Barack Obama: Chancen für eine Welt der Kooperation

Barrack Obama - Chancen für eine Welt der Kooperation

6.7.2009 – Prof. Egon Bahr

Barack Obama – Chancen für eine Welt der Kooperation

 

Vortrag von Botschafter und Minister a.D. Prof. Egon Bahr im Audimax der Universität Hildesheim

 

Vor mehr als 600 Zuhörern im Audimax der Universität Hildesheim sprach Botschafter und Minister a. D. Professor Egon Bahr nach Begrüßungs- und Einführungsworten von Vizepräsident Prof. Toni Tholen und dem Institutsleiter für Geschichte Prof. Michael Gehler zu seinem selbstgewählten und hochaktuellen Thema. Bahr zog über zweieinhalb Stunden mit Vortrag und Diskussion das zahlreich erschienene Auditorium in seinen Bann.

Zur gleichen Stunde weilte US-Präsident Barack Obama zu Staatsbesuch in Moskau, so dass der Referent zu einer ersten Analyse des mitten im Fluß befindlichen Zeitgeschehens gezwungen war.

Mit der Ablöse von George W. Bush und dem Machtwechsel im Weißen Haus im Januar 2009 sah der Vortragende einen Paradigmenwandel der US-Außenpolitik von der Konfrontation hin zur Kooperation eingeleitet. Übte sich Bush noch mehr in der Politik der Konfrontation, so stehe Obamas Politik klar im Zeichen der internationalen Zusammenarbeit. Hinter diesem Wandel stehe vor allem die Erkenntnis, dass die Macht der USA nicht (mehr) ausreiche, eine unipolare Weltordnung aufzubauen und zu beherrschen. Obama habe diesen Befund klar erkannt und handle bereits entsprechend.

Die Vereinigten Staaten stützten sich in der Vergangenheit auf ihre militärtechnologische Überlegenheit. Ihre militärische Potenz werde auch noch weiter wachsen, doch reiche sie nicht aus, um wirklich weltbeherrschend zu sein. Das Denken in Kategorien der Kriegspolarität sei daher schon am Ende und der Wechsel zur Multipolarität und zum Multilateralismus unter Obama im Gange. Mit einem Nebensatz erwähnte Bahr zunächst nur „Europa“: Es komme auf der Agenda der Politik der USA nicht vor.

Gleichzeitig machte Bahr in mehrerlei Hinsicht auf die Gefahren und Risiken der Poltitik des neuen US-Präsidenten, vor allem auch auf die Überschätzung seiner Rolle, aufmerksam. Interessen der USA müssten gleich wie vorher vertreten und verfochten werden. Obama könne hier gar nicht anders handeln als seine Vorgänger. Der Krieg im Irak sei eine nach wie vor ungeklärte Frage. Mit wichtigen Nebensätzen machte Bahr auf die Bedeutsamkeit der Politik Gerhard Schröders 2002/03 aufmerksam: Die Bundesrepublik durfte sich gar nicht an diesem Krieg beteiligen, da Artikel 26 des Grundgesetzes einen Krieg ohne UNO-Mandatierung verbiete.

Sodann kam Bahr auf zwei zentrale Rahmenbedingungen der Politik Obamas zu sprechen: 1. Die internationale Lage mit Blick auf die Weltwirtschaftskrise und 2. die Situation in den USA mit Blick auf seine innenpolitischen Rivalen.

 

Punkt 1: Die Finanzkrise habe sich bereits zu einer Wirtschaftskrise entwickelt, Depression und Repression seien bereits eingetreten. Die Frage erhebe sich, ob die wirtschaftliche Katastrophe folge. Den Vergleich von 2009 bis 1929 wollte Bahr gar nicht gelten lassen. Gegen die heutige Entwicklung sei der Börsenkrach des „Schwarzen Freitags“ nur ein „laues Lüftchen“ gewesen. Kern der Krise sei die hemmungslose Gier gewesen. Für diese Krise gebe es auch kein alleiniges US-Urheberrecht. Gierig seien Banker, Finanzberater, Kreditinstitute und Regierungen weltweit gewesen. Die tiefere Ursache benannte Bahr in der Trennung von Wirtschafts- und Finanzwelt. „Akkumulation“, „Kapital“ und „Zinsen“ seien keine neuen Phänomene. Sie existierten schon seit 2000 Jahren. Bahr verwies auf den lateinischen Ursprung der drei Begriffe. Kapital und Zinsen seien bisher in Kombination erfolgt und dabei stets an realer Produktion gekoppelt gewesen. „Kluge Leute“ hätten diesen Zusammenhang aufgelöst und „künstliches Geld“ geschaffen. Die Lösung der Kapitalwerte von den Realwerten sei ein wesentlicher Grund für die globale Krise. Dadurch sei eine große Blase entstanden. Kein Notenbankpräsident und kein Finanzminister habe diese Entwicklung in ihren Auswirkungen vorhergesehen. Alle hätten es genossen, „Geld“ zu verdienen, Geld ohne realen Hintergrund. „Die Leute wollen aber echtes Geld“, merkte Bahr gewitzt an. So habe sich der Kapitalismus selbst ad absurdum geführt. Dieses System habe sich selbst zerlegt.

Ein Abgeschriebener und Totgesagter sei dann zur Rettung aufgerufen worden: Der Staat, der nun einspringen solle – zu Lasten der Steuerzahler, weil nur von diesen auch der Staat seine Mittel beziehen könne. Der von vielen Wissenschaftern als Auslaufmodell bezeichnete Staat galt nun als letzter Rettungsanker zur Restabilisierung eines aus den Fugen geratenen Weltfinanzsystems. Bahr wies in diesem Zusammenhang auch auf die Gefahr der Entstehung einer zweiten Blase hin, denn der staatliche Schuldenberg drohe zu explodieren (und die Sparmaßnahmen werden wohl nach Überwindung der Krise ab 2010/11 massiv greifen, darf angemerkt werden). Bahr beendete diesen meisterhaft vorgetragenen Exkurs über die globale Krise mit dem Hinweis auf ihre früh erkennbaren Folgen, nämlich dass z. B. die Russische Föderation bereits im November 2008 erkennen musste, die Höhe der Gas- und Erdölpreise nicht mehr autonom festlegen und damit selbst darüber entscheiden zu können. Die globale Krise zwinge daher zu einer globalen Staatenkooperation. Die Regelung eines neuen internationalen Banken- und Finanzsystems sei notwendig, Obama aber davon noch weit entfernt. Ohne Lösung dieses Problems sei seine Politik zum Scheitern verurteilt. Sodann kam Bahr auf das zweite Dilemma der Politik Obamas zu sprechen.

 

Punkt 2: Bahr ging auf die innenpolitische Situation in den USA ein, wobei er auf die massive amerikanische Geldproduktion hinwies. Die Dollardruckerpresse lief – mit Unterstützung durch die Republikaner – auf Hochtouren. Enorme US-Staatskredite mussten zur Rettung des maroden Bankensystems herhalten. Bahr machte hier auf den relevanten Zusammenhang von Innen- und Außenpolitik aufmerksam. Ohne innenpolitischen Rückhalt könne Obama keine erfolgreiche Außenpolitik betreiben. Daher sei eine große Koalition von Demokraten und Republikanern notwendig. Von den Republikanern habe Obama zwar Vertreter in seine Administration geholt, doch gebe es nur z. T. erfolgreiche Vereinbarungen mit der anderen großen Partei.

Bahr sieht für die zukünftige Weltpolitik zwei Riesenprobleme: Die von den USA angefachte Rüstungsspirale zu Beginn des 21. Jahrhunderts und die ungeklärte Frage der Nichtverbreitung von Atomwaffen. Hintergrund: Die Vereinbarungen über die Begrenzung der strategischen Atomwaffen zwischen Moskau und Washington laufen aus. Gemeint sind die beiden START-Verträge zwischen den USA und Russland, die die gemeinsame, schrittweise Reduzierung für atomare Trägersysteme regelten. START bezeichnet den „Strategic Arms Reduction Treaty“ (Vertrag zur Verringerung der Strategischen Nuklearwaffen). START I wurde 1991 von George H.W. Bush und Michail Gorbatschow unterzeichnet und sah eine Verminderung auf 1.600 Trägersysteme mit maximal 6.000 anrechenbaren Nukleargefechtsköpfen vor. START II wurde zwei Jahre später zwischen Bush und Boris Jelzin vereinbart. Das neue Vertragswerk verlangte die Deaktivierung aller landgestützten Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen. Damit mussten alle russischen SS-18 und amerikanischen „Peacekeeper“-Raketen vernichtet werden. START I lief 2009 aus.

Obama und sein russischer Kollege Dmitrij Medwedjew hatten daher Anfang April nach einem Treffen in London Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen angekündigt.

Die USA seien, so Bahr, verantwortlich für die dramatische Entwicklung der Rüstungsspirale. Unter Bush II habe seit Sommer 2001 eine massive Aufrüstung der Vereinigten Staaten eingesetzt, was auch die Russische Föderation unter Putin zum Nachziehen veranlasst habe. Die Aufrüstungswelle sei von den USA ausgegangen und derart stark angeschoben worden, sodass in diesem Wettrüsten eine Entmutigung der Mitkonkurrenten beabsichtigt worden sei. Das US-Rüstungspotential sei bis zur Uneinholbarkeit gesteigert worden. Russland, China und Japan hätten reagiert, würden aber in Rückstand bleiben. Trotz dieser gigantischen Hochrüstungspolitik seien die USA an die Grenzen ihrer Weltpolitik gestoßen, weil all diese Rüstungspotentiale auch im Zeichen neuer Kriegführungsmethoden nicht entscheidend weiterhelfen würden. Obama sei daher gezwungen, mit Russland eine Vereinbarung zu treffen. Eine vertragslose Zeit auf diesem Sektor sei, so Bahr wortwörtlich, „eine Katastrophe“.

Der Gastredner zeigte sich trotz alledem sehr optimistisch, jedenfalls relativ optimistisch und zwar im Lichte seiner historischen Erfahrung mit Blick auf das atomare Patt und bestärkt durch seinen Glauben an den „Wandel durch Annäherung“: Seit dem historischen Jahr 1959 seien die USA für die Sowjetunion über Interkontinental-Raketen mit atomaren Sprengköpfen erreichbar. Die Betroffenheit sei nach dem Sputnik-Schock (1957) in den USA enorm gewesen. Der Strategiewechsel der NATO von der massiven Vergeltung („massive retaliation“) zu einer abgestuften Reaktion („flexible response“) folgte auf dem Fuß. Von der einstigen Stärke der „großen Sowjetunion“ sei noch die atomare Zweitschlagsfähigkeit übrig geblieben, so Bahr. Hier bewege sich Moskau auf Augenhöhe mit Washington, was nach wie vor eine Schlüsselfrage für die Weltpolitik sei. Dies veranlasse Obama auch zu Gesprächs- und zur Verhandlungsbereitschaft. Seit dem Trauma des „11. September“ sei die Frage der Unangreifbarkeit für die USA eine sensible Frage ihrer Fortexistenz. Mit diesem Tag war ihr Lebensnerv empfindlich getroffen. Milliarden Dollar seien zur Abwehr vergleichbarer Bedrohungen und Gefahren ausgegeben worden.

Und wieder folgte ein historischer Rekurs von Bahr: Im KSE-Verhandlungskontext hatten sich Michail Gorbatschow und George WH. Bush auf den KSE-Vertrag bzw. den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE) geeinigt. Die russische Regierung unter Außenminister Sergej Lawrow signalisierte im Vorfeld des Besuchs von Obama auch Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Erneuerung des KSE-Vertrages zur Begrenzung konventioneller Rüstung. Ein Gleichgewicht der konventionellen Waffensysteme wäre ein Stabilitätsgewinn, so Bahr.

Abschließend ging der Gastredner auf die Rolle EU-Europas ein, die er sich sicherheitspolitisch stärker, vor allem mit einer Stimme sprechend, wünschte. Europa sei nach 1989/90 für die USA gleichgültiger und unwichtiger geworden. So wie jetzt werde die EU von den USA nicht mehr ernstgenommen. Kritisch äußerte er sich über die Rolle Großbritanniens, das nach wie vor als „Bremser“ agiere (nach dem Motto: so viel Erweiterung wie möglich und so wenig Vertiefung wie nötig).

In der anschließenden über einstündigen Diskussion ging Bahr auf zahlreiche aktuelle und diffizielle Fragen ein. Die Erfahrung der Akteure und Hintermänner aus der Zeit der KSZE und der Überwindung des Kalten Krieges spiele heute nach wie vor eine Rolle. Auf die Frage, wer eigentlich eine stärkere EU wünsche, die mit einer Stimme spreche, meinte Bahr u. a.: Moskau und Washington könnten es wollen. Ein Kern für eine gemeinsame europäische Außenpolitik würde sich außerdem bilden. Mit Blick auf die NATO sei die EU bzw. seien die mächtigsten EU-Staaten die „Zahlmeister der USA“, weil sie für den Lebensstandard der neuen NATO-Mitglieder aufkommen müssten und auch sorgten. EU-Europa müsse erwachsen werden und sich von den USA emanzipieren. „Das möchte ich noch erleben“, meinte der Altmeister der Ost-West-Diplomatie, der das Publikum dank seines beeindruckenden Auftritts am Ende der Veranstaltung zu „standing ovations“ bewegte. Viele junge Menschen konnten so einen Politiker kennen lernen, der unaufgeregt, uneitel, ruhig, überlegt und immer druckreif formulierte. Der Abend war ein großer Tag für die Universität Hildesheim, aber auch eine Werbung für Politik aus berufenem Munde bzw. für „Politik als Beruf“ (Max Weber). 

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Interview mit Egon Bahr (mp3)