Psychologie: Kochbuch der Gefühle

lundi, 16. janvier 2017 um 09:15 Uhr

Wie schmecken Glück, Wut, Trauer oder Heimweh? Was kann aus Chili, Basilikum, Ingwer, Minze oder Koriander entstehen? Professorin Christina Bermeitinger hat mit jungen Erwachsenen aus Hildesheim Rezepte für ein internationales „Kochbuch der Gefühle" entwickelt und zusammengestellt.

55 Studentinnen und Studenten der Psychologie und 12 Erwachsene, die nach ihrer Flucht – etwa aus Syrien, Afghanistan, dem Libanon oder der Türkei – vor Kurzem oder bereits vor einiger Zeit in Hildesheim angekommen sind, haben in den vergangenen Monaten gemeinsam gekocht und sich über Gefühle und vieles mehr ausgetauscht. Neben Rezeptideen in elf Kapiteln, die jeweils einem Gewürz zugeordnet sind, erhält der Leser einen Einblick in psychologische Aspekte beim Kochen und Essen. Im Buch enthalten sind zudem Informationen zu Esskulturen, Berichte über gemeinsames Kochen, Fakten über Zutaten und deren Wirkungen und Informationen zu Gefühlen.

„Emotionen und Kochen gehören zusammen. Gerüche oder Gerichte wecken Kindheitserinnerungen. Unsere Gefühlslage bestimmt, was wir essen, wie wir essen. Und andersherum beeinflusst das, was wir essen, wiederum unsere Emotionen. Und schließlich machen bestimmte typische Gerüche, gerade diejenigen aus der Küche, unsere kulturelle Identität aus und wir fühlen uns gleich zugehörig, wenn es um uns herum vertraut riecht“, sagt Professorin Christina Bermeitinger vom Institut für Psychologie der Universität Hildesheim. Die Wissenschaftlerin hat das Projekt geleitet und dabei mit Sonja Wutke und Bernward Kiel von der Koordinierungsstelle Integration der Stadt Hildesheim sowie der Studienberaterin und Integrationslotsin Nina Geelhaar zusammengearbeitet.

„Zu sehen, mit welchem Engagement Professorin Christina Bermeitinger und die Studierenden dieses Projekt mit Leben gefüllt und ein Kochbuch der besonderen Art geschaffen haben, war bemerkenswert. Das Kochen von Gerichten aus unterschiedlicher Kulturen weckt positive Emotionen, die das Miteinander stärken. Das ist ein wichtiger Beitrag, um Integration gelingen zu lassen", sagt Sonja Wutke von der Koordinierungsstelle Integration der Stadt Hildesheim.

Das „Kochbuch der Gefühle – reloaded & international“ ist 2016 im Verlag Una Eigen erschienen und im Buchhandel erhältlich (Hrsg. Christina Bermeitinger, 126 Seiten, 20,00 Euro, ISBN: 978-3-9818015-3-8, www.una-eigen.de). Zahlreiche Illustrationen und Fotos sind enthalten. Kontakt bei Fragen zum Buch: Prof. Dr. Christina Bermeitinger (bermeitinger@uni-hildesheim.de).

Nachgefragt bei Christina Bermeitinger, Professorin für Allgemeine Psychologie an der Universität Hildesheim

Sie haben mit Studierenden und Geflüchteten zusammen ein „Kochbuch der Gefühle“ erstellt – was haben Küche, Herd und Esstisch mit Gefühlen zu tun?

Christina Bermeitinger: Dies haben wir vor allem im ersten Kochbuch der Gefühle, das im Jahr 2012 in einem Kooperationsprojekt von Psychologiestudierenden und Kochauszubildenden entstanden ist, genau ergründet. Es gibt sehr viele Querverbindungen von Essen und Kochen auf der einen Seite und Emotionen auf der anderen Seite. Für das neue, international ausgerichtete Kochbuch ist der wichtigste Aspekt, dass Essen und Kochen genauso wie Emotionen Schlüssel zu (neuen) Welten sind und wir bei beidem ganz grandios miteinander in Beziehung treten und kommunizieren können.

Kochen und Essen geschieht häufig in Gemeinschaft – Essen ist ein äußerst kommunikatives Ereignis, und hinter mancher Essenseinladung steckt eigentlich die Einladung zu einem Gespräch. Wie man isst und was man isst, gibt zudem einiges über den eigenen Seelenzustand preis. Mittels bestimmter Gerichte können wir auch unsere Zuneigung zu jemandem ausdrücken. Und nicht zuletzt ist das gemeinsame Kochen ein sehr interaktiver Akt. Gefühle spielen beim Essen und Kochen eine große Rolle, man drückt beispielsweise allein über emotionale Mimik aus, wie es einem schmeckt – und der Koch oder die Köchin weiß, dass er oder sie nochmal nachwürzen sollte. Manche Gerichte sind außerdem mit sehr emotionalen Erlebnissen verbunden – oft sind bestimmte Gerichte mit Kindheitserinnerungen assoziiert oder man hat plötzlich wieder lebhaft ein Date aus längst vergangenen Zeiten vor Augen, bei dem es etwas ganz Bestimmtes zu essen gab. Ein häufiges Phänomen ist auch, dass wir uns mit gutem (oder „verbotenem“) Essen belohnen. Und so hat sicherlich jeder und jede eigene Beispiele für die Verbindung von Essen/Kochen und Gefühlen.

Sie schreiben, dass Emotionen „Verhaltensrezepte" seien. Emotionen haben eine große soziale Funktion und können das Miteinander sehr erleichtern, indem sie zum Beispiel Hilfestellung dafür sind, was eine Person von einer anderen Person erwartet. Können Sie eine Erkenntnis beschreiben, zu der Sie jüngst in ihrer eigenen Forschung zu Emotionen gelangt sind?

Dass Emotionen Verhaltensrezepte – also Anleitungen dafür, was zu tun ist – sind, ist etabliertes Wissen in der Psychologie. Emotionen haben mehrere Bestandteile. Zum einen spielt die Physiologie eine große Rolle – also alles was mit dem Herz-/Kreislaufsystem oder mit Hormonen zu tun hat, was bei der Aktivierung von Nerven im Gehirn beteiligt ist, was die Schweißregulation betrifft und so weiter. Zum zweiten gehören zu Emotionen Verhaltensaspekte – wir fliehen vor etwas, wir nähern uns jemandem an, wir drohen mit wutgeballter Faust. Drittens hat eine Emotion subjektive Bestandteile, wozu das Gefühl im engeren Sinne zählt, aber beispielsweise auch, was wir in einer emotionalen Situation denken.

In meiner eigenen Forschung geht es im Bereich Emotionspsychologie zum einen darum, herauszufinden, wie Personen in verschiedenen emotionalen Lagen agieren, beispielsweise ob ein Unterschied bei der Entdeckung von unerwarteten Ereignissen besteht in Abhängigkeit davon, ob man wütend oder traurig ist. Zum anderen stellen wir uns etwa die Frage, wie Menschen auf emotionale Ereignisse reagieren und ob sie sich unterschiedlich gut an (Details aus) Episoden mit negativen oder positiven Dingen erinnern. Und drittens versuchen wir die Funktionen einzelner Emotionen noch genauer zu erkunden. Welche Ressourcen werden etwa in welchen Fällen von Wut aktiviert und wie äußert sich dies dann bei der Bearbeitung von frustrierenden Aufgaben. Eine Erkenntnis aus dem emotionspsychologischen Bereich meiner jüngeren Forschung ist, dass wir in guter Stimmung unerwartete Ereignisse häufiger entdecken als in schlechter Stimmung, wobei es keinen Unterschied zwischen verschiedenen guten oder schlechten Stimmungen gibt; es spielt also keine Rolle, ob man wütend oder traurig respektive fröhlich oder zufrieden ist.

In den vergangenen Monaten haben Psychologiestudierende gemeinsam mit Geflüchteten oder Menschen mit Fluchterfahrung gekocht und Rezepte entwickelt. Wie kann das Kochen einander zusammenbringen oder verbinden? Was haben die Beteiligten in dem Projekt zum Beispiel erlebt?

Ganz grundsätzlich haben viele Gruppen berichtet, dass das gemeinsame Kochen und „Tun“ anfängliche Sprachbarrieren sehr schnell überwinden half. Ein Gewürz braucht man nicht unbedingt zu beschreiben, man muss einfach nur daran schnuppern. Es ging darum, voneinander zu lernen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten festzustellen, Erfahrungen aus dem eigenen Leben auszutauschen. Die internationalen Gruppenmitglieder steuerten meist viele Ideen bei, was man denn kochen könnte. Es bestand ein reger Austausch von Rezepten aus der jeweiligen Heimat und Gerichten, die in Deutschland besonders beliebt sind.

In einer Gruppe etwa war ein junges syrisches Paar beteiligt. Die Studierenden haben sehr eindrücklich beschrieben, welchen Respekt sie vor der Leistung, die das junge Paar während und nach der Flucht erbringen musste, haben. Zudem waren sie sehr erstaunt, welcher Unterschied doch zwischen den Kochkünsten der syrischen jungen Frau und ihren eigenen – wesentlich weniger ausgeprägten – Kochfertigkeiten besteht. Daneben hieß es noch, mit den Gepflogenheiten des Ramadan vertraut zu werden. Und schließlich fand die Gruppe nach einigen Unsicherheiten eine gute Basis des Miteinanders. Die studentischen Gruppenmitglieder haben bis heute den Kontakt zu dem syrischen Paar, das inzwischen ein Kind bekommen hat, gehalten. Auch andere Gruppen treffen sich bis heute, um gemeinsam miteinander zu kochen.

Die Kapitel im neuen Kochbuch unterteilen Sie nach Gewürzen – warum?

Das erste Kochbuch der Gefühle war – genau wie Gefühle eben – sehr bunt, launisch und durcheinander. Dem neuen Kochbuch wollten wir etwas mehr Struktur und Einheitlichkeit geben. Damit jedoch auch möglichst flexibel auf die (emotionalen) Bedürfnisse der einzelnen Personen eingegangen werden konnte, sollte die Einteilung nicht mehr nach Gefühlen erfolgen. Die Einteilung nach „würzenden Substanzen“ im weiteren Sinne lag nahe, nachdem Gewürze oftmals die entscheidenden Unterschiede zwischen Gerichten aus verschiedenen Kulturen ausmachen, bei ansonsten teilweise sehr vergleichbaren Grundzutaten. Nehmen wir einfach verschiedene Gemüsesorten wie Zucchini, Champignons, Karotten und Paprika. Hieraus kann man mit den entsprechenden Gewürzen genauso gut ein asiatisches Gericht, ein indisches Curry oder ein arabisches Gericht sowie eine deutsche Gemüsebeilage oder ein herrliches mediterranes Essen zaubern. Jedoch war auch die Gewürzvorgabe nicht starr, so dass nicht jedes Gericht immer zwanghaft das Leitgewürz des jeweiligen Kapitels enthalten musste.

Eines Ihrer Lieblingsrezepte aus dem Kochbuch?

Es gibt eine Vielzahl toller Rezepte im Kochbuch. Allein schon die Anleitung, wie man Reis „super fluffig“ hinbekommt, lohnt sich. Daneben sind einige Gerichte enthalten, bei denen – nicht nur – ich denke, „Mensch, das könnte man ja auch mal wieder machen!“, zum Beispiel Zimt-Apfelringe. Bei anderen Rezepten, wie dem Basilikum-Pesto, bekommen wir rückgemeldet: „Wenn ich gewusst hätte, dass das so einfach geht, hätte ich das schon viel früher selber gemacht!“

Wir hatten das Glück, dass einige Studierende ebenfalls einen internationalen Hintergrund mitbringen, was das Kochbuch sehr bereichert hat. Dadurch sind mindestens asiatische, russische, orientalisch-arabische, typisch deutsche, mediterrane sowie weltweit beliebte Gerichte und Informationen zu den verschiedenen Essgewohnheiten enthalten. Besonders auch die Rezepte aus Russland sowie die Gerichte, die zusammen mit dem Paar aus Syrien gekocht wurden, finde ich persönlich sehr inspirierend.

Am Psychologie-Institut der Uni Hildesheim beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwa mit der Frage, wie wir in Gruppen Entscheidungen treffen, wie Kinder sich entwickeln und was das Gehirn beim Lernen macht. Sie untersuchen in Ihrer Forschung: Wie funktioniert der Mensch und sein Denken, Fühlen und Handeln im Normalfall?

Die Allgemeine Psychologie in Hildesheim ist eine international aufgestellte Arbeitsgruppe. Wir widmen uns in unserer Forschung einer Vielzahl an Themen. Unter anderem erforschen wir:

  • die Wahrnehmung von Bewegungen,
  • inwiefern eigene Bewegungen und wahrgenommene Bewegungen interagieren,
  • wie Gerüche und Gedächtnis zusammenwirken,
  • wie wir Informationen verarbeiten, die von unserer Erwartung abweichen,
  • welche Aspekte wir uns merken, wenn wir mit bedrohlichen Dingen konfrontiert werden,
  • wie wir angesichts von Zielen, die nur noch schwer erreichbar sind, reagieren,
  • oder wie wir uns bei gemeinsamen Handlungen abstimmen und die Aufgaben des jeweils anderen auch präsent haben.

Wenn wir den Grundlagenbereich verlassen, führen wir momentan zwei Projekte mit einem Anwendungsbezug durch, bei welchen maßgeblich Studierende beteiligt sind. Gemeinsam mit Ärzten aus dem HELIOS-Klinikum untersuchen wir, welche Bedingungen zu einem möglichst günstigen Gesundungsverlauf nach schwerwiegenden Handverletzungen oder -operationen beitragen. Und in einem weiteren Projekt mit der Koordinierungsstelle Integration der Stadt Hildesheim geht es um die Frage, wie zufrieden und motiviert Geflüchtete sind und inwiefern dies mit einer positiven Assoziation zu Deutschland zusammenhängt. Diese beiden Projekte werden momentan federführend von Dr. Pamela Baess aus meiner Arbeitsgruppe geleitet.

Welches Projekt steht bei Ihnen nun in Forschung und Lehre an?

In meinem Forschungssemester im Sommersemester 2017 werde ich internationale Kollegen besuchen und gemeinsame Projekte anstoßen. Es soll hierbei um eine Fortführung meiner bisherigen Forschung sowie der Forschung meiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehen und wir wollen unsere internationalen Kooperationen weiter stärken.

Die Fragen stellte Isa Lange.


Die Kapitel im internationalen „Kochbuch der Gefühle" wurden nach Gewürzen sortiert. Fotos: Kochbuch der Gefühle/Christina Bermeitinger

Die Kapitel im internationalen „Kochbuch der Gefühle" wurden nach Gewürzen sortiert. Fotos: Kochbuch der Gefühle/Christina Bermeitinger