Gefördert, gefordert, überfordert? – Der Ausstieg aus der Wissenschaft und seine Hintergründe

mercredi, 03. février 2021 um 16:10 Uhr

Studium, Promotion, wissenschaftliche Mitarbeit, Habilitation – und dann: ein Leben für die Wissenschaft. Dieser Weg scheint vielen jungen Akademiker*innen zunächst vorgezeichnet und doch gibt es viele Gründe, davon wieder abzuweichen. Mit diesem Thema befasst sich die Online-Vortragsreihe „Ausstieg aus der Wissenschaft – Problem oder gute Idee?“ des gleichnamigen DFG-geförderten Netzwerks. Die Vorträge laufen in der Zeit vom 8. bis 12. Februar 2021.

Anna R.* war schon weit gekommen, als sie sich entschloss, der akademischen Laufbahn den Rücken zu kehren. Als klassisches „Arbeiterkind“ war sie die erste in ihrer Familie, die sich für ein Studium entschieden hatte. Nach einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung im sozial-pflegerischen Bereich, wandte sie sich den Sozialwissenschaften zu, arbeitete schon während des Studiums an verschiedenen Praxisprojekten mit und wechselte schließlich nach einer Zwischenstation im Ausland von Berlin nach Hildesheim, wo sie einen Platz in einem DFG-Graduiertenkolleg erhalten hatte. „Nach Ablauf der drei Jahre hatte ich meine Promotion noch nicht abgeschlossen, aber über verschiedene Drittmittelprojekte konnte ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität bleiben.“ Neben der Projektarbeit stieg R. auch in die Lehre ein – und das war vielleicht der Wendepunkt in ihrer beruflichen Laufbahn.

Wie viele Menschen sich auf den unterschiedlichen Stufen der wissenschaftlichen Karriere (Promotions- und Postdoc-Phase) vom Wissenschaftssystem wieder abwenden und aus welchen Gründen sie das tun, ist bisher wenig erforscht. Befristete Verträge, unsichere Perspektiven und die vielfach schlechte Bezahlung dürften aber neben ganz individuellen Motiven bei vielen (auch) eine Rolle spielen. Die Online-Vortragsreihe zum Abschluss des interdisziplinären Netzwerks „Ausstieg aus der Wissenschaft" nimmt individuelle wie strukturelle Bedingungen rund um das Thema in den Blick und beleuchtet in fünf Vorträgen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen die Hintergründe.

„Auch außerhalb der akademischen Wissenschaft gilt die Promotion in Deutschland als Türöffner für attraktive Positionen und eine attraktive Bezahlung. Nur ein Drittel strebt zu Beginn der Promotion überhaupt eine wissenschaftliche Laufbahn an“, sagt Dr. Svea Korff, die die Veranstaltung organisiert. Ist der Ausstieg aus der Wissenschaft demnach überhaupt ein Problem? Ein Ergebnis einer Studie von vom Deutschen Zentrum für Hochschule und Wissenschaft (DZHW) zeigt, dass es sich etwas komplexer darstellt: Der Anteil der Promovierenden, die zu Beginn der wissenschaftlichen Tätigkeit eine Laufbahn innerhalb des Wissenschaftssystems anstrebten und sich im Verlaufe der Beschäftigung für den Ausstieg entschieden haben (Drop-Outs), ist fast doppelt so groß wie der Anteil derjenigen mit umgekehrter beruflicher Zielrichtung (20 Prozent zu 12 Prozent). Hier deuten sich bereits in der Promotionsphase Selektions- und „Abschreckungsprozesse“ an, die die Entscheidungen zum Verbleib im wissenschaftlichen Bereich günstig oder ungünstig beeinflussen können. Wie so ein Abbruchverlauf in der Promotionsphase aussehen kann, belegt die im Jahr 2018 veröffentlichte Studie von Anja Franz „Symbolischer Tod im wissenschaftlichen Feld“, die im Rahmen des Vortragsprogramms vorgestellt wird. Hierbei wurden Promovierende befragt. „Was Ausstiege aus der Sicht von Betreuenden oder Projektleitungen bedeuten, ist bislang noch gar nicht erforscht und stellt eine weitere lohnenswerte Forschungsfrage zum Thema ‚Ausstieg‘ dar“, ergänzt Prof. Meike Baader, Vizepräsidentin für Forschung und Nachwuchsförderung an der Universität Hildesheim. 

Bei Anna R. fällt der Blick zurück sehr differenziert aus. Sie bedaure nicht, die ersten Stufen der akademischen Leiter hochgestiegen zu sein, sagt die Mittvierzigerin heute. „Mit der Promotion konnte ich auch mir selbst beweisen, dass ich im wissenschaftlichen Umfeld bestehen kann.“ Sie habe in ihrer Zeit an der Universität Hildesheim viel Anerkennung bekommen, sei sehr gefördert und gefordert worden – manchmal allerdings auch überfordert. „Der Workload war durchgehend sehr hoch, oft habe ich parallel an Projekten und Publikationen gearbeitet und gleichzeitig schon immer den nächsten Drittmittelantrag im Blick gehabt.“ Arbeit weit über die vereinbarte Teilzeitbeschäftigung hinaus, auch an den Wochenenden, bis „die Batterien leer“ waren, so war es häufig der Fall. Aber das war nicht der eigentliche Grund für ihren Ausstieg, sagt R.

„Als ich gegen Ende meiner Promotionszeit mit der Lehre angefangen habe, ist mir bewusst geworden, dass ich auf Dauer nicht der Typ für wissenschaftliche Grundlagenforschung bin, sondern wieder mehr praktischen Austausch haben möchte.“ Im Jahr 2013 gab R. ihre Promotion ab, bis 2015 blieb sie noch an der Uni, brachte Projekte zuende und lotete neue Perspektiven aus.

„Der Fall von Anna R. zeigt sehr schön, dass es sich beim Übergang in die Postdoc-Phase um einen Orientierungsprozess handelt“, sagt  Korff. Als Folge des Eintritts von (kritischen) Ereignissen, die je nach individueller Bewertung positiv oder negativ sind – wie der fehlende Praxisbezug – stellen die Postdocs ihren Weg, auf dem sie sich aktuell befinden, in Frage und denken den Ausstieg aus der Wissenschaft immer als eine Option mit. „Die einen werden dann aktiv und treiben ihren Ausstieg voran, die anderen werden regelrecht von ihrem Ausstieg überrascht, wenn es keine Anschlussfinanzierung mehr gibt“, verdeutlicht Korff die Bandbreite an Ausstiegsprozessen. „Allerdings spricht auch nicht alles für einen leichten Wechsel in die Wirtschaft, da Promovierte als Berufseinsteiger*innen nur bedingt über die von Unternehmen gewünschten Kompetenzen verfügen, wie Mitarbeiterführung, wirtschaftliches Denken und Handeln oder Management-Tools. Andererseits steigen die Chancen auf gut dotierte, unbefristete (Leitungs-)Positionen in der Wirtschaft mit der Dauer des Verbleibs im Wissenschaftsbetrieb, während gleichzeitig die Option auf eine freiwerdende Professur auch mit Blick auf das hohe Erstberufungsalter von durchschnittlich 41 Jahren oft weniger aussichtsreich erscheint. Inhaltliche Unzufriedenheit dürfte für Postdocs seltener ausschlaggebend für einen beruflichen Wechsel sein als die Unzufriedenheit hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit und einer langfristigen Planbarkeit, führt Korff aus.

Der Fokus der Universitäten auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die akademische Personalentwicklung hat hier jedoch zu einem Wandel beigetragen. Inzwischen verfügen deutschlandweit alle Universität über Einrichtungen, die auch überfachliche Qualifizierungsangebote anbieten. „Mit der Gründung des Graduiertenzentrums Ende 2019 hat auch die Universität Hildesheim diesen Weg beschritten“, sagt Vizepräsidentin Baader. Dort erfolgen Kursangebote zur überfachlichen Qualifizierung und auch individuelle Beratungsangebote, die dazu beitragen können, dass die Frage, „will ich im Wissenschaftssystem bleiben oder nicht?“ möglicherweise in einer früheren Phase geklärt werden kann.  „Das Wissenschaftssystem hat sich gerade in den letzten Jahren nochmal enorm dynamisiert und das Spektrum an geforderten Fähigkeiten und Kompetenzen nimmt zu, denken wir etwa an Skills zur Wissenschaftskommunikation oder zur Präsentation von Forschungsergebnissen in digitalen Formaten von Social Media, sagt Baader. Hier machen die Graduierteneinrichtungen Angebote, um Wissenschaftler*innen in frühen Phasen ihrer Karriere vielfältig zu unterstützen, aber auch eine Plattform für Vernetzungen untereinander zu bieten.

 

Weil Anna R. die Wissensvermittlung in der Lehre Spaß machte, sie aber gleichzeitig nach mehr Praxisbezug suchte, kam bei ihr die Überlegung auf, eine Fachhochschul-Professur anzustreben. „Doch dafür muss man mehrere Jahre Berufserfahrung im außeruniversitären Bereich vorweisen.“ Die hat sie inzwischen gesammelt – bei verschiedenen gemeinnützigen Organisationen im Bereich soziale Arbeit. Seit 2018 – zu diesem Zeitpunkt war sie Anfang 40 - sogar erstmals mit einer Festanstellung. „Anders als bei vielen anderen waren die projektbezogenen Befristungen bei mir kein Grund für den Ausstieg aus dem universitären System“, sagt sie. „Ich habe mir damals eigentlich nie Sorgen darum gemacht, keine dauerhafte Perspektive zu finden. Aber wenn ich heute meine Rentenversicherungsauszüge sehe, dann wird mir klar, dass ich durch Stipendienzeiten und andere geförderte Tätigkeiten viel zu spät angefangen habe, in die Rentenkasse einzuzahlen. Das ist ein Punkt, wo sich definitiv etwas ändern muss.“ 

Ihre Festanstellung hat Anna R. gerade wieder gekündigt – um künftig an einer Fachhochschule als freie Dozentin auf Honorarbasis zu arbeiten. Eine Rückkehr in den Wissenschaftsbetrieb – und zugleich in die berufliche Unsicherheit.                                                                                                         *Name geändert

 

Text: Sara Reinke

 

Die Vortragsreihe "Ausstieg aus der Wissenschaft - Problem oder gute Idee?"

Bei der Online-Vortragsreihe werden empirische, wie auch theoretische Erkenntnisse zu den Ausstiegsprozessen in der Promotions- und Postdoc-Phase vorgestellt. Strukturelle Bedingungen werden genauso thematisiert, wie (kritische) Ereignisse z. B. in der Promotionsbetreuung oder ein Instrument zur Karriereorientierung. Daher ist die Vortragsreihe für Promovierende und Promovierte, genauso wie für die Professor*innenschaft und für Einrichtungen der Hochschulforschung oder der Nachwuchsförderung interessant. Aber auch Berater*innen und Trainer*innen werden hier sicherlich den ein oder anderen Link zu ihrer Praxis entdecken. Melden Sie sich noch bis zum 5. Februar an und diskutieren Sie mit den Forscherinnen!

Weitere Informationen und das Vortragsprogramm

Anmeldung: per E-Mail an ausstieg(at)uni-hildesheim.de 

Ansprechpartnerin: Svea Korff  (korffs(at)uni-hildesheim.de)

 

 

 

 

 


Dr. Svea Korff, Geschäftsführerin des Graduiertenzentrums, koordiniert die Vortragsreihe "Ausstieg aus der Wissenschaft" als Abschlussveranstaltung im Rahmen des DFG-geförderten gleichnamigen Netzwerks. Foto: privat

Prof. Dr. Meike Baader, Vizepräsidentin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Foto: Daniel Kunzfeld