BMBF-Projekt HAISEM-Lab: Wissen über Künstliche Intelligenz

lundi, 12. juillet 2021 um 15:48 Uhr

Im Interview sprechen die Informatiker Prof. Dr. Klaus Schmid und Dr. Holger Eichelberger über das HAISEM-Lab. In dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt sollen Mitarbeiter*innen der Industrie im Bereich der Künstlichen Intelligenz unterstützt werden.

Herr Professor Schmid, Herr Dr. Eichelberger, die zunehmende Vernetzung von Systemen und der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) zum Beispiel im Bereich Industrie 4.0, der intelligenten Mobilität oder der Energieversorgung verändert auch das Berufsfeld für Ingenieure und Techniker*innen stark. Sie forschen am Institut für Informatik. Was ist Ihr Ziel in dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt HAISEM-Lab?

Klaus Schmid: Mit dem HAISEM-Lab-Projekt sollen Mitarbeiter der Industrie mit aktuellen KI-Techniken vertraut gemacht werden. Dabei spielt eine besondere Rolle, dass in der modernen KI neue Arten von Hardware - von Grafik-Prozessoren bis hin zu Spezialhardware – immer wichtiger werden. Das Projekt fokussiert insbesondere Ansätze auf den Überlappungsbereich zwischen KI, Software Engineering und Hardware. Das deutet auch der Name an: HAISEM ist ein Akronym und bedeutet „Hardware-optimized AI applications using modern Software Engineering Methods“. Dabei berücksichtigt das Team der zwei Partner, der Universitäten Hannover und Hildesheim, nicht nur die heute üblichen Grafik-Prozessoren, die oft zur Beschleunigung von KI-Methoden eingesetzt werden, sondern auch neuere Ansätze wie Tensor-Prozessoren oder „wieder-verdrahtbare“ Prozessoren. So soll ein breiter Einblick in diese aktuellen Technologien gegeben werden.

Holger Eichelberger: Um dieses Wissen in die Unternehmen hineinzutragen, werden in HAISEM-Lab sowohl neue Ansätze als auch Grundlagen in den genannten Bereichen in Form ein- bis zwei-tägiger Kurse für die Industrie aufbereitet und durchgeführt. Dabei geht es sowohl um klassische Kurse zum Wissenserwerb, aber auch um Kurse mit Praxisanteilen. Sie können sich sicher vorstellen – besonders Praxiskurse stellen unter den aktuellen Bedingungen, trotz Lockerungen, immer noch eine Herausforderung dar, da wir zurzeit alle Kurse virtuell durchführen. 

Wozu möchten Sie mit Ihrem Projekt beitragen?

Holger Eichelberger: Wir möchten das Wissen über die Künstliche Intelligenz aber auch die Bereitschaft zur Beschäftigung mit KI in der Industrie vergrößern, insbesondere aus dem Blickwinkel des Software Engineering. Natürlich ist KI in aller Munde, und die Motivation unserer Teilnehmer ist groß, auch von anderen Seiten an KI heranzugehen. Es besteht aber auch eine gewisse Vorsicht, an manchen Stellen sogar Angst vor KI. Das zeigen aktuelle Umfragen – beispielsweise haben wir im „Schwesterprojekt“ IIP-Ecosphere gerade eine eigene Umfrage zum Thema KI in der industriellen Produktion durchgeführt. Bei Angst denkt man gerne an Szenarien, dass „KI die Weltherrschaft“ übernehmen könnte, so wie böse Computer in Science Fiction Filmen. Die Reserviertheit ist aber viel realer. Nur ein Beispiel (die Ergebnisse werden im Juli veröffentlicht): Es existiert die Angst, dass der KI-Zug besonders an kleinen und mittelständischen Unternehmen vorbeifährt und es keine Möglichkeiten gibt, aktiv mitzugestalten, da man mehr mit den technischen Problemen und „steinzeitlichen“ Anlagen beschäftigt ist, als mit modernen Technologien wie KI. Hier geben wir mit dem Labor und den Kursen den Unternehmen die Möglichkeit direkt mit diesen Technologien in Kontakt zu kommen und auch einfach mal was auszuprobieren, in Kursen neue Kompetenzen zu erwerben, aber auch mit uns einfach in den Austausch zu kommen und aktuelle Fragen zu diskutieren. 

Klaus Schmid: Dabei versuchen wir aus der Sicht unserer Arbeitsgruppe immer das Gesamtbild intelligenter Systeme zu diskutieren. Systeme bestehen im Regelfall nicht ausschließlich aus KI. Die Ziele und Verwendung von KI muss vorausgedacht, geplant und mit anderen Systemen integriert werden, sonst enden KI-Projekte schnell in der Schublade – aktuell wird gelegentlich von mehr als 70% der Projekte berichtet, die nicht in den praktischen Betrieb gehen! Daher macht es Sinn, und so wird es auch von den Teilnehmern unserer Kurse reflektiert, dass man über den „Tellerrand der KI“ schaut und sich fragt, wie man „Intelligente Systeme“ baut, die auch mit Bestandsdaten und Altsystemen umgehen können. Das bietet auch Unternehmen, die sich noch mit den Grundlagentechnologien auseinandersetzen müssen, die Möglichkeit, sich auf KI aus einer Systemperspektive vorzubereiten.

Sie bauen in dem zweijährigen Projekt ein KI-Labor auf der Grundlage eines nachhaltigen und flexiblen Qualifizierungskonzepts auf. Somit sollen Entwicklerinnen und Entwickler in die Lage versetzt werden, KI-Anwendungen unter Verwendung von Software-Engineering-Methoden erfolgreich zu realisieren. Wie sind die bisherigen Projektergebnisse?

Klaus Schmid: Bislang wurden von den Partnern verschiedene Kurse zu den genannten Themen vorbereitet und durchgeführt, von uns drei zweitätige Kurse zu Themen rund um das Software Engineering wie „Software Engineering für KI-Anwendungen“, „Software-Architekturen für KI-Anwendungen“ aber auch zum Handwerkszeug (Programmierung von KI-Anwendungen mit Python). Die Kurse waren stets gut besucht und es gab Lob von den Teilnehmern, insbesondere über die Integration praktischer Bestandteile – wie gesagt, unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist das nicht immer so einfach wie wenn wir den Teilnehmern im gleichen Raum direkt über die Schultern schauen könnten. 

Holger Eichelberger: Oft geht es im Software Engineering allerdings nicht nur um rein technische Aspekte. Menschen müssen zusammenarbeiten, um derartige Systeme zu planen und zu realisieren. Diese Aufgaben hat die KI bislang (zum Glück) noch nicht übernommen. Und das ist in HAISEM-Lab ein besonders spannendes Feld, da drei Fach-Disziplinen zusammenarbeiten, die, wie im täglichen Arbeitsleben in der Industrie, nicht immer die gleiche „Sprache“ sprechen. Um der Interdisziplinarität aber auch den Hemmnissen näher zu kommen, haben wir gemeinsam eine KI-Anwendung entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Objekterkennung, die auf allen verfügbaren Hardware-Ressourcen, die wir mit den Partnern im Projekt vorstellen, nutzbar ist. Dabei werden sowohl starke Grafikkarten-Server als auch FPGA-Server (das sind die wieder-verdrahtbaren Prozessoren) aber auch Grafikkarten in Laptops sowie spezielle KI-Prozessoren (sogenannte Tensor-prozessoren) eingesetzt. Basierend auf den Erfahrungen laufen gerade Arbeiten über eine „Best Practice“-Sammlung in Zusammenarbeit mit dem „Schwesterprojekt“ IIP-Ecosphere und dem KI-Trainer-Projekt in Hannover.

Klaus Schmid: Zudem haben wir eine spannende Performanz- und Energieverbrauchsanalyse für die angesprochenen Rechenressourcen durchgeführt. Vermessen wurden Komponenten eines neuronalen Netzwerkes, aber auch gesamte Netzwerke. Auch wenn die Ergebnisse grob den Erwartungen entsprechen – Training eher auf Server-Maschinen, Vorhersage besser auf kleinen Systemen – gab es auch überraschende Ausreißer. Dies ist natürlich für die Praxis unter dem Aspekt der Green IT sehr relevant. Hier wird gerade an einer Veröffentlichung gearbeitet.

Künstliche Intelligenz in der Region Hildesheim

„Mit HAISEM-Lab wollen wir insbesondere die Region im Bereich KI voranbringen.

Was kann ein solches KI-Labor leisten? Wie erreichen Sie mit dem Qualifizierungsprojekt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Industrie?

Klaus Schmid: Wie schon angesprochen geht es einerseits um Wissen, aber andererseits um die Vermittlung von Erfahrungen und Motivation. Das funktioniert in den kostenlosen HAISEM-Lab-Kursen sehr gut. Die Teilnehmer sind offen und neugierig und die Kurse im Regelfall ausgebucht, auch dank des Vorläuferprojekts, der „Applied Machine Learning Academy“, das wertvolle Kontakte aufgebaut hat. In den Kursen entwickeln sich oft Situationen, in denen angeregt diskutiert wird, trotz virtueller Durchführung. Es ist ja bei den Teilnehmern ein vielfältiger Erfahrungsschatz vorhanden, mit KI aber auch zu anderen Bereichen der Softwaretechnik. Spontan wird gemeinsam über das Testen von KI-Systemen, neue Anwendungsfelder, Datenspeichertechniken, aber auch Ethik diskutiert. Je mehr KI in die Systeme einzieht und dann auch Entscheidungen trifft, die Menschen direkt beeinflussen, zum Beispiel, bei selbstfahrenden Fahrzeugen, desto wichtiger aber auch kontroverser werden natürlich Ethik-Themen. Insbesondere bei derartigen Themen findet gern ein reger Meinungsaustausch statt, dem wir gerne geeigneten Platz in den Kursen einräumen.

Holger Eichelberger: Neben den Kursen besteht auch die Möglichkeit mit uns kleine Projekte durchzuführen. Momentan verfügt das Labor über vielfältige moderne Hardware, die wir gerne in industriellen Situationen erproben. Leider beeinträchtigt die Pandemiesituation diese besondere Möglichkeit, insbesondere da es oft für alle Beteiligten einfacher ist, Erstgespräche zu Projektthemen persönlich und vor Ort durchzuführen.

Bis wann läuft das Projekt und was ist ein nächster Schritt?

Klaus Schmid: Das Projekt läuft offiziell bis November 2021. Eine Verlängerung ist angedacht, insbesondere in der Hoffnung, dass sich durch die Impfkampagne die Pandemie-Lage weiter beruhigen wird und wir die noch ausstehenden praktischeren Kurse dann auch in Präsenz durchführen können. 

Holger Eichelberger: Auf Kursseite sind die nächsten Schritte bei uns die Erstellung und die Durchführung von praxisnahen Kursen zu Performanz und Tuning von KI-Anwendungen aus der Software Engineering Perspektive. Weiterhin ist ein gemeinsamer Kurs aller Partner zu hybriden KI-Systemen basierend auf den Erfahrungen im Projekt in Vorbereitung.

Neben Kursen bietet HAISEM-Lab sogenannte „Schnuppertage“ an, eine Mischung von wissenschaftlichen und industriellen Vorträgen und Diskussionen rund um ausgewählte KI-Themen. Der nächste Schnuppertag wird von der Arbeitsgruppe Software Systems Engineering der Universität Hildesheim organisiert und findet am 16. Juli zum Thema „Intelligente Systeme: Eine Herausforderung für das moderne Software Engineering“ statt. Für diesen Schnuppertag haben interessante Experten einen Vortrag zugesagt, so z.B. Prof. Christian Kästner von der Carnegie Mellon Universität, aber auch von Kollegen aus der Industrie von Bosch, RapidMiner, Lenze und slashwhy. Der Schnuppertag wird in der Deutschen Messe Technology Academy in Hannover stattfinden und wir drücken alle Daumen, dass wir die vor-Ort-Kapazitäten bis zum Juli noch weiter erhöhen können. Parallel werden wir eine Möglichkeit zur Online-Teilnahme anbieten.

Gibt es einen Aspekt Ihres Projekts, der besonders für die Region relevant ist?

Klaus Schmid: HAISEM-Lab wird von zwei niedersächsischen Universitäten durchgeführt, der Universität Hannover und Universität Hildesheim. Wir bieten spannende Kurse aus der Region für die Region an. Mit HAISEM-Lab wollen wir natürlich auch insbesondere die Region im Bereich KI voranbringen. Da liegt es doch nah, vorbeizuschauen und vielleicht ein KI-Problem oder eine Idee mitzubringen, oder auch einfach nur spannende Fragen und Neugier. 

Holger Eichelberger: Es muss ja nicht gleichzeitig um KI, Software Engineering und Spezialhardware gehen, um interessant zu sein. Wenn sich genügend Teilnehmer, zum Beispiel, aus einer Firma, für eines der Kursthemen finden, führen wir Kurse auch gerne im Firmenkontext (sehr gerne auch vor Ort, je nach Corona-Lage) durch. Und zudem bieten wir interessante Schnuppertage für die Region an. Durch den Online-Anteil werden Kurse und Schnuppertage oft etwas überregionaler, aber damit besteht die Möglichkeit, auch Kollegen außerhalb der Region kennenzulernen und insbesondere in den Praxiskursen gemeinsam an Problemen zu tüfeln. Insgesamt wollen wir mit dem Projekt vor allem ein Fenster aufstoßen für die Region zur Entwicklung und Zusammenarbeit zu Themen der Künstlichen Intelligenz und des Software Engineering im Sinne einer Partnerschaft von Universitäten und Unternehmen.

Herr Professor Schmid, Herr Dr. Eichelberger, vielen Dank für das Gespräch! 

Die Interviewfragen stellte Isa Lange. 


Holger Eichelberger (links) und Klaus Schmid forschen in der Arbeitsgruppe Software Systems Engineering am Insitut für Informatik der Universität Hildesheim. Foto: Daniel Kunzfeld