Vielfalt leben, lehren, lernen. Eine vielfältige Lehrer_innenschaft für inklusive Schulen

Fragen von Benachteiligung und Ungleichheiten im Bildungssystem sind wieder in das öffentliche Bewusstsein getreten und erleben in der Bildungsforschung "eine erneute Renaissance" (Krüger et al. 2011: 8). In der Folge sind mannigfaltige Disparitäten, Benachteiligungen und Diskriminierungen auf allen Ebenen und Stufen des Bildungswesens aufgedeckt worden (vgl. Becker/Lauterbach 2004; Georg 2006; Krüger et al. 2011). Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK 2009) kann vor diesem Hintergrund als vorläufiger Höhepunkt bildungspolitischer Bemühungen verstanden werden, grundlegende Reformen einzuleiten, um aus dem Bildungssystem der Ungleichheiten inklusive Schulen hervorzubringen. Dazu gehört auch, geeignete Maßnahmen zur Einstellung und Schulung von Lehrer_innen zu entwickeln und anzuwenden (vgl. UN-BRK 2009, Art. 24, 4). An diesen beiden Punkten setzt die vorliegende Studie an.

In den letzten Jahren ist insbesondere durch die "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" (2013) die Frage fokussiert worden, wie bereits an den Hochschulen die Lehrer_innenbildung verändert werden kann, um zukünftige Lehrer_innen für ihre Arbeit in inklusiven Schulen adäquat zu qualifizieren. Daneben drängt sich aber auch die Frage auf, inwiefern in der Zusammensetzung der Lehrer_innenschaft selbst die gesellschaftliche Vielfalt abgebildet wird bzw. wie exkludierend sich die Ausbildung zum Lehrer_innenberuf gestaltet. Aufgezeigt werden wesentliche Positionen, Ansätze und Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit den beiden Forderungen nach einer einerseits vielfältigen und andererseits diversitätskritischen Lehrer_innenschaft relevant sind. Die erste Forderung bezieht sich dabei auf gesellschafts- und bildungspolitische Fragen, die zweite ist genuin pädagogisch. Dementsprechend ist die Abhandlung in zwei Teile gegliedert:

Im ersten Teil, "Vielfalt leben", geht es um das Ziel der Gewinnung einer Lehrer_innenschaft, in der die Bandbreite gesellschaftlicher Vielfalt repräsentiert ist. Aufgezeigt werden dabei sowohl die kleinen Optionen zur Privilegierung bislang unterrepräsentierter Gruppen als auch das große Potenzial durch den Abbau von Benachteiligungen in der Lehrer_innenbildung. Mit anderen Worten: Um der Forderung zur Einstellung einer vielfältigen Lehrer_innenschaft nachzukommen, muss die Frage umgedreht werden: Was steht diesem Ziel denn entgegen? So zu fragen heißt, mögliche Diskriminierungen von Menschen auf ihrem Weg in ein Lehramt ins Zentrum zu rücken und über Maßnahmen nachzudenken, wie diesen wirksam begegnet werden kann.

Im zweiten Teil, "Vielfalt lehren und lernen", wird die Aufgabe für Lehrer_innen aller Schulformen formuliert, Schule als gemeinsamen Ort zu gestalten, an dem die Schüler_innen im Spannungsfeld von individueller Vielfalt vs. struktureller Ungleichheit Bildung als Zusammenhang von Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit erwerben können. Auch wenn es dafür keine Handlungsrezepte gibt, lassen sich aus dem erziehungswissenschaftlichen Diversity-Diskurs zentrale Begriffe, Kritikpunkte und Ansprüche herauskristallisieren, die in einer diversitätskritischen Schulpädagogik berücksichtigt werden müssen. Daran anschließend wird der kasuistische Ansatz vorgestellt, der in den verschiedenen Phasen der Lehrer_innenbildung in besonderer Weise dazu beitragen kann, Diversität in schulischen Kontexten erkennen und kritisch reflektieren zu lernen.