Das Seminar Woher kommt der Judenhass? Philosophische Antworten auf den Anschlag der Hamas, das in Kooperation von zwei Lehrenden der Universitäten Münster und Hildesheim sowie mit Studierenden der Philosophie und Katholischen Theologie aus Münster, Hildesheim und Jena am 29.11.2024 auf der Domäne Marienburg hätte beginnen sollen, wurde durch Mitglieder des „Palästina Netzwerks Hildesheim“ gleich zu Beginn der ersten Sitzung gestört und teilweise unterbunden. Diese Tatsache selbst und die Form, in der dies geschehen ist, verurteilt das Institut für Philosophie in jeder Hinsicht. Zugleich distanzieren wir uns als Institut ganz entschieden von der Darstellung des Vorfalls, die die Mitglieder des Netzwerks in sozialen Medien verbreiten. Wir halten die bei der versuchten Unterbindung des Seminars praktizierten militant-souveränistischen Gesten und Formen sprachlicher Gewalt, die physisch und verbal ausgesprochenen Drohungen und das Filmen sowie anschließende, höchst selektive Veröffentlichen der gefilmten Seminar-Situation, für in jeder Hinsicht unakzeptabel. Das Vorgehen der Mitglieder des Netzwerks widerspricht allem, was wir mit unseren Ansprüchen an angstfreie Seminarsituationen, einen offenen und herrschaftsfreien Dialog sowie eine achtsame Debattenkultur verbinden. Die Aggressivität und Drohgebärden, die sich unter anderem in den Formulierungen, dass die Mitglieder des Netzwerks „jederzeit wiederkommen könnten“ und das die „Zeit des Redens nun vorbei sei“, festmachen lassen, haben mehrere Teilnehmerinnen des Seminars von der Universität Münster dazu bewogen, das Seminar und Hildesheim sofort zu verlassen, da sie sich in der Stadt nicht sicher fühlten. Für weitere Seminarteilnehmer:innen war das Bedrohungsempfinden so vehement, dass sie psychotherapeutische Beratung in Anspruch nehmen mussten. Über die Grenzen des Seminars hinaus greifen die Mitglieder des Netzwerks mit ihrem militanten Auftreten schließlich auch Jüd:innen an und machen die Universität als Raum für jüdische Studierende in Zeiten des zunehmenden Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023 noch unsicherer.
Entgegen der Behauptungen des Netzwerks, die selbsterklärten Aktivist:innen wären von den Dozenten unterbrochen worden, bezeugen Berichte der Studierenden wie der beiden Lehrbeauftragten das genaue Gegenteil. Sowohl die beiden Lehrbeauftragten, wie einzelne der teilnehmenden Studierenden haben den Mitgliedern des Netzwerks, direkt nachdem sich diese als solche zu erkennen gegeben haben, angeboten, offen über die Seminarinhalte zu diskutieren. Eine Diskussion hätte allerdings zur Voraussetzung gehabt, dass die Seminarinhalte als solche erst einmal hätten vorgestellt werden können. Dies haben die Mitglieder des Netzwerks durch das Verlesen mitgebrachter Texte und das ostentative Zuweisen einer als „zionistisch-genozidal“ bezeichneten Grundhaltung der Lehrenden und Seminarteilnehmenden aber gerade verunmöglicht, nicht zuletzt und vor allem auch durch die Lautstärke des Auftretens und ein aggressives Nicht-zu-Wort kommen lassen. Die Tatsache, dass ein Seminar, welches sich zum Ziel setzt, einerseits ideen- und mentalitätsgeschichtliche Quellen des Antisemitismus in der deutschen Philosophie und in der europäischen Geistesgeschichte aufzuarbeiten, andererseits aber auch antisemitische und antisemitismusanfällige Reaktionen auf den 7. Oktober zu untersuchen, sowohl in der Situation selbst wie in der nachträglichen Darstellung auf Social Media als „zionistisch-genozidale Propaganda“ bezeichnet wird, zeugt aus unserer Sicht von einer Verkehrung historischer wie aktueller politischer Zusammenhänge. Aus einer Kritik an antisemitischen Stereotypisierungen und Narrativen folgt keineswegs eine Leugnung der Zerstörung und der unmenschlichen Zustände in Gaza und des Leids der palästinensischen Bevölkerung infolge der Kriegshandlungen der israelischen Armee. Im Gegenteil. Denn wie ein Blick in den Seminarkommentar im Vorlesungsverzeichnis hätte verdeutlichen können, wird Antisemitismus im Seminar als Ausdruck einer gruppenspezifischen Menschenfeindlichkeit thematisiert. Eine kritisch-fundierte Analyse des Antisemitismus impliziert dabei notwendig auch eine Zurückweisung aller anderen Formen gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit. In diesem Sinne wird im Seminar, wie die Lehrbeauftragten im Kommentar schreiben, auch eine Verbindung mit „Rassismuskritik, Kritik neokolonialer Verhältnisse und postkolonialer Kontinuitäten“ sowie „queeren Kämpfen“ hergestellt. Den Lehrenden und Seminarteilnehmenden zu unterstellen, sie würden einen „Genozid in Gaza rechtfertigen“ wollen, verkehrt die Tatsachen in einer zynischen Weise.
Das Institut für Philosophie der Universität Hildesheim verurteilt daher die gewaltsame Störung des Seminars durch die Aktion der Mitglieder des „Palästina Netzwerks Hildesheim“ am 29.11.2024 auf das Schärfste. Die Aktion hat eine massiv bedrohliche Situation für alle Seminarbeteiligten geschaffen mit nicht absehbaren Konsequenzen des Sicherheitsempfindens in universitären Räumen. Die Grundlagen einer verständigungsorientierten Auseinandersetzung wurden dadurch ebenso massiv verletzt wie die Möglichkeit des angesichts der aktuellen Konflikte dringend gebotenen kritischen Diskurses.
Das Institut für Philosophie