Die dünne Haut der Erde

mercredi, 15. juillet 2015 um 11:39 Uhr

Die Haut der Erde ist sehr zart und kann leicht zerstört werden. Der Boden ist die „Grundlage des Lebens“, sagt Professor Martin Sauerwein. Die Vereinten Nationen haben deshalb das „Jahr des Bodens“ ausgerufen. Geographen der Universität Hildesheim erklären Bürgern auf Geländeexkursionen (zum Beispiel am 18. Juli 2015) Bodenprofile. Ihre Mission: der Bodenschutz. Täglich bewegen wir uns über den Boden, nehmen ihn aber kaum wahr. Isa Lange traf die Forscher.

Wir laufen täglich herum, ohne zu wissen, was sich eigentlich genau unter unseren Füßen abspielt. Ziemlich riskant, aber es hat sich bewährt. Wir vertrauen der Rasenfläche, dem Beton, dem Waldweg.

Die „dünne Haut unserer Erde“ nennt Martin Sauerwein den Boden, der auch Informationsträger ist. Informationen zur Landnutzung und Geschichte könne man recht einfach aus ihm herauslesen. Der Geographieprofessor der Universität Hildesheim zeigt auf Bodenhorizonte und erklärt die Sprache der Erde. „Schon in der Farbabfolge kann man den Bodenreichtum erkennen. Im Mutterboden, der oberen braun-schwarzen Schicht, stecken viele Nährstoffe. Wo wir einen mächtigen Humushorizont haben, werden wir auch eine relativ gute Nutzung, insbesondere für die Landwirtschaft, haben.“ Neben den Nährstoffen erfasst der Forscher die Bodenphysik: Wie fest ist der Boden, wie steil ist die Fläche? Wie viel Wasser kann der Boden speichern? „Auf Böden mit geringer Speicherkapazität kann sich kaum Landwirtschaft entwickeln. Wald wächst nicht überall ertragreich, welche Pflanzen und Tiere wo wachsen und gedeihen, hängt von der Beschaffenheit des Bodens ab“, sagt Sauerwein, der zu Bodenschutz und Flächenverbrauch sowie Altlasten forscht. „Von der Bakterie bis zum Maulwurf leben Tiere in Böden. Der Boden entscheidet, wer darin lebt. Er ist die Grundlage jeglichen Lebens.“

Und er ist uralt, im Vergleich zum Lebensalter des Menschen. „Boden wächst“, sagt Martin Sauerwein und fügt hinzu. „Seit etwa 12.000 Jahren.“ Seit der letzten Eiszeit haben sich unsere Böden entwickelt, sie sind aber eigentlich sehr jung, wenn man bedenkt, dass die Erde viereinhalb Milliarden Jahre alt ist. „Während der Eiszeit gab es kaum Leben, kaum Vegetation. Erst wuchsen Moose und Flechten, dann Gräser, Bäume. Sie warfen Blätter ab, damit bildet sich stetig der Humus“, erklärt Sauerwein. Das Ergebnis dieses Wachsens sieht man in einem Bodenprofil, die Hildesheimer Forscher sind Fachleute im Erstellen von Bodenprofilen. „Aus ihnen kann man ablesen, was in der Vergangenheit passiert ist“, sagt der Professor. In Folge des Erzbergbaus sind in den Auenbereichen im Hildesheimer Raum, entlang der Innersten, zum Beispiel Ablagerungen von Schwermetallen nachweisbar. Böden können extrem belastet sein, etwa durch nahegelegene Mülldeponien oder Pestizide, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden. „Manche Bodentypen halten die Pestizide fest. Ein sandiger Typ lässt sie hingegen, wenn wir Pech haben, ins Grundwasser kommen. Nicht jeder Boden kann das abpuffern“, so Sauerwein.

Wissenschaftler vom Institut für Geographie der Universität Hildesheim graben Bodenprofile und können daran erkennen, wie ertragreich oder belastet der jeweilige Boden ist. Gerade erst haben sie auf einer italienischen Mittelmeerinsel mit einem Bohrer Proben bis in 8 Meter Tiefe entnommen, um die Entstehung von Tälern zu ergründen. Der Bohrer kommt nun auch in Hildesheim zum Einsatz. Das Institut liegt inmitten einer der fruchtbarsten Flächen der Bundesrepublik: Die Hildesheimer Börde hat sehr ertragreiche Böden, so Sauerwein. Der nährstoffreiche Löss und die Böden, die sich in den letzten 12.000 Jahren darauf entwickelt haben, bieten optimales Wachstum für besonders anspruchsvolle Kulturen – zum Beispiel Zuckerrüben. Ein Vergleich: Während in der Hildesheimer Börde Ackerzahlen bis nahe dem Maximalwert von 100 erreicht werden, liegen die Werte bei Böden der Marschen an der Nordseeküste oder den Heidelandschaften zwischen 30 und 50. „Wo eine Halde für ein Bergwerk oder eine ICE-Trasse entsteht, ist der Boden für eine ackerbauliche Nutzung verloren.“ Auch die Erdverkabelung, um im Zuge der Energiewende Strom vom windreichen Norden in den Süden Deutschlands zu transportieren, ist ein Bodenfresser: 40 Meter breite Schneisen für die Erdkabel werden in den Boden geschlagen.

Alle Flächen in Deutschland sind im Katasteramt hinterlegt. Ganz Itzum war einmal landwirtschaftliche Fläche und ist heute Wohngebiet. „Von 1993 bis 2009 hat sich der Anteil der versiegelten Siedlungs- und Verkehrsfläche im Stadtgebiet von Hildesheim von 29% auf 32% erhöht“, sagt Sauerwein. Das ist fatal für den Boden: Die oberen ein bis zwei Meter sind entscheidend, in ihnen sind die Nährstoffe gespeichert. Gerade sie gehen bei Bauprojekten verloren, sind nicht wieder herbeizuschaffen. „Einen Boden, den ich mit einem Parkplatz versiegele, der ist fast immer unwiederbringlich verloren. Da ist kein Regenwurm drin, da kann keine Pflanze wachsen, da wird kein Regenwasser gespeichert. Dieser Flächenverbrauch ist besonders in unserer Region problematisch, da wir so ertragreiche Böden haben.“

Wenn Studierende aus den Bereichen Umweltsicherung, Nachhaltigkeitsbildung und Naturschutz sich erstmals mit Böden befassen, dann beobachtet Nico Herrmann oft einen „Aha-Effekt“. So nennt er den Moment, in dem die jungen Erwachsenen bemerken, dass sie ja täglich über Böden gehen, aber kaum wissen, „was da unten abläuft“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter.

Studierende aus dem Bereich Umweltsicherung und Naturschutz haben eine Arbeitsgruppe „BokuHiLa“ gegründet, in der sie das Hildesheimer Land erkunden, Interessierten auf Exkursionen Relief, Gestein, Organismen und Bodentypen erläutern, eine Datenbank zu bodengeographischen Abschlussarbeiten aufbauen und auf Bodenschutz aufmerksam machen. In Geländearbeiten schauen sich die Studierenden Böden an und nehmen an verschiedenen Punkten Bodenproben, im Labor weisen sie Schadstoffe und Nährstoffe nach. Mit den Studierenden ergräbt Nico Herrmann auch Bodenprofile, die die Hildesheimer Bevölkerung erkunden kann. In einem Geländeseminar haben sie gerade erst vier Bodenprofile im Hildesheimer Wald angelegt, ein Meter tief, ein Meter breit. „Unsere Seminare sind sehr physisch. Erfahren, Erfühlen, Riechen, Schmecken – und daraus Schlussfolgerungen treffen“, sagt Nico Herrmann. Das sei „wie ein Krimi“. Sie gehen zum Beispiel der Frage nach: Warum ist dort ein Hügel, warum hat ein Landwirt sein Feld nicht am Oberhang angelegt (weil dort weniger Ertrag ist)? „Warum ist Hildesheim hier 1200 Jahre alt geworden und nicht bergauf? Die guten, ertragreichen Flächen, die Ressourcen der Umgebung und das Wasser der Innerste waren damals wie heute entscheidende Faktoren für die Wahl des Standorts. In Bad Salzdetfurth hingegen haben wir es mit einem engen Tal zu tun, wo kaum Landwirtschaft betrieben werden kann“, ergänzt Martin Sauerwein. „Wir sollten ökologisch wertvolle Böden schützen und dies in der Planung beachten“, lautet sein Appell.

Exkursion: Boden erkunden im Hildesheimer Wald / „Jahr des Bodens 2015“

Zum „Jahr des Bodens 2015“, das von den Vereinten Nationen ausgerufen wurde, lädt das Institut für Geographie der Universität Hildesheim am Samstag, 18. Juli 2015, in Zusammenarbeit mit den Niedersächsischen Landesforsten - Forstamt Liebenburg und den Unteren Naturschutzbehörden der Stadt und des Landkreises Hildesheim Interessierte zu einer bodengeographischen Exkursion ein. Im Raum des „Naturschutzgebietes Finkenberg/Lerchenberg“ werden typische Böden im Bereich des Hildesheimer Waldes sowie dessen Umgebung  allgemeinverständlich vorgestellt. Mit der Exkursion soll der Blick auf den allgegenwärtigen und doch wenig beachteten Untergrund gerichtet werden. Die Entstehungsgeschichte der Landschaft und die daraus resultierenden Standortunterschiede, aus denen sich auch die Verteilung von Feld und Forst ergeben, werden anhand von Bodenprofilen präsentiert, die die Hildesheimer Forscher und Studierende sowie die studentische Arbeitsgruppe „BoKuHiLa (Bodenkunde Hildesheimer Land)“ in den vergangenen Wochen aufgegraben haben. Eine Anmeldung zu der etwa drei- bis vierstündigen Exkursion, die kostenfrei ist und bei jedem Wetter stattfindet, ist nicht notwendig. Festes Schuhwerk wird empfohlen. Beginn ist um 10:00 Uhr auf dem Parkplatz der Sportanlage Neuhof an der Robert-Bosch-Straße.

Boden-Schauprofil in Hildesheim erkunden

Geographen und Bodenkundler der Universität Hildesheim arbeiten seit mehreren Jahren mit dem Landkreis zusammen, um auf die Besonderheiten der regionalen Böden aufmerksam zu machen. Dazu gehören zum Beispiel die Betreuung des Schwarzerde-Schauprofils in Asel und Exkursionen. Seit zwei Jahren können Bürger und Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die Böden der Innerste-Aue erhalten, Ablagerungen und Prozesse der Bodenbildung seit dem Mittelalter und die mit dem Harzer Bergbau verbundenen Schwermetallbelastungen anschaulich nachvollziehen. Das Forscherteam um Martin Sauerwein hat ein Boden-Schauprofil erstellt. Eine 2,20 Meter tiefe Grube, der Zugang erfolgt über eine Treppe, eine Tafel mit Fakten gibt erste Auskunft. Dabei wurden sie vom Niedersächsischen Umweltministerium unterstützt. Das Profil befindet sich auf der Domäne Marienburg der Universität Hildesheim, zwischen Theaterneubau und Kernburg/Hohes Haus. Weitere Boden-Schauprofile sollen niedersachsenweit erschlossen werden, zunächst im Raum Hildesheim und Osnabrück. Die Bingo-Umweltstiftung fördert die Hildesheimer Aktivitäten mit 10.000 Euro.

Medienkontakt: Universität Hildesheim, Pressestelle (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


Nico Herrmann und Geographieprofessor Martin Sauerwein von der Universität Hildesheim forschen über Aufbau, Physik und Funktion von Böden sowie über Bodenschutz. Sie erstellen Bodenprofile und können erkennen, wie ertragreich oder belastet der Boden ist, etwa im Hildesheimer Land. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim, Bodenprofile: Martin Sauerwein

Nico Herrmann und Geographieprofessor Martin Sauerwein von der Universität Hildesheim forschen über Aufbau, Physik und Funktion von Böden sowie über Bodenschutz. Sie erstellen Bodenprofile und können erkennen, wie ertragreich oder belastet der Boden ist, etwa im Hildesheimer Land. Foto: Isa Lange/Uni Hildesheim, Bodenprofile: Martin Sauerwein