Erforschung "Interkultureller Kommunikation"

mardi, 02. janvier 2007 um 14:31 Uhr

Prof. Dr. Stephan Schlickau beschreibt Hildesheimer Perspektiven

Globalisierung und Internationalisierung kennzeichnen heute die Realität vieler Institutionen - von Bildungseinrichtungen bis hin zu Wirtschaftsunternehmen. Dies wurde in Hildesheim schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt erkannt - zu einer Zeit, als sich die heutigen Verflechtungen erst im Aufbau befanden.

Besonders Jürgen Beneke, dann aber auch Francis Jarman reagierten auf die sich abzeichnenden Trends mit einer Intensivierung ihrer Forschungs- und Lehraktivitäten auf den Gebieten interkultureller Kommunikation. In Auseinandersetzung mit Forschern wie Edward T. Hall und Geert Hofstede identifizierten sie so genannte "Kulturdimensionen", hinsichtlich derer sich Angehörige verschiedener Kulturen unterscheiden und die somit deren Kommunikation untereinander beeinflussen und schlimmstenfalls sogar stören können. Diese überlegungen flossen in das Hildesheimer Modell zur Interkulturellen Kompetenz ein.

Besonders Jürgen Beneke, dann aber auch Francis Jarman reagierten auf die sich abzeichnenden Trends mit einer Intensivierung ihrer Forschungs- und Lehraktivitäten auf den Gebieten interkultureller Kommunikation. In Auseinandersetzung mit Forschern wie Edward T. Hall und Geert Hofstede identifizierten sie so genannte "Kulturdimensionen", hinsichtlich derer sich Angehörige verschiedener Kulturen unterscheiden und die somit deren Kommunikation untereinander beeinflussen und schlimmstenfalls sogar stören können. Diese überlegungen flossen in das Hildesheimer Modell zur Interkulturellen Kompetenz ein.

Auf dieser langjährigen und umfangreichen Tradition kann die weitere Forschung im Bereich "Interkulturelle Kommunikation" aufbauen. Denn mit den Kulturdimensionen liegen Kategorien vor, die die weitere Analyse interkultureller Kommunikation inspirieren. Spezifischer Bedarf besteht jetzt vor allem an empirischen Mikroanalysen, wodurch einerseits die kommunikative Relevanz der Kulturdimensionen weiter zu präzisieren ist, andererseits bislang weniger beachtete Phänomene in den Blickpunkt geraten. Befragungen von Kommunikationsteilnehmern und eher summarische Betrachtungen kommunikativer Ereignisse sind insbesondere durch Mikroanalysen authentischer Kommunikation zu ergänzen. Methodisch erfordert dies z.B. den Einsatz diskursanalytischer Verfahren. Hiermit wird es möglich, auf empirischer Grundlage und mit einem entwickelten Instrumentarium exemplarisch kulturspezifische sprachliche Handlungsmuster herauszuarbeiten, die von Sprechern oft unreflektiert als universal unterstellt werden, was mit zu den oben erwähnten Problemen interkultureller Kommunikation beiträgt.

Einen hochgradig anwendungsorientierten Charakter erhält diese Forschung, wenn allgemeine und spezifisch institutionelle sprachliche Handlungsmuster (z. B. aus der Wirtschaft, den Bildungseinrichtungen, den Massenmedien etc.) zum Gegenstand gemacht werden. Dieses Verfahren wird an folgendem Beispiel deutlich: Die empirische Grundlage besteht aus dem Mitschnitt einer videokonferenzbasierten Diskussion zwischen deutschen und US-amerikanischen Studierenden an der Miami University in Oxford/Ohio. Das Thema der Diskussion lautet Internationaler Terrorismus und betrifft damit einen Realitätsausschnitt, der in der jüngeren Vergangenheit auf politischer Ebene zwischen den USA und Deutschland gelegentlich kontrovers diskutiert wurde - insbesondere hinsichtlich geeigneter Maßnahmen zu seiner Bekämpfung. Im Beispiel aus dem Jahr 2002 geht es um genau einen solchen kritischen Punkt, nämlich ob ein Krieg gegen den Irak ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus darstelle.

Unmittelbar auffällig ist im empirischen Fall die Involviertheit der Diskussionsteilnehmer, denen in der Tat an einer überzeugung der jeweils anderen Seite gelegen ist. Beide Seiten vertreten dabei ganz überwiegend die Positionen ihrer jeweiligen Regierungen. Abgesehen von diesem für die weitere Analyse nicht unwesentlichen Situationsmerkmal soll innerhalb dieses kurzen Beitrags weniger auf die inhaltlich vorgebrachten Argumente eingegangen werden, sondern vielmehr auf einen kleinen, aber für das soziale Klima durchaus wesentlichen kulturabhängigen Unterschied in der Strukturierung der Diskussion.

Ein Instrument, das eine solche Strukturbeschreibung erlaubt, ist die funktional-pragmatische Musteranalyse. Handlungstheoretisch fundiert, geht sie zur Beschreibung eines sprachlichen Handlungsmusters von kommunikativ zu realisierenden Zwecken aus und untersucht die komplexen Vermittlungsverhältnisse von mentalen Aktivitäten und sprachlichen Oberflächen. Sprachliche Handlungsmuster sind dabei gesellschaftlich entwickelte Lösungen zur Bearbeitung rekurrenter Problemkonstellationen. So besteht ein entscheidender Zweck einer Diskussion im Meinungsaustausch sowie zumindest partieller gegenseitiger überzeugung (sieht man hier z.B. von massenmedial überformten Diskussionen ab). Das Handlungsmuster Diskussion existiert nun zwar in vielen Kulturen der Welt. Für den deutsch-amerikanischen Vergleich lohnt es sich jedoch, einen genaueren Blick auf die Verbalisierung einzelner Musterpositionen zu werfen, die in der folgenden Darstellung als Analyseergebnis festgehalten sind.





In der transkriptbasierten Analyse der auf Deutsch geführten Diskussion fiel auf, dass die amerikanischen Studierenden weitaus häufiger Aussagen treffen wie "ich sehe diese Meinung", womit sie ihre Reaktionen auf äußerungen deutscher StudentInnen einleiten. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die reiche Auswahl sprachlicher Mittel, die das Englische zur Realisierung einer solchen Position zur Verfügung stellt (u.a. "I understand what you're saying, and where you're coming from"; "I see your point"; "You've got a point there"; "I take your point"; "I can dig that"). Die vergleichsweise frequente Benutzung solch scheinbarer Formeln ist durch die rot gestrichelten Bestandteile der graphischen Darstellung des Großmusters Diskussion repräsentiert.

Die als Basis für die graphische Darstellung dienende Analyse des Handlungsmusters weist nun aber nach, dass es sich bei diesen Phrasen keineswegs um Formeln handelt, sondern um systematische Verbalisierungen mentaler Positionen, die konstitutiv für (geglückte) Diskussionen sind. Diesen Hinweis erhält ein diskursanalytisch vorgehender Forscher dadurch, dass er die Zwecke des sprachlichen Handelns stets im Auge behält und somit von der Sache her notwendige mentale Aktivitäten in seiner Analyse mitberücksichtigt. Stellt man die sich aus dieser Perspektive aufdrängende Frage, welche sprachlichen Mittel denn Angehörige der deutschen Kultur bevorzugt einsetzen, um die Bearbeitung des von der anderen Seite eingebrachten Arguments auszudrücken, bleibt hier einerseits das Gegenargument selbst, das inhaltlich den Grad der Auseinandersetzung anzeigt. Andererseits ist es aber auch unser berühmtes "ja, aber", das die Kenntnisnahme zumindest rudimentär ausdrückt. Eine explizitere Führung des Gegenübers durch die eigene Rezeptionswelt bleibt jedoch meist aus. Einen Amerikaner, der reichhaltigere Rückmeldungen gewohnt ist, kann ein solches Kurzverfahren verunsichern und ihn den Eindruck gewinnen lassen, sein Argument werde nicht hinreichend aufgenommen und bearbeitet.

Für interkulturelle Kommunikation liegt im deutschen "ja, aber" sogar noch ein zweiter Fallstrick in der Semantik des "aber": im Gegensatz zum "but" negiert es weniger die vorausgegangene äußerung insgesamt. Es ist anzunehmen, dass dieser Aspekt von der Mehrheit fremdsprachlich Handelnder weder im Deutschen noch im Englischen berücksichtigt wird. Einer äußerung wie "ich sehe diese Meinung" kommt in amerikanischen Diskussionen aber auch noch eine weitere Funktion zu. Sie zeigt nämlich an, dass eine Diskussion - trotz möglicher Meinungsunterschiede im Detail - noch immer als insgesamt erfreulich wahrgenommen wird. Auch eine Signalisierung dessen gehört nun zwar konstitutiv zu einer Diskussion, wird aber kulturkontrastiv verschieden realisiert. Diese Unterschiede können nun - wie übrigens auch im hier angeführten Beispiel - mit dazu beitragen, dass sich die allgemeine Stimmung während einer Diskussion verschlechtert. Neben dem Ausbleiben solcher scheinbarer Floskeln, die die Amerikaner vermisst haben mögen, trugen übrigens unterschiedliche Konzepte einzelner Wörter (hier: insbesondere von Krieg und war im Amerikanischen Englisch) sowie unthematisiert bleibende amerikanische Präsuppositionen zu dieser Tendenz bei. Als Beispiel für Letzteres ist die unhinterfragt bleibende Präsupposition zu nennen, als "Freund" solle Deutschland (unilateral getroffene) US-amerikanische Entscheidungen unterstützen. Im Detail sind diese interkulturell ebenfalls bedeutsamen Phänomene in Schlickau (2005) diskutiert.

Konsequenzen für die Forschungsmethoden und das Forschungsmaterial "Interkultureller Kommunikation"
Der für Missstimmungen zumindest mitursächliche Unterschied in der Verbalisierung einzelner Musterpositionen konnte in weniger kontroversen Diskussionen hinsichtlich seiner Auswirkungen nicht nachgewiesen werden. Dies hängt offensichtlich damit zusammen, dass weniger Involviertheit und eine geringere Notwendigkeit, eigene Positionen argumentativ durchzusetzen, solche expliziten Würdigungen von Argumenten aus amerikanischer Perspektive weniger erforderlich machen. Hieraus leitet sich unmittelbar eine Konsequenz für das zugrunde zu legende Forschungsmaterial ab: Es muss nämlich authentisch sein. Nur die Authentizität und Einbettung von Kommunikation in übergeordnete Handlungszusammenhänge gewährleistet in vielen Zusammenhängen, dass die kommunikative Relevanz von Unterschieden offensichtlich wird. Man denke hier zum Beispiel an Geschäftsverhandlungen: Die mentalen Voraussetzungen von Interaktanten unterscheiden sich erheblich, wenn Verhandlungsgespräche unmittelbare Konsequenzen haben. Durch diese Konsequenzen und die damit einhergehende Involviertheit unterscheidet authentische Kommunikation sich grundsätzlich z.B. von Rollenspielen. Rollenspiele sind somit - bei all ihren Leistungen - sowohl als Forschungsobjekt als auch als didaktisches Mittel von beschränktem Nutzen.

Eine weitere Konsequenz ergibt sich aus der kurzen Diskussion des obigen Beispiels: In diesem - zugegebenermaßen entsprechend ausgewählten - Beispiel ist es schwer, für kommunikative Schwierigkeiten ursächliche Unterschiede ausschließlich auf Kulturdimensionen zurückzuführen. Stattdessen belegt es den Stellenwert, der diskursanalytischer Forschung im Bereich Interkulturelle Kommunikation zukommt. So ist der Bereich kulturspezifisch unterschiedlicher Verbalisierung obligatorischer Musterpositionen bislang kaum erforscht, sodass hier ein dringender Bedarf besteht. Es zeigt sich aber auch, dass dieser Bereich der Reflexion der KommunikationsteilnehmerInnen wenig zugänglich ist. Dies belegen Befragungen im Anschluss an die Videokonferenzen, in denen weder Musterunterschiede, noch die erwähnten Präsuppositionen oder die Konzeptunterschiede als Probleme erkannt wurden. Bemerkt wurde lediglich eine allgemeine Verschlechterung des Diskussionsklimas. Insofern zeigen sich hier Grenzen der Fruchtbarkeit von Beteiligtenbefragungen. Gefordert ist stattdessen der analytische Blick des Wissenschaftlers auf authentische Kommunikation.

Didaktischer Auftrag und studentische Initiativen
Erkenntnisse aus der Erforschung interkultureller Kommunikation fließen in Hildesheim traditionell in Trainingsprogramme ein, in denen das gewonnene Wissen Interessierten zugänglich gemacht wird. Hierbei erweist sich die Kombination sprach- und informationswissenschaftlicher Kompetenzen, wie sie vor allem den Studiengang Internationales Informationsmanagement prägt, als besonders vorteilhaft. So gelang es auch im Sommersemester, Studierende für ein Seminar zu begeistern, in dessen Rahmen sie Module für das vor allem internetgestützte interkulturelle Lernen erstellten. Im Sommersemester fiel die Wahl der Studierenden dabei auf deutsch-polnische und deutsch-südkoreanische Begegnungen.



Weiterführende Literatur: Schlickau, Stephan (2005) Dimensionen interkultureller Kompetenz: Praxis - Analyse - Kompetenzförderung. In: Braun, Sabine; Kohn, Kurt (Hrsg.) Sprache[n] in der Wissensgesellschaft (= forum Angewandte Linguistik 46). Frankfurt/Main: Lang, S. 103-113.