Richtungswechsel - Neue Akzente in den US-amerikanischen Beziehungen zu Europa

Richtungswechsel – Neue Akzente in den US-amerikanischen Beziehungen zu Europa

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Christiane Lemke ist seit 1996 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Hannover. http://www.ipw.uni-hannover.de/christiane_lemke.html Die Inhaberin des Jean Monnet Chair for European Political Science (seit 2000) war mehrmals Gastprofessorin an der Harvard University und der University of North Carolina at Chapel Hill. Von April 2006 bis zum März 2007 ist sie zudem als Direktorin beim Niedersächsischen Landtag tätig gewesen, ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind im Bereich der europäischen Integrationsforschung und der internationalen Beziehungen angesiedelt. 

 

Der folgende Vortrag basiert auf einem Buchprojekt, an dem Lemke zur Zeit arbeitet.

 

Die Präsidentschaftswahlen in den USA 2008 der Demokraten Barack Obama und „Joe“ (Joseph Robinette) Biden waren, versichert Lemke, die sich wie schon bei vorherigen Präsidentschaftswahlen vor Ort in Washington befand, bis zuletzt völlig offen. Einerseits war Obama ein Hoffnungsträger, da sich die Regierung von George W. Bush (Republikaner) im Stimmungstief befand und Bush generell als einer der unbeliebtesten Präsidenten der USA überhaupt gelten müsse. Andererseits gab es gegen Obama verdeckte Vorbehalte, z.B., weil es bislang noch keinen schwarzen US-Präsidenten gab. Beim Feststehen des Wahlergebnisses jedoch herrschte „unbeschreiblicher Jubel“, so Lemke, der sich auch in den europäischen Medien fortsetzte. Der Stern-Reporter Jan Christoph Wiechmann nannte Obama am 14.02.2008 gar „ein Geschenk Gottes“, was – so Lemke – offenbar werden ließ, wie sehr Europa die eigenen Hoffnungen auf die USA projizierte.

Dabei ist das Verhältnis Europas zur USA ein durchaus zwiespältiges: Einerseits standen aus europäischer Perspektive die USA (wenigstens seit dem Zweiten Weltkrieg) für die Moderne schlechthin. Andererseits irritierte die Europäer die tiefe Traditionalität, die sich vor allem in einer ausgeprägten Religiosität sowie in der emotionalen Bindung an das Recht, eine Waffe tragen zu dürfen, ausdrückt.

Der außenpolitische Ansatz Obamas war der, auf einen „neuen Internationalismus“ zu setzen. Analysiert man seine Reden zum Amtsantritt 2009, stößt man auf Schlagworte wie das einer „neuen Ära der Verantwortlichkeit“ oder das vom „wechselseitigen Respekt“. Es ging ihm darum, das Ansehen der USA wieder anzuheben, Multilateralismus und Rechtstaatlichkeit zu unterstützen und sein Weltbild zu propagieren: das einer Gemeinschaft von Staaten mit Rechten (Folterverbot), aber auch von Pflichten.

 

Vision und Macht

Inhaltlich waren Obamas Reden nach Amtsantritt geprägt von Visionen um Erneuerbarkeit, verstanden als Hoffnung, aber auch Machbarkeit („Yes, we can!“). Man darf sich allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nationalen Interessen der USA dabei auch für Obama stets an erster Stelle standen, er drückte dies nur nicht so drastisch aus wie sein Amtsvorgänger. Als Grund hierfür sieht Lemke, dass sich die USA in den vergangenen 10-15 Jahren tatsächlich übernommen hatten und eine verstärkte Einbindung auch internationaler Organisationen anstreben mussten. Die USA sollte nun (wieder) als wohlwollende Ordnungsmacht auftreten. Die Verwirklichung dieser Vision vom Richtungswechsel geschah laut Lemke in zwei Phasen:

 

Richtungswechsel, Phase 1: „smart power“

Die erste Phase ließe sich durch das Agieren Obamas mittels „smart power“ umschreiben, d.h. durch ein Konzept von Diplomatie und Stärke, bei dem die Diplomatie Vorrang haben sollte. Anne-Marie Slaughter (Director of Policy Planning for the U.S. State Department) betont in diesem Zusammenhang, dass die Kommunikation und Verbindungen heute wichtiger sind denn je. Die USA sieht sie nicht auf dem „absteigenden Ast“. Lemke sieht dies auch so. Sie wird eine hegemoniale Macht bleiben.

Besonders aussagekräftig für die erste Phase sei die Kairoer Rede Obamas am 4. Juni 2009 gewesen, da sie sich zum Ziel setzte, ein neues Verhältnis der USA zur islamischen Welt zu begründen. Sie war nicht nur als Respektsbezeugung gegenüber den Kairoer Zuhörern gedacht, sondern in mindestens demselben Maß an die TV-Zuschauer in den USA gerichtet. Letzteren gegenüber sollte klargestellt werden, dass „der Islam“ nicht mehr „der Feind“ sei. Obama betonte die historischen Leistungen der islamischen Welt ebenso wie die aktuellen Gemeinsamkeiten. Der konkrete Zweck der Rede bestand darin, den Nahostkonflikt und auch das Verhältnis der USA zum Iran zu entschärfen.

Greifbare Ergebnisse sind freilich bislang kaum erkennbar, bilanziert Lemke. Vor allem im islamischen Raum gab es kaum ein positives Echo auf diese Rede.

Weitere neue Akzente dieser ersten Phase bestehen darin, dass Obama den Irak Krieg von 2003 ablehnt. Er kann dies mit umso besserem Gewissen tun, als er zu den Wenigen zählte, die schon gegen die damalige Mittelbewilligung gestimmt hatten. Zweitens signalisierte er Gesprächsbereitschaft mit allen wichtigen Politikern – auch mit Diktatoren. Drittens verfolgte er das Ziel, eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen. Lemke verweist hier auf den Abrüstungsvertrag mit Russland. Viertens setzte er auf Multilateralismus, auch hinsichtlich der Bekämpfung des Klimawandels. Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen von 2009, erläutert Lemke, sei übrigens nicht an den USA, sondern an China und Indien gescheitert, was oft falsch dargestellt werde.

 

Richtungswechsel, Phase 2: Grenzen der Konsenspolitik

In der UN-Rede Obamas vom September 2009 ist ein Richtungswechsel erkennbar. Gegenüber Nordkorea und dem Iran zeigt der US-Präsident eine gewisse Ungeduld und fordert von den Verbündeten Gegenleistungen ein. Vor allem betont er, dass sich die Europäer auch an harten Maßnahmen wie z.B. Wirtschaftssanktionen beteiligen sollen.

In diese Phase fallen auch die Truppenaufstockungen in Afghanistan und Pakistan. Obama setzte diese durch, da in den USA wie auch in Europa die öffentliche Meinung zu den dortigen Militäreinsätzen kippte. Da die Kriege aufgrunddessen nicht mehr sehr lange würden fortgesetzt werden können, drängte Obama auf eine baldige militärische Entscheidung.

Diese Haltung verteidigte er auch auf seiner Osloer Nobelpreisrede am 11. Dezember 2009: Krieg sei manchmal notwendig. Hieraus wird deutlich, so Lemke, dass auch Obama „kein Friedefürst“ sei. Auch er ist wie viele andere US-Amerikaner in einer tiefen Traditionalität verwurzelt und geht offenbar noch davon aus, dass es „gerechte Kriege“ gibt. Seine Äußerung, „Das Böse existiert in der Welt.“ weist zudem darauf hin, dass er an das Wirken unabhängig vom menschlichen Geist existierender böser Mächte (Satan) glaubt. Nicht zuletzt in dieser theologischen Weltsicht wird ein deutlicher Dissens zu europäischen Deutungsmustern deutlich.

 

Europa – Perzeption und Realität

Barack Obama, hebt die Vortragende hervor, verfüge zweifellos über Charisma und ist ein hervorragender Redner. Seine Amtszeit ist bislang allerdings von gravierenden Problemen überschattet: Neben Afghanistan (Guantánamo) sind hier vor allem die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der internationale Klimaschutz zu nennen. Europa bleibt sicherlich der wichtigste Bündnispartner der USA und wird in Zukunft größere Lasten von den USA zugemutet bekommen. Dabei bleibt die EU für die USA weiterhin „schwer zu lesen“. Lemke spricht aus Sicht der USA geradezu von einem „unbekannten Partner“. Für die USA ist vor allem die Frage entscheidend, inwieweit es eine konsistente EU-Außenpolitik geben wird.

 

Fazit

Eineinhalb Jahre sind noch recht wenig Zeit, um eine Bilanz zu ziehen, resümiert Lemke. Was man mit Sicherheit bislang feststellen kann, ist der klare Bruch zur Bush-Ära. Zwar pocht auch Obama auf die Führungsrolle der USA, doch die Welt ist im 21. Jahrhundert noch unübersichtlicher geworden als zuvor. Es ist heute zunehmend schwierig zu erkennen, wer „der Feind“ ist. Zur Beurteilung Obamas muss auch berücksichtigt werden, dass er in seiner Handlungsfreiheit sowohl durch die öffentliche Meinung als auch durch den Kongress Beschränkungen unterworfen ist.

Es ist nach Lemke also durchaus eine Wende in der Politik der USA zu erkennen, doch Obama bleibe trotz Rhetorik von Visionen ein „pragmatischer Realist“.

 

In der sich an das hochaktuelle Thema anschließenden Diskussion ging es vor allem um die außenpolitischen Brennpunkte der aktuellen Weltpolitik. Lemke bestätigte, dass der Nahostkonflikt um Israel der Schlüssel für die gesamte Region sei. Das Agieren sei allerdings auch für den US-Präsidenten hier alles andere als einfach, dies auch deshalb, weil die israelische Lobby eine äußerst vielschichtige ist. Auch die Verhandlungen mit der Gegenseite seien natürlich komplex. Obamas Devise, mit generell allen wichtigen Politikern zu sprechen, schließt auch den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ein. Hier allerdings besteht das – nicht nur auf den Iran beschränkte – Phänomen, dass die eigentliche politische Macht bei den Mullahs liegt. Doch mit denen könne man nicht sprechen.

 

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