Antikommunismus in der politischen Kultur der USA und der Bundesrepublik

Antikommunismus in der politischen Kultur der USA und der Bundesrepublik

Europagespräche des Instituts für Geschichte, Stiftung Universität Hildesheim

14.12.2009 – Josef Foschepoth – Antikommunismus in der politischen Kultur der USA und in der Bundesrepublik

(Freiburg i.Br.)

 

Prof. Dr. Josef Foschepoth  lehrt seit 2005 Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. Seine vom Drang nach wissenschaftlicher Unabhängigkeit geprägte Biografie ließ ihn 1980 vom Schuldienst als Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Leiter des Forschungsbereichs Nachkriegsgeschichte an das Deutsche Historische Institut in London wechseln. Ab 1986 nahm er verschiedene leitende Tätigkeiten im Bereich Weiterbildung, Kultur und Hochschule wahr. Von 1997bis 2005 war er Geschäftsführer und Präsident der AKAD Privathochschulen mit Sitz in Stuttgart. Im Laufe seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten hat er eine Reihe von Tabuthemen der bundesdeutschen Geschichtsforschung in Angriff genommen.

Der folgende Vortrag ist eine Art Werkstattbericht eines derzeitig von Foschepoth geleiteten Projekts zur Erforschung des Antikommunismus in der Bundesrepublik.

 Um dem Auditorium einen Begriff von der Dimension bislang noch nicht aufgearbeiteter, weil noch unter Verschluss gehaltener Geheimakten zur bundesdeutschen Geschichte zu geben, sicherte sich Foschepoth gleich zu Beginn erstaunte Aufmerksamkeit, als er die Zahl von mindestens sechs Millionen Regierungsakten (davon allein 1,5 Millionen im  Bundesinnenministerium) nannte. Zugriff auf diese Akten zu bekommen, so Foschepoth, dem man anmerkt, dass er seine Themen lebt, ist mit vielerlei Hindernissen verbunden, oft auch trotz Ablauf der 30-Jahre-Frist aus fadenscheinigen Gründen schlicht nicht möglich. Ein Thema, das in politischen wie auch juristischen Geheimdokumenten, die er einsehen durfte, immer wieder eine entscheidende Rolle spielt, ist der „Antikommunismus“. Je länger man sich mit diesem Phänomen beschäftige, um so mehr frage man sich, so der Redner, was  Antikommunismus war bzw. ist.

 
1. Was ist „Antikommunismus“?

 Der Antikommunismus (im Folgenden abgekürzt durch A.) gehört zur Gruppe der Anti-ismen, von denen es eine ganze Reihe gibt (Antiliberalismus, Antimodernismus,     Antisemitismus, Antiislamismus usw.). Anti-ismen sagen weniger aus, wofür als wogegen sie sind. Für den Historiker stellt sich nun das methodische Problem, wie man so etwas untersucht. Am ehesten bietet sich ein vergleichender Ansatz an (diachron, synchron, national, international, gesellschaftsbezogen oder auch –übergreifend). Foschepoth entscheidet sich für letzteres, für einen Vergleich des A. in den USA und in der frühen Bundesrepublik. Hier sei ein deutliches Forschungsdesiderat zu konstatieren.

 

Einleitend formuliert er  die These, der A. sei vor allem eine Reaktion auf beschleunigten gesellschaftlichen und politischen Wandel,  der den Kommunismus erst ermöglicht habe. habe. A. sei die Verarbeitung tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels.

 

2. Wie gestaltete sich der A. in den USA?

 Die in den USA mit dem A. verbundenen Namen lauten Joseph McCarty und Edgar Hoover, wobei Letzterer, obwohl weniger bekannt, den weitaus prägenderen Einfluss auf die US-amerikanische Gesellschaft ausübte. Kennzeichnend für die KP in den USA war, dass sie zu 90% aus Europäern bestand. Der Kommunismus wurde als eine zutiefst „unamerikanische“ Ideologie und Bewegung empfunden,  was auch heute noch gilt. Er stellt im landläufigen Verständnis eine Gefahr für den American Way of Life dar. A. ist Amerikanismus, der Züge einer regelrechten Zivilreligion trägt („Loyalty Day“, „I´m an American Day“ etc.).

 

Da sich die Mitglieder der US-amerikanischen KP registrieren lassen mussten, sank die Mitgliederzahl rapide, und die Partei wurde bedeutungslos. Dies hielt Hoover jedoch nicht davon ab, den Kommunismus „auch ohne Kommunisten“ als große Bedrohung zu propagieren. A. lässt sich einerseits als ein Selbstverständigungsprozess definieren, die eigene Identität zu finden bzw. nicht zu verlieren. Die bestimmende Kraft waren Ängste vor einem beschleunigtem gesellschaftlichen Wandel und der damit einhergehenden Gefahr eines Statusverlustes. Andererseits lässt sich in der amerikanischen Politik eine Art strategischer A. erkennen, der als Verlagerung des Binnenkonfliktes in den Außenraum gedeutet werden kann.

 Besonders interessant ist die von Foschepoth herausgearbeitete Perspektive der Amerikaner auf die Haltung der Bundesdeutschen gegenüber dem Kommunismus. Sie unterstellten den Bundesbürgern eine „emotionale Neutralität“. Kennzeichnend hierfür waren der seit 1955 sich verstärkt entwickelnde utopische Wunsch nach Wiedervereinigung in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937, ihre wirtschaftliche Unzufriedenheit, ihre Sorge vor einem neuen Krieg und schließlich der Einfluss sowjetischer Propaganda. Foschepoth stellt klar fest, dass der Westen keine Wiedervereinigung Deutschlands wollte. Man habe aber die Möglichkeit formal offen gelassen, um die Bundesdeutschen für Westeuropa erwärmen zu können. Außerdem entschlossen sich die US-Amerikaner 1953, Konrad Adenauer massiv zu unterstützen, dessen Wiederwahl – gelinde gesagt – gefährdet schien. (Die Unterstützung erhielt Adenauer deshalb, weil er – auch dies geht aus den vom Redner ausgewerteten Dokumenten hervor – die Wiedervereinigung nur aus wahltaktischen Gründen als Ziel hochhielt, sie gegenüber den Westalliierten jedoch insgeheim von Beginn an ausgeschlossen hatte, um die Westintegration der Bundesrepublik nicht zu gefährden. Er traute den Deutschen nicht und befürchtete, sie würden mit den Sowjets verhandeln und ein zweites Rapallo versuchen. Adenauer wollte einen sicheren Staat, und sei er auch klein. Dieser war nach seiner Auffassung nur über die Westintegration möglich.)

Dies führt direkt zu der Frage, wie es sich in der Bundesrepublik mit dem A. verhielt.

 

3. Wie gestaltete sich der A. in der Bundesrepublik Deutschland?

Während der Holocaust nach Kriegsende im Bewusstsein der Deutschen keine große Rolle spielte, da es sich um eine „staatliche“ Angelegenheit handelte, war der Vernichtungskrieg im Osten an kaum einer deutschen Familie spurlos vorüber gegangen und hatte tiefe Wunden hinterlassen. Der Redner präsentierte eine beklemmende Übersicht, aus der nicht nur die unfassbaren 27 Millionen sowjetischen Kriegsopfer hervorgingen, sondern auch, dass über 50% der Wehrmacht im Osten gekämpft hatte, drei Millionen Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten, von denen über eine Million umkamen, 7 Millionen Deutsche vertrieben wurden (von denen über eine Million auf der Flucht starben), dass jede siebte Frau Berlins nach Kriegsende vergewaltigt wurde und viele schlimme weitere Daten. Im kollektiven Bewusstsein schlug sich dies in der „doppelten Wirklichkeit“ nieder, dass in Bezug auf den Krieg im Osten viele Täter auch Opfer waren und umgekehrt.

Vor allem prägte nationale Frustration das Denken der Nachkriegsdeutschen. Umfragen ergaben, dass sich in der Ära-Adenauer 50-60% der Befragten zurück a) ins Kaiserreich und b) in die Zeit 1933-37 (!) wünschte. (Nach dem Motto, so Foschepoth:„Das einzig Störende am Nationalsozialismus war der Krieg.“)

Während sich 1952 noch 66% der Bundesbürger von der Sowjetunion akut bedroht fühlten, sank dieser Wert bis 1971 auf 28%. Mit der realen Kriegsgefahr korrespondierte dies keineswegs. Die Kuba-Krise hatte kaum Einfluss auf das Bedrohungsgefühl der Bundesdeutschen. Doch für Adenauer, unter dessen Kanzlerschaft siebenmal (!) mehr Kommunisten als Nationalsozialisten verurteilt wurden, war der A. - kaum zu trennen vom traditionellen Antibolschewismus der Deutschen, gewissermaßen als nützlicher Teil des Antisemitismus, wie in zahlreichen  rassistischen Plakaten vom jüdischen Bolschewik deutlich wurde. Unverkennbares Ziel: die Bundesdeutschen „auf Westkurs“ zu halten.

Die 1955 teilweise erlangte Souveränität der Bundesrepublik führte zu einem merklichen Wiederanstieg des Nationalismus, der Adenauer große Schwierigkeiten bereitete. Er konnte nicht ignorieren, dass 1953 noch 80% der Westdeutschen die Grenzen von 1937 „wiederhaben“ wollten. Bis 1966 war dieses Ziel in Meinungsumfragen wichtigstes politisches Ziel überhaupt und damit wichtiger als die Westintegration.

Der westdeutsche A. wurde zu einer nationalen Ersatzideologie, die erklärte, dass es nur die Kommunisten unter Führung der Sowjetunion waren, die den Deutschen die Erfüllung ihrer legitimen nationalen Wünsche („Recht auf Heimat“) versagten. Nur die feste Einbindung in den Westen konnte und sollte nach Adenauers Vorstellung die Erfüllung nationaler Sehnsüchte bringen. Lange zögerte  Adenauer Verhandlungen mit Moskau über die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen hinaus. Erst 1955, als die Sowjets drohten, die deutschen Gefangenen in die DDR zu entlassen, willigte er ein.

Der bundesdeutsche A. speiste sich laut Foschepoth  aus folgenden Quellen

  • dem Verlust des Deutschen Reiches,
  • dem Bewältigungsversuch der größten nationalen Katastrophe Deutschlands
  • dem Versuch, den deutschen Nationalismus durch Pflege eines alten, antikommunistischen Feindbildes zu überwinden.

 

Erst mit der Öffnung nach Osten unter der Kanzlerschaft Willy Brandts entwickelte sich einen neue anti-antikommunistische politische Kultur, die sich in den gesellschaftlichen Umbrüchen der Sechzigerjahre bereits angekündigt hatte.

 
4. Fazit

Zum Schluss fasste Foschepoth die Ergebnisse seines Vergleichs nochmals prägnant zusammen. Der A. war für ihn

  • fester Bestandteil der politischen Kultur jener Zeit
  • eine Folge von gesellschaftlichem Wandel
  • der Versuch, das Bürgertum zu mobilisieren
  • Ausdruck der Suche nach Identität
  • Ausdruck einer dominanten Rolle des Staates
  • bestimmende Ideologie der Weststaatsbildung der Bundesrepublik.

 

In der anschließenden, sich im Hildesheimer Knochenhaueramtshaus mit dem „harten Kern“ des Instituts für Geschichte bis 23:30h fortsetzenden und erst bei frostigen Minusgraden vor der Hoteltür des Gastes endenden Diskussion zeigte dieser den gleichen Elan, seine Anliegen zu vermitteln, wie während des Vortrags. Alle neuen Erkenntnisse und Einsichten hier aufzählen zu wollen, wäre schlicht nicht möglich. Sie lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass die Geschichte der Bundesrepublik nach Ansicht Foschepoths noch nicht geschrieben ist. Es sei dringend geboten, überkommende Tabus über das autoritäre Erbe der Adenauerzeit zu brechen. Ähnlich wie sich die Vorkämpfer einer Liberalisierung der westdeutschen Gesellschaft in den Sechzigerjahren von den Verkrustungen der bundesdeutschen Strukturen befreiten und wirklich demokratische Verhältnisse erst ermöglichten, sei es nun an der Zeit, die frühen Jahre der Bundesrepublik quellenfundiert und historisch kritisch aufzuarbeiten. Das wirklich Neue der Gründung des Weststaates Bundesrepublik sei, dass die  Staatsräson der Verfassungsräson untergeordnet wurde. Ein Postulat, das es immer wieder neu umzusetzen gilt. Denn, so Foschepoth, bevor er in die wohlverdiente Nachtruhe entschwand, „Geschichte läuft eben anders als es den Zeitgenossen scheint, daher kann man sie auch erst im Nachhinein erforschen.“

 

Bericht als Download (pdf)

10 Thesen zum Thema Antikommunismus in der politischen Kultur der USA und der Bundesrepublik (pdf)