Barrierefreie Kommunikation

vendredi, 30. octobre 2015 um 11:09 Uhr

Medien, Kultureinrichtungen und Behörden machen barrierefreie Angebote. „Es geht darum, Teilhabe nicht nur architektonisch zu ermöglichen. Zugang zu Informationen erfolgt auch über Sprache und Sinne“, so Professorin Nathalie Mälzer. Die Unterscheidung, leichte Sprache sei für Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Untertitel hingegen für Gehörlose sinnvoll, könne man so einfach nicht treffen. „Untertitel und leichte Sprache sind zum Beispiel auch für Menschen hilfreich, die neu in einem Land ankommen und die Sprache erst erlernen", sagt die Medienwissenschaftlerin der Uni Hildesheim.

Unsere Gesellschaft bietet eine Vielzahl von Informations-, Kultur- und Bildungsangeboten, die von kulturellen und politischen Einrichtungen, von Bildungsstätten und Wirtschaftsunternehmen gemacht werden.  Sie werden über Medien wie Internet, Rundfunk, Presse, Kino, Theater oder im Museum verbreitet. „Der Zugang zu ihnen kann aber Teilen des Publikums aufgrund kommunikativer Barrieren nur eingeschränkt möglich oder gar vollständig verwehrt sein“, sagt die Hildesheimer Professorin Nathalie Mälzer.

Die Ursachen für Barrieren sind unterschiedlich: Texte können für Leserinnen und Leser mit kognitiven Einschränkungen wegen ihrer Komplexität unzugänglich sein. Manche Texte, etwa Rechtstexte, fordern Fachwissen ein, über das nicht jeder verfügt. „Wenn eine Behörde in Fachsprache mit einem Bürger kommuniziert oder wenn in einem Unternehmen eine Informatikerin mit einem Gestalter spricht, können schnell Missverständnisse entstehen. Jeder bringt sein komplexes Fachvokabular mit – sie müssen eine gemeinsame Sprache finden, um sich verständigen zu können“, so Mälzer. Für Menschen, deren Sinneskanäle, nicht oder unvollständig ausgebildet sind, hat die mediale Gestaltung zur Folge, dass sie einen Film im Kino oder ein Objekt im Museum nur eingeschränkt wahrnehmen können.

Medien, Kultureinrichtungen und Behörden machen daher barrierefreie Angebote. Solche Angebote nutzen vielen Menschen, sagt Nathalie Mälzer, Juniorprofessorin für transmediales Übersetzen an der Universität Hildesheim, anlässlich einer Fachtagung in Hildesheim. Sie befasst sich in Forschung und Lehre mit barrierefreier Kommunikation und untersucht zum Beispiel, wie Theaterhäuser und Museen Untertitel, Übertitel und Audiobeschreibungen einsetzen und wen sie damit erreichen.

„Es geht darum, Teilhabe nicht nur architektonisch zu ermöglichen. Zugang zu Informationen erfolgt auch über Sprache und Sinne“, so Professorin Nathalie Mälzer. Barrieren gebe es in vielfältiger Weise. „Jemand ist hörgeschädigt – um diese Sinnesbarriere zu überwinden, wurden zum Beispiel Untertitel entwickelt. Nicht nur was gesagt wird, auch Informationen über Geräusche und Musik werden in Untertiteln vermittelt“, so die Medienwissenschaftlerin.

Wie werden Barrieren abgebaut? Einige Beispiele aus Hildesheim

Beispiel 1 – der Zugang zu Kunst und Kultur: Im Roemer-Pelizaeus-Museum haben Studierende aus dem Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzen“ einen Audioguide für Sehende und Nicht-Sehende entwickelt. Mit der Technik der Audiodeskription machen sie die Exponate für Blinde und Sehende sichtbar und vermitteln auf kreative Weise Hintergrundinformationen zu den Objekten.

Angehende Medienübersetzerinnen produzieren mit einer freien Theatergruppe Theater mit Übertiteln. Statt Text in eine dezente LED-Leiste zu setzen werden die Übertitel Teil des Bühnenbildes. Wenn eine Schauspielerin schreit, projizieren sie das Schriftbild „I C H  W I L L“ in Großlettern in den gesamten Bühnenraum, anstatt das Gefühl einfach mit der Formulierung „(schreiend)" zu umschreiben. Dabei entsteht ein ästhetischer Mehrwert, den sie für inklusive Effekte nutzen, denn die Übertitel wenden sich an Hörende und Nicht-Hörende zugleich.

Die Studierenden von Nathalie Mälzer entwickeln außerdem Audiodeskriptionen und Audioeinführungen für Filme. In solchen Hörfilmen wird die Filmtonspur um eingesprochene Textelemente ergänzt. Die relevanten Bildinhalte des Films werden akustisch verfügbar gemacht. Was man sieht, wird in Worte gefasst, damit Nichtsehende Filme hören können.

Jüngst übersetzten Hildesheimer Studierende einen Horrorfilm für den NDR. Die Medientext-Studentin Martha Stajer erläutert darin die Bildgestaltung – von Farbtönen über Kameraperspektiven bis zu Figurenbeschreibungen. Derzeit arbeitet eine weitere Studentin an einem Filmklassiker für die Vorweihnachtszeit. Und ein Streifen aus dem Vampirgenre, „A girl walks home alone at night“, wird derzeit in einem Projektseminar mit Worten beschrieben und im kommenden Jahr mit Audiodeskription und Audioeinführung ausgestrahlt.

Beispiel 2 – die Nachrichten: Der Deutschlandfunk veröffentlicht Nachrichten auch in einfacher Sprache. Derzeit entwickelt ein Team um Professorin Christiane Maaß von der Forschungsstelle Leichte Sprache an der Universität Hildesheim und Uschi Heerdegen-Wessel vom NDR barrierefreie Angebote in den Nachrichten. So wird zum Beispiel erklärt, was der NDR macht, Nachrichten und Neuigkeiten aus Wirtschaft, Sport und Kultur werden in Leichter Sprache angeboten.

Atemberaubende Sprache im Sonntagskrimi: Viele profitieren von barrierefreien Angeboten

Die Unterscheidung, leichte Sprache sei für Menschen mit kognitiven Einschränkungen, Untertitel hingegen für Gehörlose sinnvoll, könne man so einfach nicht treffen.

„Untertitel und leichte Sprache sind zum Beispiel auch für Menschen hilfreich, die neu in einem Land ankommen und die deutsche Sprache erst erlernen. Filme mit Audiodeskription beschreiben Handlungen und schildern Situationen in prägnanter, stilistisch abwechslungsreicher Weise. So kann man seine Sprachkenntnisse sowohl beim Lesen von Untertiteln als auch beim Hören von Audiodeskriptionen verfeinern“, sagt Mälzer. Der Hildesheimer Doktorand Maher Tyfour etwa schaut den Sonntagskrimi stets in der Hörfilmfassung – die dichte Sprache im „Tatort“ sei „atemberaubend“. Der junge Mann, der zuvor in Syrien studiert hat, erweitert mit solchen Hörfilmen auch seinen Wortschatz (mehr lesen im aktuellen Uni-Magazin, Seite 74/75).

Fachleute aus Praxis und Forschung sollten gemeinsam Richtlinien entwickeln

Um den manchmal eingeschränkten Blick auf barrierefreie Kommunikation interdisziplinär zu erweitern, kamen im Oktober erstmals Fachleute an der Universität Hildesheim zusammen, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema „Barrieren“ blicken – von Fachleuten aus der Medienlinguistik und Übersetzungswissenschaft über Pädagogik bis hin zum Journalismus.

„Auf der Tagung haben sich viele Querverbindungen auf theoretischer und praktischer Ebene ergeben. Die Zielgruppen von Audiodeskription, der Untertitelung, der Leichten, Einfachen oder bürgernahen Sprache und der Fachkommunikation zeigen immer wieder interessante Überschneidungen“, sagt Nathalie Mälzer. Die Wissenschaftlerin möchte die empirische Forschung in Deutschland ausbauen. Richtlinien sollten in Zusammenarbeit zwischen Leuten aus Praxis und Forschung weiterentwickelt werden.

„Auf der Tagung kamen Fachleute zusammen, die sich bisher aufgrund disziplinärer Grenzen noch nicht wahrgenommen hatten“, freut sich Mälzer. An die Konferenz werden nun zwei neue Forschungsprojekte und eine Nachfolgetagung anknüpfen. Außerdem erlebt Nathalie Mälzer, wie „begehrt unsere Studierenden aus dem Bereich Medientext und Medienübersetzen“ sind. Sowohl Absolventinnen als auch Studierende werden für die Mitarbeit im Bereich Audiodeskription und Untertitelung gesucht. Studierende aus dem Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzung“ entwickeln im Medientextlabor der Uni Hildesheim zum Beispiel barrierefreie Internetseiten, Übertitel für Theateraufführungen und Audiobeschreibungen für Hörfilme.

Medienkontakt: Pressestelle der Uni Hildesheim (Isa Lange, presse@uni-hildesheim.de, 05121.883-90100)


Zugang zu Kunst und Kultur erfolgt auch durch Sprache: Studierende aus dem Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzen“ produzieren mit der freien Theatergruppe kirschrot Theater mit Übertiteln. Statt Text in eine dezente LED-Leiste zu setzen werden die Übertitel Teil des Bühnenbildes, sie wenden sich zugleich an Hörende und Nicht-Hörende. Dabei entstehe ein ästhetischer Mehrwert, so Professorin Nathalie Mälzer von der Universität Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim

Zugang zu Kunst und Kultur erfolgt auch durch Sprache: Studierende aus dem Masterstudiengang „Medientext und Medienübersetzen“ produzieren mit der freien Theatergruppe „kirschrot" Theater mit Übertiteln. Statt Text in eine dezente LED-Leiste zu setzen werden die Übertitel Teil des Bühnenbildes, sie wenden sich zugleich an Hörende und Nicht-Hörende. Dabei entstehe ein ästhetischer Mehrwert, so Professorin Nathalie Mälzer von der Universität Hildesheim. Fotos: Isa Lange/Uni Hildesheim