Modern, traditionell, vielfältig: Einblicke in afrikanische Kinder- und Jugendbücher

mercredi, 04. novembre 2015 um 12:05 Uhr

Lehramtsstudierende haben Jugendliche in Realschulen in Hildesheim und Hannover befragt. Viele verbinden Afrika mit Armut, Krankheit und Hunger. Ein Team der Universität Hildesheim hat daher eine Ausstellung und öffentliche Vorlesungsreihe über Afrikabilder entwickelt. Autorinnen und Autoren afrikanischer Kinder- und Jugendliteratur geben Einblicke in die Vielfalt der Länder und Menschen.

Eine einzelne Geschichte, schreibt die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, schaffe Stereotype („The Danger of the Single Story“, 2009). „Das Problem von verallgemeinernden Urteilen ist nicht, dass sie unwahr sind, sondern, dass sie unvollständig sind. Sie machen eine Geschichte zur einzigen Geschichte." Stattdessen, so die Autorin, sollten wir realisieren, dass nie nur eine einzige Geschichte zu einem Ort existiere.

Sozialwissenschaftlerinnen, Erziehungswissenschaftler, Historiker und Lehramtsstudierende der Universität Hildesheim greifen nun die Gedanken von afrikanischen Autorinnen und Autoren in einer Ausstellung auf. „Wir möchten mit dieser Ausstellung zum Nachdenken über die eigene Vorstellung von Afrika anregen und Ein- und Ausblicke in die Vielfalt Afrikas und afrikanischer Gesellschaften anstoßen", sagt Jessica Schwarz vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim.

Im Projekt „Globaler Wandel in der Politischen Bildung“ und im Seminar „Afrikanische Kinder- und Jugendliteratur“ haben sich Lehramtsstudierende der Universität Hildesheim mit der Frage auseinandergesetzt, welches Bild von Afrika Schülerinnen und Schüler haben und inwieweit Schule zu einer differenzierten Vorstellung von Afrika beitragen kann, indem ein ganzer Kontinent nicht einseitig auf Armut, Krankheit und Krieg reduziert wird, erläutert Jessica Schwarz. In Befragungen an Schulen in Hildesheim und Hannover wurde wiederkehrend das Interesse am Alltag der Menschen und an Afrikas Flora und Fauna geäußert. Außerdem sind die befragten Jugendlichen interessiert an einer Darstellung der wirklichen Vielfalt Afrikas, um stereotypen Vorstellungen und Vorurteilen entgegenzuwirken. Ein negatives, wenig differenziertes Afrikabild überwiegt bei den befragten Jugendlichen. Wiederkehrende Begriffe sind Armut, Krankheit und Hunger. Ein Sechstklässler antwortet auf die Frage, was ihm zum Thema Afrika einfällt: „Diese Menschen, die an Krankheiten sterben und die haben halt nicht so viel Geld und nicht so viel Essen wie wir.“

Befragt wurden im Frühsommer 2015 208 Jugendliche aus zehn Schulklassen an zwei Realschulen. Die Lehramtsstudenten Clemens Franke, Benedikt Kiehn und Jan Siefer haben ihre kleine Studie hier zusammengefasst (PDF).

In einer Ausstellung im Hildesheimer Schulmuseum präsentieren die Studierenden nun Projektergebnisse: Sie zeigen das moderne, traditionelle und vielfältige Bild Afrikas anhand von Auszügen aus der Kinder- und Jugendliteratur. In den Kinderbüchern werden zum Beispiel Höflichkeits- und Umgangsformen sowie der Respekt und der Umgang miteinander thematisiert und in Tierfabeln in Kisuaheli vermittelt. Das Projekt wurde begleitet und mit Buchspenden unterstützt vom Verein Initiativen Partnerschaft Eine Welt e.V. in Hildesheim.

Neben den beiden international bekannten nigerianischen Autoren Chinua Achebe und Cyprian Ekwensi, die in kunstvoll illustrierten Kinderbüchern, wie „How the Leopard got his Claws“ (Achebe) und „Masquerade Time“ (Ekwensi), die Mythen und Fabeln ihrer Ahnen nutzen, um Kinder für die Vergangenheit zu sensibilisieren, sind auch autobiographische Erzählungen in der Ausstellung zu sehen. Zum Beispiel die Geschichte des jungen Autoren Mbu Maloni aus Südafrika, der seine Kindheit und Jugend in einem Waisenhaus in einem Township in seinem Buch „Niemand wird mich töten“ beschreibt und mit Unterstützung des Leiters des Waisenhauses Hokisa, Lutz van Dijk, sein Buch auch in Deutschland publizieren konnte.

Neben tansanischen Schulbüchern der Primarstufe und der weiterführenden Schulen werden Kinderbücher gezeigt, die Umweltbewusstsein und Naturschutz in den Mittelpunkt stellen oder Ausgrenzung und Benachteiligung im Kinder- und Jugendalter thematisieren.

Mit der Ausstellung startet auch eine öffentliche Ringvorlesung über Afrikabilder. Ein Thema ist unter anderem die Rolle von länderübergreifenden Schulpartnerschaften. Persönliche Begegnungen haben eine „fundamentale Bedeutung für das biographische Lernen bei Schülerinnen und Schülern“, sagt Jessica Schwarz. Sie hat im vergangenen Jahr ihre Dissertation über „Die Wiederentdeckung der Begegnung in der politischen Bildung“ verteidigt. Die Politikwissenschaftlerin der Universität Hildesheim untersucht, wie Globales Lernen in internationalen Schulpartnerschaften stattfindet. Dabei betrachtet sie die Zusammenarbeit von niedersächsischen Schulen mit Partnern in Brasilien, Costa Rica, Gambia, Kenia, Niger, Tansania und auf den Philippinen. Politische Problembestände seien „nicht mehr lokalisiert oder ausschließlich national geprägt“, so Schwarz. Die Wissenschaftlerin weist darauf hin, dass Schulpartnerschaften geeignet sind, „um Wissensvermittlung über globale Zusammenhängemit persönlichkeitswirksamen Erfahrungen der Begegnung mit einem vormals geographisch entfernten Kulturraum zu verbinden“.

Auf einen Blick / Afrikabilder: Ausstellung und öffentliche Vorlesungsreihe starten in Hildesheim

Jeden Donnerstag: Vorlesungsreihe über Afrikabilder auf der Domäne Marienburg. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Die Ausstellung zu afrikanischer Kinder- und Jugendliteratur wird am Donnerstag, 5. November 2015, um 16:00 Uhr im Schulmuseum auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg der Hildesheimer Universität eröffnet (Domänenstraße, 31141 Hildesheim). Interessierte Schulklassen und Bürger sind herzlich eingeladen. Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten des Schulmuseums (dienstags 10:00 bis 12:00 Uhr und mittwochs 15:00 bis 17:00 Uhr) geöffnet. Außerdem kann man Termine auf Anfrage vereinbaren. Auch Sonderführungen sind für Gruppen nach telefonischer Anmeldung möglich. Weitere Informationen findet man auf der Internetseite des Schulmuseums. Ansprechpartner ist Dr. Hartmut Schröder (Tel.: 05121-883-10150 oder E-Mail: ssm@uni-hildesheim.de). Der tansanische Künstler John Kilaka, der im November Kunst-Workshops zu tansanischer Malerei in Schulen und Kindergärten in Niedersachsen anbieten wird, ist ebenfalls vor Ort und mit seinen Fabelbüchern und Bildern bei der Auftaktveranstaltung vertreten. Seine Kinderbücher „Gute Freunde", „Frische Fische" und „Der wunderbare Baum" sind auch in deutsche Sprache übersetzt worden.

Mit der Ausstellung startet an der Universität Hildesheim auch eine öffentliche Ringvorlesung über Afrikabilder (Programm als PDF). Jeden Donnerstag von 16:00 bis 18:00 Uhr sprechen Fachleute aus Forschung und Schule. Die Vorträge finden im Burgtheater auf dem Kulturcampus Domäne Marienburg statt (Haus 2a,Raum 2a). Den Eröffnungsvortrag hält Kirsten Rüther, Professorin für Geschichte und Gesellschaften Afrikas an der Universität Wien, am 5. November 2015, um 16:15 Uhr. Am 12. November spricht Gerhard Meier-Hilbert (Hildesheim) über vielfältige Lebenswelten von Kindern in afrikanischen Ländern. Am 19. November gibt Manfred Loimeier (Heidelberg) Einblicke in Literaturvermittlung und die Förderung der Lesekultur unter Kindern und Jugendlichen in Nigeria und Mali.

Es folgen weitere Vorträge. Professor Wolfgang Schneider (Hildesheim) spricht zum Beispiel über Auswärtige Kulturpolitik und künstlerische Kooperationen und Luise Steinwachs(Berlin) gibt einen Einblick in Lernerfahrungen in Schulpartnerschaften. Auch die Herman-Nohl-Schule (Hildesheim) gibt Einblicke in eine Bildungspartnerschaft in Moshi/Tansania.

Die Vortragsreihe über Afrikabilder ist eine Kooperation des Instituts für Geschichte, der Stiftung Schulmuseum, des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Hildesheim und des Vereins Initiativen Partnerschaft Eine Welt e.V. Die Sparkasse und das Bistum Hildesheim unterstützen die Reihe.


John Kilaka ist in einer Ausstellung im Hildesheimer Schulmuseum mit seinen Bildern und Fabelbüchern über Freundschaft und Natur vertreten. Die Kinderbücher des Künstler aus Tansania wurden in deutsche Sprache übersetzt. Bild: John Kilaka

John Kilaka ist in einer Ausstellung im Hildesheimer Schulmuseum mit seinen Bildern und Fabelbüchern über Freundschaft und Natur vertreten. Die Kinderbücher des Künstler aus Tansania wurden in deutsche Sprache übersetzt. Bild: John Kilaka