Geschichtliche Entwicklung und die Rolle der Mikrodiplomatie beim Aufbau des "Europa der Regionen"

Es gilt das gesprochene Wort!

 

 

Prof. Dr. Dr. Paolo Magagnotti betont zunächst bescheiden, dass er kein Historiker ist und dementsprechend möglicherweise nicht dem analytischen Vorgehen entsprechen wird, welches das Auditorium gewohnt sei. Vielmehr erklärt der gebürtige Trentiner, mehrfach ausgezeichnete Journalist, Dozent an der Universität Temişoara (Temesvár, Rumänien) und langjährige Präsident der Deutsch-Italienischen Gesellschaft für Europa (Trient), er werde aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz über das oben genannte Thema sprechen.

 

1.   Zusammenarbeit von Grenzregionen

 

Die EU, so Magagnotti, ist ursprünglich und auch heute noch in erster Linie ein Zusammenschluss von Nationen. Auf den lokalen Ebenen unterhalb derselben findet man in Europa aber natürlich auch eine große Vielfalt von Ländern und Regionen vor. Einen Ausspruch Afred Mozers (1905-1979 aufgreifend, des ersten Präsidenten der Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen), nennt Magagnotti die Grenzen zwischen diesen Regionen „Narben der Geschichte“. Dies gilt besonders dann, wenn sie historisch zusammengehörige Regionen durchtrennten, wie im Fall Tirols. Grenzen seien in anderen Fällen zudem oft „Orte des Misstrauens“, so dass die zunächst wichtigste Aufgabe darin bestehe, Vertrauen zu schaffen.

Den Anfang machten 1958 die holländisch-deutschen Regionen entlang des Rheins. Das Saarland, Lothringen, Luxemburg („„Saar-Lor-Lux“, http://www.saarlorlux.biz/cgi-bin/cmshttp://www.institut-gr.lu) u.a. folgten. Dies war der Beginn der Zusammenarbeit europäischer Regionen („Euregio“).

Im Folgenden kommt Magagnotti auf die Verflechtungen speziell des Trentino zu sprechen, aus dem er stammt und wo er als „Mikro-Diplomat“ politisch wirkt. Das Trentino (http://www.provincia.tn.it), erläutert er, ist komplex strukturiert. Nicht nur leben dort Italiener und Südtiroler, sondern es gebe auch eine französische und eine slowenische Minderheit, die je ebenfalls Sonderautonomien genießen. Die Grenzregionen, zu denen auch das Trentino zählt, werden zunehmend stärker, da sie verschiedene Kooperationen und Arbeitsgemeinschaften gründeten, um ihre Interessen innerhalb der EU zu vertreten. So gibt es beispielsweise seit 1971 die „Arbeitsgemeinschaft europäischer Grenzregionen“ mit Sitz in Groningen (AGEG, http://www.aebr.net/index.php). 1972 gründete sich die „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer“ (ARGE ALP,http://www.argealp.org) sowie 1978 die „Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria“ (inklusive Slowenien und Kroatien,http://www.alpeadria.org; 1982 konstituierte sich sogar noch eine weitere Arbeitsgemeinschaft für die Westalpen.) Diese Arbeitsgemeinschaften basierten bzw. basieren auf einer politischen Homogenität der beteiligten Regionen, was die Kooperation sehr erleichterte. Inhaltlich geht es den genannten Arbeitsgemeinschaften darum, Organisation und Maßnahmen zum Beispiel beim Transitverkehr untereinander abzustimmen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken und dabei vor allem auf den Schutz des Lebensraums „Alpen“ zu achten. Gleichzeitig sollen die persönlichen Kontakte und damit das Vertrauen zwischen den Menschen in diesen Regionen gefördert werden, nicht zuletzt durch ein breites Lehrangebot der lokalen Sprachen. 1973 fand hierzu die große Konferenz „Europa und die Alpen“ statt, die sehr dazu beigetragen hat, die Beziehungen innerhalb des Alpenraums zu festigen.

Oberste Koordinationsstelle für die europäischen Regionen ist der Europarat in Straßburg (http://www.coe.int/DefaultDE.asp). Er fördert die Regionen, ist für die Vermittlung des Europagedankens in diesen zuständig und achtet auf die Einhaltung der Menschenrechte – nicht nur auf regionaler Ebene. Auch von Seiten des Europarats sind jüngst Fortschritte erkennbar: 2006 gab es eine deutliche gesetzliche Erleichterung von Euregio-Begründungen.

Auf unterster lokaler Ebene stehen die Gemeinden und andere höchst heterogene, in EU-Terminologie als „autonome Gemeinschaften“ zusammengefasste Regionen, und auch diese hatten schon früh begonnen, eigene Verbände ins Leben zu rufen. Zu nennen wäre unter Berücksichtigung auch dieser etwa der „Rat der Regionen und Gemeinden Europas“ (RGRE, http://www.rgre.de). In diesem Fall stellte sich jedoch bald das Problem, dass sich die beteiligten Regionen als äußerst inhomogen erwiesen. Als besonders aktiv auf dieser Ebene, so Magagnotti, taten sich die Komitate Ungarns hervor, die hiermit einen wichtigen Beitrag zur Osterweiterung der EU leisteten. Insbesondere die Gemeinden organisierten eine Vielzahl grenzübergreifender Ausstellungen und Kongresse.

Die Nationen blieben jedoch skeptisch gegenüber den neuen Zusammenschlüssen und arbeiteten vielfach gegen diese.

 

 

2.   Die Bemühungen der europäischen Regionen, eine Stimme in der EU zu erhalten

 

Nun, erklärt Magagnotti, komme er zum „siegreichen Marsch der Regionen“ nach Brüssel. Sie alle wollten „eine Stimme in Europa“, waren aber im Vergleich untereinander so verschieden, dass ein wirklich gemeinsames Vorgehen nicht möglich schien. Insbesondere die deutschen Bundesländer fühlten sich auf einer höheren Ebene als andere europäische Regionen, und zogen es daher zunächst vor, allein auf sich gestellt zu agieren. So trafen sich die deutschen „Landesfürsten“ mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß als Sprecher mit Jacques Delors, dem damalige Präsident der EG-Kommission, um ihm darzulegen, dass sie auf die Prinzipien des Föderalismus sowie der Subsidiarität pochten. Delors machte sich diese Ziele zueigen. Der Nachfolger von Strauß, Max Streibl, richtete daraufhin eine Konferenz unter dem Titel „Europa der Regionen“ aus, auf der nochmals das Subsidiaritätsprinzip gefordert wurde, eigene Stimmen der Regionen in der EU, ein Beschwerderecht der Regionen sowie eine klare Liste von Zuständigkeiten. Im Vertrag von Maastricht über die Europäische Union (EUV, 29.07.1992, http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/11992M/htm/11992M.html), der zum Zeitpunkt der genannten Konferenz bereits „in Sicht“ war, wurden die Regionen jedoch weitgehend ausgeschlossen. Zwar wurde ihnen immerhin beratende Funktion zugestanden, doch der Europarat nahm hierauf in der Praxis kaum Rücksicht. Die heute wichtigste Institution der europäischen Regionen stellt die unter der Ägide des damaligen katalanischen Regierungschefs Jordi Pujol i Soley 1985 geschaffene „Versammlung der Regionen Europas“ (http://www.aer.eu/de/home.html) dar.

Auch heute ist das Gewicht der europäischen Regionen also noch schwach. Magagnotti vertritt jedoch die Auffassung, dass sie hieran selbst nicht ganz unschuldig seien. Denn alle Regionen streben danach, in Brüssel, „beim Geld“, eine Vertretung zu unterhalten. Dies führt zu einem unübersichtlichen und von engsichtigen Zielen bestimmtem Agieren regionaler Vertreter.

In Bezug auf seine Heimatregion hebt Magagnotti hervor, dass es schon früh Zusammenarbeiten von Trient und Südtirol gegeben habe. Wichtig sei die Zusammenkunft 1991 in Meran gewesen, wo sich Trentino, Südtirol und Tirol (mit Vorarlberg als Beobachter) an einen Tisch gesetzt hätten. Diese Kooperationen machen, so Magagnotti, gute Fortschritte.

Magagnotti, selbst wie bereits erwähnt Präsident der Deutsch-Italienischen Gesellschaft für Europa, erläutert, dass Mikrodiplomatie (also Diplomatie von Region zu Region) nicht wie „normale“ Diplomatie (von Staat zu Staat) funktioniere. Es gibt hier beispielsweise keine Botschafter oder Konsulate, sondern alles sei weniger hierarchisch organisiert.

Als Ziele für die Zukunft bezeichnet der Redner die Schaffung neuer institutioneller Strukturen besonders in den Regionen Osteuropas. Hier könne man aus den EU-Kernländern wichtige Erfahrungen transferieren. Das wichtigste Ziel sei jedoch weiterhin, grenzüberschreitendes Vertrauen zu schaffen und den Zusammenhalt Europas zu stärken – und zwar auf allen Ebenen.

 

 

In der anschließenden Diskussion wurde Magagnotti direkt an seine letzte Äußerung anschließend und im Hinblick auf Umberto Bossi und seine „Lega Nord“ gefragt, ob nicht aber gerade die Regionalpolitik auch immer eine Gratwanderung hin zum Separatismus sei. – Magagnotti entgegnet, dass ja zunächst alle gelacht hätten, als Bossi seine Vision von „Padania“ verkündete. Aber dann bekam die „Lega Nord“ solch starken Zulauf, dass Rom einsah, etwas unternehmen zu müssen. Und heute sei die Lega Nord Regierungspartei. Man müsse sehen, dass Italien ohne Bossi den Regionen nicht entgegengekommen wäre. Und andererseits sei die „Lega Nord“ nun nicht mehr so europaskeptisch wie damals. Auf die Frage, ob das Schengener Abkommen nicht alle Probleme gelöst habe und ob sich die Regionen nun überhaupt noch bemühen müssten, antwortet Magagnotti, dass natürlich nun vieles einfacher sei. Aber grenzübergreifende Freizügigkeit löse nicht alle Probleme vor Ort.


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