Können wir eigentlich ohne Medienapparate leben?

jeudi, 09. juin 2016 um 12:50 Uhr

In der zeitgenössischen Kunst tauchen Medienapparate aus dem vorigen Jahrhundert auf. Fachleute tagen auf einer Konferenz in Hannover. Wie ist unser Verhältnis zu Medienapparaten – nachgefragt bei Professorin Stefanie Diekmann, Medienwissenschaftlerin an der Universität Hildesheim.

Ein klobiges Handy mit Antenne meines Theaterlehrers in den 1990ern, ein schwarz-weiß Fernseher meiner Großmutter – das sind Medienapparate, die ich gerade vor Augen habe. An welche Medienapparate erinnern Sie sich, wenn Sie einmal die Zeit zurückdrehen?

Stefanie Diekmann: An einen ebenfalls sehr klobigen Fernseher im Wohnzimmer meiner Eltern, der, weil Fernsehen doch eine irgendwie suspekte Aktivität war, die meiste Zeit seines Daseins als Beistelltischchen verkleidet sein Dasein fristete. Weiter: an meinen ersten Kassettenrecorder die improvisierten Hörspiele, Nachrichtensendungen etc. die wir damit aufzunehmen versuchten. Weiter: den ersten Plattenspieler, den ersten Walkman und Discman – mir wird gerade klar, dass „der/die/das erste ...“ auch medienbiografisch eine ziemlich wichtige Formel ist.

Heute tragen wir immer leichtere mobile Endgeräte mit uns, manche Geräte werden als „intelligent“ bezeichnet und Rechenleistungen sind allgegenwärtig. Sie sprechen von einer „Dematerialisierung“, von einem „Rück- und Abbau des Apparativen, seiner Materialität, seiner Masse, seiner Volumen“. In der zeitgenössischen Kunst tauchen Medienapparate aus dem vorigen Jahrhundert auf. Je weiter sie aus der alltäglichen Medienkultur verschwinden, desto präsenter sind sie in den Künsten. Wie ordnen Sie diese Gegenbewegung ein?

Nun ja, erst einmal schon als ein Phänomen des langen Abschieds. Wir sind gerade in einer Phase, in der die älteren, vor allem: die analogen, Medienapparate aus der medialen Alltagskultur so gut wie verschwunden, zugleich aber noch nicht ganz in der Museumsvirtrine angekommen sind.
Die verschiedenen Formen der Mise en scène, mit denen wir uns im Rahmen der Tagung befassen, und für die zum Beispiel Künstler wie Simon Denny und Rosa Barba stehen, markieren diesen Übergang in Verhältnisse der Distanz und der Unselbstverständlichkeit, was analoge Apparativität angeht.

Ist das eine Sehnsucht nach früheren Tagen – in denen wir noch nicht in Datenwolken eingehüllt durch den Alltag gingen? Mittlerweile legt ja kaum einer noch sein Smartphone aus der Hand. Wie reagieren Künstlerinnen und Künstler darauf?

Ein Moment der Nostalgie ist in gegenwärtigen Inszenierungen analoger Apparativität natürlich sehr präsent; ganz unübersehbar. Zugleich muss man sagen, dass zum Beispiel die Geschichte des „Expanded Cinema“, in dem Kino vor alllem als Dispositiv und Apparat ausgestellt wird, bereits in den 1970er Jahren beginnt. Die Filmtage in Oberhausen haben vor zwei, drei Jahren eine sehr interessante Ausstellung dazu gemacht, und eine unserer Master-Studentinnen wird sich in ihrer Abschlussarbeit genau damit befassen. Künstlerische Arbeiten zur Materialität des Fernsehers existieren seit den 1980ern, etwa von Nam June Paik und Wolf Vostell. Umgekehrt ist das Smartphone, das, wie Sie sagen, von vielen kaum mehr aus der Hand gelegt wird, ein wichtiges Requisit in vielen aktuellen Arbeiten aus dem Bereich Performance und Sound-Installation, von Rimini Protokoll bis zu Melina Mélian.

Wie hängen die Digitalisierung, der immer leichtere Zugang zum Internet, mit der Geschichte der Medienapparate zusammen – was beobachten Sie? Setzen sich Künstlerinnen und Künstler verstärkt mit den Anfängen auseinander, weil die neuen Technologien so präsent in unserem Lebensalltag sind und es hilft, das Hier und Jetzt etwas zu verstehen?

Ich glaube ja, dass wir uns medienkulturell einem Punkt nähern, in dem unser Verhältnis zu den so genannten mobilen Endgeräten ein reines Nutzerverhältnis ist. Wir verstehen uns auf Eingaben; aber wie die Geräte funktionieren, verstehen wir nicht mehr, können wir auch nicht, es sei denn aus der Perspektive von absoluten Spezialisten. Die Kunstprojekte, die ich kenne, jedenfalls die interessanteren (Mélian und andere), tendieren auch dazu, dieses Eingabe-, Ausgabe- Nutzerverhältnis zu thematisieren.

Was die Geschichte der Medienapparate angeht: Friedrich Kittler hat in einer Publikation von 1986 formuliert: „Die Leute werden an einem Nachrichtenkanal hängen, der für verschiedene Medien gut ist.“ Man kann das eine ziemlich treffsichere Prognose nennen, denn dieser eine Kanal, der letztlich alle Mediendifferenzen und -inhalte absorbiert, ist unser medialer Alltag, Kittler formuliert damals, 1986, aber auch: „Aber noch gibt es Medien“, womit er vor allem meinte: Mediendifferenzen. Aktuell befinden wir uns immer noch in der Spätphase dieses „Aber noch gibt es...“. Wie wichtig Kittler und seine Überlegungen zur Digitalisierung sind, sieht man übrigens nicht nur an unserer Tagung, sondern auch an einer anderen, die nächste Woche an der Universität Bonn stattfindet und sich mit Kittlers Buch „Grammophon, Film, Typewriter“ befasst, aus dem die beiden Zitate stammen.

Ein Blick in die Lehre: Sie unterrichten an der Universität in Hildesheim Studentinnen und Studenten in den Kulturwissenschaften. Welche Medientechniken und Apparate sind denn in der Lehre gefragt – beobachten Sie hier auch den Rückgriff auf die Geschichte?

Nun ja, um ehrlich zu sein, ist unser eigener Medieneinsatz in der Lehre geradezu retro-ästhetisch: immer noch Laptop, Laufwerk und power Point. Übungen zum Filmen und Fotografieren mit dem Smartphone haben wir aber schon immer wieder im Programm, ebenso Seminare und Sitzungen zu Themen wie Bilddatenbanken, Selfies etc. oder Kurse zur Gestaltung von Web-Auftritten. Ein zentrales Thema von mir ist die Mise en scène von Bildmedien und Medienapparaten im Film. Und unser Spezialist für das Thema „Medienzukünfte“ (sowie ihre immer länger werdende Vergangenheit) ist Dr. Volker Wortmann. Auch deshalb freue ich mich, dass wir diese Konferenz zusammen organisieren konnten.

Sind diese Medienapparate eigentlich in irgendeiner Form lebensnotwendig – oder kommen wir auch ohne sie gut aus?

Ja, sind sie. Und ich sage das als Medienskeptikerin und als eine Nutzerin, die immer sehr spät dran ist, wenn es darum geht, neue Geräte und Technologien in den eigenen Medienalltag zu integrieren.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Kurz erklärt: Tagung in Hannover: Wie analoge Medienapparate präsentiert werden

Aus dem Alltag, kleine Medienapparate. Zeichnung: Erik Stein

Prof. Dr. Stefanie Diekmann und Dr. Volker Wortmann forschen in den Bereichen Medienästhetik und Medienkultur. Um aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung zu diskutieren, laden die beiden Medienwissenschaftler_innen der Universität Hildesheim in Zusammenarbeit mit dem Sprengel-Museum zu einer internationalen Tagung in Hannover ein.

Dabei zeigen die Fachleute anhand von Fallstudien, wie analoge Medienapparate präsentiert und inszeniert werden. „Wir erleben einen Rückbau des Materiellen. Früher stand ein klobiger Fernseher in den Wohnzimmern. Heute kann ein kleines Smartphone fast alles. Wir sind in einer Transit-Phase. Medienapparate erleben sorgfältig inszenierte Auftritte im Kino, Museum und Theater. Sie sind aber noch nicht ganz in der Vitrine angekommen“, sagt Stefanie Diekmann. Das Verstreichen von Zeit und die ungeheure Entwicklung in der Medientechnik dokumentiert etwa der Trailer zum Sequel des Films „Wall Street“.

Die Konferenz „Die Attraktion des Apparativen“ findet vom 10. bis 11. Juni 2016 im Sprengel-Museum und im Staatstheater Hannover statt und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Herder-Kolleg gefördert. Die Tagung ist öffentlich. Christoph Asendorf von der Europa-Universität Frankfurt/Oder spricht über die „Faszinationsgeschichte des Maschinellen“. Welche Positionen Künstlerinnen und Künstler angesichts des technologischen Wandels einnehmen, darüber referiert die Medienwissenschaftlerin Christa Blümlinger von der Universität Paris Saint-Denis (Frankreich). Susanne Holschbach von der Universität der Künste in Berlin gibt Einblicke in ihre Feldforschungen im analogen Milieu, die Wissenschaftlerin hat analoge Fotoapparate und vor allem den aktuellen Kult um die Lochkamera untersucht. Thomas Y. Levon von der Princeton Universität (USA) zeigt, wie wir mit selbsterstellten Audioaufnahmen umgehen. Mieke Matzke, Theaterwissenschaftlerin an der Universität Hildesheim, beschäftigt sich damit, wie das gegenwärtige Performance-Theater Medientechnik inszeniert.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


Gummibänder halten ein Smartphone fest, damit das Bild nicht verwackelt – auch mit geringsten technischen Mitteln produzieren Studentinnen während eines Seminars auf dem Kulturcampus Kurzfilme. Professorin Stefanie Diekmann forscht an der Universität Hildesheim forschen in den Bereichen Medienästhetik und Medienkultur. Fotos: Isa lange/Uni Hildesheim

Gummibänder halten ein Smartphone fest, damit das Bild nicht verwackelt – auch mit geringsten technischen Mitteln produzieren Studentinnen während eines Seminars auf dem Kulturcampus Kurzfilme. Professorin Stefanie Diekmann forscht an der Universität Hildesheim forschen in den Bereichen Medienästhetik und Medienkultur. Fotos: Isa lange/Uni Hildesheim

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