 33 Prozent. So schätzen es Wissenschaftler*innen auf Grundlage von epidemiologischen Studien. „Das sind bei uns in Hildesheim 34.000 Betroffene. An unserer Universität sind das 2.800 Studierende“, betonte Jan Richter und bat daraufhin ein Drittel der im Audimax anwesenden Personen aufzustehen. Sie stellten im Publikum repräsentativ die Menschen dar, die mindestens einmal in ihrem Leben psychisch erkranken. Er beendete seinen Vortrag, indem er sich für eine proaktive und sensible Kommunikation zwischen der stehenden und sitzenden Gruppe aussprach. „Gehen Sie aktiv auf die Betroffenen zu. Interessieren Sie sich für die Beschwerden“, richtete er an die sitzenden Personen. Dann wendete er sich an das stehende Drittel: „Öffnen Sie sich. Reden Sie darüber. Sie werden die psychosoziale Unterstützung - was ein ganz wichtiger Faktor für die Genesung ist - bekommen.“

Als nächste erklomm Prof. Dr. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss als Rotkäppchen verkleidet die Stufen zur Bühne. Die Professorin für kulturelle Bildung versuchte dem Publikum in ihrem Vortrag mit dem Titel „Von der Maus, dem Frosch, dem Kater und anderen Märchen über (kulturelle) Bildungsgerechtigkeit“ ihre Fachdisziplin nahezubringen. Was ist kulturelle Bildung eigentlich? In einem zwanglosen Gespräch auf einer Party würde sie auf die Frage nach dem Gegenstand ihrer Profession antworten: „Ich beschäftige mich mit produktiver und rezeptiver Allgemeinbildung in und durch die Künste und ästhetische Praxen.“ Weil man kulturelle Bildung aber am besten anhand von lebenspraktischen Beispielen verstehen kann, zog sie für die weitergehende Erklärung berühmte Figuren aus Kinderbüchern und Märchen heran. Auf eine Maus auf dem großen Bildschirm zeigend, fragte die Professorin ins Publikum: „Wer ist dort zu sehen?“ „Maus Frederick“, antworteten einige. „Dass Sie das wissen, zeugt von frühem Vorlesen und früher kultureller Bildung“, stellte Prof. Reinwand-Weiss fest und hob damit bereits ein Charakeristikum der kulturellen Bildung hervor: Sie beginnt und prägt ab frühestem Kindesalter. Und genauso, wie sich der Frosch aus dem Märchen „Froschkönig“ in einen Prinzen verwandelt, birgt auch kulturelle Bildung ein hohes Transformationspotential für jeden Menschen. Die Professorin brachte anschließend selbst eine solche Transformation aufs Parkett und wandelte sich von einer Märchen-Vorleserin in eine gestiefelte Tänzerin - in Anlehnung an den renommierten gestiefelten Kater. „Von einem Zugang zu kultureller Teilhabe für alle sind wir in Deutschland weit entfernt“, sagte sie zum Ende ihres Vortrags. „Was es für ein Happy End bräuchte, wäre eine verlässliche kulturelle Grundversorgung und Zugänglichkeit kultureller Bildungsangebote, um kulturelle Teilhabe und damit einen unterschätzten Teil der Allgemeinbildung für alle zu ermöglichen. Ein bisschen mehr Maus Frederick, Froschkönig und gestiefelter Kater“, lautete das Resümee.

Privatdozentin Dr. Sylvia Jaki vom Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation fühlte in ihrem Vortrag mit dem Titel „Wer wohnt eigentlich im Elfenbeinturm?“ der Darstellung von Wissenschaftler*innen in den Medien auf den Zahn. Für Studierende des Masters „Medientext und Medienübersetzung“ bietet die Privatdozentin in diesem Semester ein Seminar zum Thema „Wissensformate in den Medien“ an. Vor einiger Zeit gab sie den Teilnehmenden den Auftrag, eine Zeichnung von einer Person anzufertigen, die in den Medien zu ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen befragt wird. „Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen, waren aber auch ziemlich gleichförmig“, fasste die Privatdozentin zusammen und zeigte besagte Zeichnungen daraufhin in ihrer Powerpoint-Präsentation. Sie ließen sich in vier Gruppen aufteilen: „Der Intellektuelle“ mit Anzug, Brille und Krawatte. „Der Naturwissenschaftler“ in Kittel und mit Brille. Der „Verrückte Professor aka Einstein“ mit runder Brille, Kittel, Reagenzglas und Schnurrbart und der letzte Typus „Scheißegal… Hauptsache Bücherregal“. „Nun kann man sagen, dass meine Studierenden gute Arbeit geleistet haben, denn ihre Darstellung deckt sich mit der von Wissenschaftler*innen in den Medien.“ Es ließen sich aber nicht nur im Hinblick auf das Äußere, sondern auch auf Merkmale wie die Sprechweise von Wissenschaftler*innen und ihrem Geschlecht Stereotypisierungen von Wissenschaftler*innen in den Medien feststellen. „Es kann wirklich gefährlich werden, wenn wir Wissenschaft über so banale Dinge wie das Äußere definieren. Das können sich nämlich die alternativen Medien zunutze machen und „Wissenschaftler*innen“ zeigen, die gar keine sind“, schloss Sylvia Jaki ihren Vortrag.

Zum Abschluss hielt Prof. Dr. Barbara Schmidt-Thieme ihren Vortrag unter dem Titel „Problemlösen oder: Es ist alles nur eine Frage der Darstellung“. Die Vorstandssprecherin des Zentrums für Lehrkräftebildung und Bildungsforschung sowie Professorin für Mathematik und ihre Didaktik begab sich mit einem Problemlöseverfahren der Mathematik auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage, die wohl bei jedem Mathematiker und jeder Mathematikerin Kopfzerbrechen verursacht: Warum haben so viele Menschen ein Problem mit Mathe? Die Professorin ging mehrere Hypothesen durch, um das Problem zu ergründen. Liegt es an dem Fach? Nein. Liegt es an der abstrakten Darstellung in Form von Zahlen und Formeln? Auch nicht. Sind die Mathematiker*innen das Problem oder vielleicht der Mathematikunterricht? Das ist es nicht. Aber vielleicht liegt es ja an den Mathelehrer*innen? Als sie auch diese Vermutung verwirft, bleibt eigentlich nur noch eine Möglichkeit übrig: Diejenigen, die dafür verantwortlich sind, was die Mathelehrer*innen lernen und lehren, sprich die Mathematikdidaktiker*innen, müssen Schuld an dem schlechten Ruf des Fachs sein. Prof. Schmidt-Thieme dachte eine Weile darüber nach und verließ schließlich mit folgenden Worten die Bühne: „Wie es scheint, haben wir den Kern des Problems gefunden und ich muss mich um die Lösung desselben kümmern“.

Nach diesen vier ganz unterschiedlichen Auftritten gaben 308 Zuschauende ihre Stimme ab und mit den meisten Stimmen holte sich Privatdozentin Dr. Sylvia Jaki den Sieg. Die vier Professor*innen erhielten alle einen Pokal (wobei der von Sylvia Jaki etwas größer war) und tosenden Applaus zum Abschied.

Der Saxophonist Lars Stoermer, welcher die gesamte Veranstaltung musikalisch begleitete, gestaltete auch den Ausklang des Abends.

Text: Elisabeth Schimpf | Fotos und Video: Sara Reinke

 

 


Prof. Dr. Jan Richter aus dem Institut für Psychologie kritisierte in seinem Vortrag beim Science Slam 2022 die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen.

Prof. Dr. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, Professorin für kulturelle Bildung, ließ es in ihrem Vortrag „Von der Maus, dem Frosch, dem Kater und anderen Märchen über (kulturelle) Bildungsgerechtigkeit“ scheinbar ruhig angehen. Doch der Schein war trügerisch.

Privatdozentin Dr. Sylvia Jaki thematisierte in ihrem Vortrag das Bild von Wissenschaftler*innen, das durch die Medien geprägt wird. Dafür kleidete sie unter anderem einen angehenden Wissenschaftler stilgerecht ein. Einer Rasur des Haupthaares konnte er gerade noch entkommen.

Prof. Dr. Barbara Schmidt-Thieme, Professorin für Mathematik und ihre Didaktik, ging in ihrem Vortrag der Frage nach, warum Mathe so unbeliebt ist.

PD Dr. Sylvia Jaki holte mit ihrem Vortrag „Wer wohnt eigentlich im Elfenbeinturm?“ den ersten Platz beim diesjährigen Science Slam.

Laura Wirthmüller ist studentische Hilfskraft für Eventorganisation beim Friend- und Fundraising. Sie moderierte den Science Slam 2022 und war federführend an der Organisation beteiligt.

Der Abend wurde musikalisch von Saxophonist Lars Stoermer aus Hannover begleitet.