Jung gründen

vendredi, 13. novembre 2015 um 08:00 Uhr

Schon einmal an eine Gründung gedacht? Während einer Themenwoche können sich Studierende vom 16. bis 22. November 2015 über Gründungen informieren. Wie sieht es eigentlich an Universitäten und Schulen mit dem unternehmerischen Handeln aus? Nachgefragt bei der Psychologin Astrid Lange. Die Abteilung „Wirtschaftswissenschaft und ihre Didaktik" bildet an der Universität Hildesheim Lehrerinnen und Lehrer aus, die Unternehmergeist in Schulen tragen sollen. Die Uni sucht derzeit junge Gründerinnen und Gründer, die von ihren Erfahrungen berichten möchten.

Sie gehen der Frage nach, warum Studentinnen und Studenten gründen und wie sie Geschäftsideen umsetzen. Apropos, haben Sie eigentlich schon einmal über eine Gründung nachgedacht?

Astrid Lange: Ja, tatsächlich wollte ich mich nach meinem Studium in der Hochbegabtenberatung selbstständig machen; zugleich hat mich aber die Wissenschaft interessiert. Damals gab es noch nicht die Angebote für gründungsinteressierte Studierende, wie wir sie heute kennen, zum Beispiel Teambörsen oder kostenfreie Qualifizierung für betriebswirtschaftliches Know-How. Ich fühlte mich noch nicht bereit zur Gründung. Seither habe ich viel gelernt; und irgendwann möchte ich neben meiner Tätigkeit in Wissenschaft und Lehre gern beratend tätig sein, zum Beispiel in Form einer nebenberuflichen Selbstständigkeit.

„Karriereziel Unternehmer/Unternehmerin" – ist das ein Thema an Universitäten? Welche Erfahrungen machen Sie in Hildesheim?

Universitäten sollen die Studierenden fachlich qualifizieren und auf das spätere berufliche Leben vorbereiten. Alle Studierenden sollten während ihres Studiums die Möglichkeiten haben, eigene Gründungsneigungen zu reflektieren, eigene Geschäftsideen und eigene unternehmerische Kompetenzen zu entwickeln. Universitäten sollten Berührungspunkte mit diesem Thema schaffen und unreflektierte stereotype Meinungen mit den realen Chancen und Risiken von „Gründen“ und „Nicht-Gründen“ konfrontieren. Ziel dabei ist es nicht, alle Studierenden zur eigenen Gründung zu treiben, sondern sie für die beruflichen Optionen des Unternehmertums in all ihren Varianten so zu sensibilisieren, dass sie später alle Chancen zur beruflichen Selbstverwirklichung und vorhandene Innovationspotentiale vorurteilsfrei und qualifiziert nutzen können.

Wir versuchen, wann immer möglich Berührungspunkte mit dem Thema Unternehmertum zu schaffen, beispielsweise befassen wir uns mit Unternehmertum im Seminar „Wirtschaftspsychologie“, zu dem Thema entstehen Abschlussarbeiten und wir informieren über regionale Angebote zur Unterstützung von Gründungsinteressierten. Im November bieten wir eine volle Woche Diskussionen und Beratung im Rahmen der „Global Entrepreneurship“-Woche an (16. bis 22. November 2015 an der Uni Hildesheim). Die Inhalte reichen vom Workshop „Business-Plan“ über Gründungen im Kulturbereich bis zur Frage, wie Lehrerinnen und Lehrer Schülerfirmen begleiten können. Ein Wirtschaftsinformatiker zeigt zum Beispiel, wie man Geschäftsideen visualisieren und weiterentwickeln kann. Studierende und Lehrende aller Fachbereiche können teilnehmen.

Welche Rolle spielen die Universitäten?

Es ist wichtig, ein positives Gründungsklima an Universitäten zu schaffen. Das heißt, unternehmerisches Denken und Handeln wertzuschätzen und unternehmerisch Handelnde in ihrer Vielfalt zu zeigen. Hier setzt beispielsweise die Initiative „Frauen unternehmen“ vom Bundeswirtschaftsministerium an. Unternehmerinnen aus ganz Deutschland arbeiten zusammen, um Mädchen und Frauen für Unternehmertum zu sensibilisieren. Eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft dabei ist es, die Wirksamkeit solcher Initiativen  wissenschaftlich zu begleiten, um weiter daraus zu lernen.

Worum kreisen denn die Gedanken, wenn man sich für eine berufliche Selbstständigkeit entscheidet?

Zum Beispiel geht es darum, wie die eigene Geschäftsidee verbessert werden kann, wie man das passende Team findet, wer einem das erforderliche Know-How knackig und gut vermitteln kann. Die Gedanken kreisen um die eigenen Ressourcen, die eigene Person, die eigene Idee.

Und was ist mit jenen, die gar nicht über Unternehmertum nachdenken?

Es ist eine spannende Frage, welche Gedanken Studierende haben, die sich klar gegen eine berufliche Selbstständigkeit entscheiden. Sie sind sich häufig sicher, kein „Unternehmertyp“ zu sein, sie halten sich selbst für zu vorsichtig und nicht risikobereit oder kreativ genug. Die Gedanken kreisen um die Befürchtungen, sich finanziell zu ruinieren und sein Gesicht zu verlieren und sich andere berufliche Chancen zu verbauen. Das sind alles wichtige Gedanken. Aber Fragen nach Erfolgsaussichten, dem Verlustrisiko, erforderlichen Ressourcen und persönlicher „Eignung“ können nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängen vom konkreten unternehmerischen Projekt ab. Die Frage „Bin ich ein Gründungstyp“ ist keine konstruktive Frage; besser ist es, sich zu fragen „Wer bin ich? Was ist mir im Leben wichtig? Wie kann mir Unternehmertum dabei helfen, meine Ziele in meinem Leben zu erreichen?“.

Wie kann man junge Leute auf Ihrem Weg zur Unternehmung unterstützen – wie sollte das lokal organisiert sein? Ist es sinnvoll, spezielle Angebote für Frauen anzubieten – etwa über die regionale Wirtschaftsförderung?

Unternehmertum muss als Thema präsent sein. Es müssen Räume da sein, sich auszuprobieren, „Fehler“ zu machen und daraus zu lernen. Dabei sollte es Angebote für eine breite Masse ebenso wie Angebote für bestimmte Zielgruppen geben. Angebote speziell für Frauen sprechen meiner Erfahrung nach einen Teil der Frauen an und schrecken zugleich einen anderen Teil der Frauen ab. Es gibt eben nicht die eine Fördermaßnahme für alle. Wir brauchen also vielfältige Angebote, zugeschnitten für verschiedene Zielgruppen.

Regionale Akteure spielen hier eine wichtige Rolle, weil die Förderung von Unternehmertum und unternehmerischen Frauen nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Über die Gemeinschaftsinitiative „Mittelstand: Fit für die Zukunft!“ der HI-REG gibt es einen engen Austausch zwischen Akteuren der Hildesheimer Wirtschaft, Wirtschaftsförderung und Hochschulen. Seit einem Jahr werden die Gründungsseminare der HI-REG für die Studierenden kostenfrei angeboten – das ist ein guter Schritt. Auch an der Uni Hildesheim tut sich einiges. So hat sich im Sommersemester 2014 eine Arbeitsgruppe „Entrepreneurship“ zusammengefunden; hier beraten wir, was wir tun können und welche Partnerinnen und Partner wir brauchen, um das immense unternehmerische Potential unserer Uni zu fördern, sichtbar zu machen und weiter wachsen zu lassen.

Können die Familie und Vorbilder weiterhelfen bei der Entscheidung für oder gegen eine Gründung oder dazu beitragen sich diese Frage überhaupt zu stellen? Ich vermute, viele spielen noch nicht einmal mit dem Gedanken, sich selbstständig zu machen.

Die Mehrheit der Studierenden lehnt eine eigene Unternehmensgründung pauschal ab – allerdings ohne sich tatsächlich mit Unternehmertum zu beschäftigen. Stattdessen ist diese Ablehnung in persönlichen Überzeugungen begründet, die eben zu oft nicht auf Erfahrungen und Durchdenken beruhen, sondern zum Beispiel auf kurzsichtigen, stereotypen Darstellungen von Unternehmerinnen und Unternehmern. Vorbilder können dazu beitragen, vorhandene Fehlüberzeugungen herauszufordern, zu durchbrechen und zu ändern, indem die tatsächliche Vielfalt von Unternehmertum aufgezeigt wird. Vorbilder können inspirieren und sensibilisieren und so die Beschäftigung mit eigenem unternehmerischen Denken und Handeln fördern.

Welche Rolle spielen zielgerichtete Informationen? Sie machen auf der Internetseite der Arbeitsgruppe Wirtschaftswissenschaft und ihre Didaktik auf Unterstützungsangebote und Wettbewerbe aufmerksam, an denen Studierende teilnehmen können.

Wir hoffen, über unser Informationsangebot Studierende zu aktivieren und zum Engagement zu motivieren. Wahrscheinlich erreichen die meisten Informationen mit Bezug zum Unternehmertum aber eher diejenigen, die schon Gründungsinteresse haben. Das ist auch wichtig. Um aber eine breitere Masse und unentschlossene Studierende zu erreichen, sind andere Informationskanäle und eine andere Sprache nötig. Beispielsweise schrecken die Begriffe „Unternehmertum“ und „Gründung“ Studierende mitunter ab. Meine Erfahrung ist, dass Studentinnen, die von außen betrachtet klar als unternehmerisch tätig bezeichnet werden, sich selbst oftmals nicht als Unternehmerinnen bezeichnen würden, weil sie damit unter anderem ein männlich geprägtes, auf Eigennutz ausgerichtetes Verhaltensbündel assoziieren. Um diese Studentinnen zu erreichen und sie zu unterstützen, müssen wir anders informieren und anders kommunizieren.

Sie bilden Lehrerinnen und Lehrer für Grund-, Haupt- und Realschulen aus. Im Masterstudium arbeiten sie über einen Zeitraum von jeweils eineinhalb Jahren mit Studierenden in der Forschung zusammen. Sie befragen Schülerinnen und Schüler, was sie sich unter Wirtschaft vorstellen. Sie befassen sich mit den Themen „Frauen in der Wirtschaft: Rollenmodelle für Schülerinnen und Schüler" und „Förderung von unternehmerischem Denken und Handeln im Wirtschaftsunterricht: Chancen und Risiken". Parallel dazu sind die Lehramtsstudierenden im Klassenzimmer. Welche Rolle spielen Lehrkräfte, um unternehmerisches Interesse zu wecken?

Die Schule kann ein Raum sein, der Inspiration fördert und Selbstentfaltung in Gang bringt, oder auch ein Raum, der Chancen verbaut und Inspiration im Keim erstickt. Natürlich spielen Lehrerinnen und Lehrer hier eine große Rolle. Darum sollen unsere Studierenden im Lehramt Wirtschaft ein offenes, nicht stereotypes Bild von Unternehmertum erwerben. Sie sollen Initiativen wie das „Junior-Projekt“ oder „Frauen unternehmen“ kennen. Sie sollen Unternehmungsgeist in die Schulen tragen können. Sie müssen für Themen wie Gender und Migration sensibilisiert werden und selbst fachlich fundierte Kompetenzen im Bereich der Berufsorientierung entwickeln.

Was zeichnet Studierende aus, die unternehmerisch denken?

Unternehmerisches Denken und Handeln bedeutet, Gelegenheiten zur Bewältigung von Herausforderungen dort zu erkennen, wo andere nur Probleme sehen, und auch neue Gelegenheiten unter Nutzung der vorhandenen Ressourcen selbst zu kreieren. Statt sich beispielsweise darüber zu ärgern, dass die Literatur der Bibliothek nicht ausreicht, organisieren unternehmerische Studierende eine Tauschbörse für gebrauchte Lehrbücher. Oder statt in den Klagekanon über Prüfungsstress einzustimmen, entwickeln sie die Idee für eine App, die Studierenden intuitiv das Zeitmanagement erleichtert und bringen dann die Menschen zusammen, die die App-Idee umsetzen können. Unternehmerisches Denken und Handeln umfasst also ein Kompetenzcluster aus Verantwortungsbereitschaft, Eigeninitiative, Kreativität, guter Selbstkenntnis und Selbstmanagementfähigkeit – alles Merkmale, die wir in Deutschland brauchen, um mit aktuellen Wandlungsprozessen erfolgreich umzugehen. Das mündet nicht nur in wirtschaftlichen Neugründungen, sondern ebenso in Innovationsprozessen in Unternehmen oder in sozialen und kulturellen Engagementprojekten. Dies an der Universität Hildesheim zu fördern, bringt die Studierenden ebenso wie die Wirtschaft und unsere Region als Ganzes voran.

Die Fragen stellte Isa Lange.

Zur Person

Dr. Astrid Lange forscht und lehrt gemeinsam mit Prof. Dr. Athanassios Pitsoulis an der Universität Hildesheim im Bereich Wirtschaftswissenschaft und ihre Didaktik. In ihrer Promotion an der BTU Cottbus hat die Wirtschaftspsychologin untersucht, warum Studierende gründen. Die Wissenschaftlerin in der Postdoc-Phase wurde bereits vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie als Expertin für die Sensibilisierung weiblicher Studierender für Unternehmertum zu einem Workshop im Beisein des Bundeswirtschaftsministers eingeladen.

Unternehmertum – ein Thema in der Lehrerausbildung

Vor genau einem Jahr wurde der neue Lehramts-Masterstudiengang in Niedersachsen eingeführt. Das Masterstudium umfasst vier statt bisher zwei Semester sowie eine Praxis- und Forschungsphase. Das sei eine große Chance, sagt Professor Athanassios Pitsoulis.  „Wir können nun besser dazu beitragen, dass künftige Generationen von Lehrerinnen und Lehrern mit einem weniger durch Stereotype geprägten Bild von Unternehmertum an die Schulen kommen. Unser Land kann es sich langfristig schlichtweg nicht leisten, das vorhandene unternehmerische Potenzial verkümmern zu lassen“, so der Wirtschaftsprofessor der Uni Hildesheim. „Weil Berufsorientierung eine Querschnittsaufgaben an Schulen ist, sollten idealerweise alle Lehramtsstudierenden und nicht nur die im Fach Wirtschaft an Unternehmertum als einem Teilbereich schulischer Berufsorientierung herangeführt werden.“

An der Universität Hildesheim können Lehramtsstudierende aller Fächer beispielsweise am 16. November 2015 Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern über die Schulter schauen, die im Rahmen des „Junior“-Projektes in Schülerfirmen aktiv sind. Das ist eines der vielfältigen Angebote in der „Global Entrepreneurship Week“ an der Universität Hildesheim. Das Team vom career service der Zentralen Studienberatung unterstützt darüber hinaus Studierende bei Fragen zur beruflichen Entwicklung.

Aufruf: Jung gründen – erzähl deine Geschichte!

Was sie antreibt, welche Geschäftsideen sie haben und wie junge Leute im kulturellen und sozialen Bereich ein Unternehmen gründen: In einer Serie berichtet die Universität Hildesheim über junge Gründerinnen und Gründer. Studentinnen und Studenten aller Fachbereiche, die bereits Gründungserfahrungen gesammelt haben, können sich in der Pressestelle melden (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de). Wie hast du ein Unternehmen aufgebaut – dein Ratschlag an junge Gründerinnen und Gründer? Überlegst du zu gründen – was ist deine Idee? Was treibt dich an? Wer unterstützt dich dabei? In der Serie geht es nicht nur um klassische Unternehmen, sondern auch um kulturelles Unternehmertum. So geben Studierende des Kreativen Schreibens zum Beispiel die Literaturzeitschrift „Bella triste“ heraus und vertreiben die Ausgaben bundesweit.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


Die Wirtschaftspsychologin Astrid Lange bereitet derzeit mit einem Team eine Themenwoche an der Universität Hildesheim vor: vom 16. bis 22. November 2015 erfahren Studierende, wie sie einen „Business-Plan“ erstellen, tauschen sich über Gründungen im Kulturbereich aus und erfahren, wie Lehrerinnen und Lehrer Schülerfirmen begleiten können. Ein Wirtschaftsinformatiker zeigt zum Beispiel, wie man Geschäftsideen visualisieren und weiterentwickeln kann. Studierende und Lehrende aller Fachbereiche können teilnehmen. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim

Die Wirtschaftspsychologin Astrid Lange bereitet derzeit mit einem Team eine Themenwoche an der Universität Hildesheim vor: vom 16. bis 22. November 2015 erfahren Studierende, wie sie einen „Business-Plan“ erstellen, tauschen sich über Gründungen im Kulturbereich aus und erfahren, wie Lehrerinnen und Lehrer Schülerfirmen begleiten können. Ein Wirtschaftsinformatiker zeigt zum Beispiel, wie man Geschäftsideen visualisieren und weiterentwickeln kann. Studierende und Lehrende aller Fachbereiche können teilnehmen. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim