Service Systems Engineering
Schlagwörter: Product-Service Systems, Hybride Wertschöpfung, Service Engineering, Smart Service, Dienstleistungssysteme
Dienstleistungen sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Teilweise nehmen wir Dienstleistungen dabei direkt wahr oder entscheiden uns bewusst für diese. So nutzen wir ein E-Ticket auf dem Smartphone, um unsere Busfahrt zum Arbeitsplatz abzurechnen, bearbeiten mit Kolleginnen und Kollegen gemeinsam Dokumente in der Cloud, nehmen nach einer Avis-SMS eine Lieferung von einem Paketdienst entgegen und gehen zum Abschluss des Tages mit Freunden in ein neues Restaurant in der Innenstadt, das auf einem Bewertungsportal mit „hervorragend“ bewertet wurde. Andere Dienstleistungen bleiben für uns als Endverbraucher womöglich im Verborgenen. So greift der Anbieter des E-Tickets zur Dokumentation des Ein- und Ausstiegsortes etwa auf Positionsdaten des Smartphones zurück, die verwendete Cloud des Arbeitgebers nutzt die flexibel skalierbaren Rechenzentrumskapazitäten eines irischen Anbieters und der Paketdienst weicht in Stoßzeiten auf Beschäftigte anderer Lieferdienste aus.
Die Digitalisierung, d.h. die zunehmende Verbreitung digitaler, vernetzter Technologien und Inhalte, bietet dabei umfassende Chancen für die digitale Transformation im Dienstleistungssektor. Zum einen lassen sich bestehende Geschäftsmodelle und Dienstleistungsprozesse durch Technologieeinsatz weiter verbessern. So kann eine Airline etwa durch die Automatisierung von Teilabläufen oder die Übertragung einzelner vormaliger Anbieteraufgaben auf den Kunden, wie etwa beim digitalen Check-In und bei der Gepäckaufgabe am Gepäckautomaten, die Produktivität unter Umständen erheblich steigern. Auch der Informationsaustausch zwischen Anbietern und Kunden und den Kunden untereinander wird etwa durch Check-In-Apps, Treue-Programme oder Bewertungsportale intensiviert, so dass eine bessere Erfassung der wahrgenommenen Dienstleistungsqualität und auch eine präferenz-orientierte Individualisierung des Kundenerlebnisses möglich wird. Zum anderen können durch die Einbindung von Smart Devices gänzlich neue Geschäftsmodelle entstehen, die vor einigen Jahren noch als völlig undenkbar oder ökonomisch wenig erstrebenswert galten, nun jedoch in einer zunehmend auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit achtenden Gesellschaft mehr Anerkennung finden. So ist der steigende Verzicht auf ein eigenes Automobil für viele Menschen in Großstädten charakteristisch und wird auch durch Anbieter von alternativen Mobilitätslösungen und kilometer- oder zeitabhängigen Leihangeboten ermöglicht. Zukünftig könnten Kunden einen Mobilitätsvertrag mit einem Dienstleister eingehen, der ihnen abhängig vom Zeitpunkt, vom Zielort und von weiteren Parametern, wie dem Gepäck oder der verfügbaren Zeit, passende (autonome) Transportmittel für diese Strecke zur solitären Nutzung oder symbiotischen Nutzung mit Anderen zur Verfügung stellt.
Eine zentrale Rolle kommt dabei den erhobenen Daten zu. Diese fließen nicht mehr nur in die unmittelbare Dienstleistungserbringung etwa für die Individualisierung des Dienstleistungserlebnisses ein. Die Daten können vielmehr auch weiteren Unternehmen eines Wertschöpfungsnetzwerks oder Ökosystems zur Erbringung ergänzender Dienstleistungen oder zur Erzielung von Produktverbesserung zur Verfügung gestellt werden. Auch eine Aufbereitung und Aggregation der Daten und ihr Verkauf als Smart Data auf Datenmarktplätzen stellen für sich genommen Dienstleistungen dar, die wiederum nachgelagerte Dienstleistungen ermöglichen. Der damit einhergehende Wandel vom Leistungsanbieter über den Lösungsanbieter bis hin zu einem Ökosystemakteur stellt Unternehmen vor weitere Herausforderungen, da sie nicht mehr allein mit Ihren Leistungen oder Lösungen, sondern unter Umständen mit ganzen Ökosystemen in Konkurrenz stehen.
ISUM befasst sich mit vielfältigen Fragestellungen rund um die Neukonzeption und Weiterentwicklung von Dienstleistungen. Dabei folgen sie Prinzipien des Service Systems Engineering. So werden Dienstleistungen durch Dienstleistungssysteme beschrieben, in welche die Anbieter und Kunden in Form von dyadischen, triadischen oder noch höherrangigeren Beziehungen zum Zweck der gegenseitigen Wertschöpfung ihre Individualsysteme einbringen. Die Anbieter- und Kundensysteme selbst bestehen aus Ressourcen (Personen und ihren Kompetenzen, Organisationen, geteilten Informationen) und Technologien (Hardware, Software, Infrastruktur). Zu Wertschöpfungszwecken können Dienstleistungssysteme wiederum Beziehungen mit weiteren Dienstleistungssystemen eingehen. Ein System of Systems ist die Folge. Dem Service Engineering folgend werden Dienstleistungssysteme dabei ganzheitlich entlang der Dimensionen Potential (Ressourcen und Technologien), Prozess (Integration der Ressourcen und Technologien zur Dienstleistungserbringung), Ergebnis (Wirkung der Dienstleistung) und Markt (Wettbewerb und Geschäftsmodelle) betrachtet. Ausgewählte Forschungsschwerpunkte bilden dabei die Entwicklung von domänenspezifischen Modellierungssprachen und Methoden zur systematischen Planung und Realisierung von Dienstleistungssystemen, die Erforschung von Referenzmodellen und Referenzprozessen zur effizienten Durchführung resultierender Aufgaben und die Konzeption und Realisierung von Informationssystemprototypen zur Unterstützung der Planung oder Erbringung der Dienstleistungen und Dienstleistungssysteme. Damit trägt die Abteilung zu gestaltungsorientierten Fortschritten in der Dienstleistungsforschung bei.
Neben den Kernforschungstätigkeiten sind uns die Vermittlung eines dienstleistungsorientierten Grundlagenwissens in der Lehre und die Integration sowohl aktueller Forschungsgegenstände als auch praktischer Prinzipien und Leitlinien in die Vorlesungen, Seminare, Abschlussarbeiten und ergänzenden Angebote ein zentrales Anliegen. Dies zeigt sich sowohl in der Mastervorlesung „Dienstleistungsengineering und -management“ und dem Masterseminar „Dienstleistungsmanagement und -innovation“ des Kerncurriculums Wirtschaftsinformatik als auch in semesterspezifischen Angeboten.
Ausgewählte Publikationen
- Bräuer, S., Plenter, F., Klör, B., Monhof, M., Beverungen, D., & Becker, J. (2019): Transactions for trading used electric vehicle batteries: theoretical underpinning and information systems design principles. Business Research.
- Klör, B., Monhof, M., Beverungen, D., & Bräuer, S. (2018): Design and Evaluation of a Model-Driven Decision Support System for Repurposing Electric Vehicle Batteries. European Journal of Information Systems, 27(2), S. 171–188.
- Bräuer, S. (2016). They Not Only Live Once – Towards Product-Service Systems for Repurposed Electric Vehicle Batteries. In V. Nissen, D. Stelzer, S. Straßburger, & D. Fischer (Hrsg.), Proceedings of the Multikonferenz Wirtschaftsinformatik (MKWI 2016) (S. 1299–1310). Ilmenau.
- Schoormann, T., Behrens, D., Knackstedt, R. (2017): Carsharing Geschäftsmodelle – Entwicklung eines bausteinbasierten Modellierungsansatzes. In Thomas O., Nüttgens, M. und Fellmann, M. (Hrsg.): Smart Service Engineering - Konzepte und Anwendungsszenarien für die digitale Transformation, Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 303-325.