Von der Finanzkrise zur Krise der Realwirtschaft: Ursachen - Auswirkungen - Maßnahmen - Konsequenzen

Von der Finanzkrise zur Krise der Realwirtschaft: Ursachen - Auswirkungen - Maßnahmen - Konsequenzen

Es gilt das gesprochene Wort!

 

 

Universitätsdozent Dr. Heinz Handler ist anerkannter Experte des Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp , dessen stellvertretender Institutsleiter er lange gewesen ist. Seine Spezialgebiete liegen im Bereich der Geld und Wechselkurspolitik, der Standortpolitik, im Außenhandel sowie der Ökonomie des öffentlichen Sektors. Hierzu legte er eine Vielzahl von Veröffentlichungen vor. Auch politiknahe war Handler aktiv: Als Sektionsleiter für Wirtschaftspolitik im Wirtschaftsministerium war er Berater des österreichischen Wirtschaftsministers.

 

 

 

Heinz Handler beginnt seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass dieser im Prinzip auch „Wirtschaftspolitik zwischen Spekulation und Rezession“ betitelt werden könne. Thematisiere man die Finanzkrise oder die Krise der Realwirtschaft, werde man heute oft zunächst mit der Frage konfrontiert: „Welche Krise?“ Das, so Handler, liegt daran, dass die Krise nicht überall spürbar ist, gleichwohl sei sie jedoch real vorhanden – wenn auch inzwischen hoffentlich weitgehend überwunden.

Als die Krise 2007 auftrat, traf sie alle unvorbereitet. Die Schuldzuweisungen, die schnell kursierten, sind meist vereinfachend und daher unzutreffend. Es war wohl nicht der Fall, dass ein bestimmter Sektor für die Krise verantwortlich war, vielmehr spielten hier vielerlei Faktoren eine Rolle. Das führt auch dazu, dass viele heute angesprochenen Lösungen ebenfalls zu wenige Faktoren berücksichtigen und deshalb nicht zielführend sind.

Handler gliedert seinen weiteren Vortrag in fünf Abschnitte:

 

 

1. War die Krise vermeidbar?

2. Ist die “Große Rezession“ überwunden?

3. Welche Lehren kann man aus der „Großen Depression“ der 1930er Jahre ziehen?

4. Ist die Liberalisierung der Märkte zu weit gegangen?

5. Wird der Euro zur Weichwährung werden?

 

 

1. War die Krise vermeidbar?

Die erste Frage bejaht Handler. Die Krise war in der Tat vorhersehbar. Allerdings sei der genaue Zeitpunkt des Ausbruch der Krise nicht voraussagbar gewesen. Handler vergleicht dies mit der Schwierigkeit, ein Erdbeben zu prognostizieren: Der steigende Druck sei messbar, aber der Ausbruch nicht genau vorhersagbar. Man hätte sich allerdings denken können, wie die Krise entstehen würde: Das Ende der expansiven Geldpolitik der USA führten 2004 zu steigenden Zinssätzen. Dies hatte Ausfälle der Hypothekenkredite zur Folge sowie Kursverluste bei Wertpapieren mit Immobilienbesicherung. Der Effekt war eine zunehmende Unsicherheit bei Zwischenbankgeschäften, was wiederum dazu führte, dass es keine Erneuerung von Kreditrichtlinien der Banken gab. Um bilanzieren zu können, sahen die Banken sich daraufhin genötigt, Wertpapiere zu verkaufen, woraufhin dieser Markt generell einbrach. Nun war die Liquiditäts- und Solvenzkrise der Banken offenbar, die in ihrer Not mit Kreditklemmen im Nichtbankensektor reagierten. Dies wiederum hatte Produktionsausfälle und steigende Arbeitslosigkeit zur Folge, so dass der Staat und die Zentralbanken sich schließlich genötigt sahen, Rettungsaktionen zu starten.

Ein Blick auf die internationalen Leistungsbilanzsalden zeigt, dass China deutlicher Spitzenreiter war und auch Japan sich gut zu platzieren vermochte, der Euroraum und die USA jedoch auf die Negativseite rutschten. Die Leitzinsen fielen 2001 rapide, steigen 2006/07 dann wieder stark an, und zwar zunächst in den USA, dann auch im Euroraum. Anhand detaillierter Statistiken demonstriert Handler die Aktienblase im Dow-Jones-Index: Ab 2004 stiegen die Kurse, 2007 erfolgte der Einbruch.

Was war schief gegangen? – Ein Problem sei die Geldschwemme nach dem 9/11 im Verbund mit zunehmenden Budgetdefiziten gewesen. Kreditvergaben erfolgten in den USA ohne hinreichende Sicherheiten. Die Risikodiversifikation geschah durch Securitization und Handel. Man vertraute den unzuverlässigen Bewertungen der Ratingagenturen und holte zu wenige Informationen über Off-Balance-Sheet-Transaktionen ein. Es herrschte wenig Risikobewusstsein, dafür aber exzessives Ertragsdenken. Die Politik war für diese Entwicklungen zunächst blind. Auch heute noch, so Handler, haben Ökonomen es schwer, Politiker zu überzeugen.

Als die Krise akut wurde, waren nur noch „Feuerwehrmaßnahmen“ möglich. Diese bestanden in drei Aspekten: Erstens wurden „bad banks“ errichtet, um die Banken von zweifelhaften Wertpapieren zu befreien. Zweitens wurden die Kreditmöglichkeiten der Unternehmen wieder hergestellt, und drittens gab es staatliche Sofortmaßnahmen für die Güter- und Arbeitswelt (Kurzarbeitsmodelle und Umstrukturierungsmaßnahmen). Hinzu kamen nationale Rettungsinitiativen.

 

 

2. Ist die “Große Rezession“ überwunden?

In Beantwortung dieser Frage definiert Handler: In den 30er Jahren gab es eine Depression, heute gibt es lediglich eine Rezession. Zum aktuellen Zeitpunkt sei man bereits wieder auf dem Niveau von 2006/07. Die BIP-Prognosen seien zwar beruhigend, zeigten aber doch, wie tief der Einbruch war und welche Einkommensverluste mittelfristig hinzunehmen seien. Auch sei natürlich zu fragen, ob es kurzfristig weitere Krisen wie die momentane in Griechenland hinzukämen und den Regenerationsprozess verlangsamen.

Im Hinblick auf Budgetdefizit und Inflationsgefahr konstatiert Handler eine regional unterschiedliche Betroffenheit. Allgemein stellt er aber fest, dass die Konjunktur in den USA und in Europa ohne massive staatliche Interventionen in eine Depression hätte münden können. – Asien bleibe auf Wachstumskurs.

 

 

3. Welche Lehren kann man aus der „Großen Rezession“ der 30er Jahre ziehen?

Auch 1927 war zunächst ein steiler Anstieg des Aktienkurses zu beobachten. Der darauf folgende Einbruch war jedoch relativ gesehen weit dramatischer als derjenige von 2007. (Absolut gesehen sind die Werte heutzutage natürlich weit höher, so dass die Kurven in vergleichenden Diagrammen sichtbarer ausschlagen.) Die Krise der 30er Jahre dauerte auch länger an als die Rezession von heute. Damals waren es erst die Kriegsvorbereitungen, die die US-Wirtschaft sanierten. Handler demonstriert die Entwicklungen anhand einer „nominellen Welthandelsspirale“, die 1933 am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung entwickelt worden war.

Aus der Depression lässt sich ableiten, dass in Krisen die Märkte nicht funktionieren, und dass die expansive Geldpolitik auf Grenzen stößt, wenn die Banken Liquidität horten und die private Nachfrage paralysiert ist.

 

 

4. Ist die Liberalisierung der Märkte zu weit gegangen?

In einer Rede vom 21. Januar 2010 hat US-Präsident Barack Obama seine Absicht angekündigt, die großen Banken nicht nur stärker zu regulieren, sondern auch deren Eigenhandelstätigkeit zu beschränken. Für die US-Finanzinstitute sei fortan die nach Paul Adolph Volcker benannte „Volcker-Regel“ zu beachten, die einerseits besagt, dass sogenannte „systemische“ Banken verhindert werden müssen, und die andererseits ein Trennbankensystem beinhaltet (teilweise Ausgliederung von Investmentbankgeschäften aus dem Kommerzbanksystem). Unter Berücksichtigung auch kollektiver Risiken müsse die herkömmliche Mikroaufsicht durch eine Makroaufsicht ergänzt werden.

An dieser Stelle wendet sich Handler der Rolle der Spekulationen beim Entstehen der Krise zu. Zunächst fragt er, was denn „Spekulation“ sei. Er definiert sie als Aufbau einer offenen Position in einer Bilanz und eine entsprechende Übernahme des Risikos. Zunächst ist eine Spekulation also etwas Alltägliches, Undramatisches. Allerdings müsse man zwei Arten von Spekulationen unterscheiden: Es gebe die stabilisierende und die destabilisierende Spekulation. Letzte beruht auf unvollständigen Informationen und äußert sich im Herdenverhalten von Banken und anderen Anlegern sowie in selbsterfüllenden Spekulationen (d.h. man redet eine Entwicklung herbei, wenn man über genügend Marktmacht verfügt).

Erfolgversprechende Maßnahmen dagegen wären: Die Erhöhung der Transparenz, das Verbot bestimmter derivativer Geschäfte, die Eindämmung des elektronischen Hochfrequenzhandels und schließlich die Besteuerung spekulativer Geschäfte (Börsenumsatzsteuer).

 

 

5. Wird der Euro zur Weichwährung werden?

Aktuell ist eine Kostenschere innerhalb des Euroraums festzustellen: Die unterschiedliche Arbeitskostenentwicklung lässt die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten zunehmend auseinanderklaffen.

Was speziell Griechenland angehe, so sei der Staat bereits mit falschen Zahlen in die EU gekommen. Erst der letzte Regierungswechsel brachte das Ausmaß der Fälschungen ans Licht. Es sei die Frage, so Handler, ob Griechenland es jemals schaffen wird, aus den Schulden wieder herauszukommen. Welche Maßnahmen man hierfür auch immer ergriffe: Wichtig sei, dass das Land wettbewerbsfähiger werde.

Eine Möglichkeit, den Euro zu retten, bestünde in der Möglichkeit einer verstärkten Koordination der Fiskalpolitik, wenn nich einer Zentralisierung derselben. Der jüngste Wertverlust des Euro gegen den US-Dollar sei kein Grund für ernsthafte Sorge, denn der Euro sei in den letzten Jahren viel zu hoch bewertet worden. Nun pendele er sich gerade auf einem gesunden Niveau ein.

 

 

In der anschließenden Diskussion wurde das Problem „Griechenland“ nochmals aufgegriffen. Handler gab sich hier keinen Illusionen hin. Selbst bei optimal greifenden Maßnahmen werde die Verschuldung Griechenlands von derzeit 120 Mrd. Euro auf über 150 Mrd. steigen. Da müsse man die Nerven behalten. Für Griechenland gebe es überhaupt keine Alternative, als die angekündigten Sanierungsmaßnahmen durchzuziehen.

Besonders kritische Stimmen aus dem Publikum überlegten angesichts dieser bedrückenden Aussichten, ob die Finanzkrise überhaupt das Problem sei – oder ob sie nicht eher Ausdruck eines viel größeren Problems sei, das im globalen Wirtschaftssystem begründet sei. Handler stimmt hier zu. Es müsse zukünftig darum gehen, in weit größerem Maße auf Nachhaltigkeit zu setzen. – Doch dieses weite Feld sei allenfalls Thema für einen weiteren Vortrag.

 

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