Festival Studies und postheroisches Kulturmanagement

New way of being academic together….
Der Forschungsschwerpunkt versteht sich als kollektives, offenes Forum, Studierende, Festivalmacher:innen, wie Lehrende sind herzliche eingeladen gemeinsam zu Forschen und ihre Expertisen auszutauschen.

Was bisher geschah…

Das letzte Labor mit Studierenden fand hier statt: https://www.festwochen.at/predictably-unpredictable.

What´s next?

Parallel zur Forschung ist eine Festival Academy in Kooperation mit dem ITI Internationalen Theaterinstitut im Aufbau: https://www.iti-germany.de/begegnung-austausch/die-iti-akademie

Um was geht´s?

Festivals der Perfomativen Künste – Kulturpoltik – Vermittlung – Cultural Leadership

Internationale Festivals der performativen Künste haben den kulturpolitischen Auftrag internationalen Nachwuchs, Austausch und experimentelle Kunstformen zu fördern und sind somit wichtige kulturpolitische Akteure für die internationale Kunstszene. In den letzten Jahren sind Festivals, ebenso wie alle weiteren Kulturbetriebe aufgefordert sich globalpolitischen Themen wie Gender, Post-/ Dekolonialismus, Critical Whiteness, Nachhaltigkeit, Migration, Re-Nationalisierung gegenüber zu positionieren und ihre Machtposition als kulturelle meist weiße und zentraleuropäische Institution mit neuen Verantwortungen in Einklang zu bringen. Zeitgleich wird im kulturpolitischen Diskurs der Bedarf einer neuen Resilienz der Kulturpolitik diskutiert, die sich der Autonomie der Kunst widmet und die „Freiheit der Kunst“ selbst schützt und global und lokalpolitische Themen, anderen Politikbereichen überlässt. Im Diskurs gemeint sind damit beispielsweise Förderprogramme die Kunst- oder Kooperationsprojekte an politische Themen bindet und somit thematisch und in Bezug auf die ästhetische Form Künstler*innen Entscheidungsfreiheiten nehmen können.

In der vorangegangenen empirischen Untersuchung im Rahmen der Dissertation von Dr.in Nicola Scherer „Narrative internationaler Theaterfestivals – Kuratieren als kulturpolitische Strategie“ (https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5357-1/narrative-internationaler-theaterfestivals/) haben sich Festivalzentren als ein zentrales „Instrument“ der Freiheitlichkeit in der internationalen Kunstproduktion gezeigt. Diese lassen sich als potentielle third spaces (Homi Bhabha third space theory) beschreiben und bieten notwenige „In-Betweens“ in denen neue internationale Allianzen und Projekte entstehen können. (Artikel hierzu im Sammelband, der durch die Hildesheimer Studierende, Julia BuchbergerPatrick Kohn und Max Reiniger, veröffentlicht wurde, www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5888-0/radikale-wirklichkeiten/)

Die internationale Szene der performativen Künste bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen globalpolitischen Themen und dem Anspruch an eine Plattform für neue, experimentelle Formen in den Künsten, deren Bildsprache, Dramaturgie, Ausdrucksmittel singulär, wenig niedrigschwellig oder provozierend sein können. Globalpolitische Themen werden durch die internationalen Künstler*innen in das Festival hineingetragen oder durch das kuratorische Konzept bewusst in den Fokus einer Festivaledition gesetzt und multiperspektivisch durch die künstlerischen Produktionen erzählt.

In ihren diskursiven, vermittelnden und künstlerischen Formaten tragen Festivals somit zu (Re-)Präsentation unterschiedlicher künstlerischer, politischer und kritischer Haltungen bei und verfügen über eine Deutungs- und Selektionsmacht im internationalen Kontext. Hinter den kuratorischen Konzepten und Touringlogiken liegen Machstrukturen einer internationalen Festivalszene die zu Ausgrenzungsmechanismen führen können und somit anstelle einer Förderung des Singulären zu Reproduktionsorten von Kulturkosmopolitismus werden.

Diese Mechanismen zu analysieren und Strukturen von Resilienz zu identifizieren, welche die konkreten Bedarfe der Künstler*innen integrieren ist ein Ziel des Forschungsvorhabens. Unter der erkenntnisleitenden Forschungsfrage: Welche Strategien von Resilienz finden sich in der internationalen Festivalszene? Werden insbesondere auch kleinere Nachwuchsfestivals und deren Strategien von Resilienz untersucht.

Ein weiterer Fokus liegt auf der Analyse der gegenwärtig neu entstehenden künstlerischen Formate in der internationalen Festivallandschaft. Dir Forderung des Abstandsgebots hat viele Festivals dazu veranlasst spontan auf digitale Festivaleditionen umzusteigen und hier die Grenzen des Möglichen auszuloten, ohne viel Zeit in der Vorbereitung gehabt zu haben. Einige Festivals haben hier die Aufgabe eine Lösung für ein Bühnenwerk im Digitalen zu finden an die Künstler*innen selbst zurückgegeben, die vielfach interdisziplinär arbeiten und ihnen somit eine schnelle Adaption in ein anderes Rezeptionssetting möglich war. Andere Festivals haben sich auf die Option Live-Aufführungen aus Theatern zu streamen konzentriert. Unter der These, dass es die internationale Theaterfestivalszene in der Form wie sie sich seit den 1980er Jahren entwickelt habt, nicht mehr geben wird, untersucht das Forschungsvorhaben welche neuen Formen der Präsentation, Distribution und Kunstproduktion hier internationale entstehen und was nachhaltig die internationale Theaterfestivalszene beeinflussen wird. Zusätzlich zu der „Wildcard“ Pandemie, fordern globale Umstände Ansprüche an Nachhaltigkeitskonzepte und Antidiskriminierungsorientierter Arbeit von Kulturbetrieben in internationalen Kontexten. Wildcard ist ein Begriff der Zukunftsforschung und beschreibt ein Ereignis welches unmöglich vorhergesehen werden konnte und spontan und nachhaltig komplexe Zusammenhänge beeinflusst, ein weiteres Beispiel wäre die spontane Öffnung der Deutsch-Deutschen-Grenze 1989.

Das Forschungsvorhaben untersucht Strukturen von Resilienz in der internationalen Theaterfestivalszene auf folgenden drei Ebenen. Die kulturpolitische Rahmung die Resilienz erzeugt oder auch behindert. Ein Beispiel wäre die Reisefreiheit internationaler Künstler*innen, denn angesichts von Renationalisierungsprozessen, neuer Abschottung von Grenzen und globaler Demokratiemüdigkeit ordnen sich auch kulturpolitische Rahmenbedingungen und Handlungsnotwenigkeit neu. Das internationale Theaterinstitut (iTi) beispielsweise untersuchte 2019 die Einhaltung der Schengen-Abkommens in Bezug auf die Reisemöglichkeiten von internationalen Künstler*innen mit ernüchternden Ergebnis. Insbesondere männliche, junge, arabisch aussehende Künstler erfahren im Kontext von Einreise strukturellen Rassismus. Nicht nur innerhalb von Diktaturen wird das Thema Kunstfreiheit neu diskutiert, internationale Produktionsbedingungen, Förderstrukturen, Transformationsprozesse, De/Postkolonialismus. Die zweite Ebene von Resilienz wird an Hand dezidiert künstlerischer Strategien von Resilienz untersucht. Gibt es eine widerständige Ästhetik, Spielpraktik oder Dramaturgie? In künstlerischen Formaten verschwimmen die Grenzen zwischen Künstler*innen und Aktivist*innen im globalen Kontext. Die insgesamt angespannte politische Lage produziert aktivistisch motivierte Proteste die sich dezidiert an Codes, Bildsprachen und Wirkmechanismen aus den Künsten bedienen. Welche Rolle die Künste hierbei einnehmen und welche Ästhetiken zu welchem Zweck verwendet werden und welche Argumente für eine Zweckfreiheit im Diskurs darstellbar sind, soll diese Betrachtungseben an Hand der gegenwärtigen künstlerischen Praxis untersuchen. Als beispielhafter Antagonist der politischen Kunst wäre Jonathan Meese zu benennen, mit seinem Credo „Diktatur der Kunst“ versucht er die Kunst als unpolitisch und von Grund auf frei zu definieren.

Die dritte Ebene der Betrachtung wäre das diffuse Feld der Vermittlung im Kontext von gegenwärtiger Kunstpraxis. Der Bereich der Kunstvermittlung befindet sich nach einem langen Prozess um Anerkennung im Praxis- und Wissenschaftskontext in einer Phase der Neufindung und stellt sich in die eigene Kritik (z.B.: Carmen Mörsch, Kritische Kunstvermittlung). Kulturbetriebe stehen diversen Stadtgesellschaften gegenüber, der rurale Raum soll ebenso erschlossen und kulturell versorgt werden, es gilt den Generationenwechsel zu gestalten und internationale und Diversitätsperspektiven, Stimmen und Akteur*innen in den Kulturbetrieb zu inkludieren. Die Ereignismomente von Vermittlung, ihre beteiligten Entitäten (Objekte, wie Subjekte) fordern eine neue Sicht und eine neue Theoretisierung im Bereich der Vermittlung. Den Zwischenraum, ein „In-between“, zwischen Werk, Künstler*innen und Rezipierenden zu untersuchen und Vorgänge zu beschreiben und zu analysieren, Bedarf eines weiteren Verständnisses des Begriffs der Vermittlung den es neu zu definieren gilt. Kurator*innen beschäftigen sich mit der Absichtsvollen Gestaltung des Unabsichtsvollen, einem Konzept des Curating No-thing (Dr. Ong Ken Seng, Festivalleiter Singapore Performing Arts Festival) und stellen Wirk- und Machtverhältnisse im globalen Kontext am Beispiel lokaler Ereignisse in Frage. Es wird kritisch hinterfragt: Who ist in the position to educate whom about what? Auch die Frage von Nutzung und Nutzungsrechten am kulturellen Ereignis und den kulturellen Räumen wird kritisch beleuchtet und auf Nachhaltigkeit und Teilhabemöglichkeiten überprüft. In diesem Zusammenhang stellen sich ganz neue Anforderungen an das Kulturmanagement. Es sind neue Wege des Cultural Leaderships gefragt, welches in Einzelhandlungen die Konsequenzen für soziale Situationen und strategisch und nachhaltig gesamtgesellschaftliche und globalpolitische Perspektiven inkludiert. Der Forschungsschwerpunkt beschäftig sich somit auch mit einem neuen Verständnis und einer neuen Praxis des Kulturmanagements.