Europäische Kulturpolitik im Spannungsfeld nationaler und regionaler Kulturpolitik am Beispiel Deutschlands

Europäische Kulturpolitik im Spannungsfeld nationaler und regionaler Kulturpolitik am Beispiel Deutschlands

Europäische Kulturpolitik im Spannungsfeld nationaler

und regionaler Kulturpolitik am Beispiel Deutschlands

 

 

1.       Kulturförderung in der Bundesrepublik Deutschland

Innerhalb des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland wird Kulturpolitik auf den Ebenen der Kommunen, der Länder und des Bundes berücksichtigt.[1] Spätestens seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht 1993 tritt auch die Europäische Union als Akteurin auf diesem Feld auf.

Zu den Aufgaben, Grenzen und dem staatlichen Selbstverständnis von Kulturpolitik äußerte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juli 1959:

„Versteht man unter Kultur die Gesamtheit der innerhalb einer Gemeinschaft wirksamen geistigen Kräfte, die sich unabhängig vom Staate entfalten und ihren Wert in sich tragen, so kann Kultur in diesem Sinne ihrem Wesen nach nicht staatlich ,verwaltet‘ werden. Andererseits betrachtet es der moderne Staat als seine Aufgabe, die kulturelle Entwicklung der Gemeinschaft zu fördern, und erfüllt damit in ständig wachsendem Maße kulturelle Verwaltungsaufgaben. Diesem Zwecke dienen u.a. die Errichtung und Unterhaltung von Akademien, Forschungsanstalten, Hochschulen, Theatern und Museen. Zur Erfüllung seiner Aufgabe im Bereich der Kultur muss der Staat auch Gegenstände erwerben und unterhalten, die für die Kulturpflege unentbehrlich sind.“[2]

Kulturpolitik wird für Bürgerinnen und Bürger „sichtbar“ bei:

-          dem Unterhalt kultureller Institutionen (Opern, Theater, Museen, Bibliotheken)

-          der Errichtung von Gedenkstätten

-          der Pflege von Denkmälern

-          der Förderung kultureller Projekte

-          der Verabschiedung kulturrelevanter Gesetze

In Deutschland sind Kommunen und Länder die zentralen Akteure auf dem Feld der Kulturpolitik. Sie stemmen die größten Anteile an den öffentlichen Kulturausgaben (43% bzw. 42%).[3]

Städte und Gemeinden stützen sich dabei auf Art. 28 II GG. Danach steht ihnen das Recht auf Selbstverwaltung zu, die sie in eigener Verantwortung wahrnehmen. Sie sind befugt, kulturelle Institutionen zu unterhalten oder entsprechende Projekte zu fördern.[4] In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland lieferten Städte und Gemeinden einen wichtigen Beitrag zur kulturpolitischen Debatte der 1970er Jahre, weil von ihrer Ebene ausgehend der sog. „erweiterte Kulturbegriff“ durchgesetzt wurde.[5]

Bindende Vorschriften von Gesetzesrang dürfen Kommunen jedoch nicht erlassen. Dies übernehmen die Länder, deren Kulturhoheit aus Art. 30 und 70 GG abgeleitet wird und die vom Bundesverfassungsgericht in den Urteilen vom 26. März 1957[6] und vom 28. Februar 1962[7] bestätigt wurde. Darüber hinaus kommen Länder ihrer kulturpolitischen Verantwortung nach, indem sie zahlreiche Einrichtungen finanzieren und fördern. Weil dies von Land zu Land auf teilweise sehr unterschiedliche Art und Weise erfolgt, wird die Lebendigkeit des deutschen Föderalismus deutlich sichtbar.

Historisch betrachtet führen Kommunen und Länder mit ihrem kulturpolitischen Engagement eine jahrhundertelange Tradition fort: Bereits im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gehörte es zum Selbstverständnis kirchlicher und weltlicher Herrscher, Bibliotheken und Sammlungen von Kunstgegenständen anzulegen, oder Rahmenbedingungen für musikalische bzw. schauspielerische Darbietungen zu schaffen. Nach der Enteignung der Fürstbischöfe im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 und dem Sturz der Monarchien in Deutschland 1918 wurden deren „Hinterlassenschaften“ von den Ländern übernommen.[8]

Das Bürgertum gelangte während zweier Epochen zu politischem Einfluss: Im Spätmittelalter, als sich die vermögenden Handelsstädte im Norden, Westen und Süden Deutschlands von kirchlicher und fürstlicher Bevormundung zu emanzipieren versuchten, und im Zuge des 19. Jahrhunderts, als im Verlauf der Industriellen Revolution das aufstrebende Bürgertum nach mehr öffentlichem Einfluss strebte. Aus diesem Selbstbewusstsein heraus wurde die Errichtung zahlreicher Kulturinstitutionen auf kommunaler Ebene entschieden.

Historisch weniger greifbar ist das kulturpolitische Engagement des Bundes. Dies liegt daran, dass es in Deutschland lange Zeit keinen einheitlichen Nationalstaat gegeben hat. Im Kaiserreich und zur Zeit der Weimarer Republik blieb Kulturarbeit hauptsächlich Kommunen und Ländern überlassen, im Dritten Reich pervertierte sie, da sie ausschließlich den Zielen des nationalsozialistischen Regimes untergeordnet wurde. Nach dem 2. Weltkrieg bestand also kein Anlass, auf nationalstaatlicher Ebene kulturpolitische Verantwortung wahrzunehmen. Vielmehr wurde an die Fördertradition der Zeit vor 1933 angeknüpft. Der Bund darf wegen der Kulturhoheit der Länder bis heute nur in Ausnahmefällen in diesem Bereich tätig werden. Dies geschieht einmal auf dem Gebiet der Auswärtigen Kulturpolitik, weil nach Art. 32 GG die auswärtigen Beziehungen in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen. Vier Ziele werden damit verfolgt: Es gilt, ein für Deutschland angemessenes Bild im Ausland zu verbreiten, kulturpolitische Interessen zu vertreten (z.B. die Rückgabe von „Beutekunst“), die europäische Integration zu fördern sowie internationalen Konflikten vorzubeugen.[9] Im Inland darf der Bund Kultur nur dann fördern, wenn es sich bei den unterstützten Institutionen um Einrichtungen von nationalem oder gesamtstaatlichem Charakter handelt (z.B. die Stiftung Preußischer Kulturbesitz[10] oder die Museen der „blauen Liste“[11]).[12]

Bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 spielte der Bund eine vergleichsweise geringe Rolle in der öffentlichen Kulturförderung. Dies änderte sich mit dem Beitritt der fünf neuen Länder zur Bundesrepublik: Dort sahen sich die Regierungen häufig nicht in der Lage, das reiche kulturelle Erbe zu finanzieren, so dass der Bund mit verschiedenen Förderprogrammen unterstützend eingreifen musste um zahlreiche Museen oder Theater vor der Schließung zu bewahren.[13] Deutlich wird dies heute bei der Unterstützung sog. „kultureller Leuchttürme“ in den neuen Ländern, deren gesamtdeutsche Bedeutung feststeht.[14] In Berlin war die Situation noch wesentlich problematischer. Aufgrund ihrer geographischen Lage war die Stadt ökonomisch lange Zeit uninteressant, so dass sich dort keine finanzstarken Unternehmen ansiedelten. Der Stadtstaat ist jedoch mit dem reichen Erbe mehrerer Jahrhunderte „belastet“. Hier übernahm der Bund einige Kulturinstitutionen direkt in seine Obhut, außerdem sind im Zuge einer Repräsentationspolitik zusätzlich (Kultur-)Einrichtungen ins Leben gerufen worden.[15]

Das Engagement des Bundes führte zu einem neuen Selbstbewusstsein: 1998 berief die Regierung Schröder erstmals einen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (Kulturstaatsminister), vier Jahre später wurde die Kulturstiftung des Bundes (Sitz: Halle) ins Leben gerufen. Heute übernimmt der Bund 15% aller öffentlichen Ausgaben für Kultur innerhalb Deutschlands.[16]

Den Trend des Bundes, kulturpolitische Kompetenzen wahrzunehmen, beobachteten einige Landesregierungen mit Besorgnis. Sie fürchteten um einen ihrer letzten Zuständigkeitsbereiche. Tatsächlich verbleiben ihnen sonst nur noch wenige Felder zur eigenverantwortlichen politischen Gestaltung: Bildungspolitik oder Polizeirecht.[17] Im Zuge der Föderalismusreform I (2006) bekamen sie noch das Beamtenrecht zugesprochen, die Hochschulpolitik wurde ihnen aus dem Bereich der Gemeinschaftsaufgaben zugeführt.[18]

Die Ursachen für die Gestaltungsarmut der deutschen Länder sind historisch bedingt und liegen in den Bestimmungen des Grundgesetzes: Mit Hilfe der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72, 74 GG), der Rahmengesetzgebung (sie bestand bis 2006 mit Art. 75 GG) und der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a und 91b GG) dehnte der Bund seine Kompetenzen im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmend aus. Dies ist verfassungsrechtlich problematisch, denn nach Art. 20 I GG ist Deutschland ein „demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Dieser Grundsatz darf nicht geändert werden (Art. 79 III GG, „Ewigkeitsklausel“). Verlieren die Länder immer mehr Gestaltungsspielräume, drohen sie in die Bedeutungslosigkeit zu versinken und der deutsche Föderalismus wird ad absurdum geführt.

 

2.       Kulturpolitik in der Europäischen Union

Den Ländern werden jedoch nicht nur durch den Bund Kompetenzen entzogen. Spätestens 1993 entdeckte die Europäische Union das Feld Kulturpolitik. Dafür gibt es mehrere Gründe. Ursprünglich auf ökonomischer Basis begründet „wuchs“ die Gemeinschaft allmählich in diesen Bereich hinein.[19] Denn Wirtschaft und Kultur sind nicht eindeutig zu trennen. Besonders deutlich wird dies an den Beispielen Kunsthandel oder Film. Nach der Theorie des Neo-Funktionalismus griff das europäische Regelungswerk im Rahmen sog. „spill-over“-Effekte immer stärker in andere Bereiche ein,[20] so dass häufig Unklarheiten über die politischen Kompetenzen entstanden sind. Einige Politiker forderten daher Rechtsklarheit.

Zum anderen wurde festgestellt, dass sich Europas Bürgerinnen und Bürger nur bedingt mit der Europäischen Union identifizieren können. Zahlreiche Menschen lehnen die Mitgliedschaft ihres Landes in der Gemeinschaft ab.[21]Es ist daher unbedingt notwendig, ein Identitätsgefühl unter den Europäern zu fördern, sonst droht das Integrationswerk langfristig zu scheitern. Hier scheint eine gemeinsame Kulturpolitik dienlich zu sein.

Schließlich ist auf das sog. „Parkinsonsche Gesetz“ zu verweisen, das im Rahmen der Bürokratie-Theorie von Anthony Downs 1974 weiterentwickelt wurde. Danach trachten Bürokratien aus einem inneren Mechanismus heraus nach immer mehr Kompetenzen.[22] Unvermeidlich scheint daher das Ausgreifen der Europäischen Kommission in den Bereich Kultur gewesen zu sein.

„Ergebnis“ war die Implementierung eines eigenen Kulturartikels in den Vertrag von Maastricht (Art. 128 bzw. – nach der Neunummerierung im Vertrag von Amsterdam - Art. 151 EG-Vertrag). Darin wurden die kulturpolitischen Kompetenzen der Gemeinschaft umrissen. Sie „leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten“ (Art 151 I EG-Vertrag) und soll zu den Bemühungen der Mitgliedstaaten unterstützend und ergänzend wirken (Art. 151 II EG-Vertrag). Die Kulturpolitik der Union wird somit in enger Kooperation mit den Einzelstaaten ausgeführt, von einer Kompetenzabtretung auf die europäische Ebene kann daher kaum die Rede sein. Im Unterschied zu anderen Politikfeldern wie der Agrar- oder der Wirtschafts- und Währungspolitik sieht das europäische Vertragswerk keinerlei Vereinheitlichung in der Kulturpolitik vor: Es gilt die nationale und regionale (Art. 151 I EG-Vertrag) sowie die kulturelle Vielfalt (Art. 151 IV EG-Vertrag) der Mitgliedstaaten zu wahren. Fördermaßnahmen dürfen nicht zu einer Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften einzelner EU-Staaten führen (Art. 151 V EG-Vertrag). Zudem sind Beschlüsse im Rat im Hinblick auf kulturelle Fragen einstimmig zu fassen (Art. 151 V EG-Vertrag).

Die Kulturpolitik der EU unterscheidet sich also maßgeblich von ihrer Wirtschaftspolitik. Während im ersten Fall Vielfalt und Pluralität geschützt werden sollen, gilt Vereinheitlichung im Bereich der Ökonomie. Unklarheiten treten jedoch auf, wenn im Rahmen anderer Politikfelder (gerade im Hinblick auf Wirtschaft,[23] aber auch Entwicklung) kulturelle Aspekte berührt werden.

 

3.       Die deutschen Länder im europäischen Integrationsprozess

Durch die Bestimmungen des Vertrages von Maastricht ist also 1993 ein neuer Akteur auf dem Feld Kulturpolitik aufgetreten. Die Länder – ohnehin mit wenigen politischen Kompetenzen ausgestattet – scheinen einen weiteren Handlungsspielraum zumindest teilweise zu verlieren. Die Gefahr, immer mehr Kompetenzen an Brüssel abtreten zu müssen – und zwar auf allen politischen Feldern -, erkannten sie hingegen früh und versuchten deshalb, auf den europäischen Integrationsprozess Einfluss nehmen zu können. Dabei entschieden sie sich für zwei Strategien:

-          Mitwirkung am europäischen Willensbildungsprozess

-          gezielte Lobbyarbeit durch Repräsentation in Brüssel.[24]

Die Länder setzten bereits während der Vorverhandlungen zu den Römischen Verträgen 1956 / 1957 die Teilnahme eines Länderbeobachters durch, der eigene Stellungnahmen verfassen konnte. Das Amt existiert bis heute, erlangte jedoch keine nennenswerte Bedeutung, da sich die Verhandlungsführer des Bundes nicht an die Auffassungen des Ländervertreters halten müssen. Auch spätere Versuche nach Einflussnahme in Brüssel (z.B. das sog. „Neue Länderbeteiligungsverfahren“ von 1979[25] oder die Errichtung einer EG-Kammer im Bundesrat nach Art. 52 IIIa GG[26]) brachten nicht den erwünschten Erfolg. Erst im Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Maastricht ist es den Ländern gelungen, ihre Interessen durchzusetzen. Dies war möglich, weil das Abkommen wegen der Einführung der Unionsbürgerschaft und der Errichtung der Europäischen Zentralbank der Zustimmung des Bundesrates bedurfte.[27]Ergebnis war die komplette Neufassung des ehemaligen Art. 23 GG. Danach ist der Bundesrat zu involvieren, sobald Kompetenzen, die Landesangelegenheiten berühren, an die Europäische Union abgetreten werden sollen. Wird im Rat über einen Gegenstand verhandelt, der sich im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Länder befindet (Kultur, Rundfunk, schulische Bildung), so werden die Interessen Deutschlands von einem Landesminister wahrgenommen (Art. 23 VI GG).

Zudem wurde 1994, u.a. auf Veranlassung der deutschen Länder, der Ausschuss der Regionen als beratendes Gremium in Brüssel etabliert,[28] in dem sich die Vertreter subnationaler Gebietskörperschaften sämtlicher EU-Mitgliedstaaten befinden. Er muss u.a. zu Kulturfragen gehört werden.[29]

Schließlich sah der Vertrag von Maastricht die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips vor, das gerade für den Bereich der Kulturpolitik Anwendung findet.[30]

Es fehlt also nicht an Versuchen der Länder, ihren politischen Einfluss gegenüber Brüssel zu verteidigen, gerade im Hinblick auf die Kulturpolitik.

Trotzdem kommt es auf diesem Feld immer wieder zu Spannungen, nicht nur die Länder fühlen sich häufig von Brüssel gegängelt oder bevormundet, auch der Bund hat beispielsweise auf dem Feld der Auswärtigen Kulturpolitik einen neuen Akteur zu berücksichtigen.

 

4.       Das Verhältnis zwischen Ländern, Bund und Europäischer Union in der Kulturpolitik

Anhand einiger Beispiele soll erläutert werden, wie sich die Beziehungen zwischen europäischer und nationaler sowie subnationaler Ebene in Deutschland anhand der Kulturpolitik äußern – ob kooperativ oder in Konkurrenz zueinander.

Zunächst wird anhand der Fernsehrichtlinie angeführt, wie sich das europäische Regelungswerk auf den politischen Gestaltungsspielraum der Länder auswirkt. Danach veranschaulicht das Beispiel der Buchpreisbindung, wie der deutsche Gesetzgeber gezwungen wurde, auf Vorstellungen der Wettbewerbshüter in Brüssel zu reagieren.

Schließlich werden konkrete europäische Fördermaßnahmen (das Programm „Kultur 2007“, die Kulturaußenpolitik der Gemeinschaft sowie Kulturförderung mit Hilfe der Strukturfonds) in ihrem Verhältnis zu Ländern und Bund vorgestellt.

Die „Fernsehrichtlinie“ von 1991 sorgte für Spannung. Danach sollte es jeder Sendeanstalt gestattet sein, ihr Programm innerhalb des gesamten Gebietes der Gemeinschaft auszustrahlen. Außerdem ist jeder Sender aufgefordert, sein Filmprogramm „im Rahmen des praktisch durchführbaren“ mit europäischen Produktionen zu füllen.[31] Von dieser Vorschrift fühlten sich die deutschen Länder übergangen. Schließlich existieren in Deutschland die Landesrundfunkanstalten: Diese sind aufgrund von Landesgesetzen eingerichtet, werden über Gebühren finanziert, deren Höhe die Ministerpräsidentenkonferenz festlegt, und in ihren obersten Entscheidungsgremien, den Rundfunkräten, befinden sich Vertreter der Landespolitik.[32] Bayern klagte bereits im Vorfeld beim Bundesverfassungsgericht, weil in den Ratssitzungen in Brüssel der Bund über Angelegenheiten verhandelte, die sich im Zuständigkeitsbereich der Länder befinden. Doch Karlsruhe lehnte das Ansinnen am 11. April 1989 zurück.[33]Auch eine erneute Klage des Freistaats hatte keinen Erfolg und wurde am 22. März 1995 vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.[34] Hier vollzog sich also der Integrationsprozess auf Kosten der deutschen Länder, die damit kulturpolitische Kompetenzen verloren.

Einen weiteren Streitfall bildete die Buchpreisbindung. Ursprünglich handelte es sich dabei um eine freiwillige Vereinbarung zwischen Verlagen und Buchhandel, wonach für jedes Buch in jedem Geschäft derselbe Preis zu entrichten war. Davon profitierten v.a. kleinere Unternehmen, die somit vor der Konkurrenz großer Ketten geschützt waren. Nach dem Beitritt Österreichs zur Union 1995 weigerten sich jedoch dortige Buchhändler, vorgeschriebene Preise deutscher Verlage zu berücksichtigen. Die Wettbewerbshüter in Brüssel sahen in der Buchpreisbindung einen unzulässigen Eingriff in den Markt, somit drohte sie komplett zu kippen. Der Bund sah sich daher zum Handeln gezwungen und erließ am 1. Oktober 2002 das „Gesetz über die Preisbindung für Bücher“. Danach setzen Verlage weiterhin fest, wie teuer ein Buch verkauft werden darf (§§ 3,5). Ausnahmen gelten beispielsweise nur für entsprechende Druckerzeugnisse, die ins Ausland exportiert werden oder Mängelexemplare (§§4,7).

Außer mit dem Erlass von Rechtsvorschriften wird die Gemeinschaft auf dem Feld Kulturpolitik auch durch die Initiierung eigener Förderinitiativen aktiv. Derzeit läuft das Programm „Kultur 2007“[35] mit der Laufzeit bis 2013. Es übernahm die Nachfolge von „Kultur 2000“, das wiederum auf den Vorgängerprogrammen KALEIDOSKOP, ARIANE und RAPHAEL aufbaute. Eine Tradition europäischer Kulturförderung lässt sich anhand dieser Reihe erkennen.

Mit „Kultur 2007“ soll die grenzüberschreitende Mobilität von Kulturschaffenden verbessert werden. Ebenso gilt es, die Verbreitung von Kunstwerken und kulturellen Erzeugnissen im internationalen Rahmen zu verbreiten sowie den interkulturellen Dialog zu fördern. Dafür sollen grenzübergreifende Kooperationsprojekte mit 50% der anfallenden Kosten gefördert und europaweit tätige Kulturorganisationen bezuschusst werden. Zur Umsetzung des Programms stellt Brüssel insgesamt 408 Mio. Euro bereit.[36]

Für die Länder und ihre Kompetenz im Kulturbereich ist es nun problematisch, dass ein neuer Akteur auf dem Feld Kulturpolitik hinzugestoßen ist, der sich durch ein eigenes Förderprogramm zu profilieren sucht. Dieser Umstand wird dadurch verschärft, dass die Federführung zur Umsetzung des Programms bei der Europäischen Kommission in Brüssel liegt und Projektanträge dort gestellt werden müssen. Die Ebene der Länder wird damit umgangen.

Andererseits muss betont werden, dass „Kultur 2007“ auf keinem gesetzlichen Akt beruht, die Teilnahme daran ist freiwillig. Ebenso ist das Programm mit einem sehr bescheidenen Budget ausgestattet. „Große Sprünge“ lassen sich damit nicht machen. Auch darf die Gemeinschaft Projekte nur anteilmäßig fördern. Begleitet wird „Kultur 2007“ von einem Programmausschuss, der sich u.a. aus Vertretern des Bundes und der deutschen Länder zusammensetzt. Somit ist zwischen EU und Ländern eher von einer Kooperation auszugehen als von Konkurrenz.

Schließlich wird der Bund auf einem seiner kulturpolitischen Handlungsfelder durch die Europäische Union herausgefordert. Dies gilt bei Assoziierungsabkommen der Gemeinschaft gem. Art. 310 EG-Vertrag. Danach wird die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit Drittstaaten angestrebt. Dafür dient einmal das Instrument für Heranführungshilfe IPA im Hinblick auf die Staaten des ehemaligen Jugoslawien,[37] zum anderen das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument ENPI für Russland.[38] Ebenso werden im Rahmen von Europaabkommen (auch sie beruhen rechtlich auf Art. 310 EG-Vertrag), welche die zukünftige Mitgliedschaft eines Landes in der EU einleiten, u.a. kulturelle Vorhaben gefördert. Letztendlich berücksichtigt die Entwicklungszusammenarbeit gem. Art. 177 – 181 EG-Vertrag teilweise kulturelle Vorhaben, wenn auch in einem vergleichsweise geringen Ausmaß.[39]

Während eine eigenständige auswärtige Kulturpolitik der EU nicht existiert, berührt die Gemeinschaft also im Rahmen anderer Politikfelder diesen Bereich. Dadurch hat der Bund einen weiteren Akteur in einem seiner Zuständigkeitsfelder zu berücksichtigen. Das Verhältnis zwischen beiden Ebenen fällt dabei sehr unterschiedlich aus. Die erwähnten Vorschriften des EG-Vertrages sehen jeweils für entsprechende Abstimmungen im Rat die qualifizierte Mehrheit vor, so dass die Bundesrepublik Deutschland überstimmt werden kann. Nur in der Entwicklungszusammenarbeit gelten Ausnahmeregelungen im Hinblick auf die sog. AKP-Staaten,[40] wonach in einem eigens ins Leben gerufenen Ministerrat, der von Vertretern aller Vertragsparteien besetzt wird, Entscheidungen einvernehmlich getroffen werden.

Deutliche Kooperationsformen zwischen Bund und Europäischer Union sowohl inhaltlicher Art wie in institutioneller Hinsicht finden sich bei der Förderung der europäischen Integration. Sie ist – wie bereits erwähnt - eines der vier Ziele deutscher Auswärtiger Kulturpolitik. Das Goethe-Institut unterhält außerhalb Deutschlands 44 Niederlassungen in europäischen Staaten[41] und arbeitet seit 2005 mit entsprechenden Kulturinstituten anderer EU-Mitglieder in der European Union for National Institutions for Culture (EUNIC) zusammen.[42]

Ein Beispiel enger Kooperation zwischen Europäischer Union, Bund und Ländern bilden schließlich die europäischen Strukturfonds. Zur Begründung des Multi-Level Goverment-Ansatzes werden sie in der wissenschaftlichen Literatur gerne herangeführt.[43] Weil sie rund ein Drittel des gesamten EU-Haushaltes beanspruchen und u.U. zur Finanzierung kultureller Vorhaben dienen, sind sie einer gesonderten Betrachtung wert.[44]

Mit Hilfe der Strukturfonds sollen Entwicklungsdisparitäten innerhalb der Gemeinschaft verringert werden. Dafür wurden der Europäische Sozialfonds (ESF), der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Landwirtschaftsfonds ELER eingeführt.[45] Gelder werden darüber freigesetzt, um Beschäftigungsstrukturen zu verbessern, kleinen und mittelständischen Unternehmen zu helfen oder Landwirten unter die Arme zu greifen. Im Hinblick auf Kultur wurden beispielsweise in den vergangenen Jahren stillgelegte Industrieanlagen umfunktioniert, um Raum für künstlerische Darbietungen bereitzustellen (Zeche Zollverein), oder Altstadtsanierungen (Torgau) vorgenommen.

Für den Zeitraum 2007 bis 2013 gelten folgende Ziele:

-          Konvergenz: Regionen mit weniger als 75% und Mitgliedstaaten mit weniger als 90% des durchschnittlichen BIP / Kopf innerhalb der EU erhalten gesonderte Zuwendungen. Dafür sind 264 Mrd. Euro vorgesehen.

-          Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung gilt es zu fördern (Fördervolumen: 57,9 Mrd. Euro).

-          Förderung der territorialen Zusammenarbeit (Fördervolumen: 14,2 Mrd. Euro).

Aufgaben, Organisation und Ziele der Strukturfonds werden einstimmig im Rat gefasst (Art. 161 EG-Vertrag). Somit hat die Bundesrepublik einen erheblichen Einfluss und kann Entscheidungen ggf. mit einem Veto verhindern. Durchführungsbeschlüsse werden hingegen mit qualifizierter Mehrheit gefällt (Art. 162 i.V.m 251 EG-Vertrag).

Die praktische Umsetzung europäischer Regionalpolitik veranschaulicht, wie eng die Ebenen zusammenwirken:

Die „Strategischen Kohäsionsleitlinien der Gemeinschaft“, welche als Grundlage dienen, wurden von der Europäischen Kommission und dem Rat, wo sich ein entsprechender Vertreter des Bundes befindet, verabschiedet. Darauf aufbauend arbeiteten die EU-Mitgliedstaaten für sich „Einzelstaatliche Strategische Rahmenpläne“ aus, die wiederum als Grundlage für die „Operationellen Programme“ (OP) dienen, welche von den Ländern erstellt werden. Sind die OP von der Europäischen Kommission genehmigt worden, stellen beauftragte Förderbanken oder –institute die begehrten Mittel bereit. Über die konkrete Verwendung der Gelder entscheiden dann in Deutschland die Länder oder die Bezirksregierungen.[46]

 

Anhand der aufgeführten Beispiele lässt sich die Schwierigkeit erkennen, das kulturpolitische Verhältnis zwischen Ländern, Bund und Europäischer Union angemessen zu beschreiben. Dies liegt an der Unmöglichkeit, „Kultur“ genau zu definieren und sie von anderen Politikfeldern abzugrenzen.

Als „reines“ Kulturprogramm kann nur die Initiative „Kultur 2007“gelten. Ansonsten wird Kultur über andere Politikfelder berührt: wenn Rahmenvorschriften ökonomischer Natur verabschiedet werden, oder falls im Zuge regionaler Wirtschaftsförderung oder Entwicklungszusammenarbeit entsprechende Bereiche Zuwendungen aus Brüssel erfahren. Dann gelten jeweils unterschiedliche vertragliche Grundlagen, so dass von Fall zu Fall überprüft werden muss, inwiefern Kompetenzen auf Landes- oder Bundesebene an die Europäische Union abgetreten werden.

 

Quellen- und Literaturverzeichnis:

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-          www.goethe.de/ins/be/bru/eur/cic/deindex.htm

-          http://europa.eu/scadplus/printversion/de/lvb/129016.htm

 

 


[1] Vgl. Klein. Kulturpolitik. Eine Einführung, Wiesbaden 2005

[2] Vgl. Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts (Hrsg.): Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 10, S. 36f.

[3] Vgl. Söndermann: Öffentliche Kulturfinanzierung in Deutschland 2005, in: Sievers / Wagner (Hrsg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2006, S. 397

[4] Vgl. dazu das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. November 1988, in: Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts (Hrsg.): Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 79, S. 128ff.

[5] Vgl. Hoffmann: Kultur als Lebensform, Frankfurt / M. 1990

[6] Vgl. Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts (Hrsg.): Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 6, S. 346f.

[7] Ebd., Band 12, S. 229

[8] Vgl. Winkler: Weimar 1918 -1933, S. 13 - 68

[9] Vgl. Deutsche Bundesregierung (Hrsg.): Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik 2007 / 2008, Berlin 2008

[10] Vgl. Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.): Bundeshaushaltsplan 2008, EP 0405, Titelgruppe 03

[11] Ebd., EP 0405, Titel 63222, 88221

[12] Juristisch werden dabei zwei Formen der Zuständigkeit festgelegt: Die „Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs“ lag bei den Gründungen des Postmuseums und des Bundesbahnmuseums in Frankfurt / M. vor, weil die behandelten Institutionen zum damaligen Zeitpunkt in der Obhut des Bundes lagen. (vgl. Urteil des BVerfG vom 25. Juni 1969, in: Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts (Hrsg.): Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 26, S. 256). Von einer „Zuständigkeit kraft Natur der Sache“ wird dann gesprochen, wenn die geförderte Institution bzw. das unterstützte Vorhaben einen überregionalen, gesamtstaatlichen Charakter aufweist (vgl. Urteil des BVerfG vom 16. Juni 1954, in: Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts (Hrsg.): Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 3, S. 421f.). Vgl. ebenso Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): So fördert der Bund Kunst und Kultur, S. 13

[13] Möglich war dies aufgrund Art. 35 Einigungsvertrag.

[14] Vgl. Raabe: Kulturelle Leuchttürme, Leipzig 2003

[15] Rechtliche Grundlagen für das kulturpolitische Engagement des Bundes in Berlin bildeten dabei die Hauptstadtkulturverträge von 2001 und 2004. Ebenso wurde im Rahmen der Föderalismusreform 2006 Art. 22 I GG wie folgt ins Grundgesetz aufgenommen: „Die Hauptstadt der Bundesr

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