Forschung

Für viele Menschen mit psychischen Erkrankungen ist Psychotherapie eine effektive Behandlungsform und gilt bei den meisten psychischen Erkrankungen auch als das Mittel der Wahl. Dennoch ist die aktuell verfügbare Psychotherapie bei einem Teil der Betroffenen nur eingeschränkt oder gar nicht wirksam. Um diesen Betroffenen besser helfen zu können, hat die Forschung den Auftrag, die psychotherapeutischen Verfahren weiterzuentwickeln.

 

Diesem Ziel nähert sich die Psychotherapieforschung auf sehr unterschiedlichen Wegen. Ein Weg ist es, besser als bisher zu verstehen, warum genau Psychotherapie wirkt. Mit dem Wissen über Wirkmechanismen können wir gezielt Methoden und Techniken optimieren oder neue entwickeln. Für ein besseres Verständnis hierfür benötigen wir aber zunächst mehr Kenntnisse über die Entstehung von psychischen Erkrankungen.

 

Psychische Erkrankungen werden auch psychische Störungen genannt, weil sie eine (Folge von) Störung(en) relevanter psychischer Funktionen sind. Um beispielhaft besser zu verstehen, warum eine Patientin an einer Angststörung leidet, muss eigentlich beschrieben werden, inwiefern die Reaktion ihres Angst-Systems von dem einer gesunden Person abweicht. Angst ist nicht gleich Angst. Es gibt große individuelle Abweichungen im Erleben der jeweiligen Störung, die mit spezifischen Funktionsstörungen verbunden sind. Die Forschung unserer Arbeitsgruppe orientiert sich daher an einem mechanistischen biopsychologischen Prozessmodell von Psychopathologie und Psychotherapie.

 

 

(aus Richter, J., & Nazarenus, E. (2023). Biologisch unterstützte psychotherapeutische Interventionen bei therapieresistenten Depressionen. In Therapieresistenz bei Depressionen und bipolaren Störungen (pp. 497-509). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.)

 

Im Gegensatz zu den nosologischen Konzeptionen etablierter Klassifikationssysteme (ICD-11 und DSM-V) werden psychische Störungen und deren klinischen Symptome als kognitive, emotionale und behaviorale Konsequenzen von Dysfunktionen biopsychologischer Prozesse und damit transdiagnostisch konzipiert. Ausgangspunkt von Forschungsfragen sind dabei etablierte neurobiologische Modelle psychologischer Prozesse menschlichen Erlebens und Verhaltens. Die translationale Forschung der Arbeitsgruppe findet daher in der Schnittmenge zwischen psychologischer Grundlagenforschung und klinisch-psychotherapeutischer Anwendungsforschung statt: vom Labor zum Therapieraum in die Lebenswirklichkeit und zurück, von experimentell kontrollierten Studien zu Analogiestudien zu randomisierten Psychotherapiestudien und zurück, mit gesunden Proband*innen, Risikopopulationen und Patient*innen mit psychischen Störungen.

 

Mit einem Forschungsschwerpunkt auf Stress- und Traumaassoziierten Störungen, Angststörungen und depressive Störungen beziehen wir in der Datenanalyse diverse Systemebenen biopsychologischer Funktionalität ein, inkl. (epi-)genetischer, hormoneller, hirnfunktionaler, (peripher-)physiologischer, subjektiver und verhaltensbezogener Indikatoren. Dabei finden verschiedene Forschungsmethoden Anwendung, z.B. Paradigmen der Furchtkonditionierung und -extinktion, Symptomprovokationen (z.B. Verhaltenstest, Traumafilm-Paradigma, emotionales Imaginieren), aber auch nicht-invasive Stimulationsverfahren (z.B. transkutane Vagusnervstimulation). Wir interessieren und außerdem zunehmend für die Perspektiven einer individualisierten Psychotherapie und damit assoziierte Forschungsfragen, beginnend mit der Frage nach geschlechterspezifischen Faktoren bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Remission psychischer Störungen oder speziell frauenspezifischen Bedingungen.